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Riester? Müller? Schröder: "Ich liebe sie beide"

Symbolische Punkte statt eigene Maßstäbe bei der Betriebsverfassungsreform

Von Andreas Bachmann

 

So positionierte sich der Kanzler, als er Anfang Februar in München gefragt wurde, welcher seiner Minister in betriebsverfassungsrechtlichen Fragen wohl mehr nachgeben müsste.[1]

Mit dem Kabinettsbeschluss vom 14. Februar 2001 ist der End- bzw. Tiefpunkt der Betriebsverfassungsnovelle noch nicht erreicht. Die weiterhin bestehende Droh- und Mobbingkulisse der Unternehmerverbände, die Behandlung der Novelle im Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit sowie die Interventionen der wirtschaftsliberalen Teile der Regierungsfraktionen werden die wenigen positiven Momente der anstehenden Reform weiter ausdünnen. Schon der am 4. Dezember letzten Jahres vom Bundesarbeitsministerium vorgestellte Referentenentwurf lag näher an den Mitbestimmungsthesen der Bertelsmann/Böckler-Stiftung (Betriebsräte als Standortpfleger) als an dem DGB-Vorschlag von 1998.[2]

Mit unterschiedlicher Nuancierung haben DAG und die DGB-Gewerkschaften den Referentenentwurf aus dem Bundesarbeitsministerium als Plattform der Reform akzeptiert. Der DGB ging noch einen Schritt weiter. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer stellte sich nach dem Kabinettsbeschluss, mit dem der zahme Entwurf des Bundesarbeitsministeriums noch weiter verschlechtert wurde, demonstrativ hinter die Regierungskoalition: "Lasst uns dem Kanzler und seinem Kabinett nun den Rücken stärken."[3] Noch ein paar Tage vorher war bei ihr davon die Rede, dass der Vorschlag aus dem Bundesarbeitsministerium der "Mindestentwurf" sein müsse.[4]

Da die Arbeitgeberverbände ihre Inszenierung, die schon hypchondrische Züge trägt ("Räterepublik", "Enteignung", "Kostenexplosion"), aufrechterhalten und die SpitzengewerkschafterInnen heiter tun wie der Elferrat bei einer Karnevalssitzung, ist in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, dass sich an dieser Frage ausnahmsweise mal "die Gewerkschaften" durchgesetzt haben. Tatsächlich sind jedoch keine Erfolge zu verbuchen. Die ergreifend inszenierte Streit- und Versöhnungsgeschichte zwischen dem Wirtschaftsministerium (neue Mitte oben) und dem Arbeitsministerium (neue Mitte unten), die letztlich in den Kabinettsbeschluss mündete, führte im Einzelnen zu folgenden Ergebnissen:

 

Reform und "Betriebsrat light"

Das Wahlverfahren für "Betriebe" mit bis zu 50 wahlberechtigten Beschäftigten wird zweistufig angelegt und damit viel weniger vereinfacht, als ursprünglich geplant: In der ersten Wahlversammlung werden KandidatInnen und Wahlvorstand bestellt, nach einer Woche kann in einer zweiten Wahlversammlung der Betriebsrat gewählt werden. Ein wichtiges Motiv für die Überlegungen, das Wahlverfahren in Kleinbetrieben zu vereinfachen, indem die Ankündigung und Einberufung der Wahlversammlung sowie die Durchführung der Wahl zu einem einzigen Termin zusammengefasst werden sollten, war die Erfahrung mit Schikanen und Pressionen von Unternehmern gegen die InitiatorInnen von Betriebsratswahlen. Der aktuelle Vorschlag bietet entschlossenen Arbeitgebern immer noch eine Menge Zeit und Gelegenheit, Wahlen zu ver- oder behindern. Dies umso mehr, als der Kündigungsschutz im Wahlverfahren sich nach wie vor nicht auf alle die Beschäftigten bezieht, die in irgendeiner Form an den Wahlvorbereitungen im weiteren Sinne beteiligt sind.

Hintergrund dieses Vorschlags war eine aberwitzige Debatte um Mindestquoren bei der Betriebsratswahl und eine politische Argumentation, die den Schutz von Unternehmensleitungen und einzelnen ArbeitnehmerInnen vor kollektiver Interessenvertretung in den Mittelpunkt stellte. Aus der Perspektive, dass es sich beim Betriebsverfassungsrecht originär um das Organisationsrecht der abhängig Beschäftigten handelt, hat man sich auch rechtspolitisch eine Niederlage eingehandelt. Bei allen demokratischen Wahlen müsste es auch darum gehen, das Wahlverfahren möglichst niedrigschwellig zu organisieren. Von wegen – in der öffentlichen Debatte wurde das vereinfachte Wahlverfahren für Kleinbetriebe unter der Rubrik "Hauruck-Wahlen" verhandelt.[5]

Entgegen einem der wenigen erfreulichen Vorschläge aus dem Referentenentwurf des BMA wird die Eingriffsschwelle bei der korrigierenden Mitbestimmung des § 91 BetrVG nicht gesenkt. Worum geht es dabei?

Bis zum Kompromiss zwischen Riester und Müller bestand die Absicht, die Eingriffsschwelle in Bezug auf die korrigierende Mitbestimmung (§ 91 BetrVG) bei Verstößen des Arbeitgebers gegen die Pflicht ("nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen"), menschengerechte Arbeitsbedingungen sicherzustellen, zu senken. Zur Debatte stand, dass Veränderungen der Arbeitsumgebung und -organisation nicht erst dann der korrigierenden Mitbestimmung unterliegen, wenn sie schon "offensichtlich" Anforderungen menschengerechter Arbeit widersprechen und gar "in besonderer Weise" belastend sind.[6]

Nach dem Kabinettsentwurf soll die Mindestschwelle für Freistellungen wie schon im Referentenentwurf künftig bei 200 Beschäftigten liegen. Dafür fallen die Verbesserungen hinsichtlich des Freistellungsvolumens für Mittel- und Großbetriebe bescheidener aus, als ursprünglich geplant.

Konzernbetriebsräte und Konzernwirtschaftsausschüsse bleiben nach wie vor eine fakultative und keine gesetzlich vorgeschriebene Institution. Das Recht des Betriebsrates, bei Betriebsänderungen eigenständig externen Sachverstand und Beratung hinzuziehen, wird auf Betriebe mit mehr als 300 Beschäftigten beschränkt. Auch bei anderen Veränderungen in der Betriebsverfassung werden Beschäftigte in Kleinbetrieben diskriminiert – so muss sich der Unternehmer mit den Vorschlägen des Betriebsrates zur betrieblichen Arbeitsmarktpolitik in Betrieben mit weniger als 100 Beschäftigten nur sehr eingeschränkt auseinandersetzen.[7]

Die förmliche Platzierung der so genannten "Beschäftigungssicherung" auf der Tagesordnung der Betriebsverfassung ist, wie in express 11-12/2000 beschrieben, sehr ambivalent, weil es sich bei den betrieblichen Bündnissen für Arbeit in der Realität häufig genug um Bündnisse für Rationalisierung und Arbeitsplatzabbau handelt.

Die Sonderbehandlung von Beschäftigten in Kleinbetrieben im Sinne einer negativen Diskriminierung weist auf ein großes Problem im weiteren Gesetzgebungsverfahren hin. Die Grünen können sich für "kleine Firmen" auch einen "Betriebsrat light" vorstellen.[8] Diese Vorliebe teilen sie mit anderen Beteiligten. So haben Anfang Februar auch die Wirtschaftsminister der sozialdemokratisch regierten Länder Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern (letzteres pikanterweise SPD/PDS-regiert) gegen den Reformentwurf des Bundesarbeitsministeriums und die "überproportionale Kostenbelastung für die mittelständische Wirtschaft" Stellung bezogen.[9]

Die Vorarbeiten in dem Kabinettsentwurf – so z.B. auch die Unzulässigkeit von Betriebsratsausschüssen in Betrieben mit weniger als 100 Beschäftigten – sind daher eine Steilvorlage für eine erneute Verfestigung eines Sonderarbeitsrechts in Kleinbetrieben, das durch jüngere Entscheidungen der obersten Gerichte mehr oder weniger relativiert wurde.[10]

In der Diskussion im Rahmen der kabinettsinternen Verständigung um die Novelle zur Betriebsverfassung wurde zudem die Absicht bekräftigt, das Einigungsstellenvefahren – der Kern der realen Mitbestimmung – für den Arbeitgeber zu beschleunigen. Wie bei allen anderen rechtlichen "Beschleunigungsverfahren" auch ist damit das Risiko verbunden, dass demokratische Rechte beschnitten werden.

 

Betriebsverfassung als weicher Standortfaktor – Gewerkschaften als Juniorpartner der neuen Mitte

Weder der Kabinettsentwurf noch der Vorschlag aus dem Arbeitsministerium bieten akzeptable Vorschläge hinsichtlich eines lebensnahen Arbeitnehmer- und Betriebsbegriffs, die wichtige Voraussetzungen für ein robustes kollektives Arbeitsrecht wären. Die beabsichtigten Verbesserungen der Arbeitsbedingungen für Betriebsräte liegen zwar oberhalb der Messbarkeitsschwelle, lösen aber kein einziges betriebs- und gewerkschaftspolitisches Problem.

Besonders Unappetitliches versteckt sich hinter einem echten Entgegenkommen an den DGB und die DGB-Gewerkschaften: Unter dem Vorwand, dass dies zwingend mit der geplanten Aufhebung der wahlrechtlichen Trennung von ArbeiterInnen und Angestellten verbunden sei, wird kurzerhand der durch das Verhältniswahlrecht gewährleistete Minderheitenschutz bei Ausschussbesetzungen und Freistellungen gekippt. Der Fata Morgana des Christlichen Gewerkschaftsbundes und anderer gelber Betriebsgewerkschaften gilt diese Attacke nicht. Es wird vor allem die noch agierenden links-alternativen Listen in Großbetrieben des Metall- und Chemiebereichs treffen.[11]

 

Wettbewerb und Flexibilität – ordnungspolitische Leitbilder

Eine wichtige ordnungspolitische Funktion der neuen Betriebsverfassung liegt in der Verbindung von Subsidiarität und Wettbewerb. Damit ist die Dezentralisierung von Kompetenzen auf jene Ebenen gemeint, auf denen die abhängig Beschäftigten, ihre Institutionen und Organisationen am wenigsten konfliktfähig und dem Konkurrenzdruck unmittelbar ausgesetzt sind. Dazu gehört auch, dass Problemkreise nicht mehr hart und abschließend gesetzlich (oder auch tariflich) geregelt sind, sondern der Disposition der Betriebsparteien unterworfen werden. Da der § 77 III BetrVG ("Tarifvorrang") wahrscheinlich auch nach dem weiteren Gesetzgebungsverfahren formal bestehen bleiben wird, ist die besondere Standortfalle in der neuen Betriebsverfassung nicht auf den ersten Blick zu erkennen. In diesem Zusammenhang wird z.B. die politische und juristische Ausstrahlung des neuen § 3 BetrVG auf Tarif- und Betriebspolitik insgesamt unterschätzt. Sofern kein Tarifvertrag besteht, sollen Betriebsrat und Unternehmer per Betriebsvereinbarung regeln können, wie die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung von Betrieben und Betriebsteilen auszusehen hat. Das Risiko von unausgewogenen Arrangements liegt insbesondere in der Möglichkeit, Betriebsratsstrukturen auch über Betriebsvereinbarungen zu regeln. Eine klare gesetzliche Regelung hingegen würde den taktischen Spielraum der Arbeitgeber reduzieren und rein tarifvertragliche Sonderlösungen – sofern sie dann noch nötig sind – auf eine solide Grundlage stellen.

Darüberhinaus wird man sich mit dieser Reform eine Blaupause für weitere negative Dezentralisierungen bzw. Verbetrieblichungen und gegen Schutzmechanismen des Flächentarifs bzw. des allgemeinen Arbeitsrechts einhandeln.

Nach der Kapitulation der Gewerkschaften in der Steuer- und Rentenreform, wo es dem mainstream in den DGB-Gewerkschaften vor allem um Gesichtswahrung und die Anerkennung als Gesprächspartner der neuen Mitte ging, können die Gewerkschaften bei der Reform der Betriebsverfassung nun einige symbolische Punkte machen – mehr, als es bei der Rentenreform möglich war. Dagegen hat auch der Bundeskanzler nichts, weil so das komplizierte soziale Bündnis der neuen Mitte stabilisiert wird. Das Bündnis für Arbeit und Wettbewerb und seine Ausstrahlung in fast alle sozial- und wirtschaftspolitischen Handlungsfelder ist für new labour in Deutschland eine Erfolgsgeschichte. Auch die Reform der Betriebsverfassung ist trotz all des Gejammers der Unternehmerverbände vom Standortdesign des Bündnisses für Arbeit geprägt.

 

Erschienen in Express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit - Ausgabe 2/2001

Anmerkungen

1) Süddeutsche Zeitung vom 10.2.2001

2) Siehe auch express 12/2000

3) Frankfurter Rundschau vom 15.12.2001

4) Süddeutsche Zeitung vom 12.2.2001

5) So z.B. die Financial Times vom 15.2.2001

6) Die Begriffe "offensichtlich" und "in besonderem Maße" sollten nach dem BMA-Entwurf gestrichen werden.

7) In dem neuen § 92a wird ein bloßes Beratungs- und Vorschlagsrecht des Betriebsrates zur Beschäftigungssicherung formuliert.

8) dpa-Meldung vom 08.2.2001

9) Staatliche Pressestelle des Freien und Hansestadt Hamburg vom 08.2.2001

10) Dort ging es vor allem um die "Kleinbetriebsklausel" im Kündigungsschutzrecht.

11) Siehe auch den Betriebsspiegel im express 1/2001


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