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Aufstand der Arbeitgeber gegen Riesters Räterepublik

oder: there's no business like show business

von Andreas Bachmann - Vorabdruck aus express vom Dezember 2000

Im Mittelpunkt dieses Betrags steht eine Bewertung der rechts- und gewerkschaftspolitischen Weichenstellungen, die mit der neuen Betriebsverfassung verbunden sind. Eine wichtige ordnungspolitische Funktion der neuen Betriebsverfassung liegt in der Verbindung von Subsidiarität und Wettbewerb. Damit ist die Dezentralisierung von Kompetenzen auf die Ebenen gemeint, wo die abhängig Beschäftigten, ihre Institutionen und Organisationen am wenigsten konfliktfähig und dem Konkurrenzdruck unmittelbar ausgesetzt sind. Die Verbetrieblichung der Tarifpolitik ist dabei eine der Haupttendenzen. Um diesen Pfad weiterzuentwickeln, braucht es keine förmliche Änderung des § 77 III BetrVG (Tarifvorrang). Auch in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung* bleibt der Wortlaut des § 77 III unverändert.
In den nächsten Ausgaben des express folgen detaillierte Auseinandersetzungen mit der neuen Betriebsverfassung und den in diesem Beitrag nicht näher besprochenen Änderungen, wie z.B. der künftig obligatorischen Einrichtung von Konzernbetriebsräten.

Mit einigen Monaten Verspätung liegt seit dem 4. Dezember d.J. der Entwurf des Bundesarbeitsministeriums (BMA) für ein neues Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) vor. Das öffentlich inszenierte Entsetzen der Arbeitgeber - Arbeitgeberchef Hundt spricht von einer "Attacke auf die unternehmerische Freiheit", und die AG der selbständigen Unternehmer beschimpft Riester als "Handlanger der Gewerkschaften" (1) - hat mit der Substanz des Gesetzentwurfes nichts zu tun.

Sicherlich gibt es in den Unternehmens- und Arbeitgeberverbänden eine hardcore-Fraktion, die Betriebsräte auch als Co-Manager und Sozialpartner überflüssig findet und die gesetzlichen Grundlagen und Mindeststandards der Betriebsverfassung als Einschränkung empfindet. Die einflussreichen Strömungen im Arbeitgeberlager, repräsentiert durch Hundt, Henkel und Stihl, wissen aber genau, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf Mitbestimmungstatbestände nur geringfügig ausgeweitet werden. Der Aufschrei der Arbeitgeber ist vor allem taktischer Natur, da durch gezieltes Mobbing einige Stellschrauben im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch zu ihren Gunsten justiert werden könnten.

Ein Nebeneffekt des Unternehmergeschreis: Oberflächlich betrachtet scheint es eine Wiederannäherung der rot-grünen Bundesregierung an die Gewerkschaften zu geben. Die Gewerkschaften wiederum äußern sich im Großen und Ganzen zustimmend zum Gesetzentwurf. Der Vorschlag ist zum einen eine vorsichtige Weiterentwicklung des alten Mitbestimmungsmodells der 72er Betriebsverfassung und zum anderen ein weiterer Brückenkopf in ein Betriebsverfassungsmodell, wie es in den Mitbestimmungsthesen der Bertelsmann- und Böckler-Stiftung skizziert wird (2). Die "Betriebsverfassung" nach dem Zuschnitt des Gütersloher Modells soll aus nur wenigen harten gesetzlichen Festlegungen und vielen Vereinbarungen auf den unterschiedlichsten Ebenen bestehen. (3)

Inbesondere bei der Auseinandersetzung um den "Betriebsbegriff" gelingt es dem Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministeriums, sich rechtspolitisch von der Weiterentwicklung justiziabler gesetzlicher Regelungen abzukoppeln. Im Sinne von Dezentralität und Subsidiarität werden die entscheidenden Fragen, d.h. wo und auf welcher Grundlage ein Betriebsrat gewählt wird und mit wem er sich auf Arbeitgeberseite auseinanderzusetzen hat, auf das Feld der Tarif- und Betriebsvereinbarungen abgedrängt.

Im Unterschied zur Koalitionsvereinbarung ist von einem neuen Betriebsbegriff ausdrücklich nicht mehr die Rede, sondern nur noch davon, durch "eine flexible Kombination von gesetzlicher und vertraglicher Lösung dem Betriebsrat (wieder) eine tragfähige Organisationsgrundlage zu erhalten, die die herkömmliche Anknüpfung ausschließlich an den Betriebsbegriff nicht mehr gewährleistet." (4)

Diese Flexibilisierung soll vorrangig über erleichterte (nicht mehr genehmigungspflichtige) Möglichkeiten für die Tarifparteien und neuerdings auch für die Betriebsparteien, über einen neuen § 3 BetrVG betriebsverfassungsrechtliche Zuordnungen von Betrieben und Betriebsteilen zu modifizieren und auch betriebs- und unternehmensübergreifende Interessenvertretungen zu bilden, bewerkstelligt werden. Das alles kann natürlich nur dann funktionieren, wenn sich die jeweiligen Arbeitgeber auf solche Vereinbarungen einlassen bzw. wenn die Unternehmen diese Vereinbarungen mit Kompensationsgeschäften verbinden können. Das Risiko von unausgewogenen Arrangements liegt insbesondere in der Möglichkeit, Betriebsratsstrukturen auch über Betriebsvereinbarungen zu regeln. Eine klare gesetzliche Regelung hingegen würde den taktischen Spielraum der Arbeitgeber reduzieren und rein tarifvertragliche Sonderlösungen - sofern sie dann noch nötig sind - auf eine solide Grundlage stellen.

Über eine andere verbindliche gesetzliche Bestimmung des Betriebsbegriffs ergeben sich ganz andere Möglichkeiten: Gesetz und vor allem die Arbeitsrechtsprechung haben in den letzten Jahrzehnten ein Verständnis von "Betrieb" entwickelt, das sich überwiegend an die Organisationsform und Leitungsstruktur des Unternehmers anlehnt. Durch die einseitige Möglichkeit des Unternehmers, Organisations- und Leitungsstrukturen durch Ausgliederungen, Betriebsspaltungen etc. zu verändern, liegt es vorrangig in seiner Regie, wo Betriebe und Betriebsteile im Sinne des alten Gesetzes vorliegen, in denen dann Betriebsräte wählbar sind oder nicht.

Wenn man hingegen den Vorstellungen im DGB-Entwurf von 1998 folgen würde, ginge es um einen Betriebsbegriff, der auf die Zusammenarbeit aller Beschäftigten im Betrieb und auf die effektive Interessenvertretung der abhängig Beschäftigten als Zweck der Betriebsverfassung abstellt. Betriebsräte und GewerkschafterInnen im Betrieb könnten auf outsourcing und Umstrukturierung wirksamer reagieren, und es wäre leichter, mit den sozialen Spaltungslinien im Betrieb politisch umzugehen. Im Unterschied zum heutigen starren Betriebsbegriff wäre der Betriebsbegriff im Sinne des DGB-Vorschlages offen für künftige Veränderungen in den Unternehmens- und Betriebsstrukturen.

Ein vergleichbarer Effekt wäre mit einem zeitgemäßen Arbeitnehmerbegriff verbunden, der stringent auf die wirtschaftliche Abhängigkeit abstellt und damit auch "Scheinselbständige" und "arbeitnehmerähnliche Personen" einbezieht. Die AutorInnen des BMA-Entwurfs stellen hierzu lapidar fest: "Mit einer Neudefinition des allgemeinen Arbeitnehmerbegriffs wäre für die betriebsverfassungsrechtliche Situation nicht viel gewonnen." (5)

Die Neufassung des § 5 BetrVG ("Arbeitnehmer") beschränkt sich darauf, klarzustellen, dass auch TelearbeiterInnen und AußendienstlerInnen zu den ArbeitnehmerInnen des Betriebes gehören. Auch in der Vergangenheit war dies allerdings nicht ernsthaft umstritten.

Bei den LeiharbeitnehmerInnen soll eine vorsichtige Korrektur im BetrVG (§ 7 neu) und im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ( AÜG § 14 II neu) sicherstellen, dass LeiharbeiterInnen das aktive Wahlrecht im Entleihbetrieb haben, sofern der "Einsatz" dort länger als drei Monate dauert.

Durch den Verzicht auf einen lebensnahen ArbeitnehmerInnenbegriff kann der sozialen Erosion der Betriebsratsbasis nicht effektiv begegnet werden, da "Scheinselbständige" weiterhin ausgeschlossen bleiben, LeiharbeiterInnen nur unzureichend und immer ohne passives Wahlrecht berücksichtigt werden. Auch Auszubildende in reinen außer- oder überbetrieblichen "Ausbildungsbetrieben" bekommen nach der geplanten Reform wie bisher keinen "ArbeitnehmerInnenstatus" im Sinne der Betriebsverfassung.

 

Neues oder altes Mitbestimmungsdesign?

Ähnlich unbefriedigend stellen sich die Veränderungen im Feld der Mitbestimmung dar. Die Einschränkungen bei so genannten Tendenzbetrieben werden fortgeschrieben.

Wenn nach tatsächlicher Mitbestimmung gefragt wird und nicht nach "Mitwirkung", "Information" und "Beratung" gibt es eine Erweiterung der Mitbestimmung nur im Bereich der Berufsbildung und hinsichtlich der Modalitäten von Gruppenarbeit. (6) Mitbestimmungspflichtig kann nach dem Gesetzentwurf des BMA die Einführung von Bildungsmaßnahmen im Sinne einer Anpassungsqualifizierung sein, wenn Qualifikationen und Kenntnisse der Beschäftigten durch technische oder arbeitsorganisatorische Veränderungen im Betrieb nicht mehr ausreichen.

Durchaus auf der Gesamtlinie der Subsidiarität liegt die Überlegung der AutorInnen des BMA-Entwurfs, über den neuen § 28a BetrVG Beteiligungsrechte an "Arbeitsgruppen" - soweit diese Rechte mit den Aufgaben der Arbeitsgruppe im Zusammenhang stehen - zu delegieren. Durch eine Ergänzung des § 87 I sollen wiederum die Grundsätze über die Durchführung von Gruppenarbeit mitbestimmungspflichtig sein. Mitbestimmt werden soll wohlgemerkt nur das "wie" und nicht das "ob" von Gruppenarbeit. Angesichts der ambivalenten Erfahrungen mit Gruppenarbeitskonzepten, die nur zu oft als Motor von Produktivitätssteigerung und Durchsetzung subtiler Formen sozialer Kontrolle eingesetzt werden, greift ein ausschließlich auf die Modalitäten von Gruppenarbeit bezogenes Mitbestimmungsrecht zu kurz.

Die Individualrechte von Beschäftigten werden nur sehr maßvoll ausgeweitet. Nach dem BMA-Entwurf gibt es ein Vorschlagsrecht in Richtung Betriebsrat, das bei einem Quorum von 5 Prozent der ArbeitnehmerInnen den Betriebsrat zwingt, das fragliche Thema auf seine Tagesordnung zu setzen. (§ 86 a ).

 

Bündnis für Arbeit und aktivierender Staat in der Betriebsverfassung?

Mit dem § 92 a des BMA-Entwurfs ("Beschäftigungssicherung") sollen Betriebsräte einen Rechtsanspruch darauf bekommen, dass sich der Unternehmer mit den beschäftigungspolitischen Vorschlägen der Betriebsräte (argumentativ) auseinandersetzt. Dieser neue Passus ist weniger banal, als es scheint. Das Repertoire von beschäftigungspolitischen Initiativen in § 92a des BMA-Entwurfs, die beispielhaft als mögliche Betriebsratsvorschläge aufgeführt werden, erinnert nicht zufällig an die vielen Standortsicherungsvereinbarungen, in denen regelmäßig (unbezahlte) Mehrarbeit, ausgeweitete Flexibilisierung und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen etc. gegen Beschäftigungsversprechen abgewogen werden. Mit der neuen Betriebsverfassung gibt es eine programmatische Verstärkung dieser Tradition betrieblicher Standortpolitik. Dies kann mittelbar auf die weitere Aushöhlung des Flächentarifs und auch die Entwicklung der Rechtsprechung im Tarif- und Betriebsverfassungsrecht Einfluss haben.

In der Neufassung des § 112 BetrVG gibt es eine Veränderung der Beziehung von staatlicher Arbeitsmarktpolitik zu betrieblichen Sozialplänen. Die Einigungsstelle wird künftig ausdrücklich verpflichtet, bei der Gestaltung des Sozialplans Förderinstrumente der so genannten aktiven Arbeitsmarktpolitik zu berücksichtigen. Mit dieser Pflicht sind mehrere Gefahren verbunden: Das Kostenrisiko des Unternehmers wird u.U. geringer, Sozialpläne werden noch stärker aus öffentlichen Kassen subventioniert. Es sind Konstellationen denkbar, wo die Nichtteilnahme an den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Arbeitsverwaltung oder der Kommune zum Ausschluss aus dem Sozialplan führen. Der Zwangscharakter der staatlichen Arbeitsmarktpolitik und die Sinnlosigkeit vieler "Maßnahmen" kann so bis in die Sozialpläne und die betriebliche Arbeitsmarktpolitik einwirken.

 

Auf der Habenseite - ein wenig mehr Freistellungen und vereinfachtes Wahlverfahren

Positiv sind die Absenkungen des Schwellenwertes für Freistellungen von 300 auf 200 Beschäftigte und die rechtliche Absicherung von Teilfreistellungen, (7) die Vergrößerung der Betriebsräte, die sich ab einer Betriebsgröße von 100 Beschäftigten auswirkt (8), die Abschaffung des Gruppenprinzips der Arbeiter und Angestellten (9) und die Institutionalisierung der Geschlechterquote. (10)

Vernünftig ist auch die erhebliche Vereinfachung des Wahlverfahrens in Betrieben mit 5 bis 50 Beschäftigten, hier reicht künftig eine Wahlversammlung. (11) Ungünstig ist dagegen, dass die Obergrenze für das vereinfachte Wahlverfahren mit 50 Beschäftigten zu niedrig ist und dass der effektive Kündigungsschutz für alle Beschäftigten, die am Wahlverfahren aktiv beteiligt sind, nicht befriedigend gelöst wurde.

Gemessen am gesetzlichen status quo stellt auch der (geringfügig) erleichterte Zugang zu Ressourcen und Arbeitsmitteln für die Betriebsratsarbeit und der erleichterte Zugriff auf internen und externen Sachverstand eine Verbesserung dar. Eine begrüßenswerte Klarstellung liegt zudem in der expliziten Einbeziehung der Frauenförderung und des betrieblichen Umweltschutzes in den allgemeinen Aufgabenkatalog von Betriebsräten.

Eine weitere Verbesserung gegenüber der alten Rechtslage ist die Absenkung der Eingriffsschwelle in Bezug auf die korrigierende Mitbestimmung (§ 91 BetrVG) bei Verstößen des Arbeitgebers gegen die Pflicht ("nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen"), menschengerechte Arbeitsbedingungen sicherzustellen. Künftig geht es darum, daß Veränderung der Arbeitsumgebung- und -organisation nicht erst dann der korrigierenden Mitbestimmung unterliegen wenn sie schon "offensichtlich" Anforderungen menschengerechter Arbeit widersprechen und gar "in besonderer Weise" belastend sind. (12)

Im geltenden Recht kann der Betriebsrat erst bei sehr großen Belastungen eingreifen und wenn der Zusammenhang zwischen Belastungen und Veränderungen auf der Hand liegt. Mit dem neuen Recht könnte der Betriebsrat eher intervenieren. Dies bleibt dann auch die einzige Verbesserung im Bereich des Gesundheits- und Arbeitsschutzes. Die neueren (auch europäischen) Diskussionen um den Arbeitsschutz finden sich nicht im Regierungsentwurf wieder.

Auf jüngere Verfassungsgerichtsentscheidungen zu den Sonderregelungen im Arbeitsrecht für Kleinbetriebe geht die Bezugnahme des 20er Schwellenwertes auf das Unternehmen und nicht mehr den Betrieb beim § 99 (Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen und § 111 (Betriebsänderungen) zurück.(13)

Dieser Schwellenwert schließt das Mitbestimmungsrecht des BR bei personellen Einzelmaßnahmen und die Verpflichtung des Arbeitgeber in "Betrieben" mit weniger als 20 Beschäftigen über geplante Betriebsänderungen zu informieren und mit dem BR zu beraten, aus. Die Gleichsetzung von "Betrieb" und "Unternehmen" an dieser Stelle entschärft das Problem ein wenig. Besser wäre es natürlich, wenn die Mitbestimmung auch in allen Klein- und Kleinstbetrieben uneingeschränkt gelten würde.

Das für sechs Monate gesicherte Übergangsmandat (§ 21 a BMA-Entwurf) bei Betriebsspaltungen oder Zusammenlegungen geht auf eine von der BRD noch umzusetzende EU-Richtlinie zurück.

Die Möglichkeiten der Arbeitgeber, Beschäftigungsverhältnisse zu befristen, wurden mit dem Gesetz zur Teilzeitarbeit und zu befristeten Arbeitsverträgen vom Herbst dieses Jahres noch einmal ausgeweitet. Da hilft es nur wenig, wenn die Nichtberücksichtigung eines befristeten Beschäftigten bei einer Festeinstellung ein "Nachteil für die im Betrieb beschäftigten ArbeitnehmerInnen" und damit ein Zustimmungsverweigerungsgrund für den Betriebsrat nach § 99 II Nr. 3 BMA-Entwurf bei geplanten Einstellungen des Arbeitgebers sein kann.

 

Und nun?

Es wird bei dem Getöse der Unternehmer und der konservativen Parteien nicht leicht für uns sein, in der Öffentlichkeit klarzustellen, dass der Regierungsentwurf mit dem DGB-Vorschlag von 1998, der bei allen Schwächen durchaus als Plattform für eine reformerische Offensive im Feld Arbeitsrecht und Politik geeignet wäre, nichts zu tun hat. Noch schwieriger wird es sein, einen "Sozialpakt" zwischen der erdrückenden Mehrheit der Gewerkschaften und der rot-grünen Koalition zu verhindern, in dem das Arrangement der Gewerkschaften mit der Sozial- und Rentenpolitik der neuen Mitte mit kleineren Verbesserungen in der Betriebsverfassung abgewogen wird.

Die neue Betriebsverfassung hat starke Bezüge zur Wettbewerbsphilosophie der Mitbestimmungsthesen der Bertelsmann- und Böcklerstiftung. Die Mitbestimmungsthesen der Stiftungen buchstabieren Mitbestimmung nur noch dezentral und einzelbetrieblich als innerbetriebliche Ressource im Standortwettbewerb und die Betriebsräte als Moderatoren und Co-Manager. Es geht in den Mitbestimmungsthesen aber nicht nur um den unternehmerisch denkenden Betriebsrat, sondern auch um den unternehmerisch handelnden Beschäftigten. Die dezentrale Logik aus Gütersloh geht über das Repräsentativmodell des alten BetrVG hinaus und will auch das Individuum intensiver in den ökonomischen Modernisierungsprozess einbeziehen. "Im Ergebnis verschiebt sich dabei in Reaktion auf neue wirtschaftliche Notwendigkeiten die Balance zwischen den traditionellen Schutzfunktionen der Mitbestimmung und ihrem Beitrag zu einem reibungslosen Produktionsablauf." (14)

Wenn das so ist, dann ist eine linke Strategie, die vorrangig auf Betriebsräte ("als Gegenmacht") setzt, zu kurz gedacht. Das allgemeine Arbeitsrecht muss robuster und der Flächentarifvertrag muss revitalisiert werden. Im "Betrieb" allein können wir nur verlieren. In der Begründung zum Gesetzentwurf werden in dieser Hinsicht folgende Überlegungen zur Rolle der Betriebe und der Betriebsräte angestellt: "Der Flächentarifvertrag ist besser als sein Ruf. Tarifliche Öffnungsklauseln sorgen für ausreichende Flexibilität. Nur Betriebsräte, denen die gesetzlichen Rahmenbedingungen für ein effizientes und verantwortungsvolles Handeln zur Verfügung gestellt werden, können diese tariflichen Öffnungsklauseln mit Leben erfüllen."(15) "Ohne Betriebsräte gibt es keine betriebliche Mitbestimmung. Ohne Betriebsräte können keine Betriebsvereinbarungen zur Ausfüllung von Öffnungsklauseln in modernen Flächentarifverträgen geschlossen werden".(16)

Bezogen auf den "Betrieb" wiederum muss die rechtliche Seite der Betriebsverfassung den Rahmen geben für den "Betrieb" als politische Öffentlichkeit und als Ort von Kommunikation. So müssen die noch vorsichtigen Ansätze im DGB-Entwurf über die zu stärkenden Individualrechte und das Agieren von Gewerkschaften im Betrieb ausgeweitet werden. Garantierte Grundrechte in der Betriebsverfassung heißt dann: Diskussion und Austausch über eigene Erfahrungen, Ansprüche an die Arbeit sowie über individuelle und kollektive Abwehr der Zumutungen der neuen Ökonomie. Individualrechte sind dann mehr als nur Beschwerderechte oder die Einsichtsmöglichkeit in die Personalakte. Es geht um das Grundrecht auf Kommunikation und auch um das Grundrecht der Verweigerung (nicht nur bei unmittelbar gesundheitsgefährdender Arbeit). Die Herstellung von politischer Öffentlichkeit im Betrieb und die Stärkung der Schutz- und Abwehrfunktionen über das Repräsentativorgan Betriebsrat wären Leitbilder von sozialen Grundrechten im Betrieb.

Der Kampf um die sozialen Grundrechte im Betrieb würde die individualisierenden Ansätze von Böckler/Bertelsmann und der Regierungskoalition, die den Betriebsrat und den einzelnen Beschäftigten als Wettbewerbsressource identifiziert haben, politisch besser parieren als eine Strategie, die nur auf die Stärkung der Repräsentativorgane setzt.

 

Anmerkungen:

1) Welt v. 7.12.00, S. 11
2) Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen - Bilanz und Perspektiven; Bericht der Kommission Mitbestimmung, Gütersloh 1998
3) Dieses Modell von Interessenvertretung findet sich auch in den Europäischen Betriebsräten wieder.
4) BMA-Entwurf, Begründung, S. 10
5) BMA-Entwurf, Begründung, S. 13
6) Bei der "echten" Mitbestimmung kann die fehlende Zustimmung des Betriebsrates nur durch eine Entscheidung der Einigungsstelle ersetzt werden.
7) § 38 BMA-Entwurf
8) § 9 BMA-Entwurf
9) § 6 BetrVG soll entfallen
10) § 15 BMA-Entwurf
11) § 14a BMA-Entwurf
12) Die Begriffe "offensichtlich" und "in besonderem Maße" werden in der Neufassung gestrichen.
13) Diese Korrektur - relevant für mehrbetriebliche Unternehmen - ist insofern interessant, weil an dieser Stelle implizit der starre Betriebsbegriff berichtigt und auf den jeweiligen sozialpolitischen betriebsverfassungsrechtlichen Zweck abgestellt wird.
14) Zusammenfassung Mitbestimmungsthesen Nr. 9
15) BMA-Entwurf BetrVG, Begründung, S. 22
16) BMA-Entwurf BetrVG, Begründung, S. 20

Anmerkung des LabourNet Germany:

Der besagte BMA-Entwurf kann hier im LabourNet Germany als eine pdf-Datei gesaugt werden!


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