letzte Änderung am 26. Januar 2004 | |
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Im Laufe der Kontroverse über die Beteiligung der Firma Degussa am Bau
des Holocaust-Mahnmals wurden allerlei Pro- und Kontra-Argumente gewechselt.
Einig war man sich jedoch darin, daß die Degussa ihre NS-Vergangenheit
gründlich aufgearbeitet habe und konsequent für die Entschädigung
der NS-Opfer eingetreten sei.
Auf der Degussa-Homepage wird der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens mit
dem Satz "Die aktive Aufarbeitung unserer Unternehmensgeschichte ist uns
ein zentrales Anliegen" und der Vorsitzende des Mahnmal-Kuratoriums, Bundestagspräsident
Thierse, mit dem Statement zitiert: "Ich habe großen Respekt vor
der Leistung der Degussa bei der Aufarbeitung ihrer Geschichte..." Landauf
und landab läßt es sich so oder so ähnlich lesen oder hören.
Doch was da auf wie eine Unterstützung der Degussa erscheint, erweist sich
bei näherem Hinsehen als Bärendienst.
Als 1997 die Auseinandersetzung über das Raubgold der Nazis und das Netz
der Komplizen und Hehler den (zufälligen) Schweizer Rahmen überstieg,
wurden nicht nur deutsche Banken, sondern auch die Degussa bloßgestellt.
Denn sie war als Deutsche Gold- und Silberscheideanstalt ein wichtiges Glied
in der Verwertungskette des Raubgutes. Doch traf es sie nicht bloß im
allgemeinen, so wie andere Schuldige, die sich gegenüber der internationalen
Öffentlichkeit mit dem Argument herausredeten, daß in Deutschland
die Geschichte aufgearbeitet und die Entschädigung der NS-Opfer erfolgreich
abgeschlossen worden sei. Sie wurde in besonderem Maß belastet.
Während die Archivleiterin der Degussa, Mechthild Wolf, laut "Handelsblatt"
vom 2. Juni 1997 das bisherige Schweigen des Konzerns über seine Rolle
beim Nazi-Goldraub noch mit dem Argument zu rechtfertigen suchte, "...die
damaligen Begrifflichkeiten' seien heute so schwer nachzuvollziehen, was
eine Aufarbeitung so sehr erschwert habe", gelang dies dem Soziologen Hersch
Fischler quasi im Alleingang. Schließlich sah sich selbst die damalige
Firmensprecherin zu der Erklärung in der Lage, "diese Lieferungen
ließen sich nunmehr rekonstruieren'". "Begrifflichkeiten"
wie "Jd'Silber", "Jd'Gold" oder "Jd" aus den Berliner
Scheidgutbüchern waren jetzt auch ihr verständlich.
Fischler wies darüber hinaus nach, daß die Firma nicht nur angelieferte
Edelmetalle eingeschmolzen, sondern sich aktiv um den Ankauf von Raubgold bemüht
hatte. Dies geht zum Beispiel aus ihrem Briefwechsel mit der Ghettoverwaltung
Litzmannstadt (Lodz) hervor. Im Zuge dieser Enthüllungen machten Journalisten
bekannt, daß die Degussa nach US-Militärunterlagen aus dem Jahr 1945
von der SS mit "Bruchgold" beliefert worden war, das in der Literatur
im Unterschied zu dem den Notenbanken anderer Staaten geraubten Gold auch als
"Opfergold" bezeichnet wird. Hierunter hätten sich auch Goldzähne
und Eheringe von Holocaust-Opfern befunden.
Diese Entwicklung traf die Degussa unvorbereitet. Zwar hatte der damalige Vorstandsvorsitzende
Gert Becker anläßlich ihres 150jährigen Bestehens noch 1993
die schönen Worte gefunden, es komme für ein Unternehmen mehr denn
je darauf an, zu wissen, "woher es kommt und wo es steht, um in Kontinuität
mit seiner Vergangenheit für die Zukunft zu planen und in ihr bestehen
zu können", aber der Konzern hatte keinerlei Anstrengungen dieser
Richtung unternommen. Während andere Großunternehmen und Banken Historiker-Kommissionen
beschäftigten, die in dicken Büchern Unerfreuliches und Erfreuliches
zutage förderten - erinnert sei an die tausendseitige Geschichte der Deutschen
Bank, bei der leider das Thema NS-Raubgold unter den Tisch gefallen war, so
daß nach dem Beginn der Debatte ein Sonderband nachgeliefert werden mußte
-, hatte die Degussa eine Aufarbeitung ihrer Geschichte vermieden.
Vermutlich hätte es wie in vergleichbaren Fällen zuvor auch jetzt
nur zu einem Sturm im Wasserglas gereicht, wäre der Konzern nicht im Eizenstat-Report,
benannt nach dem US-Delegationsleiter bei den Verhandlungen über Entschädigung
für die NS-Raubpolitik und -Zwangsarbeit, aufgeführt worden. Außerdem
waren in den USA Sammelklagen eingereicht worden. So kam es, daß die US-Regierung
ihre Aufarbeitung der Degussa-Geschichte 1997dort fortsetzte, wo sie Ende der
40er Jahre beendet worden war.
In dieser Situation genügten die unbeholfenen Rechtfertigungsversuche
der Archivleiterin nicht mehr. Der Generalbevollmächtigte der Firma, Dr.
Michael Jansen - bekannt durch seinen Show-Auftritt in Israel, mit dem er "Solidarität"
demonstrieren wollte, als Saddam Hussein im Golfkrieg 1991 seine Scud-Raketen
auf Israel abfeuerte, für deren mögliche Ausrüstung mit Giftgas
die Zyklon-B-erfahrene Degussa einiges beigetragen hatte -, Jansen also übernahm
die Angelegenheit. Doch wer erwartet hatte, daß er sich darum bemühen
würde, das bisher Versäumte nachzuholen, sah sich bald eines Schlechteren
belehrt.
Mit dem Satz "Wir waren Teil des Wirtschaftskreislaufes des Dritten Reiches" auf der Fachtagung "Unternehmer und Unternehmungen im Nationalsozialismus" im Juni 1997 relativierte er die besondere Schuld der Degussa. Als "Rädchen im Getriebe" sollte sie erscheinen, ihre Gier nach Raubgold der Wahrnehmung entzogen werden. Gleichzeitig machte Jansen ein allgemeines Angebot an den World Jewish Congress, die Unterlagen des Firmenarchivs zu sichten, wohl wissend, daß die für Entschädigungsforderungen relevanten Fakten bereits im Wesentlichen aufgedeckt waren. Einem Forscher wie Hersch Fischler, mit dem das Unternehmen unliebsame Erfahrungen gemacht hatte, wurde gleichzeitig die Nutzung des Archivs untersagt, was im übrigen der Firmenbehauptung widersprach, "Einblicke in das Archiv seien jederzeit möglich."
Man spielte auf Zeit. "Der Generalbevollmächtigte der Degussa AG,
Michael Jansen, hält sich noch bedeckt. Bis Ende Juni soll entschieden
werden, in welcher Form Degussa seine NS-Geschichte aufarbeiten werde,"
meldete die "Berliner Morgenpost". Dann teilte das Unternehmen der
Öffentlichkeit mit, es habe sich mit dem Forschungsinstitut für Sozial-
und Wirtschaftsgeschichte der Universität Köln auf ein Forschungsprojekt
verständigt. Hinter der pompösen Formulierung verbarg sich die schlichte
Tatsache, daß nicht etwa ein Team renommierter Historiker die Geschichte
der Degussa aufarbeiten sollte, sondern ein einsamer Doktorand an ihr seine
wissenschaftlichen Fähigkeiten erproben durfte. Zwar wurde das Programm
später durch zwei weitere Spezialarbeiten ergänzt, doch erreichte
man, was beabsichtigt war: für lange Zeit Ruhe.
Zwei Jahre später, 1999, publizierte der junge Mann lediglich einen Aufsatz
als "Werkstattbericht", der den "Edelmetallsektor" in den
Kontext der "Verwertung konfiszierten jüdischen Vermögens im
Dritten Reich'" stellte - eine Aufwärmübung also, bestenfalls.
Es erstaunt daher nicht, daß zum Beispiel im Jahr 2000 auf der Degussa-Homepage
über die Firmengeschichte für die Zeit von 1933 bis 1945 noch immer
keine Eintragung zu finden war. Inzwischen ist aus dem Doktoranden ein Doktor
geworden, und er hat verschiedene Texte publiziert. Die vereinbarte Untersuchung
ist allerdings auch heute noch nicht, immerhin sechs Jahre nach ihrem Beginn,
darunter. Lediglich die Geschichte der Chemischen Werke Hüls wurde im September
dieses Jahres veröffentlicht. Auf der Homepage des Konzerns findet sich
mittlerweile kein Hinweis mehr auf seine Geschichte.
Nicht anders verhält es sich mit der behaupteten Bereitschaft zur Entschädigung
der Opfer. Nichts Spektakuläres ist da zu berichten, sondern lediglich
die übliche Geschichte. Deshalb reicht es aus, ihre Eckpunkte zu benennen,
die Spannbreite also zwischen verbissener Verweigerung und jenen einzelnen Zugeständnissen,
die eine Eskalation des Themas verhindern sollen. Beispiele für den ersten
Aspekt sind die Auslassungen des Dr. Jansen in der Raubgold-Kontroverse: "Der
Degussa-Bevollmächtigte hält fest, daß mögliche Schadensersatzansprüche
jüdischer Organisationen allerdings an die Alliierten gerichtet werden
müßten, die alles, was sie zum Ende des Krieges in Deutschland an
Edelmetallen vorfanden, beschlagnahmt haben." (WDR 4 Zeitzeichen, 28.1.98)
Offensichtlich verärgert über die Bloßstellung im Eizenstat-Report,
versuchte Jansen, die Entschädigungsansprüche auf die Alliierten umzulenken.
Doch ist, neben anderem, allgemein bekannt, daß die Alliierten 1945 nur
noch einen Bruchteil des Raubgoldes vorfanden.
Aber auch für die jüdischen Opfer und ihre Nachfahren gab es kein
Entgegenkommen: "Entschädigungen in Sachen Edelmetalle seitens der
Degussa kämen nur in Frage, wo individuelle Schäden nachgewiesen werden
könnten." So zitiert Hersch Fischler in einem Brief an den Degussa-Vorstand
den Entschädigungsexperten Jansen. Er wies darauf hin, daß der Konzern
gerade auch solches Bruchgold und -silber schied, deren vormalige Eigentümer
in aller Regel aus nur zu gut bekannten Gründen nicht mehr identifizierbar
seien. Zudem hätte das Unternehmen alle Akten zu Entschädigungsverfahren
aus der Nachkriegszeit, die eventuell heute noch Hinweise auf Abläufe und
unerledigte Fälle geben könnten, (angeblich) nach Ablauf der gesetzlichen
Fristen "entsorgt".
Doch die Karriere des Dr. Jansen als Verweser der Degussa-Geschichte wäre
mit seiner Abwehr aller Ansprüche allein nicht so erfolgreich verlaufen.
Bereits im Januar 1998 meldete die "Frankfurter Rundschau" Zahlungen
der Degussa an ehemalige Zwangsarbeiter aus Osteuropa. In diesem Zusammenhang
wies die damalige Firmensprecherin ergänzend darauf hin, daß der
Konzern "schon einmal einzelne Zwangsarbeiter mit Geld unterstützt
(habe)". Ein mittelbar Beteiligter, der seine Erinnerungen zu Papier brachte,
berichtet über den Verlauf: Zunächst Ablehnung der Forderung wegen
fehlender Unterlagen ("Auch nach intensiven Nachforschungen in unserem
Firmenarchiv können wir die Vorgänge im Werk Gleiwitz kurz vor Ende
des Zweiten Weltkrieges nicht mehr rekonstruieren"), dann nach Jahren die
peinlich genaue Überprüfung, ob es sich bei dieser Handvoll Menschen
wirklich nur um Einzelne handle und nicht etwa um organisierte Interessenvertreter,
schließlich die Zahlung von Almosen mit dem ausdrücklichen Hinweis,
daß es sich dabei um eine "humanitäre Geste" handle, da
kein Anspruch auf Entschädigung bestehe.
Hiermit machte sich die Degussa eine Taktik zu eigen, die einige Konzerne seit
Ende der 80er Jahre entwickelt hatten. Angesichts des internationalen Drucks
versuchten sie, den entschädigungspolitischen Schlußstrich zu behaupten,
indem sie ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs an einzelne Gruppen von NS-Zwangsarbeiterinnen
und -Zwangsarbeiter geringe Geldsummen zahlten. Als diese Praxis nicht das erhoffte
Ergebnis hatte und eine allgemeine Regelung nicht zu verhindern war, kam der
Degussa mit ihrer besonderen Geschichte nichts gelegener, als in der Allgemeinheit
der Wirtschaftszusammenhänge zu verschwinden. Für die Wirtschaft wiederum
stand Jansen für das, was man brauchte: Härte und notfalls auch ein
gewisses Maß an Geschmeidigkeit. Gegen einigen Widerstand wurde er als
ihr Mann an die Spitze der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"
berufen. Ein ausgewiesener Entschädigungsfachmann, dem der Verdacht der
"Opferfreundlichkeit" anhaftete, wurde hingegen nach einer Intervention
des Bundeskanzlers beim Außenminister zurückgezogen.
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