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Das im März 2000 einschneidend veränderte Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz von Nordrhein-Westfalen war ein "Deal"; "konfliktfreie Handhabung" des seit 1985 umstrittenen Gesetzes lautete das von der Politik verkündete Ziel. Die Tarifparteien glaubten, die betrieblichen und juristischen Auseinandersetzungen über die Bildungsfreistellung im Konsens reduzieren zu können der Gesetzgeber beschränkte sich darauf, deren Einigung abzunicken. Was wird aus diesem Handel?
Die erheblichen Opfer, die dabei von den Gewerkschaften (genauer: dem DGB-Landesbezirk gegen die Bedenken großer Einzelgewerkschaften) erbracht wurden, sind zu Jahresbeginn benannt und kritisiert worden (vgl. express 2/2000): Keinerlei Bildungsurlaub mehr für ArbeitnehmerInnen aus Kleinstbetrieben, die Ermutigung an die Arbeitgeber, zwei Tage des Bildungsurlaubsanspruchs für betriebliche Fortbildung zu nutzen, und ein Negativkatalog ("Was fällt nicht unter Bildungsurlaub?"), der neben mancher Selbstverständlichkeit eine ganze Reihe gefährlich unklarer Formulierungen enthält.
Was die Arbeitgeberseite unter konfliktfreier Handhabung des AWbG versteht, ist nun ansatzweise präzisiert worden: Der den nordrhein-westfälischen Arbeitgeberverbänden eng verbundene Rechtsanwalt Bernd Schiefer hat eine Art Kurz-Kommentar zum neuen AWbG veröffentlicht (in: Der Betrieb, Beilage Nr. 7/2000).
Das neue AWbG enthält einerseits eine ausführliche Definition dessen, was politische und berufliche Bildung ist, andererseits wurde der bisherige Zusatz gestrichen, wonach Bildungsinhalte aus anderen Themenbereichen zulässig sind, wenn die Veranstaltungen insgesamt auf die Stellung des Arbeitnehmers in Staat, Gesellschaft, Familie oder Beruf bezogen sind. Es bleibt schleierhaft, warum der Gesetzgeber auch hier Einschränkungen formuliert hat (denn um diesen Satz gab es keinerlei Rechtsstreitigkeiten), aber Schiefer knüpft sehr weitreichende Schlussfolgerungen an diese Änderung: Er schlägt vor (und die ersten Arbeitgeber haben sich bereits an diesen Rat gehalten), die Anerkennung von Veranstaltungen wie "Arbeitnehmer in Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft" (so oder ähnlich heißen viele Seminarklassiker der gewerkschaftlichen Anbieter) grundsätzlich und regelmäßig in Zweifel zu ziehen. Zwar können die Bildungsinteressierten wie die Veranstalter wohl darauf setzen, dass sich letztendlich ein Verständnis von politischer Bildung durchsetzt, das die Beschäftigung mit sozialen, ökonomischen, ökologischen, historischen u.a. Zusammenhängen einschließt schließlich haben Bundesverfassungsgericht und Bundesarbeitsgericht solche Auffassungen auch bisher gestützt. Und selbst Schiefer stellt hierzu bedauernd fest, dass die bisherige "liberale" Rechtsprechung des BAG zur politischen Weiterbildung fortgilt. Ein undurchführbarer und inkompetenter Vorschlag also gleichwohl einer, der Beschäftigte und ihre Rechtsvertreter, Bildungseinrichtungen und Arbeitsgerichte für einige Jahre beschäftigen kann.
Ein anderes Beispiel für neue Streitlust, auf die sich Beschäftigte und Bildungseinrichtungen einstellen müssen, ist die Schiefersche Auslegung des Begriffs "Studienreise". Die Parlamentarier waren so leichtfertig, diesen undeutlichen Begriff mit der knappen Erläuterung "Veranstaltungen mit wechselndem Lernort" in den Negativkatalog aufzunehmen. Damit seien selbstverständlich wandernde" Seminare ohne festen Tagungsort gemeint vom Thema her sinnvolle Exkursionen aber seien weiterhin erlaubt und erwünscht. Im übrigen komme es nicht so sehr auf den Wortlaut als vielmehr auf den "Geist" des neuen Gesetzes an. Der Arbeitgeber-Syndikus hält sich hier an den Wortlaut der Gesetzesbegründung und erklärt, dass jegliche Exkursionen nunmehr ausgeschlossen seien. Was tun? Die anerkannten Bildungseinrichtungen werden wohl an einer sinn- und maßvollen Praxis gezielter Erkundungen und Besichtigungen außerhalb von Tagungsstätten festhalten aber ohne gerichtliche Klärungen wird es wohl auf keinen Fall abgehen.
Dies sind nur zwei greifbare Beispiele für neue Konflikte, die sich nach der Gesetzesänderung einstellen können und werden der Autor streut durchaus noch ein paar andere Krallen auf die Straße des Bildungsurlaubs und schreckt auch vor absurden Fragen nicht zurück: Der Ausschlusskatalog erlaubt Bildungsurlaub "am Ort von Gedenkstätten" müssten dann an einem solchen Veranstaltungsort nicht zwei Gedenkstätten vorhanden sein? Schiefers deutliches Pochen auf die Nachweispflichten der Arbeitnehmer die verlängerten Fristen des Gesetzes für einen Freistellungsantrag beginnen erst nach vollständiger Unterrichtung des Arbeitgebers! ist ernster zu nehmen, und macht noch einmal in aller Schärfe deutlich, wie sorgfältig Bildungswerke und TeilnehmerInnen sich um die Vollständigkeit dieser Informationen (über Programm, Zielgruppen, Lernziele etc.) kümmern müssen; die DGB-Juristen empfehlen, sich die Übergabe dieses Materials quittieren zu lassen.
Noch halten sich die betrieblichen Spannungen und Diskussionen über die Folgen der Novellierung in Grenzen; für das nächste Jahr aber ist in einigen Großbetrieben bereits unter der Hand klargemacht worden, dass die neue Möglichkeit, zwei der fünf Tage Bildungsurlaubsanspruch jährlich für betrieblich angeordnete Fortbildungen zu entwenden, vom Januar 2001 an flächendeckend genutzt wird.
Was bedeutet dieser Beginn einer "konfliktfreieren" Bildungsurlaub-Ära? Es wird allem Anschein nach keine Entspannung auf Arbeitgeberseite geben nicht nur der berühmte "wildgewordene Einzelunternehmer", sondern auch der am neuen AWbG maßgeblich beteiligte Arbeitgeberverband macht aufs Neue mobil. Die Stimmung in den Personalbüros wird hier systematisch aufgeheizt, damit auch der verbliebene Rest von Bildungsurlaubsanspruch nichts Selbstverständliches wird. Nachdem die Politik sich schmählich aus ihrer Verantwortung für diesen Vorgang zurückgezogen hat, erleben wir jetzt, wie Arbeitgeber und DGB ein Individualrecht auf Bildungszeiten ruiniert haben. So bescheiden dieses Recht auch genutzt wurde (in NRW von weniger als einem Prozent der Beschäftigten) seine weitere Demontage könnte bundesweit Schule machen.
Alles umsonst, was die Zugeständnisse angeht? Das können sich auch diejenigen nicht wünschen, die deutlich vor der Unhaltbarkeit dieses "Kompromisses" gewarnt haben; kritische Fragen zur Praktikabilität und Wirksamkeit des neuen Gesetzes sind weiterhin laut und permanent an ihre Urheber Landesregierung, Koalitionsfraktionen und Tarifparteien zu richten. Harmonische Zeiten sind nicht angebrochen für den Bildungsurlaub in NRW aber wer bisher und weiterhin seinen Anspruch nutzt, hat wahrscheinlich ohnehin nicht so ein ängstliches Verhältnis zu Konflikten wie die nordrhein-westfälische Landesregierung...
*Norbert Reichling arbeitet beim Bildungswerk der Humanistischen Union, Essen
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