letzte Änderung am 27. November 2003

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Arbeit macht das Leben süss

Arbeit ist ein Menschenrecht – niemand kann genug davon bekommen. Das wussten die Unternehmer schon immer – nur scheiterten deren Bemühungen immer wieder an uneinsichtigen Arbeitnehmern. Nun scheinen dies aber endlich auch immer mehr Politiker zu begreifen. Wenn es auch immer weniger Arbeitsplätze gibt, so sollen wenigstens die verbleibenden Arbeitsplatzbesitzer in den Genuß einer beinahe Rund-um-die-Uhr-Versorgung kommen.

Zunächst aber muss erstmal der Trend zur menschenunwürdigen Faulheit umgekehrt werden. Dazu leistete wohl Möchtegern-Kanzlerin Merkel den ersten entscheidenden Vorstoß, indem sie in der "Bild am Sonntag" vom 31.8.03 forderte, "die West-Arbeitszeiten denen im Osten anzupassen". Zwar dachte sie – ziemlich kleinkariert – zunächst nur daran, dass die Wessis künftig "ein oder zwei Stunden pro Woche mehr (...) arbeiten" sollten. Daraufhin korrigierte sie der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Rogowski, und votierte im "Handelsblatt" vom 6.9.03 dafür, "die Wochenarbeitszeit pauschal auf 38 bis 40 Stunden anzuheben".

In diesen Reigen stimmten dann eine Reihe von Politiker- und Unternehmenskader der zweiten Reihe ein. DIHK-Chef Braun forderte in der "Freien Presse" vom 12.9.03 eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden – angepasst an den jeweiligen aktuellen Bedarf in den Unternehmen. Schliesslich sollen die Arbeiter in auftragsschwachen Zeiten nicht im Betrieb rumgammeln. Das wäre ja quasi eine verdeckte Menschenrechtsverletzung!

Siemens-Chef Pierer sprang diesem dann unterstützend zur Seite, indem er vorschlug, den Samstag zum Regelarbeitstag zu machen. Das würde es den Unternehmen erleichtern, auch diesen sonst verlorenen Tag für die Arbeitnehmer zu nutzen. Bisher schreckten diese davor oft zurück, da sie an solchen Tagen übermässige Zuschläge zu zahlen hatten.

Einen weitreichenderen Beitrag der Arbeitnehmer hatte DIHK-Chef Braun ja bereits im Januar angedacht, als er in einem Gespräch mit der Tageszeitung "Die Welt" (17.1.03) "500 Stunden unbezahlte Arbeit verteilt auf fünf Jahre" für jeden Mitarbeiter forderte. Denn wer viel Gutes tun will, kann ja wenigstens eine Gegenleistung dafür verlangen. Sichere Arbeitsplätze sind ja schliesslich keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Wohltat ungezählter, namenloser Investoren, die dafür ja wenigstens ansatzweise entschädigt werden wollen.

Das findet auch der "Starökonom" und Präsident des ifo-Institutes für Wirtschaftsforschung Hans-Werner Sinn, der im "Stern" (41/03) verlautbarte, daß die deutschen Arbeitnehmer "bei gleichem Lohn 10% länger arbeiten" sollen und dazu "die wöchentliche Arbeitszeit von 38 auf 42 Stunden erhöht" werden müsse. Falls sich die "Tarifpartner" nicht darauf verständigen können, sollte "der Staat ersatzweise Feiertage streichen".

Von all diesen Nach- und Vordenkern liess sich Bundeswirtschaftsminister Clement inspirieren. Er nahm sich einen ganz gewöhnlichen deutschen Kalender zur Hand und verglich ihn mit denen anderer Staaten. Dabei musste er feststellen und sogleich im "Stern" verkünden, dass wir "was Urlaubszeit, Feiertage und Arbeitszeit angeht, zweifelsohne an der Grenze angelangt sind". Dadurch sei er – man lese und staune – "ins Grübeln gekommen". Ergebnis seines - vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) assistierten – Denkprozesses war, dass es, um die Konjunktur anzukurbeln, einer Streichung von Feiertagen bedürfe.

Das wiederum fand Handwerkspräsident Philipp sehr gut, und schlug in "Die Welt" vom 18.6.03 vor, dass "wir einen Anfang machen, indem wir unproduktive Brückentage vermeiden". Er nahm sich dabei die USA zum Vorbild, wo alle gesetzlichen Feiertage - außer Weihnachten - auf den Montag der jeweiligen Woche verlegt werden.

Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Industrie (BDI), Rogowski, dachte jedoch (in "Die Welt" vom 22.9.03) noch weiter. Er will die Anzahl der Feiertage reduzieren und die wenigen verbleibenden auf die Wochenenden verlegen. Allerdings nutzt auch er noch nicht das volle Potential: "Ostern, Weihnachten, auch Pfingsten wollen wir nicht aufgeben", gestand er den Ewiggestrigen der Kirche zu. Das Wirtschaftswachstum 2004 könne alternativ aber auch, so vermeldete "Die Welt" unter Berufung auf das IW am 7.10.03, "von 1,5 auf 3,0% verdoppelt werden, wenn alle Arbeitnehmer eine Stunde pro Woche mehr arbeiteten." – wogegen sicher auch die Kirche nichts einzuwenden hätte.

Logisch, dass bei so viel Kreativität von Regierungsseite die Opposition nicht abseits stehen konnte. Nachdem Stoiber in seinem ewigen Drang zur Nörgelei in "Bild" zunächst noch behauptete, dass es "in Bayern mehr Feiertage als in anderen Bundesländern" gebe und "dennoch die Produktivität der Wirtschaft höher" sei, kam er – wie der "Focus" 42/03 vermeldete, zu der Einsicht: "Wir müssen unsere wöchentliche Arbeitszeit um bis zu drei Stunden verlängern."

Diese pauschale Behauptung liess die CDU dann von "Sozialexperten" und anderen Spezis wissenschaftlich untermauern. Die dazu geschaffene Herzog-Kommission wollte sich aber nicht so kleinlich auf die Wochenarbeitszeit festlegen und schlägt stattdessen vor, die Lebensarbeitszeit auf mindestens 45 Jahre zu verlängern. Andernfalls gibt’s weniger Rente, auf dass diejenigen, die sich in der Blüte ihres Lebens auf die faule Haut gelegt haben, wenigstens ihren Lebensabend mit zusätzlicher Maloche versüssen dürfen. Darauf reagierte wiederum die Regierungskoalition – und lässt nun ihr Altersteilzeitmodell auslaufen.

Dass all dies nicht ausreichend sein dürfte, stellte Siemens-Chef Pierer in der "Rheinischen Post" vom 12.10.03 mit dem Verweis auf die internationale Konkurrenz klar: In China seien 2600 Arbeitsstunden pro Jahr und Mann die Regel, in Deutschland 1500. Da mutet das Argument von FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper geradezu kleinlich an. Sie unterstützte Pierer im ZDF mit dem Hinweis, dass die Arbeitszeit in Deutschland "20 Prozent unter der Jahresarbeitszeit vergleichbarer Industrieländer" liege.

Verwunderlich ist allerdings, dass es selbst in Tageszeitungen wie "Die Welt" noch Stimmen gibt, die, wie in der Ausgabe vom 7.10.03 zu lesen, einwenden, dass die deutschen Arbeitnehmer – wenn man statt der durchschnittlichen tariflichen Arbeitszeit die tatsächliche ansetze – mit 36,1 Wochenstunden länger arbeiten als der durchschnittliche Arbeiter in der EU mit 35,5 Wochenstunden und auch später in Rente gehen (mit 60,7 Jahren – EU-Durchschnitt 59,9 Jahre). Seit wann beruft man sich bei solcherart Kampagnen auf Tatsachen – da haben doch scheinbar manche in den Redaktionskonferenzen nicht richtig aufgepasst?!

Gelehriger sind da – jedenfalls, wenn man den Ergebnissen einer Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach Glauben schenkt – die hiesigen Arbeitnehmer. 71% der Befragten gaben an, dass sie bereit seien, kostenlos länger zu arbeiten, wenn ihre Jobs gefährdet seien. Darauf dürfte sich z.B. auch verdi berufen, die in einem "Beschäftigungspakt" mit der Deutschen Post vereinbarte, dass ab September diesen Jahres alle Zusteller auf 2 Feiertage verzichten – ohne Lohnausgleich. Ausserdem bekommen diejenigen, die freiwillig ihre wöchentliche Arbeitszeit auf 48 Stunden ausdehnen, sogar mehr Geld. Dass das noch nicht das Ende vom Lied sein kann, dürfte wohl jedem einleuchten. Wir dürfen jedenfalls gespannt sein, was unseren Kreativen aus Politik und Wirtschaft noch einfällt – und wie die Betroffenen darauf reagieren ...

lu.
Der Text ist erschienen in aus DA (Direkte Aktion, anarcho-syndikalistische Zeitung) 160 vom November & Dezember 2003

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