letzte Änderung am 11. Juli 2002

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Abweichende Zeitwünsche ernstnehmen

Norbert Engelhardt in der Dokumentationsreihe des express* zu Grundproblemen und Perspektiven gewerkschaftlicher Arbeitszeitpolitik, Teil I

Kaum war die »reine« Lohnrunde 2002 vorbei, wandte sich die IGM ihrem ursprünglichen Anliegen einer differenzierten Lohn- und Arbeitszeitpolitik wieder zu. Zu diesem Thema der folgende Beitrag, eine überarbeitete Fassung eines Vortrages auf der express-Tagung »Zukunft der Gewerkschaften« im Dezember 1986.

 

In allen thesenmäßigen Überlegungen, die ich hier vorstellen will, wird die Perspektive der Wochenarbeitszeitverkürzung als Fundament gewerkschaftlicher Arbeitszeitpolitik gar nicht mehr problematisiert. Ich vermute, dass dieses Ziel, also zunächst die 35-Stunden-Woche, unter uns kaum bestritten wird. Die gesellschaftlichen Begründungen für diese Forderung sind in gewerkschaftlichen Diskussionen relativ breit vermittelt worden, deshalb denke ich, dass trotz gelegentlicher Irritationen die Wochenarbeitszeitverkürzung zur generellen Leitlinie der Tarifpolitik durch alle DGB-Gewerkschaften hindurch werden wird. Offen ist darüber hinaus auch, ob die 35-Stunden-Woche Endpunkt oder Zwischenstation in Richtung auf die 30-Stunden-Woche oder den 6-Stunden-Tag sein wird. Ich glaube aber, dass solche Fragen nicht zentraler Diskussionsgegenstand dieser Tagung zu sein brauchen. Ich möchte statt dessen die Aufmerksamkeit auf konkretere Gestaltungsprobleme lenken, die in der innergewerkschaftlichen Diskussion und auch unter linken Gewerkschaftern häufig vernachlässigt werden. Ich halte es für entscheidend zu klären, wie und unter welchen Bedingungen eine Arbeitszeitverkürzung in den Betrieben organisiert wird. Perspektiven der Arbeitszeitpolitik können nur entwickelt werden, wenn man sich in umfassendem Sinne mit den Arbeitszeitwünschen der abhängig Beschäftigten auseinandersetzt und die vielfältigen Probleme der konkreten Arbeitszeitgestaltung in den Betrieben aufgreift. Es gibt zur Arbeitszeit unendlich viele betriebliche und auch tarifliche Regelungen, aber kaum einen organisierten Erfahrungsaustausch und keine verallgemeinerungsfähigen Positionen dazu.

Eine solche Diskussion wird häufig tabuisiert, weil befürchtet wird, man habe den Kampf um Arbeitszeitverkürzung schon verloren, wenn man sich auf Gedanken einlässt, die über das Ziel des 7-Stunden-Tages hinaus reichen. Mit der Keule der Arbeitszeitflexibilisierung wird manche notwendige Diskussion erschlagen. Das Reizwort Flexibilisierung ist fast zum Mythos geworden, der in einer Phase wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Umbrüche als negative Projektion Halt und Orientierung zu geben scheint. Doch in der Weise, wie Flexibilisierung in der politischen Diskussion gebraucht wird, erklärt der Begriff kaum etwas und bietet wenig Ansätze, um gewerkschaftliche Handlungsfähigkeit zu verteidigen oder auszubauen. Flexibilität ist kein eindeutig besetzter Begriff.

Wenn wir Flexibilisierung ablehnen, dann müssen wir sagen, was der Zielpunkt ist, an dem wir unsere Politik orientieren wollen. Das Gegenteil von Flexibilität wäre Starrheit. Aber kann man Starrheit zur Leitidee einer gesellschaftlichen Utopie machen? Unsere bisherigen Utopien haben an Überzeugungskraft eingebüßt, viele Begriffe sind uns verlorengegangen oder gar geraubt worden. Die Strukturkrise mit all ihren Umbruchserscheinungen hat uns in die Defensive verdrängt. Doch es wird uns kaum etwas nützen, wenn wir uns an Vergangenem festhalten oder versuchen, uns in der Welt einzurichten, so schlecht sie jetzt ist.

In der letzten Zeit ist der Gedanke in die gewerkschaftliche Diskussion eingedrungen, dass humane Arbeitszeitgestaltung durchaus ein Bestandteil eines eigenständigen Arbeitszeitkonzepts sein könnte, neben der Arbeitszeitverkürzung. Dabei schweben Begriffe durch den Raum wie Arbeitszeitflexibilisierung im Arbeitnehmerinteresse, Zeitautonomie oder souveräne Arbeitszeitgestaltung, von denen sich aber bisher keiner als breit getragener Leitbegriff durchgesetzt hat. Noch sind die Bedenken recht groß, sich auf solch eine Diskussion einzulassen. Das Kapital sei allemal so stark, jedwede Illusion von Arbeitszeitsouveränität zu zerstören oder für sich in Anspruch zu nehmen. Kritisches Denken wird hier ziemlich früh abgeschnitten. Solche Skepsis muss in einer breiten und geduldigen Diskussion aufgelöst werden. Ich denke, auch wenn sie zunächst im Spekulativen verbleibt, ist eine Diskussion über Möglichkeiten einer autonomen Zeitgestaltung unumgänglich. Es darf dabei kein Zweifel daran bestehen, dass die Einforderung einer emanzipativen Arbeitszeitpolitik mit vielen Interessenkonflikten verbunden ist, also eine zusätzliche Kampflinie neben der Durchsetzung der Wochenarbeitszeitverkürzung darstellt. Das kann aber nicht allein deshalb schon unterbleiben, weil die Zeiten schlecht sind und ein Ziel alleine erhebliche Anforderungen an die gewerkschaftliche Kampfkraft stellt. Arbeitszeitverkürzung und eine emanzipative Arbeitszeitgestaltung sind unmittelbar miteinander verknüpfte Aufgabenstellungen, die einer offenen Diskussion bedürfen und in konkrete gewerkschaftliche Gestaltungskonzepte umgesetzt werden müssen. Wir können dem auch kaum ausweichen, denn die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Betrieben und Verwaltungen sind schon heute so unterschiedlich, was die Arbeitszeiten angeht, dass es sicherlich ebenso illusionär ist, davon auszugehen, man könnte daraus eine klare und einheitliche Arbeitspolitik schmieden. Lautes Trommeln gegen die Flexibilisierung führt oft dazu, dass die Flexibilitätsziele des Kapitals nicht mehr im Einzelnen untersucht werden und deshalb auch keine präzisen Gegenentwürfe daraus entwickelt werden können. Im weiteren möchte ich schwerpunktartig vier Aspekte der Arbeitszeitpolitik benennen, in denen man im Einzelnen über Problemlagen und mögliche Wege einer humanen Arbeitszeitgestaltung reden sollte.

 

Das Normalarbeitszeitverhältnis als Grundlage der Arbeitszeitpolitik

Das Normalarbeitsverhältnis ist der wichtigste Eckpfeiler für die rechtliche und politische Gestaltung der Bedingungen abhängiger Arbeit und sozialer Sicherung in unserem Gesellschaftssystem. Auch in der Tarifpolitik werden die Einkommens- und Arbeitsbedingungen unter Bezugnahme auf den Normalarbeitszeitstandard festgelegt. In den letzten Jahrzehnten kann man eine allmähliche Auflösung des Normalarbeitszeitstandards verzeichnen, vor allem in der jüngsten Zeit ist dieser Prozess mit der Zunahme der Arbeitslosigkeit schnell vorangeschritten. Die Zunahme von ungeschützten Arbeitsverhältnissen ist in der Regel auch mit Arbeitszeiten verbunden, die vom tariflichen Normalarbeitszeitstandard abweichen. Bezogen auf die Gesamtheit der Lohnabhängigen wird der Bereich kollektiv geschützter und gestalteter Arbeitsverhältnisse immer geringer, einer immer größeren Zahl von Menschen wird der Schutz rechtlich und zeitlich geregelter Arbeitsverhältnisse entzogen.

Doch diese Entwicklung wird nicht allein vom Kapital diktiert. Unter denjenigen, die abhängig beschäftigt sind oder sein möchten, haben sich in den letzten Jahrzehnten Bedürfnisse entwickelt, die auf andere Arbeitsverhältnisse zielen. Diese Bedürfnisse kann man dahingehend zusammenfassen, dass nach Arbeit gefragt wird, die von der Dauer, von der Lage oder der Verteilung her von dem abweicht, was gesellschaftlich als normal anerkannt ist. Auch wenn in den Gewerkschaften solchen exotischen Wünschen bisher relativ wenig Bedeutung geschenkt wird, sollte man die Hintergründe für abweichenden Zeitwünsche zur Kenntnis nehmen. Grob vereinfacht geht es um die

Diese Entwicklungen führen im Ergebnis dahin, dass in der Berufsbiographie das kontinuierliche Vollzeitarbeitsverhältnis an Attraktivität verliert und durch den Wunsch nach zeitweiliger Teilzeitarbeit oder längerfristigen Arbeitszeitunterbrechungen ergänzt wird.

Aber für die Mehrzahl der Beschäftigten in den großen Betrieben hat das Normalarbeitszeitverhältnis mit seiner innerbetrieblichen Ausgestaltung noch immer vorrangige Bedeutung. Sofern sich Abweichungen davon registrieren lassen, beziehen sich diese überwiegend auf Randbelegschaften der großen Industrien oder in noch stärkerem Maße auf traditionelle bzw. neu expandierende Dienstleistungsbranchen. Allerdings ist das Interesse des Kapitals unverkennbar, die Aufweichung der Normalarbeitszeit auch bis in die Kernbelegschaften der üblicherweise gewerkschaftlich gut organisierten Großindustrien voranzutreiben.

Diese Funktion hat man nach dem Tarifkompromiss zur Wochenarbeitszeitverkürzung in der Metallindustrie auch dem dort vereinbarten Modell der Arbeitszeitdifferenzierung nach Bandbreiten zugeschrieben, dem sogenannten Leber-Modell. Ich will auf dieses Modell hier nicht im Einzelnen eingehen, weil nach meinem Eindruck dieser Vorstoß aus Kapitalsicht relativ erfolglos geblieben ist. Das Modell ist auf die metallverarbeitende Industrie beschränkt geblieben, es hat sich nicht in andere Tarifbereiche übertragen lassen. Auch in der Metallindustrie wird es nur in geringem Umfang praktiziert und hat sich häufig als ineffizient erwiesen, weil es betriebsorganisatorisch viel Aufwand verursacht hat und ökonomische Interessen nur zum Teil befriedigt werden konnten. Man kann vermuten, dass dieses spezielle Modell als tarifvertragliche Regelung keine große Zukunft hat.

Das heißt allerdings nicht, dass die Unternehmen nicht versuchen, die Normalarbeitszeit unterhalb des Tarifvertrages auszuhöhlen. So sind Tendenzen erkennbar, die Normalarbeitszeiten bei höher qualifizierten Tätigkeiten, also technischen Angestellten anderen betrieblichen Spezialisten und über die tarifliche Wochenarbeitszeit hinaus auszuweiten. Nach unten hin wird die Öffnung zum Teilzeitarbeitsverhältnis ausgebaut, vor allem bei Frauen, aber auch bei Jugendlichen und Berufsanfängern. Darüber hinaus werden ganze Arbeitsgänge aus dem betrieblichen Arbeitsprozess herausgelöst, als Tele-Heimarbeit organisiert, an Sub-Unternehmer vergeben, als Leiharbeit oder über Werkvertrag organisiert, wobei Arbeitszeitregelungen in aller Regel außer Kraft gesetzt werden.

Die Gewerkschaften haben es bisher immer abgelehnt, abweichende Arbeitszeitformen und prekäre Arbeitszeitverhältnisse in den Regelungsbereich der Tarifverträge einzubeziehen. Die Begründung erscheint zunächst einleuchtend: Würden abweichende Arbeitszeiten gewerkschaftlich legitimiert, so kann die subjektive Nachfrage danach steigen, die Durchsetzungskraft zur Verkürzung der Normalarbeitszeit würde damit schwinden. Tariflich geregelte Teilzeitarbeit ist immer Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich.

Zugleich sind die Gewerkschaften seit Jahren mit der Forderung und der Notwendigkeit konfrontiert, real existierende Arbeitszeitverhältnisse unterhalb des Niveaus der Normalarbeitszeit zur Kenntnis zu nehmen und sie auch tariflich abzusichern. Vor allem in vielen Dienstleistungsunternehmen kommen die Gewerkschaften nicht umhin, die Existenz von Teilzeitarbeit anzuerkennen und nach tariflichen Regelungsmöglichkeiten zu suchen. Auch in der IG Metall ist mit dem letzten Gewerkschaftstag das Ziel formuliert worden, einerseits Teilzeitarbeit vom Umfang her einzugrenzen, andererseits aber den notwendigen tariflichen Schutz zu gewährleisten. Dabei geht es darum, die volle Mitbestimmung des Betriebsrates bei allen Vereinbarungen über Teilzeit sicherzustellen und die jeweils Betroffenen rechtlich und sozial den Vollzeitarbeitskräften gleichzustellen.

Die Diskussion dürfte damit aber erst eröffnet sein. Viele Zielsetzungen, die mit dem Entwurf der Grünen Bundestagsfraktion für ein Arbeitszeitgesetz verfolgt werden, haben erst zu einem Teil Eingang in die Gewerkschaften gefunden. Dabei geht es darum, Möglichkeiten für zusätzliche längerfristige Freistellungen und für einen Übergang von Vollzeit- auf Teilzeitarbeit mit Rückkehrrechten zu gewährleisten, damit abhängig Beschäftigte in besserem Maße als bisher Erziehungsaufgaben erfüllen können bzw. sich gesellschaftlich betätigen und ihren Bildungsinteressen nachgehen können. So notwendig diese Ziele als Ergänzung zur Wochenarbeitszeitverkürzung sind, bisher ist zu wenig darüber gesprochen worden, wie man einer tariflichen oder gesetzlichen Regelung näherkommen kann.

 

Ausweitung der Betriebsnutzungszeiten/Entkoppelung von Arbeits- und Betriebszeiten

Der einheitliche Arbeitstag, an dem das Proletariat kollektiv seine Arbeitskraft zu Markte trägt und hinterher gemeinsam von der Fabrik wieder ausgespuckt wird, verschwindet zunehmend aus der gesellschaftlichen Realität und wird zu einer mathematischen Variable im betrieblichen Personalabrechnungswesen. Einheitliche betriebliche Normalarbeitszeiten mit kollektivem Beginn am Morgen und Ende am Nachmittag über fünf Arbeitstage der Woche haben schon in den vergangenen Jahrzehnten sukzessive an Bedeutung verloren. Die betrieblichen Arbeitszeitprozesse überschreiten in zunehmendem Maße die Grenzen des individuellen Arbeitstages. Die Kapazitätsauslastung wird durch Entkoppelung von Arbeits- und Betriebszeiten sichergestellt, also durch versetzte Arbeitszeiten, und durch die Einführung und Ausweitung von Schichtarbeit.

Die Auflösung der zeitlichen Homogenität in der Alltagsstruktur der abhängig Beschäftigten ist nicht mit einem Freiheitsgewinn verbunden, sondern führt dazu, dass die Lebenswelt in zunehmendem Maße von der abstrakten Zeitlogik der Kapitalverwertung durchdrungen wird.

Die steigende Kapitalbindung technischer Einrichtungen sowie die zunehmende Komplexität und Störanfälligkeit der Produktionsprozesse zwingt zur Vermeidung von Stillständen und Leerzeiten. Darüber hinaus drängen die zunehmenden Verflechtungen zwischen Betrieben auf eine von natürlichen Tagesabläufen unabhängige Nutzung oder Betriebsbereitschaft von technischen Anlagen oder Serviceeinrichtungen. Dieser Druck strahlt über Betriebe hinaus -und zwingt andere gesellschaftliche Einrichtungen dazu, sich den Zeitstrukturen industrieller Produktion mit ihren Dienstleistungen und Infrastrukturangeboten anzupassen. Das verändert die sozialen und gesellschaftlichen Lebensformen der Menschen und gefährdet den biologischen Lebensrhythmus. Der Einbezug der Nachtstunden in die Arbeitszeit ist in seiner Problematik seit langem bekannt, aber noch längst nicht zum Stillstand gebracht worden, obwohl die Kritik daran wissenschaftlich und politisch fundiert vorgetragen und in den letzten Jahrzehnten verschärft worden ist.

Nunmehr steht darüber hinaus noch der Zugriff auf das bisher weitgehend arbeitsfreie Wochenende auf der Tagesordnung. Die Folgen, die dies für die Lebensführung des Einzelnen, für familiäre Zusammenhänge und auch für die kulturellen Umgangsformen in der Gesellschaft hat, sind bislang kaum abzusehen.

Ich halte es für außerordentlich wichtig, darum zu kämpfen, dass die wenigen noch bestehenden Freiräume zur eigenen kulturellen Ausgestaltung, für entdichtete Zeitstrukturen, für Kommunikation und Kontemplation erhalten bleiben.

Deshalb ist es notwendig, dass die gewerkschaftliche Diskussion über die Bedeutung des arbeitsfreien Wochenendes energisch weitergetrieben wird. Dabei sollte man auch keine Scheu haben, jedes nur erdenkbare politische und gesellschaftliche Bündnis für dieses Ziel einzugehen. (Zu denken ist etwa an Kirchen oder Sportverbände!)

Die Entkoppelung von individuellen Arbeitszeiten und Betriebszeiten, wie sie bisher betrieben wurde, dürfte kaum rückgängig zu machen sein. Vor allem mit der Verkürzung der Wochenarbeitszeit bzw. der täglichen Arbeitszeit entsteht eine verstärkte Gegentendenz der Betriebe, die Betriebsnutzungszeit über das Ende der persönlichen Arbeitszeit hinaus zu verlängern. Deshalb ist vor allem die Frage, mit welchen Mitteln eine Ausweitung der Betriebsnutzungszeiten und die Zunahme von Schichtarbeit und versetzten Arbeitszeiten verhindert werden kann. Tarifverträge regeln bisher vor allem die individuellen Arbeitszeiten, aber nicht den Umfang und die Lage der Betriebsnutzungszeiten. In aller Regel sind für unerwünschte und gesundheitlich belastende Arbeitszeiten Zuschläge vorgesehen, und zwar bisher in der Regel Geldzuschläge. Die Gewerkschaften haben also in der Vergangenheit auf einen materiellen Ausgleich orientiert, aber nur wenig klare Grenzen bestimmt, über die hinaus Betriebe nicht ‘betrieben’ werden dürfen. Lediglich für Sonntagsarbeit bestehen noch einigermaßen verlässliche Restriktionen, hier ist in der Regel eine behördliche Sondergenehmigung erforderlich. Samstagsarbeit und Nachtschichtarbeit sind unterschiedlich geregelt, aber nur im Ausnahmefall ausdrücklich untersagt. Die Gewerkschaften werden sich also verstärkt darum bemühen müssen, dass die Nutzung von Betriebsanlagen in den Regelungsbereich der Tarifverträge einbezogen wird. Es müssen klare Grenzen gezogen werden, an denen das Recht der Unternehmer an freier Verfügung über Kapital- und Arbeitskraft endet. Da aber bisher schon Nacht- und Wochenendarbeit geduldet wurde, müssen wirtschaftliche, technische und soziale Kriterien entwickelt werden, nach denen sich die Dauer der Betriebsnutzung beurteilen, diskutieren und entscheiden lässt.

Die augenblickliche tarifpolitische Entwicklung scheint dahin zu gehen, dass einer Ausweitung der Betriebsnutzungszeiten innerhalb der Arbeitswoche von Montag bis Freitag über die Normalarbeitszeit hinaus auf den Abend und in die Nacht von gewerkschaftlicher Seite nur wenig Widerstand entgegengesetzt wird, wenn damit die Chance steigt, das freie Wochenende zu erhalten. Wenn sich eine solche Abwägung durchsetzen sollte, wäre immerhin zu prüfen, ob für die Ausdehnung der Betriebsnutzungszeit in der Arbeitswoche über den Normalarbeitstag hinaus (also etwa 18 Uhr) erschwerende Bedingungen geschaffen oder Begründungszwänge festgelegt werden, und ob darüber hinaus klare Grenzen markiert werden können (etwa bei 22 oder 24 Uhr). Denkbar ist auch, dass für Abend- und Nachtarbeit deutliche Zuschläge festgelegt werden, die dem einzelnen Beschäftigten in Form von Zeitguthaben zu erstatten sind.

Erwägenswert sind auch solche tariflichen Bedingungen, die die Regelung der Betriebsnutzungszeiten nicht allein den Betriebsparteien überlässt, sondern die eine Zustimmungspflicht der Tarifparteien bei der Festlegung betrieblicher Nutzungszeiten vorsieht, um sicherzustellen, dass nicht über den Konkurrenzdruck der Betriebe einer Branche die Betriebsnutzungszeiten suskzessive nach oben getrieben werden. Abzulehnen sind solche Regelungen, die die Betriebsnutzung bei sozial und politisch unerwünschten Arbeitszeiten über betriebsextern rekrutierte Sondergruppen sicherstellt, also durch freiwillige Nachtschicht oder Wochenendarbeit, etwa von Arbeitslosen oder Studenten. Zu diskutieren wäre, ob die vollautomatische Weiterführung der Produktion in sogenannten Geisterschichten gewerkschaftlich akzeptabel ist.

* Aus express, Nr. 11 vom 17.11.1987

Teil II erscheint in der nächsten Ausgabe des express.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 6-7/02

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