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"Sozialdarwinisten"

Die Angst vorm Pilotenabschluss als Pilotabschluss

Die Forderungen der Vereinigung Cockpit nach 35 Prozent Gehaltserhöhung – inzwischen auf 24 Prozent reduziert – sind in den Gewerkschaften auf harte Kritik gestoßen. Insbesondere die neue Gewerkschaft ver.di zieht massiv vom Leder. Margret Mönig-Raane, stellvertretende Bundesvorsitzende und verantwortlich für den Bereich Tarifpolitik, nannte das Verhalten der Piloten "sozialdarwinistisch" und erklärte: "Ich habe große Probleme damit, dass eine Berufsgruppe, die an einer Nervenzentrale in einem Unternehmen sitzt, ohne Rücksicht auf alle anderen rigoros eigene Interessen durchsetzt." Was ist das für ein Verständnis von gewerkschaftlicher Tarifpolitik? Was Mönig-Raane vollkommen außer Acht lässt ist die Tatsache, dass 90 Prozent der Lufthansa-Piloten in der Vereinigung Cockpit gewerkschaftlich organisiert sind.

Erinnern wir uns: Die Vereinigung Cockpit war kooperatives Mitglied in der Deutschen Angestelltengewerkschaft. Im Zusammenhang mit den Planungen zur Bildung der Mammutgewerkschaft ver.di verließ die Vereinigung Cockpit die DAG, weil sie davon ausging, dass ihre berufsspezifischen Interessen dort unter die Räder kämen.

Bei den Gewerkschaften geht die Angst um. Wenn die Piloten einen relativ hohen Tarifabschluss durchsetzen, dann hat dies natürlich Auswirkungen auf alle Tarifauseinandersetzungen in diesem und den nächsten Jahren. Dies gilt ganz besonders für die übrigen Beschäftigtengruppen bei der Lufthansa, die von ver.di vertreten werden. Einen Tag vor dem ersten Warnstreik der Piloten hatte ver.di/ÖTV einen Tarifvertrag für das Boden- und Kabinenpersonal unterschrieben, der eine Tariferhöhung von 3,5 Prozent beinhaltet. Auch diese KollegInnen hätten die Verluste der letzten Jahre ausgleichen und weiterem Personalabbau und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen einen Riegel vorschieben wollen. In der Zeit von 1992 bis 1997 wurden bei der Lufthansa 9.000 Stellen abgebaut und mit Zustimmung von ÖTV und DAG FlugbegleiterInnen zu schlechteren Auslandstarifen eingestellt.

Bei Labournet (<www.labournet.de>) war im Zusammenhang mit dem Pilotenstreik folgender Hinweis zu lesen: "Die ÖTV macht auf ihrer homepage eine Abstimmung über den Pilotenstreik: »Was meinen Sie: Ist der Streik der Lufthansa-Piloten berechtigt?« Damit diese Abstimmung nicht unbeeinflusst ausgeht, heißt es dazu: »Wieder streiken Piloten der Lufthansa. Jahn Kahmann, für den Verkehrsbereich zuständiges Mitglied des Bundesvorstandes von ver.di, warnt: Wenn die Vereinigung Cockpit ihre Forderungen auch nur annähernd realisiere, gerate die soziale und tarifliche Ausgewogenheit der Beschäftigtengruppen im Lufthansa-Konzern in eine bedrohliche Schieflage. Was aber meinen Sie dazu?«"

Als ich abstimmte, gab es nur wenige Ja-Stimmen, aber sehr viele Nein-Stimmen. Wenige Tage später stellte die ÖTV die Umfrage ein und lässt seitdem darüber abstimmen, wie man den neuen Standort der ver.di-Zentrale am Potsdamer Platz in Berlin findet. Von der Pilotenumfrage keine Spur mehr – auch in der Rubrik "frühere Umfragen" findet sich kein Hinweis mehr dazu. Auf gezielte Anfrage war das Ergebnis der Abstimmung dann vom Redakteur der Homepage erhältlich: 250 Stimmen für die Unterstützung der PilotInnenforderungen, 180 dagegen. Der Redakteur begründete die Entscheidung, die Umfrage aus dem Netz zu nehmen, mit folgenden Worten: "Leider haben wir Anlass zur Annahme, dass unsere Umfrage zu den Forderungen der Lufthansa-Piloten von interessierter Seite manipuliert und zu Propaganda-Zwecken missbraucht worden ist."

In diesem Sinne ebenfalls "manipuliert" war offenbar eine Funktionärskonferenz des DGB-Bezirks Baden-Württemberg, auf der über 50 Betriebsräte, Vertrauensleute und Gewerkschaftssekretäre vor allem der IG Metall, aber auch von ver.di, eine Solidaritätserklärung mit den Lufthansa-Piloten unterzeichneten. Darin heißt es: "Der Streik der Piloten zeigt, was mit Entschlossenheit und Geschlossenheit erreicht werden kann. Die Höhe ihrer Forderung ist ein Ermutigung für uns alle! (...) Wir halten es für völlig daneben, dass Spitzengewerkschafter die Piloten kritisieren. Vor allem wenn sie selbst Lohn- und Gehaltsabschlüsse zu verantworten haben, die unter der Inflationsrate liegen. Solidarität heißt nicht alle gleich wenig, sondern alle gleich viel!"

Ver.di dagegen warnt die Lufthansa, "bei den Tarifverhandlungen mit den Piloten die Einkommensgerechtigkeit zwischen den Beschäftigten des Konzerns preiszugeben." Sie betrachtet die Verhandlungen äußerst kritisch. Merke: Der Gewerkschaft ver.di geht es mehr um die Dividenden der Lufthansa-Aktionäre als um die Interessen ihrer Mitglieder.

hgl

Erschienen in: express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Ausgabe 5/2001


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