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Dumping oder Doping?

Vergabegesetz als Antwort auf das Tarifvakuum im ÖPNV

Flucht in gesenkte Tarife durch Rechtsformänderung, Konzessionsvergabe an private Unternehmen oder schlicht die Drohung mit der EU-Vergabeordnung zur Ausschreibung öffentlicher Aufträge – die Kommunen haben viele Möglichkeiten, Kosten für öffentliche Aufgaben wie den ÖPNV abzuwälzen und damit die bisherigen Tarifverträge der ÖTV für diesen Bereich (BAT/BMTG) ins Leere laufen zu lassen. Anvisiert wird, die verschiedenen Tarife innerhalb der ÖTV für eine Spirale der Unterbietungskonkurrenz zu nutzen (im privaten Busgewerbe werden rund 30 Prozent weniger gezahlt als im Öffentlichen Dienst). Die ÖTV will dagegen zweigleisig vorgehen und setzt ihre Hoffnungen auf einheitliche "Spartentarifverträge", mit denen die Schere zwischen den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten privater und öffentlicher Unternehmen geschlossen werden soll, und auf ein "Vergabegesetz", mit dem Mindestkriterien hinsichtlich der Sozialstandards und Löhne bei der Ausschreibung und Vergabe öffentlicher Aufträge fixiert werden sollen. Der Haken dabei: Die Mindeststandards des Vergabegesetzes werden definiert durch den neuen Spartentarif, den einzuhalten sich die öffentlichen Auftraggeber verpflichten sollen – und dessen konkrete Ausgestaltung ist abhängig von den Kräfteverhältnissen. In dieser und den nächsten Ausgaben des express werden wir der Kontroverse um Vergabegesetz und Spartentarif nachgehen. Den Anfang macht ein Beitrag der PDS-Bundestagsabgeordneten Ulla Lötzer, die sich von einem Vergabegesetz eine Hilfestellung für die Gewerkschaften verspricht.

Eine Momentaufnahme aus dem Alltag kommunaler Verkehrsunternehmen: "Stadtwerke-Fahrer verdienen, so rechnet der Vorstand vor, 30 bis 40 Prozent mehr als ihre privaten Kollegen, haben aber durch vertraglich geregelte höhere Standzeiten bis zu 15 Prozent geringere Fahrleistungen. Im Klartext: In Zukunft sollen weniger Fahrer für um rund 30 Prozent geringere Bezüge länger hinter dem Steuer sitzen, als es die WSW-Kollegen derzeit tun, bei den Stadtwerke-Töchern VSG und Elba ist dies schon üblich." "Wenn freiwillige Angebote greifen, ist das sehr positiv, äußert sich WSW-Chef Dr. Hermann Janning vorsichtig. Schlage dies fehl, so könne es auch zu einem zwangsweisen Betriebsübergang kommen." "Es kann nicht sein, dass Busfahrer zum Sozialhilfesatz fahren", erklärt Jürgen Diederichs, Betriebsratsvorsitzende der Wuppertaler Stadtwerke, und fordert erneut ein Vergabegesetz zur Unterstützung der gewerkschaftlichen Konfliktfähigkeit im öffentlichen Nahverkehr." – So die Westfälische Rundschau über die Umstrukturierungspläne bei den Wuppertaler Stadtwerken am 12. April 2001.

Hintergrund der Drohung: "Nach Einschätzung des Vorstandes wird ab 2006 die Stadt per EU-Recht gezwungen, die Leistungen des öffentlichen Nahverkehrs auszuschreiben. Da der Busverkehr bei Lohn und Produktivität weit zurückhänge, wäre eine erfolgreiche Teilnahme an Ausschreibungen gefährdet." (ebd.) Schon dieser Versuch der Stadt Wuppertal, sich auf Kosten der Beschäftigten ‘fit’ für den Wettbewerb zu machen, wirft ein bezeichnendes Licht darauf, wie zur Zeit die Kräfteverhältnisse im öffentlichen Nahverkehr aussehen. Denn was die Stadt Wuppertal gerade fordert, ist in vielen Städten längst schon schlechte Wirklichkeit:

Mit der Drohung, durch den Federstrich einer Änderung der Rechtsform in den privaten Tarif zu fliehen oder die Fremdvergabe an – bisweilen auch völlig tariflose – Private auszuweiten, verfügen die ihrerseits unter dem Druck leerer Kassen stehenden kommunalen Unternehmen über ein höchst wirksames Instrument zur Durchsetzung von betrieblichen Anwendungsvereinbarungen, die den Flächentarifvertrag des Öffentlichen Dienstes bei Einkommen sowie Arbeits- und Pausenzeiten unterlaufen.

So gleicht in der Praxis vor Ort der Manteltarif eher einem Flickenteppich denn einem Flächentarifvertrag. Auch das Prinzip ‘Gleicher Lohn für gleiche Arbeit’ steht dort nur noch auf dem Papier: Einkommensdifferenzen von 1.000 DM netto im Monat innerhalb einer Belegschaft sind im Alltag der Stadtwerke und Verkehrsbetriebe eher die Regel als die Ausnahme – wenn nicht gleich privatisiert wird. Der öffentliche Personennahverkehr mit seinen bundesweit rund 250.000 Beschäftigten, einst neben der Müllentsorgung ein entscheidender Machtfaktor der ÖTV in den Tarifauseinandersetzungen mit der öffentlichen Hand, ist inzwischen neben der Bauwirtschaft der zweite Bereich geworden, in dem das Lohndumping traurige Triumphe feiert. Auch die Umwelt, die Sicherheit der Fahrgäste und ein flächendeckendes Angebot drohen dem ungeregelten Wettbewerb zum Opfer zu fallen.

Während es in der Bauwirtschaft vor allem die Überausbeutung durch illegale Beschäftigung ist, die die Bindungswirkung des Flächentarifvertrages aushöhlt, ist es im öffentlichen Nahverkehr die wechselseitige Verstärkung von mehreren Faktoren: das mit einem Blick auf die unterschiedlichen Organisationsgrade schnell erklärte Tarifgefälle, die Privatisierungswut des revitalisierten Kapitalismus in den Kommunen und die Liberalisierungsankündigungen der europäischen Union. Politischer Flankenschutz für tarifliche Standards wird so zu einem Gebot der Stunde.

Der zunehmende europäische Wettbewerb gefährdet überdies den Fortbestand von Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge, wenn private Konkurrenten deutlich niedrigere Löhne zahlen dürfen. Die durch eine politische Entscheidung der EU zu erwartende Entfesselung von Wettbewerb und Privatisierungsdruck, deren konkrete Ausgestaltung noch umkämpft ist, erfordert dringend politische Rahmenbedingungen, die verbindliche soziale Standards sichern, den Fortbestand kommunaler Unternehmen ermöglichen und vor allem die Konfliktfähigkeit gewerkschaftlicher Interessenvertretung erhöhen.

Mit dem landesweiten Aktionstag am 20. März 2000 in Nordrhein-Westfalen hatte die ÖTV die Forderung nach einem Vergabegesetz mit verbindlicher Tariftreueerklärung auch auf die Tagesordnung der Politik gesetzt.

Die PDS-Fraktion hat im September vergangenen Jahres einen Antrag zur ‘Sicherung tariflicher, arbeits-, und sozialrechtlicher Standards und Förderung arbeitsmarktpolitischer Zielsetzungen durch ein Vergabegesetz’ im Bundestag eingebracht und damit versucht, den gewerkschaftlichen Druck parlamentarisch zu unterstützen. Im Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Technologie wurde dieser Antrag jedoch von allen anderen Fraktionen abgelehnt. "Problem: Erhaltung von tariflichen, arbeits- und sozialrechtlichen Standards in einem liberalisierten Markt; Lösung: Ablehnung des Antrages, Alternativen: Keine," stellt das Ausschussprotokoll vom 15. März lapidar fest.

Obwohl Kanzler Schröder sich bereits im Mai 2000 öffentlich dafür einsetzte, "arbeits- und sozialrechtliche Qualitätsstandards auch in einem liberalisierten Markt zu erhalten", hat sich Rot-Grün in Bund und Ländern bislang der politischen Verantwortung für eine soziale Schadensbegrenzung des Wettbewerbs entzogen. Die politische Verantwortung dafür trägt vor allem Wirtschaftsminister Müller, dessen ordnungspolitische Bedenken gegen so genannte vergabefremde Kriterien den PDS-Antrag ebenso trafen wie Bundesratsinitiativen aus NRW und Bayern oder die Ankündigung von Frauenministerin Bergmann, die Einhaltung von Frauenförderplänen im Vergaberecht zu verankern.

Nicht nur das Wirtschaftsministerium tritt auf die Bremse, auch der DIHT, Kanzleramtsminister Schwanitz und der wirtschaftspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Werner Schulz, machen Front gegen ein Vergabegesetz. Sie sorgen sich um die Wettbewerbschancen der Bauunternehmen in den neuen Bundesländern. Für Werner Schulz sind die niedrigen Ostlöhne ein Konkurrenzvorteil, dessen Verlust "die Trennlinien zwischen Ost und West auf fatale Weise verfestigt". Ein Vergabegesetz würde diesem Gegeneinander-Ausspielen von West-Beschäftigten und Ost-Beschäftigten Grenzen setzen, die auch dem DIHT nicht schmecken, der darin sogar "einen marktwidrigen Sündenfall" sieht.

Kanzler Schröder wiederum versprach aufgrund des zunehmenden Drucks auf dem Gründungskongress von ver.di eine gründliche Überprüfung des Vergaberechts und kündigte an, man müsse sich dem Grundsatz der Tariftreue öffnen. Ein Ergebnis dieser Auseinandersetzungen ist auch, dass die nordrhein-westfälische Landesregierung am 25. April als Bundesratsinitiative den Text eines auf die Bauwirtschaft und den öffentlichen Nahverkehr beschränkten Vergabegesetzes vorgestellt und sich dabei – entgegen den bisherigen Positionen von Ministerpräsident Clement – für eine Orientierung an den am Ort der Leistungserbringung einschlägigen Flächentarifverträge entschieden hat.

Dass die Landesregierung kaum ein halbes Jahr nach dem Versanden ihrer letzten Bundesratsinitiative an Stelle des von den Gewerkschaften geforderten Landesgesetzes eine erneute Bundesratsinitiative vorlegte, lässt allerdings auch befürchten, dass damit eine neue Runde im Schwarzer-Peter-Spiel mit der politischen Verantwortung eingeleitet wurde. Land und Bund setzen auf Zeit – Zeit, in der in den Kommunen Fakten geschaffen werden, die die Durchsetzung einer an die Tarifverträge gekoppelten Vergabe immer mehr erschweren. Zermürbungstaktik auch gegenüber dem Widerstand der Beschäftigten und der ÖTV. Denn ob ein Vergabegesetz als gesetzliche Auffanglinie gegen die alltäglich erpresste Aushöhlung des Flächentarifvertrages praktisch durchgesetzt werden kann, entscheidet sich ebenso wie die Höhe dieser Auffanglinie in erster Linie an den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen und der gewerkschaftlichen Mobilisierungsfähigkeit.

Parallel zur Auseinandersetzung um ein Bundesvergabegesetz wird die Auseinandersetzung um die EU-Vergabeordnung geführt. Auch da fordern die Gewerkschaften die Einführung sozialer und gewerkschaftlicher Standards als verbindliche Vergabekriterien. Polnische Busfahrer, die für fünf DM die Stunde arbeiten, russische Arbeiter, die – so das Ergebnis einer Baurazzia in Baden-Württemberg – für 50 Pfennig die Stunde beschäftigt sind, das ist auch schon ohne Osterweiterung Realität. Der Verzicht auf eine politische Regulierung "produziert" hier zugleich die Sündenböcke für eine alltagsrassistische Erklärung der sozialen Abwärtsspirale. Die PDS will die Regierung mit einer großen Anfrage im Bundestag auch in Bezug auf die EU-Verhandlungen von links unter Druck setzen. Gewerkschaftliche Aktionen für ein Vergabegesetz will sie unterstützen, auch wenn sie, wie von IG-Bau Chef Wiesehügel angekündigt, "notfalls auf der Straße" stattfinden.

Ulla Lötzer

Erschienen in: express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 4/2001

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