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"Wer ist die Nummer Eins?"

Marktstrategien, Personalpolitik und Interessenvertretung bei Wal-Mart Teil II

Von Heiner Köhnen

 

Dass das finanzielle Polster, das es Wal-Mart erlaubt, seine erklärte Markteroberungsstrategie der Dauer-Dumpingpreise trotz des äußerst geringen Marktanteils bislang recht erfolgreich aufrecht zu erhalten, nicht unwesentlich mit spezifischen Formen der Unterbindung, Kanalisierung und Integration von Beschäftigteninteressen im Rahmen der "vergemeinschaftenden Personalpolitik" zu tun hat, war Gegenstand des ersten Teils dieses Beitrags. Im folgenden zweiten Teil geht es um die Auswirkungen der Geschäftspolitik auf die Kommunen, die Beschäftigten in Ländern der sog. "3. Welt", in denen der Konzern ebenfalls Niederlassungen hat, und deren Interessenvertretungen.*

Die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten

Wal-Mart beschäftigt weltweit 1.140.000 Personen, davon 885.000 in den USA und 255.000 in anderen Ländern. Ca. 70 Prozent der MitarbeiterInnen in den USA gelten als Vollzeitbeschäftigte, was bei Wal-Mart allerdings lediglich 28 Stunden pro Woche bedeutet. Teilzeitarbeitskräfte, also Beschäftigte mit weniger als 28 Stunden, erhalten zunächst keinen Zugang zu betrieblichen Sozialleistungen. Sie benötigen zwei Jahre Betriebszugehörigkeit, bis sie ein Recht haben, Krankenversicherung und Urlaub bei Wal-Mart zu beantragen.

Bei der Einstellung haben Beschäftigte u.a. folgende Bedingungen zu akzeptieren (vgl. Norman 1999, 47f.).

Obwohl festgelegt ist, dass Veränderungen der Arbeitszeiten jeweils vor Beginn einer Arbeitswoche bekannt gegeben werden, ist es nicht ungewöhnlich, dass Beschäftigten erst am selben Tag mitgeteilt wird, dass sie länger oder überhaupt nicht arbeiten sollen (vgl. Norman 1999). Ein sehr eigenwilliges Verständnis flexibler Arbeitszeiten offenbarte Wal-Mart vor einem US-Bundesgericht. Dieses hatte das Unternehmen verurteilt, Überstundenzuschläge von Apothekern mit einer 50- bis 60-Stundenwoche nicht bezahlt zu haben. Wal-Mart argumentierte, dass der Lohn der Angestellten nicht von der Arbeitszeit abhängen würde. Im Falle eines geringeren Bedarfs würde die Arbeitsdauer heruntergesetzt und somit der Lohnverlust auf Dauer ausgeglichen. Jeder kenne diese Bedingungen (www.walmartwatch.com).

Die Vergütung der Beschäftigten liegt insgesamt auf niedrigem Niveau. Nach Angaben der amerikanischen Gewerkschaft UFCW beträgt der durchschnittliche Stundenlohn bei Wal-Mart 7,50 US$. Gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte dagegen verdienen 12,82 US$ pro Stunde (vgl. Köhnen 2000a).

Umgerechnet auf ein Jahr erhalten Beschäftigte Wal-Mart’s bei einer 30-Stundenwoche (durchschnittliche Arbeitszeit im Einzelhandel) 11.700 US$ und liegen damit um 2.300 US$ unter der Armutsgrenze (Maßgabe ist eine alleinstehende Mutter mit 2 Kindern). Aufgrund ihres niedrigen Einkommens hat die Mehrheit der Beschäftigten von Wal-Mart deshalb Anrecht auf bundesstaatlich geförderte Essensmarken und ist in einigen Bundesstaaten dazu berechtigt, öffentlich geförderte Beihilfen zu beantragen.

Lediglich 38 Prozent der Beschäftigten des Unternehmens in den USA sind krankenversichert.[1] Dagegen liegt der Prozentsatz von versicherten Beschäftigten im US-weiten Durchschnitt bei 61 Prozent und in durch die Gewerkschaft UFCW organisierten Unternehmen sogar bei 80 Prozent. Die Krankenversicherung bei Wal-Mart ist darüber hinaus durch hohe Beitragszahlungen sowie eine beträchtliche Selbstkostenbeteiligung äußerst arbeitnehmerfeindlich gestaltet. So liegen die Beitragszahlungen der Beschäftigten bei knapp 50 Prozent der Prämien, während sie im Bundesdurchschnitt nur 28 Prozent betragen und in fast allen von der UFCW organisierten Unternehmen kostenlos sind (vgl. Köhnen 2000a). Nach Angaben der UFCW betrug der Durchschnittsbeitrag der krankenversicherten Beschäftigten 1996 über 1.300 US$ und variierte je nach Höhe der Selbstbeteiligung (zwischen 250 und 1.000 US$) und Anzahl der versicherten Personen (Beschäftigte ohne/mit Ehegatten und/oder Kindern) – bei einem durchschnittlichen Lohn von 11.700 US$. Der Großteil der Beschäftigten ist deshalb auf Unterstützung durch die Ehepartner oder durch die (schlechteren) Gesundheitsfürsorgeprogramme der Staaten oder des Bundes angewiesen.[2] Beschäftigte bei Wal-Mart erhalten zudem keinen betrieblichen Rentenplan.[3] Statt dessen bietet das Unternehmen Sonderkonditionen für den Aktienerwerb und ein Profit-Sharing-Programm als Rentenersatz an.

Doch nicht nur die materielle Situation ist schlecht, die Gewerkschaft UFCW bezeichnet Wal-Mart darüber hinaus als einen der "schlimmsten Arbeitgeber" in den USA. Sie benennt Fälle geheimer und illegaler Kameraüberwachung, der Aufnahme privater Gespräche oder illegaler Hausdurchsuchungen wegen angeblichen Diebstahls durch Beschäftigte. Die UFCW führt schließlich zahlreiche Rechtsfälle auf, in denen Wal-Mart aufgrund sexueller Belästigung durch Vorgesetzte und unterlassener Hilfeleistung zu hohen Geldstrafen verurteilt wurde.

Eine Studie des "Institute for Women’s Policy Research" kommt zu dem Schluss, dass Wal-Mart unter den Handelsunternehmen hinsichtlich Gleichstellung und Fairness für Frauen an unterster Stelle rangiert. Auch im Hinblick auf rassistische Diskriminierung von Beschäftigten lässt sich ein ganzer Katalog von Fällen auflisten. Nach einer gewonnen Klage der US-Bundesbehörde gegen Diskriminierung, der "Equal Employment Opportunity Commission" (EEOC), gegen Wal-Mart konstatiert die Behörde 1997: "Wal-Mart unternahm kaum oder keine Anstrengungen, seine Vorgesetzten darin zu unterweisen, dem Bundes-Antidiskriminierungsgesetz zu entsprechen". Aufgeführt werden Fälle einer diskriminierenden Einstellungspraxis und Beispiele rassistischer Diskriminierung und Belästigung von Beschäftigten. Einigen Beschäftigten wurde auch gekündigt, nachdem sie solche Vorfälle öffentlich gemacht hatten.

Wal-Marts Zulieferer in der 3. Welt

Empörung haben zudem Berichte hervorgerufen, in denen aufgezeigt werden konnte, dass Wal-Mart-Produkte in Ländern der 3. Welt unter ausbeuterischen Bedingungen, zum Teil durch Kinderarbeit, hergestellt werden. Wal-Mart wurde auch in diesem Zusammenhang bereits wegen Missbrauchs von Beschäftigten in Bangladesch, Nicaragua, Guatemala, Honduras oder Mexiko juristisch angeklagt. 1999 haben Gewerkschaften und Menschenrechtsgruppen 18 Einzelhandelsunternehmen, darunter Wal-Mart, vor dem US-Bundesgericht und zwei Landesgerichten in Kalifornien und Saipan verklagt, für verheerende Arbeitsbedingungen bei Textilherstellern auf der US-amerikanischen Insel Saipan im Südpazifik verantwortlich zu sein. Aus Saipan werden jährlich im Wert von ungefähr einer Milliarde US$ Waren in die USA geschickt, die wesentlich billiger sind als Importprodukte aus China oder den Philippinen. Es war das erste Mal, dass US-Unternehmen – mit Hilfe der Gesetze gegen das organisierte Verbrechen – mit dem Vorwurf angeklagt wurden, verantwortlich für die Misshandlung von über 50.000 Beschäftigten in ausländischen Unternehmen auf US-Boden zu sein und davon profitiert zu haben. Unter Herstellern hat Saipan den Ruf als Quelle für billige, qualitativ hochwertige Textilien, da die Insel von gesetzlichen Mindestlöhnen und restriktiven Einwanderungsgesetzen ausgenommen ist. Eine Meldung der Nachrichtenagentur Reuters liest sich wie ein Sklavenbericht: Unter dem Label "Made in the USA" werden vor allem junge Frauen aus China, Bangladesch, Thailand oder den Philippinen mit dem Versprechen nach Saipan gelockt, dass sie qualifizierte und gut bezahlte Arbeit in den USA erhielten. Zum Teil haben sie zwischen 2.000 und 7.000 Dollar Vermittlungsgebühr bezahlt, nur um in der »Hölle zu landen«. Sie arbeiten vielfach 12 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, zu 3 Dollar die Stunde und werden zu – manchmal unbezahlten – Überstunden gezwungen. In den letzten 5 Jahren wurden Hersteller mehr als 1000 mal gerichtlich vorgeladen, weil sie US-Arbeitsgesundheits- und -sicherheitsbestimmungen missachteten und schwere Verletzungen oder Unfalltode in Kauf nahmen. Untergebracht sind die Frauen in verwahrlosten Baracken und Siedlungen, mit bis zu sieben Personen in einem Raum. Die Siedlungen sind mit Stacheldraht umgeben und werden von bewaffneten Guards bewacht. Die Frauen haben in der Regel Ausgangssperre, und es ist ihnen verboten, sich mit Männern zu treffen oder zu heiraten. Frauen, die schwanger waren, wurden zur Abtreibung gezwungen. Bei Missachtung der Verbote oder Klagen werden die Frauen eingeschüchtert, geschlagen oder mit Ausweisung bedroht (vgl. Reuters vom 14.1.99).

Wal-Marts Verhältnis zu Gewerkschaften

Wal-Mart verfolgt außerhalb Europas bis heute eine offen gewerkschaftsfeindliche Politik und bis auf eine Filiale in Windsor, Kanada, gab es in Nordamerika bis vor kurzem keine Gewerkschaftsvertretung innerhalb des Konzerns. Dort hatte das Management von Wal-Mart vor der Anerkennungswahl damit gedroht, sein Warenhaus zu schließen, falls die Beschäftigten eine gewerkschaftliche Vertretung wählen würden. Im Mai 1996 stimmten die Beschäftigten daraufhin gegen die Gewerkschaft. Das Arbeitsgericht in Ontario erklärte jedoch im Februar 1997 aufgrund dieser und anderer Einschüchterungsversuche Wal-Marts die Wahl für nichtig und beschloss eine sofortige Anerkennung der Gewerkschaft. Ab Februar 1997 wurde ein Tarifvertrag eingeführt, der u.a. Lohnerhöhungen, Senioritätsrechte bei Entlassung, Wiedereinstellung und internen Stellenausschreibungen sowie ein Komitee für Arbeitssicherheit und Gesundheit vorsah. Der Tarifvertrag beinhaltet eine bessere Urlaubsregelung und garantiert Überstundenzuschläge und eine faire Behandlung durch das Management.

Windsor blieb allerdings lange eine Ausnahme. Mit allen Mitteln hatte das Unternehmen jeden Versuch einer gewerkschaftlichen Organisierung seit 1962 verhindert und aktiv bekämpft. Die Beschäftigten gelten als Teil der Unternehmensfamilie, die keine Gewerkschaften benötigen. Seit den 70er Jahren gab es mehrere Versuche gewerkschaftlicher Organisierung. Mit Hilfe eines antigewerkschaftlichen Beraterstabes gelang es Wal-Mart bisher, diese Versuche zunichte zu machen. Vielen Befürwortern einer Gewerkschaft wurde in der Regel unter irgendeinem Vorwand gekündigt, andere werden eingeschüchtert (vgl. Ortega 1999). Der jüngste Vorfall in diese Richtung ereignete sich im Februar dieses Jahres. Die Beschäftigten der Fleischabteilung eines Supercenters in Jacksonville, Texas, stimmten für eine gewerkschaftliche Vertretung und setzten damit zum ersten Mal die Anerkennung einer Gewerkschaft bei Wal-Mart in den USA durch. Bereits zwei Wochen später verkündete Wal-Mart die Schließung dieser und 179 anderer Fleischabteilungen in 6 Bundesstaaten. Das Unternehmen will an diesen Standorten nur noch verpacktes Fleisch verkaufen. (Siehe dazu auch "offener Brief" von HBV-Betriebsräten auf der nächsten Seite)

Für leitende Vorgesetzte hat Wal-Mart in den USA ein vertrauliches "Managementhandbuch, um gewerkschaftsfrei zu bleiben" entwickelt (Wal-Mart 1997). Gewerkschaften, so heißt es dort, seien nicht nötig. Die Rolle der Geschäftsleitung wird als "erste Verteidigungslinie gegen eine gewerkschaftliche Organisierung" definiert. Gewerkschaften werden nicht als Interessenvertretung der Beschäftigten selbst, sondern als "dritte Partei", d.h. als externe Partei bestimmt. Analog zu vielen antigewerkschaftlichen Handbüchern werden Gewerkschaften diffamiert: "Gewerkschaften sind ein Geschäft, sogar ein großes Geschäft (big business), das Geld einbringen muß. (...) Wo holen sie sich ihr Geld? Aus den Taschen ihrer Mitglieder". Ferner werden sie als Störenfriede beschrieben. Ihre Politik bestehe aus Unruhe und Streik. Ihre Aktivität bei Wal-Mart bezieht sich laut Handbuch auf die "Verwirrung der Kunden" und auf die "Ablenkung der Beschäftigten von ihrer wichtigsten Aufgabe, den Kunden zu dienen". Das Handbuch gibt schließlich Anleitung, wie zu verfahren ist, falls "Anzeichen einer Organisierungskampagne" ersichtlich sind. Als solche gelten:

Bei diesen und ähnlichen Vorfällen gilt es, diese "sofort zu stoppen". Filialleitern werden dafür spezielle Beratungsteams zur Seite gestellt, die "bereits Aktionspläne für unterschiedliche Gewerkschaftsaktivitäten entworfen haben". Filialleitungen haben schließlich für "genaue Information über Vorfälle, beteiligte Personen und angesprochene Probleme" etc. Sorge zu tragen. In der Ideologie, die sich in diesem Managementhandbuch ausdrückt, existieren keine widersprüchlichen Interessen, sondern es wird davon ausgegangen, dass einzelne, unzufriedene Individuen für die Verführungen und Taktiken von Gewerkschaften empfänglich sind. Gewerkschaftsaktivisten werden als Provokateure mit "destruktivem Verhalten" bezeichnet, die mit unfairen Mitteln arbeiten. Bei Einstellungen gilt es deshalb "wachsam zu sein". Beschäftigte, die dem Unternehmensprofil nicht entsprechen, sollen heraus gefiltert werden. BewerberInnen haben eine lückenlose Aufstellung ihrer bisherigen Beschäftigung vorzuweisen und Zeiten der Nicht-Beschäftigung zu erklären. Das Handbuch hebt hervor, dass BewerberInnen zwar "rechtlich aufgrund einer Gewerkschaftsmitgliedschaft nicht diskriminiert werden dürfen", man aber "die besten und positivsten Bewerber" heraussuchen solle. Im Zusammenhang damit wird deutlich, dass Gewerkschaftsmitglieder dies per se nicht sind.

Auswirkungen Wal-Marts auf Kommunen

Wal-Mart betreibt seit mehreren Jahren intensiv Öffentlichkeitsarbeit. Über Broschüren und Pressemitteilungen propagiert der Konzern den Willen zum "Engagement für die Kunden und Kommunen" und für "Small Town America". Der Konzern beschäftigt mehrere leitende Angestellte, sogenannte Community Affairs Directors, die sich um Zusammenarbeit mit kommunalen Gruppen, Regierungsinstitutionen und lokalen Unternehmen bemühen. Er hat dabei selbst von der Praxis kritischer Bürgerinitiativen gelernt und zum Teil deren Taktiken übernommen. Vor Neueröffnung einer Filiale versucht der Konzern bspw. lokale Interessengruppen wie "BürgerInnen für Wal-Mart" aufzubauen. Zumeist werden hierfür bekannte, lokale Public-Relations-Firmen angeheuert und Postkartenkampagnen sowie öffentliche Umfragen durchgeführt. In eigens dafür entwickelten Broschüren werden die vermeintlichen "Vorteile der Präsenz Wal-Marts" für die Kommunen beschrieben: die Bereitstellung "hochwertiger Produkte" zu "niedrigen Preisen", die Schaffung neuer Arbeitsplätze, zusätzliche Steuereinkünfte und zahlreiche kommunale Unterstützungsprogramme. Durch "BürgerInnenstimmen" aus Hilfswerken, Kommunalausschüssen, Vereinen oder Gemeinderäten aus dem ganzen Land bekräftigt, werden ein ökonomischer Aufschwung und ein "neues Lebensgefühl" prophezeit, die gerade kleinere Kommunen durch die Ansiedlung von Wal-Mart erleben würden.

In den USA wehren sich jedoch BürgerInnen aus Hunderten von Kleinstädten und Vororten in allen Bundesstaaten gegen die Ansiedlung der Big Boxes, wie die riesigen Supercenter – allen voran Wal-Mart – genannt werden. Kritisiert wird ihr Einfluss auf die Kleinstädte, da dieser nicht Wohlstand bringe, sondern kleineren Geschäften die Existenzgrundlage entziehe und somit die Entwicklung der Kommunen zerstöre. Inzwischen gibt es viele Gemeinden, die mittels kreativer und innovativer Änderung von Baunutzungsverordnungen, Stadtplanungs- und Bebauungsregelungen die Eröffnung eines Wal-Marts oder anderer "Big" Boxes verhindert oder zumindest eine Beschränkung der Nutzung von Großflächen durchgesetzt haben (vgl. Norman 1999). Auf Anregung von Bürgerinitiativen existiert heute ein US-weites Netzwerk des kommunalen Widerstands mit regelmäßigen Rundschreiben, Konferenzen und Seminaren und eigenen Homepages im Internet. Die Initiativen stellen Informationen, Beratung und Aktionspläne zusammen, um den Kampf gegen einen Einzelhandelsriesen wie Wal-Mart aufzunehmen.

Die Auswirkungen, die kritische Bürgerinitiativen beschreiben, beinhalten im Kern dasselbe Szenario: Wal-Mart und andere "Megastores" erhöhen faktisch nicht den Einzelhandelsumsatz der Region, sondern schichten ihn um. Durch die Präsenz eines Wal-Mart-Marktes werden die meisten Kleinunternehmen oder auch kleinere Marktketten in Folge gezwungen, ihren Laden aufzugeben und zu schließen, weil sie nicht mit Wal-Mart konkurrieren können. Wal-Mart ist es durch seine finanzielle Machtposition, durch seine Einkaufskraft und die direkten Beziehungen zu Lieferanten möglich, Waren zu Preisen anzubieten, die kleinere Geschäfte nicht einmal im Einkauf erhalten. Dies gilt auch für regionale Großhändler, die überflüssig werden, da Wal-Mart und andere Big Boxes direkt bei den Herstellern einkaufen. Wal-Mart kann es darüber hinaus finanziell verkraften, einen Preiskrieg solange zu führen, bis lokale Konkurrenten aufgeben. Der Marktanteil der traditionellen Geschäfte der Stadtzentren fällt, und sie werden nach und nach verdrängt. Das Ergebnis dieser Entwicklung: verödete, tote Innenstädte oder ehemalige Einkaufszonen, umgeben von riesigen, hell erleuchteten Einkaufszentren am Stadtrand. Falls Big Boxes den Standort wechseln, verödet auch dieses Gebiet. Für die Kommunen sinken die Steuereinnahmen durch die Entwertung des kommerziellen Landes und der Wohngebiete. Die kommunalen Kosten dagegen erhöhen sich durch die größere Umwelt-, Lärm, Verkehrs- und Abgasbelastung, durch Aufwendungen für die (neue) Infrastruktur (Straßen, Abwasser, Polizei, Feuerwehr etc.) sowie durch die Altlasten der bisherigen Einkaufszentren. Weiter erhöhen sich die öffentlichen Sozialkosten durch den regionalen Verlust an Arbeitsplätzen bzw. durch die Zunahme von Arbeitsplätzen unter schlechteren Bedingungen (niedrigere Löhne und Sozialleistungen, geringere Kaufkraft der Beschäftigten, Zunahme der Sozialhilfeberechtigten) mit der Folge einer Verringerung des Lebensstandards innerhalb der Kommunen (vgl. Köhnen 2000a).

Wal-Mart in Deutschland

In Europa ist Wal-Mart durch die Übernahme von Wertkauf, Interspar und Asda-Märkte in Deutschland und England präsent. Der Markteintritt in Deutschland wurde unter strategischen Gesichtspunkten geplant, denn es gilt als Einstiegsland für Europa. Ende 1997 übernahm Wal-Mart 21 SB-Warenhäuser von Wertkauf. Ein Jahr später folgte die Akquisition von 74 Interspar-Märkten der Spar Handels AG. Mit einem Gesamtumsatz von 5,5 Mrd. DM besitzt Wal-Mart damit 2,4 Prozent der Marktanteile im deutschen Einzelhandel. Wie in anderen Ländern auch verfolgt Wal-Mart in Deutschland eine Niedrigpreisstrategie. In ehemaligen Wertkauf-Filialen läutete Wal-Mart bereits 1999 eine erste Preisoffensive ein und senkte die Preise für ein Großteil des Sortiments. Falls ein Konkurrent mit Sonderangeboten werbe, versprach man, nachzuziehen oder sogar die Preise zu unterbieten. Kunden erhielten die Garantie, einen möglichen Differenzbetrag rückerstattet zu bekommen, falls ein Markenprodukt woanders günstiger erhältlich sei. Unterstützt wird die Preisoffensive durch eine breit angelegte Werbekampagne, zu der auch ein eigener TV-Spot zählt. Er soll dazu beitragen, dass der Bekanntheitsgrad der Marke Wal-Mart "im Bewusstsein der Deutschen verankert wird" (Ron Tiarks, ehemaliger Präsident von Wal-Mart Deutschland). Gezeigt wird der Spot täglich auf fünf nationalen Sendern, vorrangig zur Hauptsendezeit für die Zielgruppe Familie. Wal-Mart ist damit das erste Einzelhandelsunternehmen in Deutschland, das Fernsehwerbung in dieser Form betreibt. "Der TV-Spot betont die Botschaft, dass wir daran arbeiten, noch besser zu werden und dabei täglich Fortschritte machen" (Ron Tiarks, Pressemitteilung). Akteure des Spots sind die MitarbeiterInnen selbst, die erzählen, was sie über Wal-Mart denken. Die Einbindung der Belegschaft ist auch in Deutschland nicht neu. Seit Juli 1998 lassen sich Beschäftigte und deren Familien bereits in den wöchentlichen Werbe-Beilagen als "Models" fotografieren oder empfehlen auf Schildern ihre persönlichen Lieblingsprodukte.

Alle von Wal-Mart übernommenen Filialen hatten Betriebsräte, was sich bis heute nicht verändert hat. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist überdurchschnittlich hoch. Um ein Negativ-Image wie in den USA zu verhindern, erklärte Wal-Mart Germany anlässlich seines Markteintritts, man wolle sich strikt an die vorhandenen Gesetze und Tarifverträge halten und ging ausgesprochen ‘behutsam’ vor. Von den Beschäftigten wurde Wal-Mart anfangs zum größten Teil positiv aufgenommen. Insbesondere bei den Wertkauf-Belegschaften kam teilweise euphorische Stimmung auf, nachdem lange Jahre eine rigide Personalführung geherrscht hatte. Dazu trugen u.a. die Ankündigung offenerer Kommunikation, größerer Freiheiten und höherer Verantwortung für die Beschäftigten bei. Zudem überraschte die Firma in der ersten Zeit damit, dass sie – gegen den Trend – deutlich mehr Personal einsetzte. Diese anfangs euphorische Stimmung ist inzwischen in dem Maße verpufft, wie sich eine Kluft zwischen Anspruch und (betrieblicher) Wirklichkeit auftat. So ist trotz mehr Personals u.a. die Arbeitsbelastung der Beschäftigten in Folge erheblicher Probleme in der Warenbelieferung und in der Logistik weiter gestiegen. Schließlich melden sich auch zunehmend Beschäftigte zu Wort, die sich durch den Wettbewerb zum/zur MitarbeiterIn des Monats beobachtet und kontrolliert fühlen und sich bei dem "Morning Cheer"[4] schlichtweg ‘blöde’ vorkommen. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Konflikten zwischen Betriebsräten und dem Management (Einführung von Videokameras, Einsatz von Fremdfirmen etc.).

Die Gewerkschaften HBV und DAG fordern darüber hinaus den Eintritt Wal-Marts in den Arbeitgeberverband und die Anerkennung sämtlicher Tarif- und Mitbestimmungsregelungen. Wal-Mart ist bisher allerdings nicht dazu bereit. Außerdem werden selbst gemeinsame Sitzungen von Betriebsräten der ehemals getrennten Organisationen Interspar und Wertkauf untersagt. Für die Gewerkschaft wird es schließlich von entscheidender Bedeutung sein, ob es Wal-Mart gelingt, seine vergemeinschaftende Personalpolitik auch in Deutschland umzusetzen. Die ersten Konflikte deuten allerdings darauf hin, dass Wal-Mart den Charme des Neuen verloren hat und als ganz ‘normales Unternehmen’ wahrgenommen wird. Ferner zeigen Erfahrungen in Unternehmen mit einer vergemeinschaftenden Personalpolitik in Nordamerika, dass durch solche Bemühungen widersprüchliche Ergebnisse produziert werden; insbesondere aus dadurch erzeugten Hoffnungen auf eine demokratischere und die Menschen respektierende Arbeitsumgebung. Durch die erwähnte Kluft zwischen ‘Verheißung’ und betrieblicher Realität wurden vielfach zunächst akzeptierte Unternehmenswerte delegitimiert. Die Enttäuschung angesichts gebrochener Versprechungen führte in diesen Fällen dazu, dass Stress, Kontrolle oder Begünstigung durch Vorgesetzte wesentlich stärker wahrgenommen wurden. Darüber entstanden Konflikte, in denen die Beschäftigten die Unternehmensideologie im Sinne ihrer eigenen Interessen zu wenden vermochten (vgl. Köhnen 2000b). In diesem Sinne könnte die betriebliche und gewerkschaftliche Interessenvertretung die von Wal-Mart postulierten Argumente einer "verbesserten Kundenorientierung über zufriedene Mitarbeiter" aufnehmen und damit die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten thematisieren. Insofern wird sich zeigen, ob der Konzern auf Dauer dazu bereit ist, zufriedene MitarbeiterInnen durch mehr Personal, durch eine qualifizierte Aus- und Weiterbildung und durch attraktivere Arbeitszeiten zu unterstützen.

Erschienen in: express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Nr. 8/2000
http://www.labournet.de/express/

* Eine ausführliche Studie zum Wal-Mart-Konzern ist bei der Hans Böckler Stiftung erschienen (Heiner Köhnen: "Wal-Mart. Ein Gigant mit vielen Gesichtern") und kann zum Preis von 22 DM bestellt werden bei: Setzkasten, Am Kreuzberg 4, 40489 Düsseldorf, email: <lavista@setzkasten.de>

Anmerkungen

1) Anders als in der Bundesrepublik sind Beschäftigte in den USA nicht automatisch krankenversichert.

2) Innerhalb des Unternehmensverbandes Mass Retailers Association war Wal-Mart die treibende Kraft gegen die in den 90er Jahren geplante Gesundheitsreform, die auf eine Gesundheitsversicherung für alle Beschäftigten abzielte und war in den letzten Jahren federführend im Widerstand gegen eine geplante Erhöhung des Mindestlohns <(www.malmartyrs.com>.

3) Anders als in der Bundesrepublik sind Beschäftigte in den USA auch nicht automatisch rentenversichert. Ein Teil der amerikanischen Bevölkerung erhält deshalb am Ende des Arbeitslebens keinerlei Rente. Auch Renten hängen in der Regel von betrieblichen Vereinbarungen ab und machen einen wesentlichen Bestandteil gewerkschaftlicher Tarifverträge aus.

4) Siehe Teil 1, express 6-7/2000

Literatur

Boarnet, Marlon; Crane, Randall: The Impact of Big Box Groceries on Southern California: Jobs, Wages, and Municipal Finances. University of California, 1999.

Köhnen, Heiner (a): Das System Wal-Mart. Strategien, Personalpolitik und Unternehmenskultur eines Einzelhandelsgiganten. Arbeitspapier 20. Hans-Böckler-Stiftung, 2000.

Köhnen, Heiner (b): Industrielle Beziehungen und betriebliche Auseinandersetzungen in Nordamerika. Westfälisches Dampfboot, 2000.

Norman, Al: Slam-Dunking Wal-Mart. How you can stop Superstore Sprawl in your Hometown. Raphel Merketing, 1999.

Ortega, Bob: Wal-Mart. Der Gigant der Supermärkte. Ueberreuter, 1999.

Wal-Mart: A Management’s Toolbox to Remain Union Free. Internes Handbuch, 1997.


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