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Visionen für Land und Leute

Ein Jahrzehnt VW-Strategien im Rückblick

von Manfred Stöter, Teil I

Mit Betriebsvereinbarungen wie der so genannten 4-Tage-Woche, der Zeitwertaktie oder zuletzt dem 5000x5000-Modell verändert Volkswagen nicht nur den betrieblichen Arbeitsalltag und die gewerkschaftliche Tariflandschaft, sondern auch die Gesellschaft, so die These von Manfred Stöter, Betriebsrat bei VW Hannover. »VW war Vorreiter bei der Flexibilisierung von Arbeitszeiten und nun auch beim Verhältnis von Arbeit und Entgelt. Dies läuft auf eine ›Rund-um-die Uhr-Arbeitsgesellschaft‹ hinaus«. Wir dokumentieren einen überarbeiteten Vortrag, den Manfred Stöter auf der letzten Arbeitstagung der Autokoordination im November vergangenen Jahres gehalten hat.

 

Am Anfang der vielgelobten »Tarifinnovationen« stand die so genannte »4-Tagewoche«: 1993 drohte Volkswagen, einen errechneten Personalüberhang von 30000 Mitarbeitern entlassen zu müssen. Mit dem Verhandlungskompromiss, in allen VW-Werken die 28,8-Stundenwoche einzuführen, wurden die Entlassungen verhindert. Der geltende Tarifvertrag über die 35-Stundenwoche wurde nicht abgeschafft, sondern nur vorläufig außer Kraft gesetzt. Bei dem Tarifvertrag über die 28,8-Stundenwoche, so hieß es 1993 von der IG Metall, handele es sich nur um eine vorübergehende Konstruktion, einen »Schattentarifvertrag«. Bei einer besseren Auftragslage bräuchte nicht extra über einen neuen Tarifvertrag verhandelt, sondern lediglich der »Schattentarifvertrag« gekündigt werden; der Vertrag über die 35-Stundenwoche trete dann mit sofortiger Wirkung wieder in Kraft. Von einer vorübergehenden Konstruktion kann heute keine Rede mehr sein – das Verhältnis zwischen Schattentarifvertrag und 35-Stundentarifvertrag hat sich vielmehr umgekehrt.

De Facto handelte es sich zudem bei der 28,8-Stundenwoche um eine wöchentliche Arbeitszeit von 30 Stunden: Da im indirekten Bereich (Angestellte und produktionsunabhängige Beschäftigte) ohnehin 30 Stunden gearbeitet werden musste, wurden in den direkten Bereichen, der Produktion, die Pausen um 1,2 Stunden gekürzt, die nun unentgeltlich abgeleistet werden mussten – »ausgleichende Gerechtigkeit«. Die unbezahlten 1,2 Stunden galten als Beitrag der Beschäftigten zur Beschäftigungssicherung.

Aufgrund der hervorragenden Auftragslage war die Arbeitszeitverkürzung jedoch nicht überall durchzusetzen: Im direkten Bereich der Nutzfahrzeugproduktion in Hannover wurde weiterhin 35 bis 37,5 Stunden pro Woche gearbeitet – hinzu kamen zusätzliche Samstagsschichten –, bezahlt wurde auf Basis der 35-Stun-denwoche. Krankheiten, Urlaub und tarifliche Lohnerhöhungen wurden jedoch auf Basis des 28,8-Stunden-tarifvertrags berechnet. Überstundenzuschläge für die Arbeitszeit zwischen 28,8 und 35 Stunden entfielen – auch für die Differenz zwischen 35 und 37,5 Stunden, die allerdings als Zeitguthaben auf ein Mehrarbeitskonto ‚eingezahlt’ wird. Im indirekten Bereich wurde 1996 dann die 28,8 Stundenwoche – gegen den Widerstand der Belegschaft – eingeführt. Hintergrund dieser Maßnahme: Laut Betriebsvereinbarung müssen, falls im Jahresdurchschnitt an einem VW-Standort mehr als 35 Stunden wöchentlich gearbeitet werden, Neueinstellungen vorgenommen werden. Aufgrund des hohen Überstundenanteils in Hannover hätten ohne die Arbeitszeitverkürzung also Neueinstellungen vorgenommen werden müssen. Die Einführung der 28,8-Stundenwoche im indirekten Bereich in Hannover hat diese Neueinstellungen verhindert. Der Jahresdurchschnittswert der gearbeiteten Wochenstunden aller VW-Werke lag bis Dezember 2000 bei ca. 32 Stunden.

Die Monatsentgelte und Gehälter sind seit Januar 1994, in etwa der Absenkung der wöchentlichen Arbeitszeit entsprechend, um knapp 20 Prozent gekürzt. Zusätzlich wurde eine anteilige Jahressonderzahlung von 1993 nicht gezahlt und die bereits ausgehandelte Lohnerhöhung von 3,5 Prozent von November 1993 auf den Januar des Folgejahres verschoben. Um die monatliche Entgeltzahlung auf dem bis dahin geltenden Niveau (Durchschnittslohn 1993: 4099 DM, nach Absenkung der Arbeitszeit und der anderen Maßnahmen: 3422 DM) zu halten, wurde ab 1994 die jährliche Sonderzahlung (96 Prozent eines Zwölftels des im Vorjahr erzielten Bruttoeinkommens) und das Resturlaubsgeld jeweils gezwölftelt und damit der monatliche Grundlohn aufgestockt. Weiterhin wurde der bis dahin in einem Turnus von ca. 3,5 Jahren bestehende Anspruch auf eine Erholungsfreizeit von zehn Tagen, die mit einer Zahlung von 300 DM verbunden war, verrechnet. Eine zunächst eigens zur Kompensation der Grundentgeltsenkung geschaffene tarifliche Zulage wurde bereits im August 1994, die Erholungsfreizeit im September 1995 ganz gestrichen. Wurde bis 1994 Sonder-zahlung, Urlaubsgeld und Monatslohn im Urlaubsmonat jeweils gemeinsam ausgezahlt, mussten die KollegInnen nach Einführung der monatlichen Verrechnung für den Jahresurlaub und größere Anschaffungen sparen.

Damit hat VW das Tarifgefüge verändert: Neben der Lohnkürzung um insgesamt 25 Prozent verhindert der »Schattentarifvertrag« bei VW Nutzfahrzeuge Hannover – trotz einer regelmäßigen Arbeitszeit von 35 bis 37,5 Wochenstunden und der Bezahlung von 35 Stunden – eine 100-prozentige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bei Urlaubsentnahme oder sonstiger Abwesenheit. Denn in diesen Fällen gilt als Berechnungsbasis die 28,8-Stundenwoche. Die Beschäftigten haben die vielgelobte Arbeitszeitverkürzung also – trotz aller Verrechnungen – zum großen Teil selbst bezahlt.

 

Sparen für die Selbstrationalisierung: die Zeitwertaktie

Ein weiteres Beispiel ist das sogar im Patent- und Markenamt eingetragene »Zeitwertpapier«, die Zeitwertaktie. Mit der Zeitwertaktie soll, auf freiwilliger Basis, ein früherer Ausstieg aus dem Erwerbsleben ermöglicht werden. Zu diesem Zweck wird die Summe des auszuzahlenden Geldbetrages der Mehrarbeit unversteuert in die Zeitwertaktie eingebracht. Das angehäufte Guthaben aus Mehrarbeit, Bonuszahlung und anderen Einzahlungen wird dem Volkswagen Pension Trust e.V. übertragen, der nicht nur von Volkswagen verwaltet wird: Frankfurter Trust, Commerzinvest., J.P. Morgan, Dreba und DAM sind die Nutznießer, die das Kapital in Aktien, Renten und Festgeld anlegen.

Eine Wertsicherung erfolgt mindestens in Höhe der nominal eingebrachten Zeit-Werte (»Nominalwertgarantie«). Die Verwaltung und Überwachung übernehmen Ausschüsse, die aus Vertretern des Gesamtbetriebsrates, des Personalswesens und Treuhändern bestehen. Bei einer Inanspruchnahme wird die Geldsumme versteuert und mit einer Bearbeitungsgebühr belegt. Die Restgeldsumme wird dann durch den Stundenlohn geteilt und ergibt so die arbeitsfreien Tage. Bei Rentenbeginn mit 65 Jahren oder im Falle der Altersteilzeit ab 60 wird die so errechnete freie Zeit vom letzen Arbeitstag heruntergerechnet und bei vollen Bezügen zur Arbeitsfreistellung genutzt.

Führt das Zeitwertguthaben bei einer Kündigung nicht zur Arbeitsfreistellung, wird es ausgezahlt. Im Todesfall und bei Erwerbsunfähigkeit wird es in die betriebliche Altersversorgung überführt. Kann das Wertguthaben nicht in die betriebliche Altersversorgung fließen, weil keine berechtigten Hinterbliebenen für die Inanspruchnahme der Hinterbliebenenrente vorhanden sind, wird es an die berechtigten Erben ausgezahlt.

Der Kredit, den die KollegInnen VW damit geben – zur Zeit ca. 450 Millionen DM –, ist ein Beitrag, der Investitionen und so auch Rationalisierungen ermöglicht. Die Zeitwertaktie – der eigenfinanzierte Vorruhestand – verhindert nicht nur Neueinstellungen, sondern führt aufgrund der Mehrbelastung durch Überstunden zu Gesundheitsbelastungen.

 

Einzelfall Tarifbruch ...

Kann man sich in Bezug auf die 4-Tagewoche immer noch auf den formal existierenden Tarifvertrag zur 35-Stundenwoche und bei der Zeitwertaktie auf deren freiwilligen Charakter berufen, so hat VW – mit Zustimmung der IGM – den VW-Haustarifvertrag eindeutig zugunsten eines befristeten Systems von Projekttarifverträgen unter dem Titel »Benchmark-Produktion 5000x5000« verlassen. Diese liegen nun zwar oberhalb des niedersächsischen Flächentarifvertrags, aber unterhalb des bisherigen VW-Tarifs. Als Begründung für diesen Tarifbruch diente der Neuanlauf des Modells »A-MPV«, eines Minivans, von dem der Konzern-Betriebsratsvorsitzende Volkert behauptete, er sei sonst an einen anderen Standort vergeben worden. Macht das Modell Schule, können Unternehmen künftig immer dann, wenn die Personaldecke zu dünn geworden ist, eine neue Firma ausgründen und neue Beschäftigte zu schlechteren Konditionen einstellen.

In IGM-eigenen Publikationen, Berichten des VW-Betriebsrates wie auch in einer Reihe von Kommentaren (vgl. z.B. Wolfgang Räschke in Sozialismus 10/00) wird der Tarifvertrag zwischen der ausgegründeten »Auto 5000 GmbH« und der IGM dagegen gelobt: Durchgängig finden sich dabei Formulierungen, in denen etwa behauptet wird, es sei unter schwierigen Rahmenbedingungen gelungen, innovative Akzente in tarifpolitischem Neuland zu setzen (vgl. ebd.). Was ist darunter zu verstehen?

 

... oder Teil der Volkswagen Strategie?

Von Arbeitsdirektor Dr. Peter Hartz stammt die Ankündigung, der VW-Konzern werde die Erwerbslosigkeit in der Region Wolfsburg bis 2003 um 50 Prozent reduzieren. Auf Basis dieses Versprechens wurde zwischen Volkswagen, der Stadt Wolfsburg und der Beraterfirma McKinsey ein Konzept (»Auto-Vision« ) erarbeitet, in dem das Ziel genannt wurde, im Dienstleistungsbereich 10000 Arbeitsplätze zu schaffen. Bundeskanzler Gerhard Schröder legte zum 60sten Geburtstag des Arbeitsdirektors im August 2001 nach und verdonnerte die Beteiligten zur Einigkeit: »Macht dem Peter doch das Geburtstagsgeschenk (...) Das Modell liegt mir am Herzen, ich bin ja auch ein bisschen daran beteiligt.«

In enger Zusammenarbeit der politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsträger soll mit dem Konzept der AutoVision die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Region gestärkt werden. Im Einzelnen beinhaltet die »AutoVision« folgende Projekte:

Gründer und Eigentümer dieser Tarifunterwanderungsgesellschaft waren 1998 die Volkswagen AG, das Bundesland Niedersachsen und die IG Metall. Seit Januar 1999 ist die Arbeitnehmerüberlassungsgesellschaft (GIZ) in die Personalservice Agentur »Wolfsburg AG« (WOB AG) umbenannt und hat sich – unter den selben Anstellungsbedingungen – nun für Erwerbslose geöffnet. Neue Eigentümer wurden die Stadt Wolfsburg und die Volkswagen AG. Die Arbeitsverträge der Beschäftigten in der WOB AG sind in der Regel auf sechs Monate befristet. Die WOB-KollegInnen, die im Nutzfahrzeugwerk von VW-Hannover eingesetzt werden, erhalten nach meist dreimaliger Verlängerung des Arbeitsvertrages zu Einstiegslöhnen bei der WOB AG einen wiederum befristeten Arbeitsvertrag, nun von VW. Traten während der befristeten Beschäftigung bei der WOB AG Krankmeldungen mit Arbeitsunfähigkeit auf, wurden die Verträge nicht verlängert – die Stammbelegschaft hat hier immerhin noch die Möglichkeit einer Kündigungsschutzklage. Die Fluktuation in der WOB AG ist immens hoch. Im VW-Werk Hannover sind derzeit noch ca. 200 WOB-MitarbeiterInnen beschäftigt, deren Vertrag ab Januar 2002 erneut – für drei Monate –, jetzt aber als MitarbeiterInnen bei VW-Nutzfahrzeuge Hannover, verlängert wurde.

Ab 2003 entsteht in Wolfsburg unter Mitwirkung der WOB AG ein »Job-Center«, so der VW-Arbeitstitel. Rund 100 Mitarbeiter des Wolfsburger Arbeitsamtes sollen hier mit Teilen des städtischen Jugend- und Sozialamtes, Vertretern von VW-Coaching, der Personalserviceagentur WOB AG sowie Bildungs- und Weiterbildungsträgern zusammenarbeiten.

 

»Visionäre« Arbeitsbedingungen?

In der »Autostadt« betragen die tariflichen Monatslöhne zwischen 2250 und 7000 DM (im Stammwerk liegen sie zwischen 5000 und 9600 DM). Die VW-übliche Sonderzahlung wird hier als leistungsabhängiger Bonus ausgezahlt, die Arbeitszeit beträgt 30 Wochenstunden. In den Bereichen Kundendienst, Werkstatt und Fahrzeugvorbereitung wird montags bis sonntags täglich sechs Stunden in Wechselschicht gearbeitet. Die 30-Stundenwoche wird durch rollierende arbeitsfreie Tage erreicht. Im Kundencenter-Neuwagen arbeiten die MitarbeiterInnen der Verkaufsberatung in einem 2-Schicht-Wechselbetrieb mit Gleitzeit. Die Arbeitszeit liegt zwischen mindestens fünf Stunden 20 Minuten täglich und maximal 9 Stunden 40 Minuten in der Frühschicht. Der Schichtwechselrhythmus erfolgt überwiegend in der 4-Tagewoche, wobei jeder dritte Samstag ein Arbeitstag ist. In der Fahrzeugauslieferung besteht von Montag bis Sonntag ein rollierendes Schichtmodell mit Früh-, Mittags- und Spätschicht. Die Gleitspannen sind in Abhängigkeit von den Auslieferungszeiten bis 18 Uhr bzw. 20 Uhr festgelegt. Zuschläge für Mehr- und Sonntagsarbeit sind nicht vorgesehen.

Die Beschäftigten arbeiten damit zu Konditionen weit unter dem VW Haustarifvertrag. Doch dessen Erhalt lag auch nicht im Horizont der an der AutoVision Beteiligten. Von übergeordnetem Interesse war vielmehr die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt; das sehen auch Betriebsrat und IG Metall so. Hartz und Piëch bedankten sich entsprechend bei den Volkswagen-Betriebsräten und der IGM für die konstruktive Zusam-menarbeit, die einen Wettbewerbsvorteil für Volkswagen bedeute. Sie wiesen ausdrücklich auch darauf hin, dass VW einen nicht unbedeutenden Wettbewerbsvorteil verlieren würde, wenn dieses Kooperationsmodell auch bei anderen Automobilherstellern Schule machen würde.

Fortsetzung in der nächsten Ausgabe

erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1/02


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