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Bunte Smarties und smarte Gewerkschaften

Ein Bericht über das "zukunftsweisende" Modularfertigungssystem

von Mercedes-Koordination/express/Holm-Detlev Köhler

Im Rahmen der Herbsttagung der Mercedes-Koordination, eines langjährigen Arbeitszusammenhangs von kritischen BetriebsrätInnen, Vertrauensleuten und Beschäftigten bei DaimlerChrysler, stand diesmal das Thema Modularfertigung auf der Tagesordnung. Selbstverständlich ging es dabei nicht nur um die Auseinandersetzung mit den technischen und arbeitsorganisatorischen Seiten dieser relativ neuen Form der Produktionsorganisation, sondern auch um die Frage, welche Auswirkungen diese auf die Interessenvertretung der Beschäftigten hat. Studieren ließ sich dies an einem der Vorzeigebeispiele modularer Fertigung, dem Smart-Werk bei Hambach. Sowohl die Besichtigung des Werkes selbst, vor allem aber auch das Treffen mit französischen Gewerkschaftern vor Ort hinterließen nachhaltige Eindrücke, die wir im Folgenden zusammenfassen*.

 

Zunächst zur Firmengeschichte: Micro Compact Car AG (MCC) wurde 1994 als Joint Venture von dem Schweizer Swatch-Uhrenhersteller SMH (Société Suisse de Microélectronique et d’Horlogerie) und Daimler-Benz gegründet. Nach dem Ausstieg von Swatch beteiligte sich Sofirem (Société Financière pour favoriser le développement des Regions Minères), eine staatliche Entwicklungsgesellschaft zur Förderung von Bergbauregionen, mit 25 Prozent bei MCC am Standort Hambach. Sofirem entwickelte eine spezielle Kapitalstruktur, um sich an dem Projekt zu beteiligen und die staatlichen Subventionen einzuschleusen. So ist DaimlerChrysler nach dem Ausstieg von SMH 100%-Eigner der MCC AG, die zwei Standorte betreibt (Hambach und Renningen). Der Produktionsstandort Hambach wird wiederum von der Tochtergesellschaft MCC France verwaltet, an der Sofirem mit 25 Prozent und DC – nach dem Ausstieg von SMH – mit 75 Prozent beteiligt sind. MCC hat offiziell mit MCC France einen "Produktionsvertrag" über die Fertigung der Fahrzeuge. Dies ist nicht nur kapital- und subventionstechnisch interessant, sondern auch für die Interessenvertretung, die in Hambach mit einem reinen Befehlsempfänger verhandelt, während die strategische Kompetenz bei der betriebsratsfreien MCC AG liegt.

Baubeginn des Werkes in Hambach war 1995, geplanter Produktionsbeginn das Frühjahr 1998. Als 1997 die Grundsteinlegung erfolgte, wurde jedoch verkündet, dass sich die Auslieferung bis zum Herbst 1998 verzögern würde, da (kurz nach dem "Elch-Test" der A-Klasse) auch beim Smart Fahrwerksschwächen aufgetreten waren. Ende 1998 begann man schließlich mit der Serienfertigung.

Nach turbulenten Anfangsjahren, dem Abgang bzw. Rausschmiss einiger Top-Manager (wie des Entwicklungsleiters Johann Tomförde oder des Finanzchefs Christian Baubin) und scharfer Kritik an dem "Verlustbringer" Smart stieg SMH aus und überließ dem inzwischen fusionierten DaimlerChrysler-Konzern das Projekt. Durch die Übernahme des Vertriebs vom schweizerischen Biel durch das F&E-Zentrum in Renningen, wo auch alle Finanz- und Marketingaktivitäten gebündelt wurden, verringerte sich die Zahl der Standorte von drei auf zwei.

Folgt man Angaben des Unternehmens, war für die Wahl des Hambacher Standortes zweierlei ausschlaggebend: Zum einen habe der französische Staat die Baugenehmigung zwei Jahre früher als die BRD erteilt, zum anderen liege Hambach "in der Mitte Westeuropas", also in der "Mitte der Kunden und der Zulieferer".. Seit 1998 wurden in Hambach insgesamt rund 300000 Smart ausgeliefert. Lag die Produktion im Anfangsjahr bei 20000, steigerte sie sich in 1999 auf 80000, in 2000 auf 100000 und wird für 2001 mit 110000 – 120000 angegeben.

Der Smart wird derzeit in zwölf Ländern verkauft. Hauptabsatzgebiete mit zusammen 70 Prozent des Gesamtabsatzes sind Deutschland und Italien, letzteres gilt als das Land mit dem "günstigsten Verhältnis von Einwohnerzahl und Smart-Kunden". Mittlerweile, so erzählte uns eine Unternehmensvertreterin weiter, produziere man jedoch auch für Japan. Als Zukunftsmärkte sollen auch andere außereuropäische Regionen vor allem in Asien erschlossen werden.

Von dem 70 ha großen Gelände sind rund 30 ha bebaut, so dass man bei Bedarf "jedes Gebäude auf dem Gelände verdoppeln könnte". Darin drücke sich die "optimistische" Anfangsplanung aus – die durch die schwachen Verkaufszahlen in den ersten Jahren allerdings nicht bestätigt wurde. Zur Zeit versuche man, die "Marke Smart" durch die Ausweitung der Modellpalette zu stärken. Zu diesem Zweck wurde der Cabrio eingeführt, für 2003 ist ein Roadster geplant.

 

Smartville – das Unternehmen

"Smartville", wie der Industriepark Europôle bei Hambach im Volksmund genannt wird, setzt sich zusammen aus zwölf juristisch unabhängigen Firmen, offiziell "Systempartner" genannt:

MCC ist für die Endmontage zuständig, Magna System Chassis für die Karosserie, Magna Door Systems für Türen und Heckklappen, Surtema/Eisenmann für die Lackierung, Siemens/VDO für das Cockpit, Dynamit Nobel France für Kunststoffteile außen, Krupp für das Hinterachsantriebsmodul, Cubic Europe für die Oberflächenverzierung der Kunststoffaußenteile und Bosch für das Frontmodul. Die Logistik für Ersatzteile und Zubehör hat TNT, die für die Neuwagenauslieferung MLT übernommen. Das Transportmittelmanagement obliegt Panopa. Hinzu kommt die Firma Schenker BTL, welche die Logistik für kleine Montageteile betreut. Die einzelnen "Betriebsfamilien" koordinieren sich mit MCC über ein tägliches viertelstündiges Treffen der Produktionsleiter am Morgen, in dem die Produktionskennziffern etc. bekannt gegeben werden. Die Fertigungstiefe von MCC liegt bei acht Prozent (bezogen auf den Wertschöpfungsanteil der Teile); diejenige für DaimlerChrysler, das u.a. die Motoren aus dem Berliner Werk und die Achsen aus Hamburg liefert, bei 18 Prozent liefert.

In Smartville arbeiten insgesamt rund 1800 Menschen, davon bei MCC selbst 750. Aufgrund der angestiegenen Produktionszahlen wurden 2001 insgesamt 100 neue Mitarbeiter in Smartville eingestellt, 50 davon bei MCC. Der Altersdurchschnitt bei MCC liegt bei 31, in der Montage jedoch bei nur 25 Jahren. Zehn Prozent der Beschäftigten sind älter als 40 Jahre, 25 Prozent sind Frauen, verteilt über alle Bereiche incl. der Montage. Nach Angaben des Unternehmens sind überwiegend Franzosen beschäftigt (95 Prozent), fünf Prozent seien Deutsche – davon ein Prozent Saarländer. Auf Infotafeln im "Kommunikationscenter" weist das Unternehmen darauf hin, dass 80 Prozent der Beschäftigten zuvor langzeitarbeitslos gewesen seien – für sie hatte das Arbeitsamt die vollen Lohnkosten für das erste halbe Jahr übernommen. Heute sei die Fluktuation relativ hoch, zugleich liege die Arbeitslosenquote in der Region bei 4,5 Prozent – am Rande meinten die französischen Gewerkschafter, dass "Smart schwer Leute findet".

Auswahlkriterium für die Einstellung ist für MCC weniger eine spezifische Fachqualifikation, sondern die "Teamfähigkeit". Nur in der Instandhaltung waren – typischerweise – Fachkräfte eingestellt worden, am Band standen vor allem Ungelernte. Bevor über die Einstellung entschieden wird, nehmen die Bewerber an einem so genannten "Integrationstraining" teil, in dem ihre Teamfähigkeit getestet wird. Eine klassische Ausbildung gibt es nicht, die Einweisung der Neueingestellten erfolgt durch den "Gruppensprecher" oder einen dafür bestellten "Gruppenpaten". Im Prinzip, so die Auskunft während der Besichtigung, seien die Arbeiten (Gruppenumfänge) innerhalb von drei Wochen zu lernen, Ziel sei der "möglichst polyvalente Mitarbeiter". Praktisch könnten jedoch viele der Arbeitsgruppenmitglieder nicht an allen Arbeitsplätzen eingesetzt werden: Eine Rotation sei eigentlich spätestens nach zwei Stunden geplant, faktisch finde diese jedoch oft nicht statt, weil eben nicht alle Arbeitsumfänge von allen beherrscht würden. Auffällig war außerdem, dass es an vielen Stellen Überkopf-Arbeitsplätze gab, an denen angeblich schneller rotiert würde. Die Festlegung des Rotationsrhytmus sei jedoch Angelegenheit der Gruppe – meinte die Unternehmensvertreterin lakonisch.

Der Gruppensprecher wird von der Firma bestimmt, er übernimmt Springer- und Organisationsfunktionen für die bzw. in den jeweils 7 Personen starken Gruppen. Voraussetzung für eine Gruppensprechertätigkeit ist eine "polyvalente Qualifikation", die sich auch in der Bezahlung niederschlägt, über deren Höhe wir allerdings nichts erfuhren. Während einerseits davon die Rede war, dass möglichst alle Gruppenmitglieder über diese "polyvalenten Qualifikationen" verfügen sollten, war andererseits klar, dass damit die besonderen Funktionen der Gruppensprecher nicht auf alle übergehen sollten. Sie heben sich auch durch ihre Kleidung ab (graue statt der gelben oder hellblauen T-Shirts). Die Gewerkschafter der FO äußerten im Gespräch, dass sie den Gruppensprechern, die unter der Belastung und ihrer unklaren bzw. mangelnden Weisungskompetenz leiden würden, zu einer klareren hierarchischen Absicherung ihrer Funktionen verhelfen wollten – z.B. durch Schaffung eines eigenen Vorarbeiterstatus.

 

Arbeitszeitregelungen

Auf gesetzlichem Wege wurde die 35-Stundenwoche durchgesetzt, die ab Januar 2002 verbindlich in allen Betrieben gelten soll – für Großbetriebe gilt sie bereits seit 2000. Staatliche Zuschüsse wurden an die Firmen gezahlt, die die 35-Stundenwoche bereits früher eingeführt und in diesem Zusammenhang Neueinstellungen vorgenommen haben. So auch bei Smart. Bei MCC wird im Zweischichtbetrieb zwischen 6 Uhr früh und 22 Uhr 30 gearbeitet. Schichtende ist 14 Uhr 15 für die Frühschicht. Faktisch kämen die Beschäftigten auf eine 38,8-Stundenwoche. Als Ausgleich für die Differenz zur 35-Stundenwoche werde alle zwei Wochen ein freier Tag gewährt. Im Zusammenhang mit einer Kapazitätsausweitung auf 570 Stück pro Tag ist geplant, ab 2002 die Arbeitszeiten bis 23 Uhr zu verlängern. Nach Angaben des Managements müssten danach die Zahl der Freischichten erhöht und 50 Leute neu eingestellt werden. Die Zulieferfirmen haben auf diese Produktions- und Arbeitszeitausweitung keinen Einfluss und müssen entsprechend reagieren.

Während es früher überhaupt keine Frühstückspausen gab, stehen dafür heute zehn bezahlte Minuten zur Verfügung. Dies sei, so eine Unternehmensvertreterin, ein Zugeständnis der Geschäftsleitung an die Beschäftigten, für das diese versprochen hätten, die "Leine weniger oft zu ziehen". Gelbe Leinen signalisieren, dass Hilfe am Band benötigt wird, rote Leinen führen zu einem Stopp des Bandes. Jede Gruppe hat eine eigene Melodie, die beim Ziehen der Leinen ertönt und akustisch deutlich macht, wo Hilfe angefordert wird. Die Dauer der Mittagspause beträgt 37 Minuten; die Bänder werden während der kollektiven Pausen angehalten.

Bei kurzfristigen Produktionsstörungen werden die Beschäftigten einfach nach Hause geschickt; eventuelle Ausfälle müssen – i.d.R. an Samstagen – nachgeholt werden.

Zielwert für den Krankenstand sind drei Prozent, der reale Krankenstand liegt nach Unternehmensangaben bei vier, nach Angaben der Gewerkschafter jedoch bei 8 Prozent, wird von beiden Seiten aber als stark schwankend bezeichnet. Gewerkschafter führten den relativ hohen Krankenstand darauf zurück, dass vor allem die jungen Leute "gerne mal zum Arzt gehen und sich krank schreiben" ließen. Der Krankenstand wird ausgeglichen mit Leiharbeitern, die auch an ihrer Kleidung erkennbar waren, da ihnen keine Smart-Uniform gestellt wird.

 

Das Produktionssystem

Jedes Auto, so hob die Unternehmensvertreterin hervor, werde nach einem definierten Auftrag produziert, es gebe quasi keine "Haldenproduktion". Die Aufträge würden den Systempartnern zwar drei Tage vorher bekannt gegeben, die Produktion beginne jedoch "Just in time", die Zulieferung erfolge "Just in Sequence" – ganz im Sinne der Idee des Mercedes Produktions Systems (MPS), das in dieser Reinheit jedoch sonst nicht durchgesetzt ist. Nach Managementangaben gibt es keine Schnittstellenprobleme zwischen Zulieferern und MCC – "zu 99,9 Prozent" funktioniere die JiT und JiS-Fertigung. Die Produktionszeit für ein Auto betrage 8 Stunden, vier davon entfallen auf den Systemlieferanten, vier auf die Endmontage bei MCC. Die Taktzeit für das Band liegt bei 90 Sekunden.

Das kreuzförmige Design der Endmontagehalle spiegelt den logistischen Produktionsablauf wider: In der Mitte und für alle sichtbar (auch für die Mitarbeiter der Zulieferunternehmen, sofern sie in der gemeinsamen Kantine – mit Blick von oben in die Halle hinein – essen) befindet sich der "Kern", auch "Marktplatz" genannt, auf dem alle nachzuarbeitenden Fahrzeuge abgestellt und bearbeitet werden. Eine Andontafel zeigt das Tagesproduktionssoll, den Ist-Stand und die Tendenz (über/unter dem aktuellen Soll) an. Ebenso leuchten hier für alle sichtbar die Stellen gelb auf, bei denen gerade Hilfe angefordert wird.

In einem "Ast" des plusförmigen Gebäudes baut Siemens/VDO das Cockpit zusammen, in den anderen drei findet die MCC-Endmontage statt. An diesen "Ästen" gibt es insgesamt fünf Andockstellen, die nicht weiter als zehn Meter vom Band entfernt sind, um die Module direkt an die Verarbeitungsstelle ans Band anzuliefern. Das ganze Fahrzeug besteht insgesamt aus nur acht Modulen. Zwischen den drei parallelen Linien gibt es einen Puffer von maximal 13 Fahrzeugen.

Der "Hochzeitskäfig" ist die einzige automatisierte Station in der Endmontage (der Unterbau wird über eine hydraulische Hebebühne in das hängende Chassis eingeführt), die durch sehr manuelle Arbeit mit relativ einfachen Werkzeugen gekennzeichnet ist. Selbst ansonsten häufig automatisierte Stationen wie Scheiben aufkleben, Reifen aufstecken etc. werden von den Werkern manuell verrichtet. Alle Teile werden aus den hinter den Werkern positionierten Kisten geholt. Der niedrige Automationsgrad der Endmontage ist auch ein Resultat der Modularproduktion, der zufolge bspw. die Karosserie fertig geschweißt oder das Hinterradsantriebsmodul fertig montiert angeliefert wird.

Die Kapazitätsgrenze bei gegebenem Personal und unter den aktuellen Arbeitszeitbedingungen liegt bei 564 Fahrzeugen pro Tag – an den Andontafeln wurden am Besichtigungstag 556 als Tagesziel angezeigt – die Produktion lag also offenbar am Limit.

Am Ausgang des vierten Astes befindet sich der Auslieferungsparkplatz, auf dem jedes Modell seinen fest definierten Platz entsprechend der Bestellung hat. Nach Italien wird per Bahn, ansonsten per LKW ausgeliefert.

Das Produktionssystem gilt – auch von Unternehmensseite aus – als extrem Logistik-abhängig und streikanfällig, wie der Magna-Streik 1999 belegt (vgl. express 11-12/1999). Die Anforderungen an die Logistik im JiS-Anlieferungssystem sind sehr hoch, da es eine große Variantenbreite aller Modelle gibt (unterschiedliche Farben, Motoren, Felgen, Sitze etc.), die beinahe beliebig austauschbar eingebaut werden können, aber in exakt der für jedes bestellte Modell geforderten Reihenfolge zeitpunktgenau am Band sein müssen. Bei falscher Anlieferung ist der Lieferant verantwortlich, die Arbeitsgruppen werden nur für das Nicht-Entdecken des Fehlers verantwortlich gemacht.

 

Zum Lohn- und Prämiensystem

Die Lohnhöhe wird angegeben mit im Jahresdurchschnitt 3000 DM brutto pro Monat (im Montagebereich) – ein einfacher Bandarbeiter z.B. verdiene laut Angaben eines Gewerkschaftssprechers 7500 FF netto (2250 DM) einschließlich aller Zulagen, Prämien etc.

Der Bonus, anteilig darin enthalten, kann maximal zwölf Prozent erreichen. Die ersten vier Prozent werden gezahlt für die Einhaltung der Stückzahl. Wenn diese nicht erreicht wird, verlieren alle ihren Bonus (incl. Verwaltung). Die restlichen acht Prozent werden als Teambonus gezahlt, jeweils vier Prozent für die Kriterien Qualität und Kosten. KVP ist damit Bestandteil dieses Bonussystems; es existiert kein separates betriebliches Vorschlagswesen.

Lieferanten werden bezahlt nach produktionsmengenabhängigen Staffelpreisen, die im "Ansiedlungsvertrag" festgelegt sind. Bei Qualitätsproblemen trägt der jeweils verantwortliche Zulieferer die Kosten der Nacharbeit. Die Lieferanten erhalten ihren Teilepreis eine Woche nach Durchlauf des fertigen Fahrzeuges am so genannten "Ast-4000 Zählpunkt". Auslieferungs-/Absatzschwankungen treffen damit alle "Partner".

 

Gewerkschaftliche Vertretungsstrukturen

Neben den üblichen Vertretungsstrukturen wie comités d’entreprise[1] und délégués du personel[2], in denen die CGT die Mehrheit hat, existiert ein so genanntes "Sozialforum", das von der Geschäftsleitung ins Leben gerufen wurde. Das Gremium hat keine rechtlichen Funktionen, sondern diente bislang der Koordination und dem Austausch über vor allem technische und organisatorische Produktionsprobleme zwischen den zwölf "Betriebsfamilien".. Hier werden die Systempartner über mögliche Änderungen informiert und können ihrerseits über potentielle Störungen, Probleme etc. berichten. In Zukunft will man dieses Gremium auch für die Diskussion über "soziale Belange" nutzen, betonte ein Unternehmensvertreter. Von den anwesenden Gewerkschaftsvertretern (die CGT und die CFDT waren trotz Einladung nicht erschienen, dafür war ein Vertreter der Kommunikationsabteilung des Unternehmens anwesend) wurde die Notwendigkeit einer stärkeren Kooperation unter den Gewerkschaftsvertretern oder den Mitgliedern des comité d’entreprise nicht gesehen – man sei "autonom". Mehrfach wurde betont, dass die Situation in Smartville – kein unternehmensübergreifender Austausch oder gar eine engere Kooperation trotz der räumlichen Nähe – verglichen werden müsse mit der herkömmlicher Zulieferstrukturen. Auf die unterschiedlichen Entlohnungsstrukturen und -höhen habe man keinen Einfluss. Deren Angleichung wiederum schien eher im Interesse der Geschäftsleitungen zu liegen, die sich zwar nicht in Bezug auf die Zusammensetzung der Löhne, aber im Endergebnis an einem ähnlichen Lohnniveau orientierten.

Konkrete Verhandlungen, bspw. über die Umsetzung der 35-Std. Woche im Betrieb oder die Erhöhung der Tagesarbeitszeit um eine halbe Stunde, werden zwischen den "Gewerkschaftsvertretern im Betrieb" und der Geschäftsführung geführt. Die Gewerkschaftsvertreter werden nicht gewählt, sondern von der Gewerkschaft benannt. Sie verhandeln oft unabhängig voneinander und unterzeichnen, während andere noch verhandeln, für einen Streik, mobilisieren, etc. So erreichten die Gewerkschaften des Werker-Bereiches im Mai 2001 bereits nach wenigen Streiktagen eine zehn-prozentige Lohnerhöhung, was im Angestelltenbereich (in dem die zuständige Gewerkschaft vier Prozent unterschrieben hatte) zu Unmut führte – Prozesse, die innerhalb und zwischen den fünf bei MCC vertretenen Gewerkschaften die Fragmentierung weiter fördern.

 

Eindrücke

Straßenschilder mit Namen wie "Boulevard de Flexibilité, Boulevard de Qualité, Route de l’Environment" etc. – so präsentiert das Unternehmen seine "Kultur" gegenüber Besucherinnen und Beschäftigten auch außerhalb des eigentlichen Fertigungsbereiches auf dem Firmengelände. Das Vorzeige-Prunkstück dieses Grüne-Wiese-Projekts – mitten in sumpfiger Brach- und Ackerlandschaft – ist jedoch zweifellos die Endmontage-halle in ihrer fast klinisch weißen, leicht futuristischen Verpackung – in die Hallen der übrigen "Systempartner" auf dem Gelände dieses ‚Familien-Unternehmensparks’ hatten wir leider keinen Einblick. "Flache Hierarchien", auch ein Schlagwort, das in keiner modernen "Unternehmensphilosophie" fehlen darf, galten jedenfalls eher in der Kantine, die sich in der Glaskuppel im obersten Stock des Kreuzungspunktes der vierarmigen Produktionsanlage befand und von der aus alle MitarbeiterInnen unterschiedslos einen Blick wahlweise auf die Umgebung oder auf die Tagesproduktion, die Andon-Tafeln und insbesondere auf die Anzahl der nachzuarbeitenden Auto werfen konnten. Denn auch wenn die Zulieferer hier als "Systempartner" bezeichnet werden und man sich als "große Familie" gibt, ist es schließlich MCC, das die Standards – wie im Falle der geplanten Produktions- und Arbeitszeitausweitung – setzt. Zwar nehme man es mit der detailliert vertraglich geregelten "Regresspflicht im Einzelfall nicht so genau", da "Fehler sowohl bei MCC als auch bei den Partnern passieren", behauptete beispielsweise eine Unternehmensvertreterin, doch sowohl gegen Preisschwankungen auf den Zuliefermärkten als auch gegen Absatzschwankungen beim Smart hat sich MCC durch die Abwälzung eines Großteils der Investitions- und Kapitalrisiken gut geschützt.

Das Prinzip der Minimierung unternehmerischer Kostenrisiken bei gleichzeitiger Ausweitung der Qualitäts- und Stückzahlverantwortung ist auch bei den "MitarbeiterInnen" angewandt worden – hier als indirekte Steuerung über das Bonussystem. Und trotz der angestrebten "Polyvalenz" der "Mitarbeiter" waren in den Arbeitsgruppen deutliche Einschränkungen hinsichtlich der Rotationsmöglichkeiten und klare Hierarchien sichtbar. In augenfälligem Kontrast standen das High Tech-Logistiksystem und der hohe Anteil an manueller Fertigung und Überkopf-Arbeit. Trotz der flotten Taktfrequenz machte die Arbeit zwar keinen hektischen Eindruck, gleichwohl mussten die Beschäftigten aber dem Band hinterher laufen. Beeindruckend war die Stille in den Hallen, aber auch die "Stille am Band" – zwischen den Beschäftigten gab es kaum Gespräche. Dem entsprach eine auch ansonsten sterile und cleane Atmosphäre: Vor den Hallentüren stehende Raucher, die sich von der Besuchergruppe ‚entdeckt’ fühlten, beeilten sich, ans Band zurückzukehren. Trotz Gruppenarbeit, so äußerte eine Produktionsarbeiterin, fühle sie sich ziemlich isoliert während der Arbeit.

Nachhaltig war in jedem Fall das Gespräch mit den französischen Gewerkschaftern. Ausgehend von unserer Überlegung, dass gerade ein JiT-System in dieser Perfektion – ohne Puffer, Halden und Spielräume – gewisse Vorteile für Arbeitskämpfe mit sich bringt, verblüffte das offensichtliche Desinteresse, das die französischen Kollegen diesbezüglich an den Tag legten. Auf die Frage nach den Folgen des 99er Streiks bei Magna etwa hinsichtlich einer überbetrieblichen Kooperation unter den Gewerkschaftern in "Smartville" antworteten sie gar nicht. Stattdessen fanden sie lobende Worte für die Funktionstüchtigkeit und die Kosteneffizienz des modularen Logistiksystems. Offen blieb auch die Frage, was mit den KollegInnen passiere, wenn sie älter würden und dem Tempo bzw. den Belastungen nicht mehr gewachsen wären. Während unsere Begleiterin von Smart meinte, in solch langen Zeiträumen denke man nicht, wer wisse schon, ob die Produktion in 10 bis 15 Jahren überhaupt noch laufe, erwähnten die Gewerkschaftsvertreter einen "Standort-Pool" – eine Form betriebsübergreifender Jobbörse –, der es den Beschäftigten erlaube, bei Interesse an einen anderen Arbeitsplatz im Verbund der Betriebsfamilien zu wechseln. Peinlich für sie, dass der anwesende Kommunikationsmanager darüber aufklären musste, dieser Pool sei ausschließlich dem mittleren und oberen Management vorbehalten. Er war es auch, der explizit auf die Notwendigkeit, soziale Belange am "Standort Smartville" stärker zu thematisieren, hinwies und das "Sozialforum" als Möglichkeit betriebsübergreifender Kommunikation pries. Inwieweit die Gewerkschafter von MCC dies auch zu ihrem Ort machen oder sich gar eine eigene Form des Austausches schaffen werden, muss dahin gestellt bleiben. Bislang scheint es eher so, dass sie zum Jagen getragen werden müssen.

Die Mercedes-Koordination wird daher weiter versuchen, Kontakte zu den Belegschaften bzw. deren Interessenvertretungen in Smartville herzustellen, aus denen sich die Möglichkeit einer Zusammenarbeit zum Thema Modularfertigung – und vielleicht auch darüber hinaus – ergibt.

 

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 11-12/01

* Der Beitrag ist eine Gemeinschaftsproduktion von Mitgliedern der Mercedes-Koordination, des express und von Holm-Detlev Köhler.

Anmerkungen:

1) Der Vorsitzende dieses Gremiums ist – wie oft in Frankreich – der Werksleiter; die CdE sind nicht mit den bundesdeutschen Betriebsräten vergleichbar: Sie haben keine Mitbestimmungs-, sondern lediglich Informations- und Konsultationsrechte. Auf die rund 750 MCC-Beschäftigten kommen sieben CdE und 19 DdP. Ein Mitglied ist auch für den europäischen Betriebsrat abgestellt.

2) Die DdP sind die eigentlichen Verhandlungspartner des Unternehmens – sie sind die gewerkschaftlichen Vertreter im Betrieb und befugt, Verträge mit dem Management, Streikgelder für die Beschäftigten etc. auszuhandeln.


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