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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Die Auseinandersetzung in der UNT Der Auszug eines Teils der Delegierten auf dem 2. Kongress der UNT - aufgrund einer Auseinandersetzung, die sich anhand des Termins für Gewerkschaftswahlen abspielte - hat international viel Aufmerksamkeit hervorgerufen, und der Begriff "Spaltung" war keineswegs absonderlich. Zahlreiche Gewerkschaftseinheiten haben nun in der Debatte für die Einheit Stellung genommen und Praktiken, die aus der ruinösen Tradition des alten CTV-Verbandes kämen ausdrücklich kritisiert. Die aktuelle Materialsammlung "Kongressdebatte der UNT" von Anfang August 2006 versucht, nicht zuletzt mit Telefoninterviews, einen Überblick zu geben. Kongressdebatte der UNT Seitdem der zweite UNT-Kongress Ende Mai 2006 endete indem er faktisch zwei Kongresse abhielt, ist die Situation der Gewerkschaftsbewegung in Venezuela noch komplizierter geworden - aber dennoch von zahlreichen Erfolgen im Kampf gegen die alte CTV-Kamarilla geprägt. Was hinter der Spaltungstendenz stecken kann Kann man sich wegen eines Termins spalten? Antonio Perez, Bauarbeiter aus Caracas - und Aktivist der Bauarbeitergewerkschaft UBT - sagt dazu: "Natürlich gibt es lediglich wegen eines Termins keine Spaltung - und bisher gibt es ohnehin keine Spaltung. Aber die Sache ist doch folgende: Die UNT wurde im Kampf geboren, im Kampf gegen einen Gewerkschaftsverband, der seinen einzigen Streik ausrief, um den Unternehmerverbänden gegen die Regierung zu Hilfe zu kommen. Und noch heute, da die UNT nicht nur anerkanntermaßen die meisten Menschen mobilisiert, sondern auch die meisten Verträge abschliesst, auch in der Privatwirtschaft, ist die Situation unübersichtlich - es bezeichnen sich viel mehr Gewerkschaften als der UNT zugehörig, als bei dieser registriert und vertreten sind. Aber dass eine per Akklamation in der Not, im Kampf, eingesetzte Koordination so schnell als möglich durch eine gewählte ersetzt werden muss, muss doch jedem einleuchten, der an einer demokratischen Gewerkschaft interessiert ist, wir wollen schliesslich keine Gewerkschaft die, wie bei euch in Deutschland, von angestellten Funktionären beherrscht wird. Die Frage des Wahltermins - also ob vor oder nach der Präsidentschaftswahl - ist dann mehr: Es ist letztlich die Frage nach der Eigenständigkeit des Gewerkschaftsverbandes - eines Verbandes, in dem es niemand, oder, sagen wir vorsichtshalber: kaum jemandem gibt, der nicht für Chavez wäre". Lucinda Reves, von der Revolutionären Erziehergewerkschaft aus Trujillo ergänzt: "Und es zeigen sich ja auch im Zusammenhang mit dem Streit um den Wahltermin bei der UNT weitere politische Unterschiede. Diejenigen, die für die Verschiebung der Gewerkschaftswahlen auf nach den Präsidentschaftswahlen sind, sind auch diejenigen, die die Regierungsposition in bezug auf (den staatlichen Ölkonzern) PDVSA teilen: Dass dies ein strategischer Betrieb sei, deswegen kein Platz für Schritte zur Arbeiterkontrolle". Versuch eines Überblicks Die wesentlichen Strömungen innerhalb der UNT sind je nach politischer Einschätzung vier oder fünf: Die Strömung "Klasse, Einheit, Revolution und Autonomie" (C-CURA) vertreten von Orlando Chirino, die Bolivarianische Arbeiterkraft (FBT), vertreten von Osvaldo Vera, die Gewerkschaftsautonomie, die Fraktion (va im öffentlichen Dienst) von Franklin Rondón, und ein Kollektiv, das von Marcela Máspero vertreten wird (die sich selbst zur erwähnten Autonomia Sindical zählt). Die Zahlen des Kongresses zeigen nun, dass C-CURA mehr AnhängerInnen hat, als die vier anderen Strömungen zusammen - von denen die FBT der Regierungspartei nahesteht, die Autonome Gewerkschaft einer politischen Partei, die in der Regierungskoalition ist, die Besonderheiten des öffentlichen Dienstes einmal ausgespart die mit Rondon in der UNT am ehesten einen Repräsentanten der "alten Gewerkschaftsbewegung" haben und dass Marcela Maspero (üble Nachrede?) nachgesagt wird, sie habe engste Verbindungen zum Arbeitsministerium - auf jeden fall hat diese Strömung das Geld, ihre Position in ganzseitigen Anzeigen von Tageszeitungen zu verbreiten. Was hier so einfach aussieht, ist es nicht: Das sind meist keine durchorganisierte Strömungen, es gibt viel dazwischen und es ist - vor allem durch den kontinuierlichen Beitritt neuer Gewerkschaften - auch viel im Fluss. Die strategischen Debatten, die zwischen diesen Strömungen schon vor dem Kongress aufscheinten, gingen nicht zuletzt um die Bedeutung der - auf deutsch gesagt - Mitbestimmung. Hier hat C-CURA vor allem die deutlichste Position indem die Strömung betont, dies könne nur ein Durchgangsstadium zur Übernahme sein, für die anderen Strömungen ist sie eher ein Ziel. Was sich auch widerspiegelt in den heftigen Debatten um besetzte Betriebe - sich rankend um die klassischen Fragen der Verfügung - (entfernt) vergleichbar mit jenen Debatten, die es einst um das "Jugoslawische Modell" der Arbeiterselbstverwaltung gab. Einen ausführlicheren Versuch, die politischen Differenzen dieser Strömungen zu analysieren, unternimmt Steve Mather in seinem (englischen) Beitrag "The Real Fracture in Venezuela’s Labor Movement is Ideological" vom 10. Juli 2006 bei Venezuelanalysis. Die Darstellung der Positionen von C-CURA in der aktuellen Auseinandersetzung geschieht in dem (spanischen) Beitrag "Respuestas y propuestas de la mayoría de los delegados del II Congreso de la UNT" vom 9. Juni 2006 (der bei zahllosen Websites publiziert wurde, hier bei aporrea) in dem im wesentlichen die Prinzipien der Unabhängigkeit der Gewerkschaftsbewegung vertreten werden - also auch das Recht, die Regierung zu kritisieren - und dem Vorwurf begegnet wird, die Strömung würde eine eigene politische Partei bedeuten. Diese Stellungnahme mit einer langen Unterzeichnerliste lokaler Gewerkschaften, ist eben eine Antwort auf die erwähnten Zeitungsanzeigen der Maspero-Strömung (bei Ultimas Noticias nicht verfügbar). Die Stellungnahme Masperos bei aporrea am 7. Juni 2006 publiziert, (spanisch) "El reto es derrotar las prácticas antidemocráticas que desdicen del sindicalismo revolucionario" hatte im wesentlichen die Stoßrichtung das Zustandekommen der Delegiertenmandate zu kritisieren und dessen Unübersichtlichkeit tradierten undemokratischen Praktiken zuzuschreiben. Die (spanische) Erklärung "NI BURÓCRATAS, NI VANGUARDISTAS, NI CABILLEROS - LOS TRABAJADORES Y LA REVOLUCIÓN PRIMERO" ist von über 550 Betriebsgewerkschaften unterzeichnet, neben regionalen und nationalen Föderationen und ruft vor allem zur Abgrenzung von den Praktiken - und Personen - des alten CTV auf und zur Einheit einer unahängigen Gewerkschaftsbewegung. Der Beitrag "Con Chávez, sin el chavismo burocrático" von Roberto Sanchez beschreibt die Auseinandersetzungen um die Bildung der UNT im Bundesstaat Zulia (Maracaibo) und wie das dortige Arbeitsministerium die Zulassung verweigerte, weil niemand von der FBT im regionalen Vorstand sei, bekennt sich zur C-CURA und weist die Kritik, dies sei eine trotzkistische Strömung mit dem argument zurück, es gäbe keinen einzigen Trotzkisten in diesem Verband. Die erste nicht genehmigte UNT-Demonstration... ...fand am 19. Juli 2006 in Caracas mit rund 6.000 TeilnermehrInnen statt und wollte Präsident Chavez die Meinungen und Forderungen der ArbeiterInnenschaft übergeben. (Da das Innenministerium der Regierung die Demonstration nicht erlaubt hatte, weigerte sich Chavez, eine Delegation zu empfangen). Näheres dazu im "Venezuela Informationsbrief Nr.2" von Peter Haumer vom 6. August 2006 bei den Kollegen vom "LabourNet Austria". Zur allgemeinen Frage, wie die Entwicklung nach den Auseinandersetzungen um den Kongress weitergeht, sagt Augustin Soldano, Metallergewerkschafter aus Carabobo: "Nun, natürlich sind die Beziehungen zwischen UNT-Mehrheit und Regierung nicht ungetrübt. Und sicherlich ist eine wirklich unabhängige Gewerkschaftsbewegung auch ein Störfaktor - es ist aber, so denke ich, vor allem auch ein Faktor, der zur weiteren Mobilisierung beitragen kann, und ich denke, das sieht man auch an den Ergebnissen der Gewerkschaftswahlen der letzten Wochen, mit den sehr wichtigen Erfolgen im Erdölbereich und einer ganzen Reihe wichtiger Unternehmen. Klar, dass jetzt keine abenteuerlichen Sachen kommen dürfen - aber die Gewerkschaftswahlen in 2006 müssen sein". Angel Marquez wiederum, ebenfalls Metallgewerkschafter, aus Caracas, ist verhalten optimistisch: "Vielleicht können die neuen politischen Mehrheitsverhältnisse nicht nur dazu beitragen, die Bürokratie und die Unternehmer besser zu bekämpfen, sondern endlich auch Schritte zu unternehmen, die in der UNT lange diskutiert, aber nie wirklich angepackt worden sind: reales Bündnis mit der Bauernbewegung, Stärkung der besetzten Fabriken, Organisation der informell Beschäftigten auch über Zusammenarbeit mit deren sozialen Organisationen - dann kann die UNT wirklich gestärkt aus diesem Abschnitt hervorgehen - aber sicher ist das nicht". (Materialsammlung und Telefonate von hrw) |