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Updated: 18.12.2012 15:51
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UNT: Neue Gewerkschaftsbewegung in Venezuela braucht unsere Solidarität

Während in Venezuela eine neue Verschwörung gegen die demokratisch gewählte Regierung Chávez aufgedeckt und rechte kolumbianische Paramilitärs verhaftet wurden, verzeichnet eine neue gewerkschaftliche Kraft, die UNT, starken Zulauf. Über diese neue Bewegung und ihre Standpunkte sprach Hans-Gerd Öfinger mit Jorge Martin. Er ist Sprecher der weltweiten Solidaritätskampagne "Hands Off Venezuela" und engagiert sich für internationale Gewerkschaftssolidarität mit dem revolutionären Venezuela.

Welchen Beitrag leistet die Gewerkschaftsbewegung im revolutionären Prozeß in Venezuela?

Der alte, von Washington finanzierte und der früheren Regierungspartei Acción Democrática (AD) nahe stehende Gewerkschaftsbund CTV ist korrupt und nicht mehr reformierbar. Nach Jahrzehnten verkrusteter Bürokratie wurde 2001 aufgrund neuer demokratischer Gesetze im CTV erstmals eine Urwahl des Vorstands anberaumt. Diese wurde offensichtlich manipuliert; so verschwanden etwa die Stimmzettel aus über 9000 Stimmlokalen auf mysteriöse Weise. Nach Eingang von nur 48% aller landesweit eingesetzten Wahlurnen erklärte sich die alte Gewerkschaftsbürokratie zum "Wahlgewinner". CTV-Führer Carlos Ortega hat am fehlgeschlagenen Putschversuch gegen Präsident Chávez im April 2002 teilgenommen und ist nach Costa Rica geflüchtet. Er hat jüngst in Miami über einen bewaffneten Kampf gegen die Regierung Chávez gesprochen. Ende 2002 unterstütze die CTV-Führung den Versuch, durch Wirtschaftssabotage, Einstellung der Erdölproduktion und Massenaussperrung das Land ins Chaos zu stürzen und die Regierung Chávez zu beseitigen.

Dieser demokratisch nicht legitimierten CTV-Führung laufen jetzt die Mitglieder scharenweise davon. Ein Zeichen des neuen Selbstbewußtseins der Arbeiterbewegung in Venezuela ist der starke Zulauf für den linken Gewerkschaftsbund UNT seit Anfang 2003. Woran macht sich dieser Zulauf fest?

Die UNT wurde im August 2003 mit 1500 Delegierten offiziell gegründet, die 145 demokratische Gewerkschaftsorganisationen aus Betrieben, Branchen und Regionen vertraten. Der Gründungskongress beschloss ein linkes Programm und fordert u.a. die Verstaatlichung der Banken wie auch die Besetzung und Arbeiterkontrolle von Betrieben, die von den bisherigen Eigentümern aufgegeben wurden. Zu den Forderungen gehören ebenso die Streichung aller Auslandsschulden und die 36-Stunden-Woche. Die UNT versteht sich als autonom, demokratisch, internationalistisch, klassenkämpferisch, unabhängig und antikapitalistisch.

Seither sind neue Einzelgewerkschaften dazu gestoßen, so auch die KP-nahe Gewerkschaft CUTV. Drei Gewerkschaften der Erdölarbeiter (Sinutrapetrol, Fedepetrol und Fetrahidrocarburos) wollen jetzt beitreten. Die UNT hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesteckt: Sie will den Organisationsgrad von derzeit 15% auf 80% steigern. Auf der UNT-Konferenz im April sprach sich Präsident Chávez für den Aufbau einer revolutionären und klassenkämpferischen bolivarischen Gewerkschaft aus. Am 1. Mai 2004 kamen Zehntausende zur UNT-Kundgebung in Caracas und nur wenige tausend zum CTV.

Nach der Unternehmer-Sabotage und Massenaussperrung vor 18 Monaten gab es eine Reihe von Betriebsbesetzungen. Was ist daraus geworden?

Manche Besetzungen wurden ohne Lösung beendet. In zwei Betrieben allerdings - bei der Parfümfabrik Cristine Carol in Caracas und der Ventilfabrik CNV in Los Teques - geht die Besetzung weiter. Der bisherige CNV-Eigentümer war direkt in den April-Putsch 2002 verwickelt. Die Regierung will jetzt Betriebe in Staatsbesitz überführen, die von ihren bisherigen Besitzern aufgegeben wurden, damit dann die Produktion weitergeführt werden kann. Chávez hat die Belegschaften aufgerufen, eine Demontage der Anlagen zu verhindern.

10.000 Erdölarbeiter, die Anfang 2003 fast zwei Monate lang in mehreren Raffinerien die Produktion ohne die bürgerlichen Manager weiterführten, haben kürzlich vor der US-Botschaft demonstriert und für den Fall einer Invasion den sofortigen Stop aller Ölexporte an die USA gefordert.

Wie reagieren die linken Gewerkschafter auf die neuerlichen Putschgerüchte im Lande?

Seit der Festnahme kolumbianischer Paramilitärs Anfang April 2004 wird die Frage der Volksbewaffnung auch in den Gewerkschaften diskutiert. Führende Köpfe der UNT wie Marcela Máspero und Stalin Pérez fordern die Bildung bewaffneter Arbeiterbrigaden. Der Staatspräsident selbst hat auf der Massendemo am 16. Mai drei Verteidigungslinien skizziert: die reguläre Armee, die Mobilisierung der Reservisten und die aktive Einbeziehung des Volkes in die militärische Verteidigung des Landes.

Wie könnte das Szenario für einen möglichen neuen rechten Umsturzversuch aussehen?

Für den Fall, daß das von der Opposition angestrebt Abwahlreferendum gegen Chávez mangels ausreichender Unterschriften nicht zustande kommt, hat der zuständige US-Vizeaußenminister Robert Noriega mit massiver Einmischung und wirtschaftlicher wie auch diplomatischer Blockade durch die OAS gedroht. Selbst der liberale britische "Guardian" fordert einen "Regimewechsel". Chávez wird in solchen Medien als "Diktator" dargestellt, gegen den jedes Mittel recht sei. Aus den Grenzregionen zu Kolumbien sind mehrere Fälle eingesickerter Paramilitärs und Mordanschläge gegen Gewerkschafter und Bauernführer bekannt geworden. In Mérida wurde, Giandomenico Puliti, ein führender Kommunalpolitiker aus dem Chávez-Lager, getötet. Falls die rechte Opposition bei den Kommunal- und Regionalwahlen im September wichtige Hochburgen verliert, könnte sie vollends auf eine Terror- und Chaosstrategie abfahren und einen Vorwand konstruieren, um im Rest der Welt eine Stimmung für eine Invasion durch eine multinationale Eingreiftruppe zu machen. Auch ein gezieltes Attentat auf Chávez ist möglich.

Wäre dies dann das Ende der venezolanischen Revolution?

Nicht unbedingt. Jede ernsthafte Provokation von rechts kann eine starke Gegenbewegung auslösen. Die Invasion in der kubanischen Schweinebucht 1961 scheiterte, weil Hunderttausende bewaffneter Kubaner mobilisiert werden konnten. Dieser Sieg verlieh der kubanischen Revolution einen starken Impuls.

"Hands off Venezuela" wirbt für weltweite gewerkschaftliche Solidarität mit der UNT. Wie soll die konkret aussehen?

Wir rufen die europäischen Gewerkschaften dazu auf, die UNT offiziell zu unterstützen und mit ihr direkte Kontakte auf allen Ebenen aufzubauen. Besuche in beide Richtungen und direkter Austausch auf der Ebene von Branchen oder multinationalen Konzernen wären sehr wichtig. Der Internationale Bund Freier Gewerkschaften muß die UNT endlich als die einzige legitime demokratische Gewerkschaftsorganisation in Venezuela anerkennen. Lateinamerikanische Gewerkschaften wie die argentinische CTA, die kolumbianische CUT und die uruguayische PITCNT tun dies bereits. Drei Regionalkonferenzen der italienischen Metallgewerkschaft FIOM (CGIL) wie auch mehrere britische Gewerkschaften unterstützen unsere Kampagne.

Interview: Hans-Gerd Öfinger, 1. Juni 2004, hgoefinger@aol.com


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