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Updated: 18.12.2012 15:51
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Öl der Revolution

Im veneolanischen Öl-Staatsbetrieb PDVSA erwirtschaften 80.000 ArbeiterInnen und ihre ca 20.000 als Leiharbeiter angestellte KollegInnen zusammen mit maximal weiteren 100.000 Beschäftigten im Umfeld der Ölindustrie 80% der Export- und 50% der gesamten Staatseinnahmen von Venezuela (28 Mio EinwohnerInnen).

Von den rund 80.000 direkt in der Ölindustrie Beschäftigten gehören knapp 37.000 (46%) einer Gewerkschaft an. Rund 27.500 (74% der Gewerkschaftsmitglieder, 34% der Beschäftigten) nahmen an den Gewerkschaftswahlen Anfang Oktober 2009 teil.

Die Liste der Sozialistischen Arbeiteravantgarde (VOS), vom Energieministerium und der PSUV politisch und finanziell unterstützt, erhielt 15.000 Stimmen (54%), die von einer trotzkistischen Organisation organisierte Liste revolutionäre Klassenströmung (C-Cura) 7.500 Stimmen (27%) Stimmen. Diese beiden Gruppen teilen sich in Zukunft 95% der Posten im Gewerkschaftsapparat der PDVSA.

Der nationale Wahlrat, der laut Verfassung auch die Gewerkschaftswahlen kontrolliert, hatte die Abstimmung mehrere Male verschoben. Er verzögerte damit Neuverhandlungen des bereits im Januar 2009 abgelaufenen Tarifvertrages. In der Betriebsleitung der PDVSA gab es die Befürchtung, die Gewerkschaft könnte zukünftig in die Hände von „Feinden der Revolution“ geraten.

Im bombastisch geführten Wahlkampf ging es weniger um Löhne oder Arbeitsbedingungen sondern um Wahlmodalitäten, Betrugsmanöver, Gewerkschaftskonkurrenz und ideologische Grundsatzfragen.

Die regierungstreuen Kräfte der VOS betonen, das Öl gehöre dem venezolanischen Volk und als revolutionäre Gewerkschafter folgten sie den Direktiven des Volkes und seiner Repräsentanten (Energieminister und Staatspräsident). Jeder Streik schade dem Volk, und mitten in der Krise könne es keine Lohnerhöhungen bei der PDVSA geben, so der Minister im April.

Trotzkisten und andere Linke innerhalb der PSUV behaupten, der Energieminister sei mit seiner Position nicht vom Präsidenten gedeckt, denn dieser stünde grundsätzlich „an der Seite der Arbeiter“. Chávez wiederum hatte in den vergangenen Monaten streikbereite Ölarbeiter als „Arbeiteraristokraten“ beschimpft, deren Sonderinteressen das sozialistische Gesamtprojekt in Gefahr brächten.

Die Trotzkisten von C-Cura außerhalb der PSUV arbeiten in einer „Bewegung für die Arbeitersolidarität“ zur Verteidigung der gewerkschaftlichen Autonomie u.a. mit früheren Funktionären des gelben Gewerkschaftsdachverband CTV zusammen. Sie fordern basisdemokratische Entscheidungsprozesse sowie das Recht auf Verhandlung der Tarifverträge und wollen die Gewerkschaftsbürokratie abschaffen, die sich auch im neuen Gewerkschaftsdachverband UNT ausbreite.

In der Vorstellung der bolivarianischen Revolution ist jede Art von eigenständiger Arbeiterorganisierung zumindest in Staatsbetrieben wie PDVSA überflüssig, denn der Betrieb ist per Definition bereits in den Händen der Arbeiter. Eine Ausnahme bilden Gewerkschaften, die sich vollständig den politischen Vorgaben von oben unterwerfen. Wer sich anders organisiert oder sogar zur falschen Zeit im falschen Betrieb streikt, kriegt es mit der Staatsmacht zu tun: der jüngste Fall ist die Zustimmung des Arbeitsministeriums zur Entlassung mehrere Gewerkschaftsaktivisten bei Mitsubishi.

Nach den Wahlen bei PDVSA verkündeten beide o.g. Listen einen „Sieg für die Arbeiterklasse“. Hinter diesem Wortgeklingel verbirgt sich ein grundsätzliches gemeinsames Problem verschiedener Seiten der „Revolution des 21. Jahrhunderts“: der Glaube an die Institutionen des bürgerlichen Staates (hier: Gewerkschaft), die nur mit dem richtigen Personal (bolivarianische Revolutionäre bzw trotzkistische Arbeiterkader) zu besetzen seien.

Jetzt schlägt die Stunde der Gewerkschaftsspezialisten, selbstverständlich immer zum Wohl der Arbeiterklasse, die sie repräsentieren.

Was in den Förderanlagen, den Raffinerien und anderen Arbeitsstellen der venezolanischen Ölindustrie täglich passiert, tritt in den Hintergrund.

a.

Anfang Oktober 2009

Zum Weiterlesen: In der Zeitschrift wildcat, Nummer 85, Herbst 2009 sind Artikel zu Antiimperialismus und sozialer Revolution erschienen, u.a. zum Iran, zu Nicaragua und Venezuela (www.wildcat-www.de )


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