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Updated: 18.12.2012 15:51
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Solidarität von unten

Wilfried Schwetz* über die Labor Notes Konferenz in Detroit

Die diesjährige Konferenz des US-Magazins »Labor Notes« unter dem Motto »Building solidarity from below« stand unter dem Eindruck zweier großer Themen: den aktuellen Immigrantenmärschen gegen die Kriminalisierung von papierlos in den USA arbeitenden Menschen und den aktuellen Firmen-Bankrotten, insb. von GM-Zulieferer Delphi, mit denen die Konzerne sich ihrer Tarifverträge und Pensionsverpflichtungen entledigen wollen. Der Konferenztitel war auch insofern programmatisch, weil damit ein Gegenmodell zur Krise - nicht nur - der US-Gewerkschaften propagiert wurde: eine demokratische, partizipative und basisorientierte Gewerkschaft, eine Gewerkschaft, die Macht am Arbeitsplatz (»power on the job«) organisiert als unverzichtbare Grundbedingung, um Apathie und Zynismus als Folge jahrelanger Niederlagen zu überwinden. Marsha Niemeijer von Labor Notes machte gleich in der Begrüßungsrede deutlich, was dies für die Gewerkschaftsarbeit bedeutet:

  • Nein zu Konzessionen,
  • Nein zur Kooperation von Gewerkschaften und Management,
  • strategisch angelegte Organisierung
  • und eine Vision von solidarischen Kämpfen.

Wie all dies zu erreichen und effektiver Widerstand gegen den globalen Angriff auf Arbeiterrechte zu organisieren ist, diskutierten gut 1000 Menschen vom 4.-7. Mai in Detroit, oder genauer: in Dearborn, der Ford-Stadt außerhalb der Stadtgrenzen Detroits, Schauplatz historischer Auseinandersetzungen um Tarifverträge in den 1930er Jahren.

Kampf gegen Einwanderungsgesetz - eine neue Massenbewegung?

Die Millionen ImmigrantInnen, die in den vergangenen Wochen in den gesamten USA auf die Straßen gegangen sind, um gegen die Verschärfung der Einwanderungsgesetze (>HR 4437<) zu protestieren, gelten als erste wirkliche Massenbewegung seit Jahrzehnten. Die Proteste begannen am 10. März 2006, als 300000 ImmigrantInnen Chicago lahm legten, und erreichten ihren vorläufigen Höhepunkt am 1. Mai, als eine Million Menschen ihren Arbeitsplätzen fernblieben und zu Massenprotesten im gesamten Land zusammen kamen. Seit undenklichen Zeiten wurde damit erstmalig wieder der 1. Mai als Kampftag der Arbeiter in den USA begangen.

Als umso bedauerlicher wurde bei der Konferenz die Tatsache vermerkt, dass Gewerkschaften bei den Märschen praktisch keine Rolle spielten, manche Redner bezeichneten es gar als Schande und politische Dummheit, die in dieser Auseinandersetzung liegenden Gemeinsamkeiten nicht zu sehen: den Kampf um Gerechtigkeit und Anerkennung als menschliche Wesen. Stattdessen gäben viele Gewerkschaftsmitglieder den ImmigrantInnen die Schuld an Lohnsenkungen, Arbeitskonkurrenz und Gewerkschaftszerstörung. Zitiert wurde u.a. eine Studie, nach der 60 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder glaubten, die Immigration sei verantwortlich für die Zerstörung gewerkschaftlich organisierter Jobs. Dies verweist nicht nur auf enorme Defizite in der ohnehin nur marginal entwickelten gewerkschaftlichen Bildungsarbeit, sondern auch darauf, dass die Ursachen der globalen Wanderungsbewegungen auch in den Gewerkschaftsführungen nicht verstanden werden (z.B. die verheerenden Auswirkungen der Freihandelszone NAFTA auf mexikanische Kleinbauern). RednerInnen von Immigrantenorganisationen wurden jedenfalls nicht müde, darauf hinzuweisen, dass sie nicht freiwillig Heim und Familie verlassen hätten. Ihre Forderung war daher vor allem eine Änderung der US-Außen- und Wirtschaftspolitik, die den Menschen in Lateinamerika ihre Subsistenzmittel raubt und sie in die Emigration zwingt. Emigration solle, so Lucas Benitez von der Coalition of Immokalee Workers, »eine Option sein, kein Zwang«.

Weitgehende Einigkeit herrschte in der Beurteilung des von den Senatoren McCain/Kennedy (u.a.) eingebrachte - und sowohl von einigen Gewerkschaften (SEIU; UNITE-HERE) als auch von wichtigen Unternehmerkreisen (»Essential Workers Immigration Coalition«, EWIC), unterstützten - Gesetzeskompromisses zur sog. »Legalisierung«. Das dort vorgesehene »Gastarbeiterprogramm« (guest worker program) für 300000 - 380000 ArbeiterInnen würde, so die KritikerInnen auf der Konferenz, auf eine dauerhafte Zweiteilung des US-Arbeitsmarktes hinauslaufen, obwohl es den »Gastarbeitern« in einigen Bereichen gleiche Rechte wie US-Arbeitern zugesteht, ein Verbot ihres Einsatzes als Streikbrecher oder Kontraktarbeiter beinhaltet und eine Tür zur dauerhaften Einwanderung öffnet. Denn Immigranten blieben in der schwächeren Position, wenn und solange Unternehmer ihre ganze Macht ausspielen (Verlust des Arbeitsplatzes und damit der Aufenthaltserlaubnis, Entzug der Unterstützung für die Green Card) und so die Immigranten an der effektiven Einforderung ihrer gesetzlichen Rechte hindern könnten. Zwar sei der Vorschlag von McCain/Kennedy noch das »Beste«, was derzeit auf dem Markt sei, doch - abgesehen von einigen weiterhin geltenden Benachteiligungen wie z.B. fehlendem Zugang zur Krankenversicherung - stelle insbesondere die Vorschrift, im Kündigungsfall innerhalb von 60 Tagen eine neue Stelle finden zu müssen, eine Steilvorlage für die Unternehmen dar: Es gibt den traditionell anti-gewerkschaftlich orientierten Unternehmen große Macht über die Beschäftigten: Wer widerspricht oder Gewerkschaften gründen will, fliegt raus, verliert seinen Aufenthaltsstatus, wird deportiert oder landet wieder in der Illegalität. Die theoretisch gleichen Rechte stehen daher nur auf dem Papier und können nicht wirklich durchgesetzt werden. Fazit: Das Gastarbeiterprogramm wird zur weiteren Erosion der Löhne führen und gewerkschaftliche Organisierungsprozesse massiv behindern.

Nur am Rande und in persönlichen Gesprächen wurden Konflikte innerhalb der US-Gesellschaft zu Fragen der Einwanderung diskutiert. So gibt es unter den Afro-AmerikanerInnen durchaus große Vorbehalte gegen die hispanische Einwanderung, da eine Verschärfung der Konkurrenz um Jobs befürchtet wird und man von der Gnadenlosigkeit des US-Kapitals bei der Ausbeutung der Arbeiter weiß.

Autoindustrie, Delphi-Bankrott und Soldiers of Solidarity

Das zweite herausragende Thema der Konferenz waren die aktuellen Bankrotte von US-Großfirmen, wobei der GM-Zulieferer Delphi nur das bekannteste Beispiel ist (u.a. geht es auch um Northwest Airlines). Bemerkenswert daran sind nicht die Bankrotte an sich, sondern das US-Spezifikum, dass Bankrotte genutzt werden können, um sich ganz legal und auf einfachem Wege der Tarifverträge, Pensionsverpflichtungen und Gewerkschaften zu entledigen. Bankrotte werden also z.T. bewusst herbeigeführt, um genau dies zu erreichen. Der Fall Delphi hat hier eine exemplarische Bedeutung: Es geht nicht nur um die angedrohten Lohnkürzungen um 60 Prozent (!) und das Einstampfen der Pensionen, Delphi steht vielmehr für eine neue Runde der Entrechtung und Enteignung der Lohnabhängigen.

Als Reaktion auf die offensichtlich wenig bis gar nicht kämpferische Haltung der Automobilgewerkschaft UAW ist eine spontane Basisbewegung aus der Delphi-Belegschaft entstanden - die »Soldiers of Solidarity (SoS)« [1] , die sich schnell verbreiterte und seitdem eine große Zahl von Protesten im ganzen Land organisiert hat. Auch SoS hat das Potential für eine neue, breite Protestbewegung. Gregg Shotwell, einer ihrer führenden Köpfe, brachte in einer bemerkenswerten, und nach US-Art mit Ovationen bedachten Rede zum Ausdruck, wofür SoS eintritt: »Es geht nicht nur um Delphi. Diese Auseinandersetzung ist ein Kampf um die Würde aller Arbeiter. Wenn es Delphi erlaubt wird, einerseits das Auslandsvermögen der Firma zu schützen und andererseits das Konkursgericht zu nutzen, um den Tarifvertrag zu brechen und die Verantwortung für die Renten der Pensionäre auf die Steuerzahler zu verschieben, werden alle Multis schnell folgen. Bankrott ist nicht nur der neueste Trend im Land des Kasinokapitalismus, es ist ein Plan zur Zerschlagung der Gewerkschaften«.

SoS kritisiert die UAW für ihre mangelnde Bereitschaft, den Kampf aufzunehmen, während sie zugleich eine enorme Bereitschaft zu Konzessionen zeige. In einem SoS-Treffen im Anschluss an die Labor Notes-Konferenz wurde Delphi als Modell für die Tarifverträge bezeichnet, die die UAW bereit sei, in Zukunft auszuhandeln: Aufgabe aller bisherigen Standards und massives Subcontracting mit dem Ziel, erstens GM profitabel zu machen und zweitens Delphi zu sanieren und attraktiv für Käufer zu machen. Andere Autofirmen wie Ford würden die Vorgänge um Delphi als Blaupause für die 2007 anstehenden Tarifverhandlungen sehen.

Ein ähnliches Bild der Zustände in der Automobilindustrie wurde in dem mit Vertretern aus Japan, Russland, Schweden, Belgien und Großbritannien international besetzten Treffen der Automobilarbeiter gezeichnet. In allen Ländern sind demnach Löhne und Arbeitsbedingungen unter Druck, Outsourcing, Subcontracting und prekäre Arbeit nehmen zu. Überall versuchten die Unternehmen den Belegschaften Konzessionen abzupressen, um - so die wiederkehrende Behauptung - bestimmte Produktionslinien zu er- oder behalten. Unwillkürlich fragte man sich, wohin dieser Irrsinn der fortwährenden Standardabsenkungen um (äußerst) kurzfristiger Konkurrenzvorteile und Extraprofite willen eigentlich führen soll, und warum die Gewerkschaften das mit sich machen lassen. Auch in diesem Treffen wurde die Ursache dafür in der engen Anlehnung der Gewerkschaften an das Management, ihrer Sozialpartnerschafts- und Co-Management-Orientierung gesehen.

Gewerkschaftsdemokratie, Konzessionen und work-to-rule

Die Frage von innergewerkschaftlicher Demokratie und Basisorientierung zog sich wie eine roter Faden durch die meisten der Konferenzworkshops. Bezogen auf Delphi, aber mit Blick auf die Gesamtsituation in den USA ordnete Gregg Shotwell die anstehende Aufgabe ein: »Das größte Hindernis ist nicht die Apathie der Arbeiter, sondern die Gewerkschaftsbürokratie. Wir bekämpfen nicht nur den Goliath der Konzernmacht, wir kämpfen ebenso gegen Goliaths hässliche Liebste, die Betriebsgewerkschaft.« In der Konzessionsbereitschaft (nicht nur der UAW) sah er den Hauptgrund für die Schwäche der Belegschaften: »Der UAW Kompromissausschuss (UAW Concession Caucus) dient vorsätzlich dazu, die Militanz der UAW Basis zu schwächen. Er beförderte Konkurrenz zwischen Arbeitern und Kooperation mit den Bossen. Er beförderte die Entfremdung von den Arbeitern in anderen Ländern und Partnerschaft mit der Firma. Anstatt internationale Solidarität zu fördern, förderten sie Zusammenarbeit mit den Bossen, und wir, die Arbeiter, sind die Verlierer«. Die Ziele der »Soldiers of Solidarity« bezeichnete er als langfristig, denn Delphi sei nur der Vorbote von dem, was bevorstehe auf dem »highway to Armageddon«.

Zentrales Element und Ausgangspunkt dieses Kampfes ist für Shotwell »work-to-rule«, was in diesem Fall durchaus etwas mehr meint als »Dienst nach Vorschrift«. Für ihn ist es vor allem eine Methode, den Arbeitsablauf, die Produktion zu kontrollieren, sie zu verlangsamen und dem Chef zu zeigen, »wer der Chef ist«. Work-to-rule nutzt das Wissen der Arbeiter, um die Arbeit zu stören und passiven Widerstand zu leisten. Dies kann äußerst wirkungsvoll sein, wie das Beispiel Transmedia in Deutschland gezeigt hat [2], und bewegt sich schon sehr nah an Formen der Nicht-Kooperation und des Boykotts. Work-to-rule soll Verhandlungen erzwingen oder einen Streik vorbereiten, vor allem aber sieht Shotwell es als eine Art >Beschwörung< der eigenen Stärke, weil es den Arbeitern bewusst machen könne, welche Macht sie in ihren Händen halten.

Dies sei die wirklich zentrale Aufgabe von work-to-rule in der gegenwärtigen Situation, denn obwohl die Arbeiter tagtäglich die Fabriken, Büros, Straßen, Häfen etc. »besetzt« hielten, »können wir keinen Generalstreik oder branchenweiten Streik organisieren, bevor die Arbeiter nicht aus eigener Erfahrung die Macht gemeinsamer Aktionen am Arbeitsplatz gemacht haben«. Damit dient work-to-rule der Wiederherstellung des Bewusstseins von Arbeitermacht. [3]

Workers Centers und Gewerkschaften

In dem Maße, wie die klassische fordistische Fabrik, der Großbetrieb mit seinen komplexen Produktions- und Arbeitsabläufen noch existiert - und er existiert zu einem großen Teil noch - scheint eine basisorientierte Gewerkschaftsarbeit und die Ausübung von Arbeitermacht prinzipiell leichter verwirklichbar als in den zersplitterten Strukturen der Dienstleistungsbranchen, in Schwitzbuden, unter prekären Selbstständigen, kurz: im informellen Sektor. Die Isolation und die Erfahrung der kompletten Austauschbarkeit machen eine Organisierung von Widerstand mit den bisherigen Mitteln schwierig bis unmöglich, wurden diese neuen Strukturen doch mit dem erklärten Ziel eingeführt, die Macht von ArbeiterInnen zu brechen. Aus dieser Notlage heraus wurde das Konzept der Workers Centers entwickelt, die mittlerweile einen festen Platz in der US-Arbeiterbewegung einnehmen. Konzeptionelle Überlegungen, praktische Beispiele und die Frage der Kooperation von WC mit Gewerkschaften nahmen daher einen breiten Raum auf der Konferenz ein.

Die vorgestellten Workers Centers arbeiten dort, wo Gewerkschaften nicht organisieren können oder wollen und bieten Arbeitern eine betriebsunabhängige Anlaufstelle sich zu treffen, auszutauschen und zu vernetzen. Der Stand der Arbeit war sehr unterschiedlich: Ging es in einigen Staaten vor allem darum, mit nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitern in Kontakt zu kommen (bei Organisationsgraden um fünf Prozent, wie in vielen Südstaaten) und ihnen eine Stimme zu geben, betreiben andere gewerkschaftsähnliche Organisierungsarbeit und machen Kampagnen zu den verschiedensten Themen. [4] Gemeinsam war allen, dass sie einen Schwerpunkt auf Information über Rechte und Bildung setzen, um die Menschen zu befähigen, sich zu organisieren oder gar selbst eine Gewerkschaft aufzubauen: WC als >Arbeiterermächtigungszentren< (Workers Empowerment Centers), wie eine Teilnehmerin formulierte.

Obwohl die Frage der »Streikfähigkeit« bzw. deren Entwicklung vereinzelt aufgeworfen wurde, betonten doch fast alle VertreterInnen von WC, dass die Arbeit mit den Menschen im Vordergrund stehe. Dies meint vor allem den Aufbau alternativer gesellschaftlicher Strukturen, ja von Überlebensstrukturen. In diesem Zusammenhang wurde von WC-MitarbeiterInnen aus den Südstaaten auch die Überwindung von Angst als vordringliches Ziel genannt, denn die meisten Arbeiter gerieten schon bei dem Begriff Gewerkschaft in Panik.

Ein workshop befasste sich speziell mit der Frage der Zusammenarbeit von WC und Gewerkschaften, die bislang nicht übermäßig ausgeprägt zu sein scheint. Während Leah Fried von der kleinen, unabhängigen Gewerkschaft United Electrical, Radio & Machine Workers of America (UE) von einer intensiven Zusammenarbeit mit dem WC in Chicago berichtete [5], steht die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften beim WC >make the road by walking [6]< aus New York noch am Anfang. Vereinzelt gebe es zwar Unterstützung bei ihren Bemühungen, Betriebe zu organisieren (v.a. im Einzelhandel), Oona Chatterjee sah jedoch großen Bedarf für eine engere Zusammenarbeit. Gewerkschaften verfügten über mehr Ressourcen und organisierte Machtstrukturen; durch gewerkschaftliche Unterstützung könnten WC an Stärke gewinnen, während sie zugleich umgekehrt zu einer bedeutenden Machtbasis für Gewerkschaften werden könnten, u.a. weil viele Immigranten aus Lateinamerika in ihren Herkunftsländern aktive Gewerkschafter gewesen und daher sehr engagiert und erfahren seien. Leah Fried wies zudem auf die Tatsache hin, dass viele Aktive aus den Workers Centers auch in den USA gewerkschaftlich aktiv seien. Im Rahmen der täglichen praktischen Arbeit gegen Ungerechtigkeiten am Arbeitsplatz stelle sich oft die Frage nach gewerkschaftlicher Organisierung bzw. der Erkämpfung eines Tarifvertrages - insofern liege eine Zusammenarbeit nahe.

Nicht nur die beiden Referentinnen betonten die völlige Gleichberechtigung als Grundvoraussetzung jedweder Zusammenarbeit, auch das Publikum sah dies so und war durchaus skeptisch bis misstrauisch gegenüber einer stärkeren Anbindung von WC an Gewerkschaften. Die Erfolge der WC hätten Gewerkschaften auf diese aufmerksam gemacht und ihr Interesse geweckt, allerdings, so wurde geargwöhnt, könne sich dieses Interesse durchaus auf die Gewinnung von neuen Mitgliedern (und Beiträgen) beschränken. Eine Eingliederung von WC in die Gewerkschaften wurde allgemein abgelehnt, die Gefahr, anschließend vergessen, gegängelt oder übernommen zu werden, wurde als zu hoch angesehen.

In der Schlussrunde dieser bemerkenswerten Konferenz gab es noch ein Glanzlicht, als Deborah Bourque von der Kanadischen Postarbeitergewerkschaft (CUPW) die »Operation Transparency« [7] vorstellte. Es handelt sich dabei um eine Kampagne gegen die Privatisierung und Zerschlagung der bislang noch staatlichen Post, die in dieser Form und mit diesem Maß an zivilem Ungehorsam als Gewerkschaftskampagne in Deutschland undenkbar scheint. Kurz gesagt geht es dabei um die Herausgabe von geheimen Strategiepapieren zur Zukunft der Post, weiterhin um ein Moratorium bei Filialschließungen und eine öffentliche Debatte zur Zukunft der Postdienste. Falls das Strategiepapier nicht herausgegeben werde, will man es, so der Plan, selbst suchen gehen: in Postfilialen, Briefzentren, Distriktverwaltungen und im Gebüsch um die Postzentrale, verbunden mit Besuchen bei Managern und Abteilungsleitern. Wenn dies nichts fruchtet, will die CUPW vier Wochen später mit Methoden des gewaltfreien Widerstandes versuchen, die Dokumente im Hauptquartier zu finden. Dafür sucht sie Menschen, die sich in unterschiedlichem Maße an den Aktionen beteiligen wollen - bis hin zu einer möglichen Festnahme (!) - und trainiert sie in gewaltfreiem Widerstand. Manager, die Zweifel am Kurs der Privatisierung hegen, werden aufgefordert, sich als whistleblower zu betätigen, anonyme Tipps zu geben oder gar Akten zugänglich zu machen.

Kein Thema auf der Konferenz war übrigens die Spaltung des AFL-CIO und die Gründung des Change to Win-Verbandes. Wer darüber diskutieren wolle, sei auf der falschen Veranstaltung, stellte Marsha Niemeijer bereits in ihrer Eröffnungsrede klar. Thema sollte die praktische Arbeit von Basisinitiativen sein und nicht die Gewerkschaftsbürokratie. Harry Kelber wies in seiner LaborTalk-Kolumne [8] darauf hin, dass kein einziger nationaler Vorstand beider Verbände sich veranlasst gesehen hatte, die Labor Notes-Konferenz zu besuchen, eine Grußbotschaft zu schicken oder gar auf der eigenen Homepage auf sie hinzuweisen.

Soweit von organizing die Rede war, ging es um rank and file-organizing, d.h. um den Aufbau einer aktiven Belegschaft (vergleichbar etwa Vertrauensleutestrukturen in Deutschland) bzw. einer demokratischen Gewerkschaft; zentralistischen top-down organizing-Strategien mit angeheuerten Organizern stand man allgemein ablehnend gegenüber. Die Teilnehmer der Labor Notes-Konferenz 2006 waren klar basisorientiert.

Um es mit den Worten Gregg Shotwells zu sagen: »We understand that real unionism springs from the bottom up, and dies from the top down«.

* Wilfried Schwetz, Labour Policies and Globalisation (M.A.) u. Diplom-Sozialwirt, lebt in Hannover und arbeitet zu den Themen Kampagnen, Boykotte und Gewerkschaftsrevitalisierung. Der Besuch der Labor Notes Konferenz wurde dankenswerterweise von der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt finanziell bezuschusst.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 5/06


(1) www.soldiersofsolidarity.com externer Link

(2) Huhn, Jens (2001): »Anders arbeiten - bei vollem Gehalt«, hbv Mannheim/Heidelberg

(3) Den Strategien des work-to-rule war ein eigener workshop gewidmet, und das Thema durchzieht auch die Beiträge des »Troublemakers Handbook 2«.

(4) Beispiel: www.fairwork.org externer Link

(5) z. B. mit dem Chicago Interfaith Workers' Rights Center, www.chicagointerfaith.org externer Link, ein kirchlich orientiertes WC, das Arbeiter bei der Bildung von Gewerkschaften und Tarifauseinandersetzungen unterstützt.

(6) www.maketheroad.org externer Link

(7) www.publicpostalservice.ca externer Link

(8) www.laboreducator.org/labornotes06.htm externer Link


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