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Updated: 18.12.2012 15:51
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Die Gefangenen von Gafsa sind frei!

"Einen positiven Aspekt, einen einzigen!, hat der Zirkus rund um die "Wiederwahl" von Tunesiens Präsident Zine ben Abidine Ben Ali (73) vom Sonntag, 25. Oktober nun doch noch gezeitigt.. Die Teilnehmer an der sozialen Revolte im Bergbaubecken von Gafsa im Frühjahr 2008, die hinter Gittern schmachteten, sind nun endlich freigelassen worden!" - so beginnt der aktuelle Beitrag "Politische Häftlinge aus der Revolte des Bergbaureviers von Gafsa begnadigt - Endlich frei!" von Bernard Schmid vom 6. November 2009.

Politische Häftlinge aus der Revolte des Bergbaureviers von Gafsa begnadigt - Endlich frei!

Einen positiven Aspekt, einen einzigen!, hat der Zirkus rund um die "Wiederwahl" von Tunesiens Präsident Zine ben Abidine Ben Ali (73) vom Sonntag, 25. Oktober nun doch noch gezeitigt.. Die Teilnehmer an der sozialen Revolte im Bergbaubecken von Gafsa im Frühjahr 2008, die hinter Gittern schmachteten, sind nun endlich freigelassen worden!

An diesem Mittwoch, 4. November 09, verkündete Präsident und Obergorilla Ben Ali einen "präsidialen Gnadenakt" für alle Gefängnisinsassen, die im Zusammenhang mit der sozialen Massenbewegung im Revier von Gafsa (meist im Juni 2008) inhaftiert worden waren. In diesem Zusammenhang waren 38 Personen abgeurteilt worden waren, der Strafprozess in erster Instanz hatte im Dezember 2008 und das Revisionsverfahren im Februar 2009 stattgefunden. (Labournet berichtete ausführlich, vgl. unsere spezielle Rubrik zur Revolte von Gafsa: http://www.labournet.de/internationales/tn/gafsa.html) Als "Rädelsführer" hatten die Hauptangeklagten Adnane Hajji und Baschir/Béschir Laabidi dabei zehn Jahre Haft in erster Instanz aufgebrummt bekommen. Als das Urteil in der Berufungsinstanz fiel, waren sie auf acht Jahre reduziert worden.

Aktuell scheint der Präsident, frühere Geheimdienstchef, Innenminister und "Oberbulle" Ben Ali einem gewissen politischen Druck ausgesetzt, der aus einem Legitimationsdefizit erwächst. Niemand glaubt an die "Wahl"farce, bei der Mafiosi-Chef Ben Ali angeblich oder tatsächlich knapp 90 Prozent der Stimmen einsammelte - ob angeblich oder tatsächlich, spielt keine Rolle, denn wer nicht Ben Ali ist, ging ohnehin nicht wählen. (Die reale Wahlbeteiligung dürfte lt. Beobachter/inne/n wohl unter 20 % gelegen haben, ihre offizielle Zahl lag bei 89,4 %, ungefähr genau so hoch wie das angebliche "Wahl"ergebnis. Vgl.: http://www.tunisiesoir.com/politique/261009-resultats-recapitulatifs-de-la-presidentielle-de-2009.html ) Und die Verhaftung von drei Journalisten innerhalb der ersten Woche nach erfolgter "Wiederwahl", darunter die spektakuläre Festnahme des bekannten regimekritischen Autors Taoufik Ben Brik - eines der wenigen, der sich trotz bleierner Atmosphäre unter der tunesischen Diktatur mutig und offen zu Wort meldet - hat den Ruf des Polizeistaats im Ausland in den letzten Tagen vollends ramponiert. (Vgl. dazu im Labournet: http://www.labournet.de/internationales/tn/wahl09.html)

Es ging Ben Ali also wohl vor allem darum, "Ballast" abzuwerfen, als er nun seinen "Gnadenakt" aussprach. Dennoch, und trotz aller Hintergedanken, bleibt dieser in der Sache positiv: Endlich, endlich sind die politischen Häftlinge aus der Gafsa-Revolte, die noch immer in zweistelliger Zahl hinter Gittern saßen und zumindest vor ihrem Prozess gefoltert worden waren, nun frei.

In einer ersten Stellungnahme vom Donnerstag, o5. November begrüßt das "Komitee für Grund- und Menschenrechte in Tunesien" (CRLDH Tunisie/CRLDHT) denn auch - von Paris aus - diese Freilassungen. Es fügt jedoch hinzu, die Haftentlassenen müssten nun auch angemessen entschädigt werden. Die in Abwesenheit ergangenen Urteile gegen die, im Ausland lebenden, Tunesier Fahem Boukeddous und Mohieddine Chebib (Gründungsmitglied des CRLDHT und Vorsitzender der in Paris ansässigen "Vereinigung der Tunesier für Bürgerrechte auf beiden Ufern des Mittelmeers" FTCR) - gegen die aufgrund ihrer Unterstützung der Gafsa-Revolte zwei Jahre Haft ausgesprochen wurden - müssten unverzüglich aufgehoben werden. Die Todesfälle von Hafnaoui Maghzaoui, Hichem Benjeddou und Abdelhalek Maidi, die im Zusammenhang mit der Revolte im Bergbaurevier von Gafsa durch die "Sicherheitskräfte" getötet worden waren, müssten durch eine unabhängige "Wahrheitskommission" untersucht werden.

Die soziale Massenbewegung im Phosphat-Abbaugebiet von Gafsa hatte im vergangenen Jahr, zusammen mit der Revolte in der marokkanischen Hafenstadt Sidi Ifni (die ihren Höhepunkt ebenfalls im Juni 2008 erreichte), einen Zyklus neuer sozialer Massenkämpfe im Maghreb eröffnet. Aktuell sind es in Marokko ebenfalls die Lohnabhängigen im Phosphat-Bergbau und ihr soziales Umfeld, die das dortige monarchische Regime in Atem halten (Labournet berichtete am 18. und 30. Oktober o9 darüber). Die Revolte von Sidi Ifni im vorigen Jahr - Labournet berichtete ebenfalls ausführlich - führte ihrerseits zu Strafprozessen, die im April 2009 in Urteilen von anderthalb Jahren Haft gegen die "Rädelsführer" gipfelten. (Vgl. im Labournet: http://www.labournet.de/internationales/ma/sidiifniprozess.html )

Im Unterschied zu Tunesien, und der Reaktion des dortigen Regimes auf die Revolte im Gafsa-Becken, blieb die Repression in diesem Falle jedoch "dosierter": Aufgrund der bereits abgesessenen Untersuchungshaft war ein Großteil der jeweils verhängten (Höchst-)Strafen bereits verbüßt, und die Angeklagten kamen jeweils nach relativ kurzer Zeit wieder frei. Einerseits hatte in diesem Falle der Druck der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der Sidi Ifni-Revolte und den Prozessen wohl das Schlimmste verhindern können, andererseits zeigte sich auch das marokkanische Regime nicht ganz so karikaturhaft "durchgeknallt" wie das tunesische.

Artikel von Bernard Schmid vom 06.11.2009


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