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Updated: 18.12.2012 15:51
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Abschiebungen aus Frankreich? Bewegung sogar in der UGTT

In der zweiten Fortsetzung seiner Berichterstattung über den Massenprozeß von Gafsa und seine Folgerungen "Massenprozess in Gafsa, Risiko von Abschiebungen aus Frankreich nach Gafsa" vom 19. Dezember 2008 behandelt Bernard Schmid die aktuelle Problematik drohender Abschiebungen und die Erklärung von fünf Einzelgewerkschaften des UGTT-Verbandes, die gegen den Prozeß Stellung nehmen - vielleicht ein Lebenszeichen aus einer der am meisten erstarrten Gewerkschaftsformationen rund ums Mittelmeer.

Risiko von Abschiebungen aus Frankreich nach Gafsa

(FORTSETZUNG) 

Hafnaoui Chraiti ist vorläufig in Sicherheit. Vorläufig. Der 31jährige, der seit 1999 im westfranzösischen Nantes lebte, sollte am Dienstag oder Mittwoch Vormittag dieser Woche in die tunesische Region Gafsa (circa 350 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Tunis) abgeschoben werden. Dies hätte eine erhebliche Gefahr für ihn beinhaltet: Chraiti war Mitglied des Solidaritätskollektivs für die sozialen Kämpfe im Bergbaubecken von Gafsa, das in Nantes ansässig ist und im ganzen ersten Halbjahr 2008 - während der Massenproteste in der Region, deren "Epizentrum" in der Stadt Redeyef lag - besonders aktiv war. Ein Großteil der tunesischen Community in Nantes stammt aus der Region Gafsa und insbesondere aus Redeyef. In den 60er Jahre hatte eine Baufirma von dort per Bus Arbeitsmigranten kommen lassen, um mit ihnen Hochhäuser in der westfranzösischen Großstadt zu errichten.

Ein Cousin - nicht, wie zunächst vermeldet, einer der Brüder - des "Abschiebekandidaten" Hafnaoui Chraiti war jüngst in Gafsa aufgrund seiner Teilnahme an dem sozialen Protest im Frühjahr 2008 verurteilt worden. Er zählt zu den Abgeurteilten im Massenprozess vom 11. Dezember dieses Jahres: Es handelt sich um Ghanem Chraiti (der Name wird auch als "Chriti" aus dem Arabischen transkribiert), der an jenem Tag zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde, als einer der angeblichen "Rädelsführer".

Am Mittwoch kursierten zunächst widersprüchliche Informationen über den Verbleib von Hafnaoui Chraiti, der am Vortag von den örtlichen Behörden in einen Zug von Nantes nach Paris gesetzt worden war. Gerüchte behaupteten, der junge Mann habe sich durch Flucht der drohenden Abschiebung entziehen können und halte sich versteckt, was sich jedoch als unwahr herausstellte. Im Laufe des Mittwoch klärte sich die Situation dann auf: An jenem Dienstag war Chraiti zunächst in die Abschiebehaftanstalt im nordwestfranzösischen Rennes transportiert worden. Dort hatte es einen Versuch zu seiner Abschiebung gegeben, der aber mit der nachdrücklichen Weigerung des jungen Tunesiers, an Bord zu gehen (,Refus d'embarquement'), scheiterte. Daraufhin wurde Chraiti von behördlicher Seite suggeriert, er möge doch einen Asylantrag stellen. Es wurde ihm souffliert, dieser werde auch "großzügig" bearbeitet, obwohl er ihn außerhalb der dafür vorgesehenen Fristen (maximal fünf Tage nach Erlass einer Abschiebeverfügung) stelle. Dies tat Chraiti denn auch. Der Asylantrag wird nun bearbeitet werden, allerdings in einem Eilverfahren. Es bleibt zu hoffen, dass dies im Falle eines negativen Bescheids genügend lange dauert - oder aber mit einem positiven Bescheid für Hafnaoui Chriati endet -, um ihn zu "retten". In der Tat beträgt die zulässige Höchstdauer der "Verwahrung" in einer Abschiebehaftanstalt in Frankreich 32 Tage (in Deutschland, das an dem Punkt EU-weit einer der übelsten Gesetzeslagen aufweist, bis zu achtzehn Monate). Und ist der junge Tunesier erst einmal wieder draußen, so ist er in Bälde in rechtlicher Sicherheit: Im kommenden Monat kommt sein Kind auf die Welt, das (aufgrund der französischen Nationalität der Mutter) die französische Staatsbürgerschaft haben wird. Damit hat Chraiti dann einen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel, sofern er sich um das Kind auch nachweislich kümmert. Bislang weigerte sich die Ausländerbehörde von Nantes, diesen "künftigen Tatbestand" auch (kurz) vor der Geburt des Kindes zu berücksichtigen.

Bereits am 2. Dezember dieses Jahres war eine Abschiebung aus dem westfranzösischen Nantes nach Redeyef/Gafsa erfolgt. Sie betraf Brahim Benamor. Bislang verfügt die in Nantes lebende Familie keine Neuigkeit darüber, wie es ihm nach seiner Zwangs-Rückkehr auf tunesischem Boden erging. Ein Großteil der in Nantes lebenden Community aus der Region - ohne zuvor in Parteien oder Gewerkschaften organisiert gewesen zu sein -hatte sich im ersten Halbjahr 2008 aktiv mit den sozialen Protesten im Bergbaubecken von Gafsa solidarisiert.

Ein jugendlicher Tunesier, der in Nantes lebt, Ess'ghaler Belkiri, war während seines Urlaubs im Herkunftsland im Hochsommer 2008 gleich bei seiner Ankunft durch die tunesischen Behörden festgenommen worden. Letztere hielten ihn einen Monat und elf Tage lang fest, misshandelten und verhörten ihn. Seine Familie blieb Wochen hindurch ohne Neuigkeiten über seinen Verbleib. Ess'ghaler Belkiri hatte an einer Hochzeit in der Region Gafsa teilnehmen wollen. Die Behörden interessierten sich zu seinen angeblichen Verbindungen zu den "subversiven Kräften" im Raum Gafsa..

Der bürokratische Apparat des tunesischen Einheits-Gewerkschaftsverbands - der UGTT (Union générale des travailleurs tunisiens, Allgemeine Union der tunesischen Werktätigen) - und ihre mit dem Staatsapparat verbandelte Spitze verhielten sich ausgesprochen unsolidarisch mit ihren eigenen Mitgliedern, die in Gafsa die Proteste (mit) anführten und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden.

Nun ist jedoch Bewegung in die UGTT gekommen. Fünf Branchengewerkschaften des Dachverbands haben eine gemeinsame Erklärung zuM Thema herausgegeben: Die UGTT-Branchengewerkschaft der Post & Telekommunikation; der Lehrer/innen des Grundschulwesens; der Sekundarstufe; jene des Hochschulwesens; und jene des öffentlichen Gesundheitswesens (also der Krankenhäusern) sowie der Apotheken. In ihrer gemeinsamen Erklärung heißt es u.a.: "Während die Welt den 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 11. Dezember 1948 beging, fand in Gafsa gleichzeitig eine Justizparodie statt, um 38 Bürger zu verurteilen, soziale Aktivisten des Bergbaubeckens. Tatsächlich hat diese Prozessparodie von justice (Justiz/Gerechtigkeit) nur den Namen, da den Angeklagten keinerlei Garantie ihres Rechts auf Verteidigung zugestanden wurde. (...) Die unterzeichnenden Gewerkschaften sind der Auffassung, dass dieser unfaire Prozess zu den schreienden und unzähligen Verletzungen des Rechts auf gewerkschaftliche Betätigung zählt. Sie bekräftigen ihre Weigerung, sich mit diesem Prozess und den Urteilen abzufinden, und verurteilen, einmal mehr, den Beschluss der Regierung, (die sozialen Probleme des Bergbaubeckens nur als ,Sicherheitsproblem' zu behandeln). (...) Sie bekräftigen den Aufruf an die Behörden, alle Gefangenen freizulassen, die laufenden Prozesse einzustellen und mit Dringlichkeit die Arbeitslosigkeit und die sonstigen sozialen Probleme im Bergbaubecken und in den anderen vernachlässigten Regionen anzugehen. Sie rufen alle Gewerkschaftsmitglieder und ihre Organisation UGTT dazu auf, aktiv zu werden, um die manifeste Ungerechtigkeit in Gestalt dieses Prozesses zu bekämpfen, und um die gewerkschaftliche Position der Unterstützung der sozialen Kämpfe im Bergbaubecken für die Durchsetzung ihrer legitimen Forderungen zu bekräftigen." Stoff für mächtigen Zoff innerhalb der UGTT..

Bernard Schmid, 19. Dezember 2008


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