Home >Internationales > Russland > Arbeitskämpfe > awtowas
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Repression nach dem Streik bei dem russischen Automobilgiganten AwtoWAS - Aufruf des Gewerkschaftskomitees von «Jedinstwo» bei AwtoWAS an die sozialen Bewegungen und Gewerkschaften

"Der Lohn der Beschäftigten von AwtoWAS verliert immer mehr an Kaufkraft. (.) Aus der Enttäuschung heraus, dass sie nie eine Lohnerhöhung bekamen, haben sich die Beschäftigten bei dem Automobilgiganten AwtoWAS für einen Streik entschieden. (.) Der Arbeitgeber ließ sich nicht auf Verhandlungen ein. Schlimmer noch, unter Verletzung des Arbeitsgesetzbuchs (Art. 414), in dem Disziplinarmaßnahmen gegen Streikende verboten sind, ließ der Arbeitgeber (bislang) 170 Beschäftigten Benachrichtigungen über Sanktionen zukommen, zwei wurden entlassen. Wir, das Gewerkschaftskomitee von Jedinstwo, wenden uns mit der Bitte um Unterstützung für die Arbeiter, die Opfer der Unternehmerwillkür sind, an alle sozialen Bewegungen und Gewerkschaften. (.) Wir bitten Sie, an die Adresse des Vorstands von AwtoWAS Protestschreiben zu senden. Wir bitten Sie weiter, soweit möglich auf das Bankkonto der Gewerkschaft Jedinstwo zu spenden. Wir garantieren, dass dieses Geld in voller Höhe an die illegal und ungerecht von den Repressalien betroffenen Arbeitern weitergeleitet wird." Artikel von Carine Clément, Moskau, vom 22.8.07 sowie Aufruf zu Protesten und Spenden in der Übersetzung von Wilfried Dubois


Aufruf des Gewerkschaftskomitees von «Jedinstwo» bei AwtoWAS an die sozialen Bewegungen und Gewerkschaften

Liebe Kollegen und Kolleginnen!

Der Lohn der Beschäftigten von AwtoWAS verliert immer mehr an Kaufkraft. Bei den letzten Regionalwahlen lautete eine der Losungen der regierenden Partei "Einiges Russland": "Ein Lohn in der Höhe von 25 000 Rubeln - das ist möglich!" An der Spitze der Liste dieser Partei standen die wichtigsten Leiter des Werks AwtoWAS.

Als sie gewählt waren, vergaßen die Abgeordneten von "Einiges Russland" ihr Versprechen.

Aus der Enttäuschung heraus, dass sie nie eine Lohnerhöhung bekamen, haben sich die Beschäftigten bei dem Automobilgiganten AwtoWAS für einen Streik entschieden. Um ihre Menschenwürde zu verteidigen, richteten vor allem Beschäftigte von zwei Abteilungen (mechanische Montage und Karosserie) im Juli 2007 ihre Forderungen in Bezug auf die Einhaltung des Wahlversprechens 25 000 Rubel Lohn an die Firmenleitung. Eine Antwort haben sie nie bekommen.

Am 1. August haben die Beschäftigten in den Abteilungen 46-1, 45-2, MOTOR-3 und einige andere gestreikt, um ihre Forderungen durchzusetzen. Das wichtigste Montageband ist vier Stunden lang leer gelaufen. I. Iwanow, der Vertreter der Werksleitung, kam vor Ort und versprach, der Präsident der Unternehmensgruppe AwtoWAS werde bald nach Togliatti kommen und es würden Verhandlungen mit den Vertretern der Streikenden aufgenommen. Es wurde außerdem versprochen, es werde keine repressiven Maßnahmen gegen die Streikenden geben.

Die Beschäftigten haben den Versprechen geglaubt und den Streik eingestellt, in Erwartung des Beginns von Verhandlungen über eine Lohnerhöhung.

Die Versprechen erwiesen sich einmal mehr als verlogen.

Der Arbeitgeber ließ sich nicht auf Verhandlungen ein. Schlimmer noch, unter Verletzung des Arbeitsgesetzbuchs (Art. 414), in dem Disziplinarmaßnahmen gegen Streikende verboten sind, ließ der Arbeitgeber (bislang) 170 Beschäftigten Benachrichtigungen über Sanktionen zukommen, zwei wurden entlassen.

Wir, das Gewerkschaftskomitee von Jedinstwo, wenden uns mit der Bitte um Unterstützung für die Arbeiter, die Opfer der Unternehmerwillkür sind, an alle sozialen Bewegungen und Gewerkschaften. Die neue Firmenleitung von AwtoWAS erklärte, sie werde professionell handeln und trete für die Einhaltung von Gesetz und Ordnung in den russischen Unternehmen ein. Anstelle von Gesetz und Ordnung hat der Vorstand jedoch seine Inkompetenz und seine Gier nach mühelosem Einkommen unter Beweis gestellt. Sie haben sich massenhaft Luxusgeländewagen gekauft und in Moskau eine Handelsfirma gegründet, in der die Gehälter des Personals ein Vielfaches der Löhne der Arbeiter in der Fabrik betragen. Die Inkompetenz bei der Leitung der Fabrik hat zu massenhaftem Ausscheiden aus der Fabrik, zum Rückgang der Produktion, zur Einstellung der Sozialprogramme für die Arbeiter und infolgedessen zu deren Verarmung geführt.

Eine Solidaritäts- und Protestkampagne der russischen und der internationalen Öffentlichkeit wird zur Beendigung der illegalen Maßregelungen von Menschen führen, die mit harter Arbeit ihr Brot verdienen und ihre Familie ernähren.

Wir bitten Sie, an die Adresse des Vorstands von AwtoWAS Protestschreiben zu senden.

Wir bitten Sie weiter, soweit möglich auf das Bankkonto der Gewerkschaft Jedinstwo zu spenden. Wir garantieren, dass dieses Geld in voller Höhe an die illegal und ungerecht von den Repressalien betroffenen Arbeitern weitergeleitet wird.

Vielen Dank im voraus!

Gewerkschaftskomitee von "Jedinstwo"


Repression nach dem Streik bei dem russischen Automobilgiganten AwtoWAS

Von Carine Clément, Moskau

Der Streik der Arbeiter am wichtigsten Montageband des Automobilkonzerns AwtoWAS (der die Autos der Marke Lada fertigt) in der Region Samara [1] schlug ein wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Niemand erwartete so etwas, da in dieser Fabrik die traditionelle Gewerkschaft vorherrscht, die gegen jede Form von frontaler Gegnerschaft zur Firmenleitung feindlich eingestellt ist. Und dennoch.

Die Wut nahm schon seit längerem zu, die Arbeiter waren mit der Höhe ihrer Löhne ausgesprochen unzufrieden, aufgrund der Inflation hat die Kaufkraft seit 1994 abgenommen. Ein einfacher Arbeiter verdient gerade einmal etwa 7000 Rubel (200 Euro) im Monat. Infolgedessen verlassen zahlreiche Arbeiter das Werk. Von denen, die geblieben sind, fanden einige den Mut, einen kollektiven Kampf für höhere Löhne aufzunehmen. Dafür wurde im Juni 2007 ein Streikkomitee gebildet. Es übergab der Werksleitung eine Liste mit Forderungen, darin stand die Lohnerhöhung an erster Stelle. Nachdem die Werksleitung nicht reagierte, weder auf die Forderungen (die von einer großen Zahl von Arbeitern gemeinsam unterschrieben worden waren), noch auf den damit einhergehenden Bummelstreik, wurde der Beschluss gefasst, in Streik zu treten. Der Termin wurde eine Woche vorher bekannt gemacht: der 1. August.

Niemand glaubte, dass es dazu kommen würde, da es in dem Werk über 100 000 Beschäftigte gibt, die wenig organisiert sind und aus Trägheit Mitglieder der alten Gewerkschaft geblieben sind, der Föderation der Unabhängigen Gewerkschaften Russlands (FNPR), und die ist für ihre Loyalität gegenüber den Unternehmern bekannt. Hinzuzufügen ist, dass das neue Arbeitsgesetzbuch vorschreibt, dass mindestens die Hälfte der Beschäftigten in einer Vollversammlung mehrheitlich beschließen muss, in Streik zu treten. Anderenfalls wird ein Streik für illegal erklärt, und den Arbeitern droht die Entlassung. Zudem tat die Geschäftsleitung in den Tagen vor dem Streik alles, um die widerspenstigen Arbeiter abzuschrecken: Es gab Drohungen, die von den Abteilungsleitern und den Vorarbeitern verbreitet wurden, Vorladungen der "Rädelsführer" zu geharnischten Gesprächen, Anrufe bei der Polizei, in denen es hieß, es gebe in dem Werk "extremistische Umtriebe". So ist Anton Wetschkunin, einer der kämpferischen Arbeiter, einige Tage vor dem Streik von den Ordnungskräften an seinem Arbeitsplatz verhaftet worden. Das Motiv, das genannt wurde, lautete: Verbreitung von Flugblätter mit extremistischem Inhalt.

Trotzdem wurde das Montageband am 1. August wie geplant von 10.45 bis 16.00 Uhr angehalten. Vor dem Werkstor fand eine Versammlung statt, bei der die Streikenden sagen und tanzten, voller Freude darüber, dass sie den Mut für ihre Aktion aufgebracht hatten. Etwa 2000 Arbeiter beteiligten sich an dem Streik. Um drohender Repression zu begegnen, wurde kollektiv beschlossen, aus der Arbeitsniederlegung einen Warnstreik zu machen und die Arbeit mit Beginn der zweiten Schicht wieder aufzunehmen. Doch fand dieser einige Stunden dauernde Streik viel Beachtung. Alle Medien sprachen davon, und es gab öffentliche Diskussionen über die Berechtigung des Streiks. Dabei wurde eine breite Unterstützung für die Streikenden in der öffentlichen Meinung deutlich.

Hilfreich war unter anderem die alternative Gewerkschaft Jedinstwo (Einheit), die in der Fabrik nur eine kleine Minderheit organisiert, doch sehr aktiv ist. Zu nennen sind auch die Solidaritätsaktivitäten, die Netzwerke von politischen und GewerkschaftsaktivistInnen in mehreren russischen Städten organisiert haben (unter anderem in Moskau, wo einige festgenommen und wegen "nicht genehmigter Betätigung" zu mehreren Tagen Gefängnis verurteilt wurden). Weiter ist von Belang, dass der Streik die eigene Initiative von Arbeitern im wesentlichen aus drei Abteilungen gewesen ist, die alle mit der Montage zu tun und eine zentrale Bedeutung für den Ablauf der Produktion haben.

Während die öffentliche Meinung positiv reagierte, lässt sich das von der traditionellen Gewerkschaft und deren Führung durchaus nicht sagen. Diese hat sich völlig entsolidarisiert, der Sprecher der Leitung der "offiziellen" Gewerkschaft hat die Aktion öffentlich als eine Provokation von Extremisten hingestellt. Die Werksleitung entschied sich dafür, die Tatsachen zu leugnen, sie gab Erklärungen heraus, wonach nichts gewesen sei. Trotz des Versprechens, Verhandlungen mit Pjotr Solotarew, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft Jedinstwo, als dem Repräsentanten der Arbeiter aufzunehmen, hat es zwei Wochen nach dem Streik noch nicht einmal einen Anfang gegeben. Schlimmer ist, dass repressive Maßnahmen eingesetzt haben.

Repression

Eine Woche nach dem Streik fing es an, dass die Arbeiter, die an dem fünfstündigen Streik teilgenommen hatten, Verwarnungen wegen Arbeitsverweigerung ohne legitimen Grund, Abzüge und andere Disziplinarstrafen erhielten. Bis zum 16. August waren 170 Arbeiter von diesen Repressalien betroffen. Zwei Arbeiter, einer davon Mitglied der alternativen Gewerkschaft Jedinstwo, haben eine Benachrichtigung über ihre Entlassung bekommen. Und die repressiven Maßnahmen gehen weiter.

Das Gewerkschaftskomitee von Jedinstwo bereitet einen juristischen Kampf zur Verteidigung derer vor, die sich an dem Streik beteiligt haben. Es wehrt sich gegen die Entlassung von Anton Wetschkunin, dem Sprecher von Jedinstwo, der von daher besser geschützt ist. Dagegen hat die traditionelle Gewerkschaft FNPR der Entlassung von Alexej Winogradow, des zweiten betroffenen Arbeiters, zugestimmt - er ist also Opfer des Verrats seiner eigenen Gewerkschaft.

Die freie Gewerkschaft Jedinstwo hat sich dazu verpflichtet, alle von den Maßnahmen betroffenen Arbeiter, unabhängig von ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit, zu verteidigen; aber die Aufgabe ist gigantisch und geht weit über die organisatorischen und materiellen Mittel dieser kleinen Gewerkschaft hinaus (in ihr sind maximal 700 von insgesamt 100 000 Beschäftigten organisiert). Sie braucht also Hilfe, auch um die materiellen Verluste der Streikenden ausgleichen zu können.

Es geht um viel. Es geht darum, die Arbeitenden in diesem Werk und der öffentlichen Meinung weit darüber hinaus zu zeigen:

  1. dass Gewerkschaften von den Unternehmern unabhängige kampfbereite Verbände sein müssen und sein können;
  2. dass ein Streik möglich ist, dass dies ein unverletzliches Recht ist;
  3. dass Solidarität im Land und auf internationaler Ebene etwas Wertvolles ist, das dazu beitragen kann, dass Kämpfe gewonnen werden.

In Russland selber hat bereits eine Solidaritätskampagne begonnen. Ich schließe mich den KollegInnen von der Gewerkschaft Jedinstwo mit der Bitte an, sich auf die eine oder andere Weise zu beteiligen.

Die Verfasserin ist eine französische Soziologin, die in Moskau lebt; sie leitet das Institut für Kollektive Aktion (IKD) in Moskau.

22. August 2007


Kontakt:

Pjotr Solotarew, Vorsitzender des Gewerkschaftskomitees von Jedinstwo
Fax 00 7 8482 / 53 41 48
E-Mail: profedinstvo@yandex.ru
Oder Carine Clément: info@ikd.ru

Adressen für Protestschreiben:

445633 Region Samara, Togliatti, Chaussee Jushnoi, 36, OAO «AVTOVAZ»
Herrn W. W. Artjakow, Präsident von AwtoWAS
in Togliatti: Fax 00 7 8482 / 75 72 74, Tel. 00 7 8482 / 73 82 21
in Moskau: Fax 00 7 495 / 970 11 02, Tel. 00 7 495 / 970 11 00

Finanzielle Unterstützung:

Die Gewerkschaft Jedinstwo hat kein Bankkonto für Devisen, und in Anbetracht der neuen russischen Gesetzgebung empfiehlt es sich nicht, ihr Geld aus dem Ausland zu schicken. Nach Absprache mit Pjotr Solotarew stelle ich [Carine Clément] mein französisches Bankkonto für Spenden zugunsten der Aktivitäten von Jedinstwo zur Verfügung. Bitte nehmen Sie über die Adresse info@ikd.ru (Stichwort: "AVTOVAZ") mit mir Kontakt auf [Englisch, französisch oder russisch schreiben].

Alternativ leitet das LabourNet Germany gerne gesammelte Spenden an die obige Kontoverbindung weiter:
labournet.de e.V.
Postbank Dortmund
BLZ: 44010046
Kto.-Nr.: 263 526 467
IBAN: DE92440100460263526467
BIC: PBNKDEFF
Bitte unbedingt angeben: Stichwort "Awtowas"


Anmerkungen:

1) Die Aktiengesellschaft AwtoWAS (oder AvtoVaz, auf dt. "Wolga-Automobil-Werk") ist der größte Hersteller von Personenkraftwagen in Russland und Osteuropa. Das Werk befindet sich in der Stadt Togliatti (oder Toljatti) in der Oblast Samara. Die Stadt hieß ursprünglich Stawropol an der Wolga und wurde 1964 nach Palmiro Togliatti benannt; ihre wirtschaftliche Bedeutung nahm mit dem Bau von AwtoWAS ab 1966 zu. (Anm. d. Übers.)

Der Originaltext: Répression après la grève au géant automobile russe Avtovaz externer Link

Siehe auch Carine Cléments Bericht vom 18. August 2007 externer Link ("Série de grèves en Russie")


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang