Bauern und Universitäten im Streik
"Seit Tagen blockieren Kleinbauern im Süden Paraguays den Verkehr auf den größten Zufahrtsstraßen in die Hauptstadt Asunción. Mit den jeweils mehrstündigen Aktionen protestieren sie gegen ausgebliebene Entschädigungszahlungen von 250 US-Dollar pro Familie(...) Zugleich traten 41.000 Studierende und Dozenten der Nationalen Universität in Asunción, einschließlich der Universitätsklinik, in den Streik, da ihnen vom Finanzministerium die staatlichen Zuschüsse gestrichen wurden" - aus "Massenproteste und Streiks in Paraguay" von Irina Poprawa am 28. Oktober 2012 bei amerika21.de
Sprengkraft unterschätzt?
Die Putschregierung in Paraguay ist weit davon entfernt, sich stabilisieren zu können (und die sie tragenden Altparteien haben bereits angekündigt ihr reaktionäres Zweckbündnis zu den kommenden Wahlen im April 2013 aufzukündigen): International isoliert (ausser den üblichen Putschfreunden aus USA und der EU) sehen sich Franco und Konsorten stetig wachsenden Protesten gegenüber. So gab es am Donnerstag zur selben Zeit Proteste von indigenen Gruppen, LehrerInnen und Landlosen, die zu einer grossen gemeinsamen Demonstration führten, wird in dem Bericht (von Prensa Latina) "Indígenas y docentes coinciden en protestas en calles de Asunción" vom 11. Oktober 2012 auf der Koordinationsseite "Paraguay resiste!" unterstrichen.
Siehe dazu auch: "Comunicado del SINATRASEN" ebenfalls am 11. Oktober 2012 bei PyR, worin diese Gewerkschaft (Sindicato Autentico de Trabajadores de la Secretaria de Emergencia Nacional, Gewerkschaft der Notstandsbehörde, etwa für Hungeraktionen oder Katastrophenhilfe zuständige Behörde) erklärt, der zuständige Minister Valdez müsse sofort damit aufhören, willkürlich zu entlassen und ebenso willkürlich neue Verantwortliche ohne Kompetenz zu ernennen - eine eher konservativ orientierte Gewerkschaft, die sich nunmehr ebenfalls deutlich von dieser Regierung absetzt...
Narcos aller Art: Der Präsident werden will...
Früher, wenn irgendein Volk dieser Welt unter entsprechenden, seltenen, Umständen einen nicht genehmen Kandidaten wählte, war das Militär zuständig. Ein paar Jahre Diktatur, um die Demokratie nach Gutsherrenart vorzubereiten. Diese Herrschaften liessen ihre Morde in der Regel in Kellern oder im Morgengrauen begehen, seriöses Bürgertum eben. Heute, da immer mehr Kriege zur Einführung der Demokratie für die Überlebenden geführt werden, muss man Demokraten präsentieren. Nach dem Putsch gegen Präsident Lugo wird nun, für die Wahl 2013 derjenige Multimillionär als Kandidat der Colorados gehandelt, der die jeweils letzten Wahlkampagnen des jeweils konservativsten Kandidaten finanziert hatte: Der ehrenwerte Herr Horacio Cartes. Der da folgende demokratische Eigenschaften aufweist: Ein Mann des Volkes - seine Tabakfabrik in der Grenzstadt Ciudad del Este sorgt dafür, dass RaucherInnen in Brasilien billiger an bekannte Marken kommen... Ein Mann gegen Polizeigewalt: Obwohl auf seiner Estancia vor etwa 10 Jahren rund eine halbe Tonne Kokain gefunden wurde, liess er sich nicht einschüchtern...Ein treuer Mann: Die Treue hielt er auch seinem brasilianischen Freund Machado, als dieser im Nachbarland wegen Drogenhandels zu einer langen Haftstrafe verurteilt wurde - weitere Qualitäten dieses wirklich für eine Partnerschaft mit der EU und den USA qualifizierten engagierten neoliberalen Kandidaten werden in dem Artikel "Narcogolpe in Paraguay!" am 07. Juli 2012 in der argentinischen Zeitung El Nacional dokumentiert.
Widerstand breitet sich aus
"Währenddessen gehen die friedlichen Proteste gegen den parlamentarischen Staatsstreich im Land selbst in die dritte Woche. Der Widerstand der demokratischen und progressiven Kräfte wird inzwischen landesweit über eine eigens eingerichtete Internetseite koordiniert. Dabei kommt es täglich zu Protestmärschen und Kundgebungen, Straßensperren und anderen Formen zivilen Ungehorsams. Neben Studierenden, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen beteiligen sich auch zunehmend landlose Bauern an den Demonstrationen, da sich ihre seit jeher ungesicherte Position mit dem Regierungswechsel weiter verschlechtern könnte. Hatte Fernando Lugo noch eine Landreform zu ihren Gunsten vorantreiben wollen, gelten unter anderem die Landoligarchie und Akteure aus dem Agrobusiness als Unterstützer der rechten Opposition" - aus dem Artikel "Paraguays Ex-Präsident reicht Verfassungsklage ein" von Valeska Cordier am 07. Juli 2012 bei amerika21.de
Siehe dazu auch: "Paraguay resiste" - die im Artikel angesprochene Koordinierungsseite der demokratischen Opposition.
Und: "Carta de solidaridad desde Alemania" - ein Solidaritätsschreiben von Ende Juni 2012 verschiedener deutscher Gruppierungen, dokumentiert auf der oben genannten Widerstandsseite.
Neuer Präsident, ungewählt. Neuer Stützpunkt, ausgewählt.
Der legale Staatsstreich in Paraguay hat dazu geführt, dass auch dort, wie etwa in Italien oder längere Zeit in Griechenland, eine nichtgewählte Regierung amtiert. Und neben den bereits mehrfach genannten Interessen des Großgrundbesitzes und des Agrarkapitalismus, gab es auch noch die Interessen der USA: Am Tag der Absetzung des Präsidenten Lugo wurde über die Errichtung einer US-Militärbasis verhandelt, schreibt in "El día del cese, legisladores negociaban instalar una base militar" Stella Calloni in La Jornada vom 01. Juli 2012.
Siehe dazu auch: "El laboratorio de todo esto fue Honduras hace tres años, y aquí en Paraguay fue perfeccionado" - der abgesetzte Präsident Lugo zieht die Paralelle zu Honduras 2009, im Interview mit Gerardo Iglesias von der lateinamerikanischen Nahrungsmittelgewerkschaft - Föderation Rel-UITA am 02. Juli 2012 gespiegelt bei kaosenlared.
Ein legaler Putsch - triumphiert der Mummenschanz?
Die beiden Kammern des paraguayischen Parlaments haben Präsident Lugo abgesetzt - ein Putsch im Stile jenes von Honduras 2009, mit legalem Anstrich. Gründe, Hintergründe und Reaktionen der Volksbewegungen versuchen wir in der kommentierten Materialsammlung "Putschzeitalter reloaded?" vom 26. Juni 2012 zusammen zu fassen.
Viele Todesopfer bei Konfrontation zwischen Landbesetzern und Polizei - und jetzt ein Putschversuch?
"Auch die neue Regierung in Paraguay schiebt die schon lange anstehende Landreform hinaus, zwei Prozent der Menschen gehören 80 Prozent des Landes Nach einem der blutigsten Zusammenstöße in der Geschichte Paraguays im Zusammenhang mit Landkonflikten werfen Bauernvertreter Präsident Fernando Lugo eine Wende nach rechts vor. Sie befürchten, dass er nun sogar Antiterrorismus-Gesetze zur Anwendung bringt gegen hunderte Landbesetzer, die Ende vergangener Woche in die tödlichen Auseinandersetzungen mit der Polizei involviert waren" - aus dem Artikel "Blutiger Konflikt zwischen Polizei und Landbesetzern" von Andreas Knobloch am 21. Juni 2012 bei telepolis.
Siehe dazu auch: "Tote bei Landprotesten in Paraguay" von Benjamin Beutler am 18. Juni 2012 bei amerika21.de worin es heisst: "Ein seit Jahrzehnten in Paraguay schwelender Konflikt um Land hat am Freitag zum wohl schwersten Massaker in der jüngsten Geschichte der Agrar-Nation geführt. Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Sondereinheiten der Polizei und landlosen Bauern sind im Verwaltungsbezirk Canindeyú nach Angaben des Innenministeriums mindestens 16 Menschen ums Leben gekommen. Neun der Todesopfer wurden offiziellen Angaben zufolge als Mitglieder der Landlosenbewegung "Nationale Liga der Zeltbewohner" identifiziert. Sieben der allesamt durch Schusswaffen getöteten Männer, darunter auch der Kommandeur der Spezialeinheiten, seien Polizisten. Zudem habe es hunderte Verletzte gegeben".
Sowie: "Monsanto golpea en Paraguay: Los muertos de Curuguaty y el juicio político a Lugo" von Idilio Méndez Grimaldi am 120. Juni 2012 bei rebelion.org - worin die besondere Rolle, die die ehrenwerte Firma Monsanto in dieser Auseinandersetzung spielt, ans Licht gebracht wird - etwa durch Genexperimente auf dem Gelände des benachbarten Großgrundbesitzers Blas Riquelme (zufälligerweise reich geworden in den Jahren der Stroessner-Diktatur), deren Gefahr die ersten Proteste hervorrief, aber auch beteiligt an dem Druck, den die neoliberalen Kräfte nun auf die Regierung Lugo organisieren, sie müsse jetzt enregisch handeln...
Und: "Paraguay, More than 50% of the rural population lives in a situation of misery" eine Erklärung von Via Campesina vom 21. Juni 2012 zur sozialen Situation im ländlichen Paraguay, als Hintergrund der aktuellen Auseinandersetzung.
Schliesslich: "Evo Morales condena inicio de golpe de Estado en Paraguay" am 21. Juni 2012 in Prensa Latina - Staatsstreich oder Regierungstaktik, um durch das Massaker verlorene Unterstützung wieder zu gewinnen?
Knauseriger Präsident - beim Mindestlohn. Generalstreik angekündigt
Er wäre gerne großzügiger gewesen, sagte Präsident Lugo, als er die Erhöhung des Mindestlohns um 10% ankündigte. Nachdem die Erhöhungen der beiden ersten Amtsjahre Lugos unterhalb der Inflationsrate blieben, hatten die fünf Gewerkschaftsföderationen dieses Jahr zuerst 32% gefordert, dann waren sie aber ohne weitere Aktivitäten auf 18% runtergegangen - die 10% aber waren nicht nur zu "knauserig", sondern auch genau das Angebot der Unternehmerverbände. Die Meldung "Generalstreik trotz Erhöhung des Mindestlohns" am 21. April 2011 bei amerika21.de macht in aller Kürze deutlich, dass den Gewerkschaften im Angesicht dieser Entwicklung nicht viel übrig blieb, als zu handeln.
Ein Jahr Lugo - die Bilanzen klingen bekannt...
Natürlich: Nach den vielen Jahren Diktatur und ihren jeweiligen Erben ist es ein anderes Leben, heute in Paraguay. Dennoch klingen die Bilanzen so, wie sie auch bei Lula und Co einige Jahre lang klangen - bis dann niemand mehr echte Veränderungen erwartete. Auch in Paraguay "lassen die Veränderungen auf sich warten" - das ist die Quintessenz des Beitrags "Change is still to come; The first year of Fernando Lugo's government" von verschiedenen Autoren bei der australischen Links Mitte September 2009 auf englisch übersetzt erschienen.
Der Soja-Kapitalismus und die Landbevölkerung
Dass die Sojaplantagen Wirtschaft und Gesellschaft Paraguays zunehmend prägen ist keine Neuigkeit, sondern ein Prozeß, der schon Jahre andauert, und sich in letzter Zeit beschleunigt hat. Ein aktueller Beitrag dazu ist "Für Europas Fleischkonsum und Motoren" von Reto Sonderegger in der "ILA" Ausgabe 312 vom Februar 2008.
Prozentuale
Lohnerhöhung spaltet - heftige innergewerkschaftliche Auseinandersetzung
Es gibt sie noch - zumindest in Paraguay und Argentinien
- jene GewerkschafterInnen, die eine der einfachsten Losungen vertreten,
die die Gewerkschaftsbewegung zu bieten hat: Festgeld hiess das
in Deutschland, als es noch grundsätzliche Überlegungen
gab. In dem argentinisch-paraguayischen Unternehmen EBY protestiert
die Mehrheit der paraguayischen Mitgliedschaft der Gewerkschaft
SIFEBY (die Niedrigbezahlten, meist ZeitarbeiterInnen) gegen den
Tarifabschluss, weil nur die Argentinier denselben Betrag für
alle erreicht haben, während in Paraguay die (durchaus beträchtliche)
Lohnerhöhung prozentual abgeschlossen wurde, was die Opposition
als "spalterisch" kennzeichnet. Der Gewerkschaftsvorsitzende
wusste dazu nur zu sagen, es sei einerseits eine Entscheidung des
Unternehmens gewesen und andrerseits, bei Festgeldvereinbarungen
würden dann eben die Besserbezahlten protestieren. Der (spanische)
Bericht "Critican
a sindicalistas de EBY"
von Willian Aquino Medina vom 13. Januar 2006 bei der Zeitung "ABC
Color", gespiegelt bei Sindicatomercosul.
Sojarepublik Paraguay
In wenigen Jahren, seit 1995, ist Paraguay "dank
der Gentechnik" zum drittgrössten Sojaexporteur der Welt
geworden - fast die gesamte Ernte von 4,5 Millionen Tonnen wurde
2003 exportiert. 5% der gesamten Fläche des kleinen Landes,
rund 2 Millionen Hektar, bestehen heute aus riesigen Sojafeldern.
Was die Regierung und einige Parteien als Wirtschaftswachstum und
soziale Errungenschaft feiern mögen, bezeichnen die Menschen,
die von ihren Ländereien vertrieben werden, oder deren Kinder,
wie mehrfach passiert, an Wolken von "Pflanzenschutzmitteln"
(sprich: Agrargifte, nicht zuletzt aus deutscher Produktion) erkranken,
schlicht als: "Sojakrieg". 95% aller genetisch manipulierten
Samen liefert die feine Firma Monsanto, die sich ihr sogenanntes
intellektuelles Eigentum teuer bezahlen lässt. Ein kurzes Telefoninterview
mit Astrogilda Perez, Aktivistin einer Landfrauenorganisation
in Colonel Oviedo vom 23. September 2005.
Konventionen unterzeichnet. Na und?
Paraguay hat alle ILO-Konventionen über Arbeit
und ArbeiterInnenrechte unterzeichnet. Der Bericht über die
Lage im Lande zeigt deutlich: wen kümmerts? Der IBFG Bericht
"INTERNATIONALLY
RECOGNISED CORE LABOUR STANDARDS IN PARAGUAY - REPORT FOR THE WTO
GENERAL COUNCIL REVIEW OF THE TRADE POLICIES OF PARAGUAY"
für die WTO Tagung in Genf, Ende April 2005.
Landesweite Aktionen gegen gewaltsame Räumung
besetzter Ländereien
Die Regierung Duarte hatte im Oktober angekündigt,
nunmehr "hart und konsequent" gegen die zunehmende Zahl
an Landbesetzungen vorzugehen - das erste Ergebnis dieser Politik
war Anfang November ein Toter. Landesweit wurden daraufhin Proteste
organisiert - mit dem Ziel einen "zivilen Generalstreik"
zu organisieren. Ein
Bericht von Mitte November 2004
Bauern gegen die IWF Bedingungen
Die CAP - ein Zusammenschluss von über 60 sozialen
Organisationen - rief zum Widerstand gegen die Preiserhöhungen
von Wasser und Dieselöl, die die Regierung Macchi zur Erfüllung
von IWF Auflagen angeordnet hatte. Als die Erhöhungen reduziert
wurde, wurde der Widerstand aufgegeben - aber nicht von allen...
Eine Meldung des Nachrichtendienstes
"Weekly Update on the Americas" Nr 662 vom Sept. 2002
(englisch, mit deutscher Zusammenfassung).
Proteste in Paraguay
Neben Menschenrechtsorganisationen hatte auch der
paraguayanische Gewerkschaftsverband CUT zu den Veranstaltungen
am 26. März 02 aufgerufen - dem dritten Jahrestag des Putschversuchs
des Generals Oviedo. Daß nur wenige diesen Aufrufen folgten,
ist auch ein Hinweis darauf, daß die Regierung Macchi nicht
mehr als Hoffnungsträger für demokratische Veränderungen
betrachtet wird. Siehe den Bericht
der gemeinsamen Publikation Mercosur der Gewerkschaften der vier
südlichen Lateinamerikanischen Staaten Nr 4/2002 mit einer
deutschen Zusammenfassung von Helmut Weiss |