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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Grenzerfahrungen Arbeitsmigration, Prekarisierung und der Israel/Palästina-Konflikt. Eindrücke einer Reise ins »Ge-lobte Land« – von Kirsten Huckenbeck, Teil II Vor dem Hintergrund der hiesigen Debatten über den Nationalsozialismus, Israel und Antisemitismus beschreibt Kirsten Huckenbeck in Teil I über ihre Reise nach Israel und Palästina mit einer Gruppe von GewerkschaftsvertreterInnen und AktivistInnen des tie-Bildungswerks die aktuelle politische und ökonomische Situation in Israel. Das zunächst vertraute Bild makroökonomischer Rahmenbedingungen neoliberaler Strategien des Umgangs mit der Krise bekommt durch die Analyse der Arbeitsmigration seine spezifische Färbung. Denn die Geschichte der Arbeitsmigration in Israel ist unmittelbar verflochten mit den veränderten politischen Verhältnissen spätestens seit der ersten Intifada. Wie die Situation sich heute darstellt, welche Hierarchisierungen es unter den Arbeitern in Israel gibt und wie die verschiedenen Gewerkschaften und politischen Institutionen damit umgehen, ist Thema des zweiten Teils. Viele israelische Arbeitgeber kündigten ihren palästinensischen Beschäftigten, mit denen sie zum Teil seit Jahrzehnten zusammen gearbeitet hatten. Waren es Mitte der 90er Jahre noch rund 120000 registrierte palästinensische Beschäftigte in Israel (und etwa die gleiche Zahl, die »illegal« dort arbeitete), ist diese Zahl nun um die Hälfte gesunken, wie Hussein Fuquaha, Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes der PGFTU, ausführte. Anschauungsunterricht in Bezug auf das »Lotteriespiel« Ausreise und Termineinhaltung erhielten auch wir: Fuquaha selbst war bei unserem Termin mit der PGFTU lediglich eingesprungen, weil deren Vorsitzender Shaher Saad auf dem kurzen Weg von Nablus nach Ramallah in eine generelle Abriegelung geraten war. Und Assaf Adiv, einer unserer Delegationsleiter und nationaler Koordinator von WAC, wurde bei unserer Ausreise (!) aus Ramallah am Kalandia Checkpoint festgehalten, weil er als israelischer Staatsbürger aus Sicherheitsgründen nicht hätte einreisen dürfen. Sein Einwand gegenüber den Grenzern, dass dies unlogisch sei, führte dazu, dass er in Gewahrsam genommen wurde und erst gegen Abend wieder die Polizeistation verlassen durfte, in die ihn die Grenzer gebracht hatten. Zum Zeitpunkt unserer Reise hielt die generelle Abriegelung, die Israelis und Palästinensern gleichermaßen den Grenzverkehr verunmöglicht, bereits seit über einem Monat an: Als Begründung diente zunächst die erwartete Reaktion auf den Mord an Sheik Yassin, dann der israelischen Unabhängigkeitstag, schließlich ein Basketballfinale... Die Arbeit der PGFTU hat unter diesen Bedingungen wenig
Aussichten auf Erfolg: Sie setzt sich einerseits – gegen den Widerstand
der palästinensischen Unternehmerlobby im Palestinian Legislative
Council (PLC), die entgegen allen vermeintlich homogenen nationalen Interessen
der Palästinenser kein Interesse an der sozialen Absicherung ihrer
Beschäftigten haben – dafür ein, dass ein Sozialversicherungssystem
entwickelt und das seit 1993 bestehende palästinensische Arbeitsrecht
auch institutionell umgesetzt wird. Bislang ver-hindert Israel konstitutionelle
Voraussetzungen einer Arbeitsgerichtsbarkeit. Andererseits verfolgt die
PGFTU derzeit zehn Musterklagen am israelischen Gerichtshof, in denen
es um Kompensationsleistungen oder Wiedereinstellung von palästinensischen
Arbeitskräften geht, die ihren Job während der zweiten Intifada
aufgrund der Abriegelungen verloren haben. Dies betrifft insgesamt 55000
Beschäftigte. Besonders enttäuscht zeigten sich die Gewerkschafter über die Histadrut. Seit 1992 besteht ein Abkommen zur gegenseitigen Hilfe, in dem sich die Histadrut u.a. verpflichtet hat, arbeitsrechtliche Unterstützung zu gewähren und einen Teil der Gebühren, die sie als Relikt aus ihrer Zeit als Staatsgewerkschaft automatisch einzieht, wenn ein Arbeitsvertrag unterschrieben wird, an die PGFTU abzuführen. Seit Beginn der zweiten Intifada sei kein Geld mehr überwiesen worden und »nicht ein einziges Zeichen der Solidarität erkennbar«, so das bittere Fazit von Fuquaha und seinen KollegInnen. »bonded labor«: das Geschäft mit den Migranten in der »homogenen Gesellschaft« Die israelische Regierung dagegen hat nicht so viele Probleme,
sich ihres einstigen Interesses an den billigen Arbeitskräften aus
den besetzten Gebieten zu erinnern, wie der wechselvolle historische Umgang
mit diesen verdeutlichte. »Die Palästinenser sind unsere eigentlichen
Gastarbeiter«, meinte ein Mitglied des Beraterteams von Yuval Rachlewski.
Er konterkarierte damit zugleich das aktuelle Programm »Israeli
work first« von Finanzminister Netanyahu. Dr. Roy Wagner von Kav La’Oved, einer NGO, die 2003 den »Quality of Life Award« der Knesseth für ihr Engagement für die Rechte von ArbeitsmigrantInnen und prekär Beschäftigten in Israel erhalten hat, erläuterte, wie das System der Arbeitslizenzen funktioniert: Die Beschäftigten erhalten eine Arbeitsgenehmigung, die sie an einen bestimmten Unternehmer bindet (in Israel wird diese, auch innerhalb bestimmter Branchen in Deutschland nicht unübliche Praxis als »bonded« bzw. »shackling labour« bezeichnet). Dazwischen geschaltet sind die Zeitarbeitsfirmen, über die auch der Arbeitsvertrag mit dem Unternehmen, das die Lizenz hält, abgeschlossen wird. Da die Aufenthaltsgenehmigung der Leiharbeitskräfte an die Arbeitsgenehmigung gekoppelt ist, ist ein Wechsel des Arbeitgebers nicht möglich, ohne damit automatisch »illegal« zu werden. Die ArbeiterInnen sind jedoch nicht nur rechtlich an ihre Auftraggeber »gefesselt«: Rund 90 Prozent der Arbeitgeber in der Bauindustrie und Landwirtschaft behalten die Pässe ihrer Beschäftigten ein, obwohl dies illegal ist und mit bis zu einem Jahr Gefängnis geahndet werden kann. Diese Praxis der »bonded labour« affiziert nicht nur das – gesetzlich durchaus auch für MigrantInnen vorgesehene – Recht auf gewerkschaftliche Organisierung, es verunmöglicht Beschwerden gegenüber dem Arbeitgeber und bedeutet damit »de facto Sklavenarbeit«, wie Dr. Yossi Dahan vom ADVA Social Research Center ausführte. Ein Grundrecht bürgerlicher Gesellschaften, nämlich die »freie Wahl des Arbeitgebers« und die »Freiheit, seine Arbeitskraft zu verkaufen«, sei damit ausgehebelt, wie er feststellte. Die Konsequenzen verdeutlichte er anhand einer Studie seines Instituts, nach der 68 Prozent der legalen (!) MigrantInnen nicht den gesetzlichen Mindestlohn erhielten. Unsere Gespräche mit Bauarbeitern auf einer Tel Aviver Großbaustelle, in der türkische Beschäftigte einer Zeitarbeitsfirma und arabische Arbeiter, die einen direkten Vertrag mit dem Bauunternehmer hatten, gemeinsam in einer Kolonne arbeiteten, bestätigten diese Eindrücke: Die türkischen Kollegen wussten weder, an wen sie sich im Falle einer Krankmeldung wenden sollten, noch ob sie überhaupt krankenversichert seien. Und: Ihr Stundenlohn lag ein gutes Drittel unter dem ihrer arabischen Kollegen. Für Dahan folgte daraus, den Preis für die Arbeit der MigrantInnen teurer zu machen, indem deren Rechte an die der InländerInnen angeglichen werden. Die Frage der Anerkennung gleicher Rechte für die MigrantInnen stand für ihn in einem direkten Zusammenhang mit der Kritik an der »ideologischen Konstruktion« des »jüdischen Staats«. Statt der Idee einer homogenen Gesellschaft müsse das Faktum einer »mixed society« anerkannt werden – dies gelte auch für den Umgang mit den arabischen Israelis und den Palästinensern, die den Status von »Migranten im eigenen Land« hätten. Wagner dagegen stellte den Handel mit Menschen ins Zentrum seiner Kritik. Die Vermittlung von Arbeitsmigranten sei – noch vor den bekannten Faktoren, die ihren Einsatz für die Produktion so lukrativ erscheinen lassen – zum Kerngeschäft im »Big Business des Menschenhandels« geworden. Dieses Geschäft teilen sich die Zeitarbeitsfirmen mit den Behörden der Herkunftsländer (vor allem China, Thailand, Philippinen, Türkei, Rumänien und Bulgarien) – und mit den Unternehmen. Während vor allem große Bauunternehmen frei werdende Lizenzen an andere Unternehmen verkaufen oder ihre Bedarfe so manipulieren, dass sie mit dem Handel an Arbeitskräften, die sie selbst nicht brauchen, einen Extra-Profit machen können (und die »verkauften« MigrantInnen damit dem Risiko der Illegalität aussetzen), partizipieren die Regierungen der Herkunftsländer, indem sie von den Zeitarbeitsfirmen Gebühren erheben. Dr. Leonard Hammer, Jurist und Experte für die Umsetzung internationaler Menschrechts- und Arbeitsschutz-Konventionen in israelisches Recht, wies auf Verträge hin, in denen chinesische und rumänische Behörden Prämien bis zu 500 Euro pro Person von den Vermittlungsagenturen erhalten hätten und bestätigte damit Ergebnisse einer Untersuchung von Kav La’Oved. [1] Die Agenturen wiederum verlangen für ihre »Bemühungen« Summen zwischen 2000 und 15000 Dollar von den MigrantInnen, wie Sigal Rozen von der Hotline for Migrant Workers berichtete, deren MitarbeiterInnen sich um rechtliche und soziale Unterstützung für die zunehmende Anzahl von Ab-schiebeflüchtlingen bemühen. [2] Wohlgemerkt: Es geht hier um die ›Schattenseiten‹ der legalen Arbeitsmigration im Rahmen eines Rechtsstaats. Dies wirft die Frage nach den rechtlichen Handhabungen gegen solche Praktiken auf. »For you were strangers«: »equal opportunities« Israel habe, wie Hammer ausführte, »als ehemals sozialistisches Land und seit seiner Gründung sehr um internationale Anerkennung bemüht«, eine Reihe internationaler Vertragswerke zu grundlegenden Men-schenrechten sowie die ILO-Konventionen unterzeichnet. Diese bieten einige relevante Anknüpfungspunkte für die rechtlichen Ansprüche von ArbeitsmigrantInnen – wie z.B. das Diskriminierungsverbot der Internatio-nal Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (ICESCR), das auch faire Löhne und Arbeitsbedingungen impliziere –, sofern sie in kodifiziertes staatliches Recht übersetzt sind. Darüber hinaus habe es fortschrittliche Ansätze auf der Ebene der nationalen Arbeitsrechtsprechung bzw. -gesetzgebung gegeben, wie das Verbot von Zwangsarbeit, das »Equal Opportunity«-Gesetz (das allerdings nur die Gleichberechtigung arabischer Israelis betrifft), das Recht auf Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen, auf den ge-setzlichen Mindestlohn und Urlaubsansprüche, und das Recht auf gesundheitliche Versorgung, die »im Prinzip« auch ArbeitsmigrantInnen zukämen. Dies alles jedoch mit der Einschränkung, dass die Arbeitskräf-te sich legal im Land aufhielten und dies auch blieben. Insofern gälte es nicht nur, das Defizit in Bezug auf die interpretatorische Umsetzung internationaler menschen- und arbeitsrechtlicher Vertragswerke in kodifizierbares nationales Recht zu beseitigen, sondern auch dessen Anwendung unabhängig vom Aufenthaltsstatus weiter zu entwickeln – eine Aufgabe, die allerdings von den Gewerkschaften erfordere, sich nicht als Opfer der Globalisierung zu begreifen und auf protektionistische Regelungen zurück zu ziehen, sondern ihrerseits die Chance der Internationalisierung von Menschenrechten zu ergreifen. [3] Jenseits dieser eher langfristigen Perspektive war sein Fazit in Bezug auf die bereits existierenden rechtlichen Rahmenbedingungen knapp und bündig: Sowohl die Prämien, die die Regierungen der Entsendeländer von den Vermitt-lungsagenturen erhalten, als auch die Gebühren, die diese von den ArbeiterInnen verlangen, verstoßen ebenso wie die Diskriminierung ausländischer ArbeiterInnen in Israel gegen ILO-Konventionen und gegen israelisches Recht. Doch wer solle diese Rechte in Anspruch nehmen, wenn die Voraussetzung dafür eine gültige Aufenthaltsgenehmigung sei, fragten Hammers KollegInnen Ahuva Zaltzberg und Dror Meir von der Israeli Bar Association. Sie wiesen auch darauf hin, dass eine Reihe solcher Rechte wie das auf medizinische Versorgung bei Arbeitsunfällen bislang noch unabhängig vom Aufenthaltsstatus gewährt worden seien, doch sei die Regierung seit 2003 dazu übergegangen, solche Sozialversicherungsleistungen sukzessive abzuschaffen. Statt eines Rechtsfortschritts sei eher ein Rückschritt zu konstatieren. Und eine wesentliche Konvention, die Arbeits- und soziale Schutzrechte unabhängig vom Aufenthaltsstatus gewähren würde, hat Israel – ebenso wie die Bundesrepublik – bislang nicht ratifiziert: die Konvention zum Schutz der Rechte von WanderarbeiterInnen. »Open Sky« oder »Israeli first«? Doch nicht etwa die Verstöße gegen internationales und israelisches Recht brachten die Regierung dazu, von ihrem Kurs der Anwerbung von ArbeitsmigrantInnen abzurücken. Erst die ökonomische Krise in 2002 führte dazu, dass die Regierung unter dem Slogan »War on foreign Labor« eine eigene Migrations-Polizei einrichtete und parallel dazu das Ende der »Open Sky«-Politik einläutete, indem sie die Quoten für Arbeitslizenzen reduzierte. Die vom Innenministerium verfolgte Leitlinie »Israeli first« ist also maßgeblich eine Reaktion auf diese Rezession. Seitdem forciert die Migrations-Polizei die Abschiebung von ArbeitsmigrantInnen, die in Konflikt mit ihren Arbeitgebern und damit in die Illegalität geraten. Wagner berichtete, dass aufgrund der miserablen Arbeitsbedingungen und der Bindung der Aufenthaltsgenehmigung an einen bestimmten Arbeitgeber mittlerweile 70 Prozent derjenigen, die zunächst legal mit Arbeitsvisum gekommen seien, in die Illegalität getrieben worden seien. Entsprechend erfolgreich war das Programm einer Reduktion von ausländischen Arbeitskräften: Von den 300000 ehemals legalen MigrantInnen wurden bis Ende 2003, also innerhalb eines Jahres, rund 50000 abgeschoben; für 2005 empfahl die interministerielle Kommission zur Ar-beitsmigration unter Leitung von Yuval Rachlewski die Ausweisung von weiteren 100000 ArbeiterInnen. [4] Neben der verstärkten Ausweisung ist eine weitere Reduktion der Quoten und der Aufenthaltsdauer geplant, wie sein Kollege Eli Paz, geschäftsführender Direktor im Ministerium für Industrie, Handel und Beschäftigung, uns erklärte. Seine Beamten haben zwar einen Notruf für Meldungen über Vergehen gegen das Arbeitsrecht eingerichtet, der MigrantInnen auch die Möglichkeit einer anonymen Beschwerde lässt, und sie ahnden Verstöße gegen das Gesetz über die Zahlung des Mindestlohns sowie die Praxis der Gebührennahme seitens der Zeitarbeitsfirmen, von denen bereits 40 ihre Zulassung verloren haben. Doch die Zahl der Inspekteure und damit die Möglichkeiten der Kontrolle sind begrenzt. Das primäre politische Interesse in beiden Ministerien gilt auch nicht der Verbesserung oder Angleichung der Arbeitsbedingungen von ausländischen Arbeitskräften, wenngleich – ähnlich wie im Pflegebereich – mittlerweile die Möglichkeit eines Wechsels des Arbeitgebers auch im Bausektor vorgesehen sei. Die Politik steht vielmehr unter massivem Druck, die Arbeitslosigkeit im Land zu senken, während zugleich ein Interesse an möglichst billigen Arbeitskräften besteht. Tatsächlich verzichtet die Regierung also nicht auf die Vergabe neuer Lizenzen, sondern betreibt eine Drehtürpolitik: »Mit der einen Hand«, so fasst das WAC in seinem Bericht zusammen, »schiebt sie illegalisierte MigrantInnen ab, mit der anderen holt sie neue, legale MigrantInnen ins Land.« Deutlich wurde an den Berichten, dass das, was jeweils als vordringliches nationales Interesse in Bezug auf die Arbeitsmarktpolitik gilt, sehr unterschiedlich ausfällt: Paz’ Kollegen aus dem Finanzministerium unter Rachlewski denken dabei durchaus daran, palästinensischen Arbeitskräften wieder die Möglichkeit zu eröffnen, innerhalb Israels zu arbeiten – »das sind unsere eigentlichen Migranten«. In diese Richtung geht auch eine Entscheidung der Knesseth von Ende 2002, also während der laufenden Intifada: Im Zuge der Closed Sky-Politik und um Abhilfe in Bezug auf die »bedrohlich« werdenden sozialen Verhältnisse innerhalb der palästinensischen Territorien zu schaffen, beschloss das Parlament, rund 15000 Arbeitsgenehmigungen an Palästinenser zu vergeben. Eine Zahl, die allerdings, wie aus dem zitierten Arbeitsbericht des WAC hervorgeht, aufgrund der fortgesetzten Abriegelungen nie erreicht wurde. [5] Paz selbst und sein Team hingegen haben dabei eher die Arbeitsmarktchancen der Israelis im Land vor Augen. Er befürwortete entsprechend die Entwicklung eigenständiger ökonomischer Aktivitäten und Be-schäftigungsmöglichkeiten für die Palästinenser in den besetzten Gebieten sowie eine »Absenkung der Anwerbequote auf null Prozent« für die ArbeitsmigrantInnen. Das heißt jedoch nicht, dass dabei ökonomi-sche Überlegungen keine Rolle mehr spielen würden. So verwies Paz in seiner Argumentation zur Notwen-digkeit eines Anwerbestopps auf die hohen Folge-Kosten der Illegalisierung: Kosten für die Unterhaltung der Migrations-Polizei, für Massen-Abschiebungen und Kontrollen der Unternehmen sowie die Einnahmeausfälle bei Sozialversicherungen und Steuern durch die Illegalisierung. Wenn Paz es als Erfolg der restriktiven Quotenhandhabung verbucht, dass die Arbeitslosigkeit unter israelischen Bauarbeitern massiv gesenkt werden konnte, so betrifft dies allerdings eine Gruppe, die bislang in-nerhalb Israels eben jene Funktion hatte, die auch die MigrantInnen und Palästinenser haben: Traditionell sind es vor allem arabische Israelis, die in diesem Sektor gearbeitet haben. Gegen die Konkurrenz der ArbeitsmigrantInnen haben sie zwar wenig Chancen, doch sind sie in der Regel immer noch billiger als ihre jüdischen Kollegen. Bürger zweiter Klasse und Migranten im eigenen Land Im Prinzip haben arabische Israelis (mit einem Anteil von rund 20 Prozent der Bevölkerung), aufgrund des »Equal Opportunity«-Gesetzes die gleichen Chancen wie andere Bevölkerungs- und Religionsgruppen in Israel. Sie unterliegen allerdings sowohl direkten als auch indirekten Formen der Diskriminierung, die dieses Recht unterlaufen. So werden sie in bestimmten Sektoren und Unternehmen mit Verweis auf die Sicher-heitssituation nicht beschäftigt, wie Dr. Noah Levine Epstein von der Universität Tel Aviv ausführte. Wäh-rend arabische Israelis ohne volle Staatsbürgerrechte – hierzu zählen oft Bewohner der Flüchtlingslager, die lediglich einen »Residentschaftsstatuts« haben – ohnehin kaum Zugang zum öffentlichen Beschäftigungswesen finden, sei die Diskriminierung arabischer Israelis mit Staatsbürgerschaftsrechten sehr einfach zu verschleiern. Die rechtlichen Ausführungen dazu, was als Beschäftigungseinschränkung in sicherheitsrelevanten Bereichen gilt, sind so vage gehalten, dass dem Interpretationsspielraum kaum Grenzen gesetzt seien. Die Ökonomie der arabischen Israelis ist von solchen staatlich gesetzten und informellen Einschränkungen geprägt. Sie leben meist in getrennten Siedlungen bzw. Städten, die aufgrund der restriktiven Siedlungs- und Bebauungspolitik keine Erweiterungs- und Entwicklungsmöglichkeiten haben. Die wenigen Städte, in denen es eine gemischte Population und entsprechende ökonomische Grundlagen auf kommunaler Ebene gab, wurden sukzessive nach ethnisch-religiösen Kriterien »entmischt« – sehr anschaulich war dies in Nazareth, wo sämtliche staatlichen Entwicklungsgelder im Zuge des Papstbesuchs in den Aufbau »jüdischer« Siedlungen flossen, während der historische Kern von Nazareth, in dem vor allem arabische Israelis leben, leer ausging. Schon am Stadtbild ist zu erkennen, wer zu welcher Population gehört und wo der Reichtum »lebt«. Im Jerusalemer Stadtgebiet, wo der »Sicherheits-Zaun« in Teilen bereits steht, wurde klar, was es für die BewohnerInnen der arabischen Siedlungen und der Flüchtlingslager heißt, sobald der Zaun fertig gestellt sein wird: Shu’afat, ein seit 1967 bestehendes Lager, in dem anfänglich 3000 Menschen lebten, ist bereits weitgehend von dem Zaun eingefasst. Sobald dieser auch an der dritten, an das Stadtgebiet grenzenden Seite hochgezogen sein wird, gibt es für die mittlerweile 23000 BewohnerInnen keinen Ausgang mehr außer einem kleinen Checkpoint. Die Chancen, städtische Infrastruktur, Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten und Arbeitsplätze zu erreichen, die innerhalb des Lagers nicht bzw. nicht hinreichend existieren, werden rapide sinken. Jenseits dieser direkten Formen von Diskriminierung existieren eine Reihe von indirekten Beschränkungen, die arabischen Israelis die Rolle einer billigen Reserve für den Arbeitsmarkt zuweist. Wie Epstein ausführte, waren 91 Prozent der arabischen Frauen und ca. 87 Prozent der arabischen Männer nie Mitglied einer Gewerkschaft – im Vergleich zu 71 Prozent bzw. 69 Prozent der jüdischen Israelis. Zwar bestehe seit 1959 für arabische Israelis die Möglichkeit, Mitglied der Histadrut, des Allgemeinen Verbands der Arbeiter Israels, zu werden (gegründet wurde die Gewerkschaft 1920 als sozialistisch-zionistisches Projekt), doch habe die Gewerkschaft seit den 80er Jahren systematisch an Einfluss und damit an Mitgliedern verloren. Bis dahin gehörten ihr aufgrund ihrer engen Anbindung an die Arbeiterpartei und der daraus resultierenden privilegier-ten Stellung im israelischen Staat nicht nur Anteile an staatlichen Unternehmen wie der Fluggesellschaft El Al und Hotelketten, auch die Verwaltung der Sozialkassen oblag der Gewerkschaft. Mit der Privatisierung und dem Entzug dieser Aufgaben sei ein enormer Rückgang des Organisationsgrades verbunden gewesen, der zu Hochzeiten bei 70 Prozent gelegen habe. Heute zählt die Histadrut noch rund 700000 Mitglieder. Im Prinzip, so Ghassan Muklashi, Vorsitzender des Jewish-Arab-Institute in der Histadrut, setze sich die Histadrut zwar für eine Angleichung der Rechte arabischer Israelis, die konsequente Durchsetzung des Verbots der Diskriminierung und gegen die Besetzungs- und Abriegelungspolitik gegenüber den palästinensischen Territorien ein. Er berichtete auch von einem Fonds der Histadrut, aus dem arabische Israelis Kredite für die Entwicklung eigener Projekte erhalten können, sowie einem Lohnausfallfonds. Doch für die gewerkschaftliche Arbeit »vor Ort«, d.h. für die Organisierung der Unorganisierten und damit für die Kontrolle und Verbesserung der Arbeitsbedingungen, fehlten schlicht die Kapazitäten. Die Histadrut müsse sich »auf die Mitglieder konzentrieren, die Beiträge zahlen« – und das sind eben vor allem jüdische Israelis. Die Probleme bei der Vertretung und Organisierung von Unorganisierten liegen jedoch nicht nur in personellen Defiziten und ihrer geschwächten Finanzkraft begründet. Die Histadrut sieht sich, das machte Muklashi im Gespräch mit Delegierten deutlich, als Dachverband und Einheitsgewerkschaft vor allem mit internen politischen Differenzen ihrer Mitglieder konfrontiert, auf die sie bislang defensiv reagiert. So habe Generalsekretär Amir Peretz die Devise ausgegeben, den 1. Mai mit Rücksicht auf die Likud-Mitglieder unter der Histadrut nicht öffentlich zu begehen. Man wolle keine »überflüssigen Spaltungen«. In Bezug auf die Anwerbung von ArbeitsmigrantInnen vertritt sie allerdings sehr wohl dezidierte Positionen: Die Histadrut setzt sich für einen Anwerbestopp ein und verfolgt damit die gleiche Linie wie Netanyahu. Innerhalb der Histadrut findet sich damit das gleiche Muster einer Hierarchisierung unter den verschiedenen Beschäftigtengruppen, wie es auch die offizielle Beschäftigungspolitik kennzeichnet. Hier wie dort wechselt dabei lediglich die Rangfolge in der Hierarchie, je nach Gewichtung der Kriterien: Sicherheitsaspekten, nationalistischen Erwägungen und Kostengründen. Verloren haben in dieser Konkurrenz die ArbeiterInnen, was die Frage nach den politischen Strategien des Umgangs damit aufwirft. »Let the Employers pay the prices« Antonino Campenni, Vertreter der italienischen Cobas (Comitati di base), brachte eine Einschätzung der Delegierten auf den Punkt, in der es keinen Dissens gab: Gleiche Löhne und gleiche Rechte würden die Konkurrenz unter den Lohnabhängigen aufheben. »Lasst die Unternehmen für ihre Politik zahlen, statt die `Migranten im Land und von außerhalb’ in einen Dumping-Wettbewerb zu treiben.« Doch wie ist eine Aufhebung der Konkurrenz unter den Bedingungen hoher Arbeitslosigkeit, eines hochgradig gespaltenen Arbeitsmarktes und der Abriegelungspolitik möglich? Die Antwort des WAC setzt zunächst an einem offensichtlichen Vakuum an, das die Histadrut hinterlassen hat. Das WAC hat eine Organisierungsinitiative unter arabischen Israelis gestartet, die begleitet ist von regelmäßigen Beratungstreffen, gemeinsamen kulturellen Aktivitäten, Bildungsarbeit und dem, was zum »gewerkschaftlichen Kerngeschäft« gehört: der Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern um geregelte Arbeitsbedingungen und Tarifverträge. Im Zuge der Kampagne »A Job to win« ist es den Organizern des WAC gelungen, Verträge mit namhaften israelischen Bauunternehmen abzuschließen, in denen diese sich nicht nur verpflichten, vermehrt arabische Israelis zu beschäftigen, sondern auch die geltenden Tarifverträge der Histadrut auf diese anzuwenden. Rund 500 Bauarbeiter, vor allem arabische Israelis, konnten auf diese Weise bereits vermittelt werden, weitere 1000 sind beim WAC registriert. Eine »Sisyphos-Arbeit«, wie Salah Athamneh, seit zwei Jahren Organizer beim WAC, diese An-strengungen kommentierte. So wichtig diese Arbeit ist, so wenig ist damit eine Perspektive für die Palästinenser und die Migranten aus anderen Ländern gewonnen. Offen blieb die Frage, ob es sich bei den Problemen, unter denen MigrantInnen in Israel leiden, um spezifisch israelische Phänomene oder um Entwicklungen, die denen in den west-europäischen Ländern vergleichbar seien, handele. Während einige darauf verwiesen, dass die Ersetzung inländischer Arbeitskräfte durch ArbeitsmigrantInnen und auch die aktuelle politische Linie des Rückgriffs auf die arabischen Israelis ohne die politisch ungelöste Auseinandersetzung zwischen Israel und Palästina nicht zu erklären sei, vertraten andere die These, dass sich die politischen Reaktionsmuster auf die Rezession – das nationalstaatlich auftretende Interesse an einer Reduktion der Arbeitslosigkeit, das zunächst nur Inländer zu kennen scheint, und das ebenso nationalstaatlich auftretende Interesse an niedrigen Löhnen, die als Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit gelten – im Vergleich zu den Auseinandersetzungen um Zuwanderungsquoten in den EU-Mitgliedsländern nicht wesentlich unterschieden. Die Konkurrenz, in die die Beschäftigten gesetzt seien, finde hier lediglich unter spezifischen politischen Rahmenbedingungen statt. Doch die Auseinandersetzung um nationalistisch bzw. rassistisch begrenzte Arbeitsmarktpolitiken sei genau so auch innerhalb der EU und innerhalb der europäischen Gewerkschaften zu finden. Das Dilemma, in dem die Arbeit des WAC verortet ist, verweist insofern auf eine allgemeine Frage gewerkschaftlicher Organisierung: Wie kann die Aufhebung von Konkurrenz gedacht werden, ohne sich auf einen nationalen Rahmen zu beschränken und mit entsprechenden Forderungen nach Zuwanderungsrestriktionen à la »Closed Sky« zu reagieren? Roni Ben Efrat verwies darauf, dass eine solche Fragestellung nicht nur innerhalb der israelischen und palästinensischen Linken, sondern auch in der europäischen Linken einer Antwort harre: Seit vier Jahren lasse sich die Fortsetzung eines Teufelskreises feststellen, dessen aktuelle Resultate der Sicherheitszaun und der einseitige Trennungsplan von Sharon darstellen. Die Fortsetzung dieses Teufelskreises führe u.a. auch dazu, dass »im Wettbewerb um die meisten Opfer« bisherige Tabus seitens der radikalen palästinensischen Bewegungen wie den Tanzim und der Hamas [6] gebrochen würden: Selbstmordattentäter würden nicht mehr davor zurückschrecken, die Checkpoints selbst und die Menschen, die dort versuchten über die Grenze zu gelangen, zu bombardieren. Sie kritisierte insofern jede Solidaritätsbewegung, die sich auf die ausschließliche Unterstützung nationaler Interessen stütze: »The Palestine question seems to be disconnected from the Israeli society. This is too superficial«. K.H. Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 6-7/04 Anmerkungen 1) Siehe dazu ausführlich: Kav La’Oved/Hotline
for Migrant Workers: »Immigration Administration or Expulsion Unit?«,
Joint Report, May 2003 |