Home > Internationales > Indien > Informell > Pavar | |
Updated: 18.12.2012 15:51 |
"Sieh nur, was der Kapitalismus aus Bombay gemacht hat - was er aus uns gemacht hat" B Pavar ist 60 Jahre alt, arbeitet seit seinem 14.Lebensjahr in einem Textilbetrieb in Bombay und ist seitdem Mitglied der Textilarbeitergewerkschaft im CITU-Verband. Ende der 50er Jahre, als er anfing zu arbeiten, gab es im einstigen Textilzentrum Asiens - der Mitte von Bombay noch Hunderttausende TextilarbeiterInnen, die nicht nur in der Regel zu 2/3 gewerkschaftlich organisiert waren, sondern meist (90%) auch alle möglichen linken politischen Varianten wählten - und die Kultur der Innenstadt bestimmten.Das interview mit ihm führte Helmut Weiss in Porto Alegre beim WSF 2005. Textilarbeiter in Bombay - ich muß zugeben, dass mir das nicht so viel sagt, ich habe dort, zumindest vor allem, Metallarbeiter getroffen. Wie sieht der Textilsektor in Bombay aus? Ja, das glaube ich Dir - und das sagt eigentlich schon alles. Denn vor, sagen wir mal zwei Generationen konnte niemand nach Bombay kommen und keine Textilarbeiter wahrnehmen, die Strassen der Innenstadt waren voll von uns, dort gab es Arbeitertheater, Leseclubs, die Gewerkschaft war überall zu sehen - zusammen mit den Hafenarbeitern, den Eisenbahnern und den Bauarbeitern prägten wir diese Stadt. Und es war eine Stadt, in der ganz Indien versammelt war - und noch gute Teile von Asien, es gab keine Faschisten, keine kommunalen Stadtkrieger und die ganze Pest von heute, die an Bombay klebt. So habe ich es von meinen Eltern erzählt bekommen, und so habe ich es auch teilweise noch selbst erlebt. Früher war alles besser? Nein, früher war auch Kapitalismus. Die Arbeit war eintönig, hart und gefährlich - wie heute. Aber das Leben war noch nicht so gefährlich und die Stadt noch nicht so pervers. Die grossen Streikbewegungen der 20 bis 50er Jahre hatten Gemeinsamkeiten geschaffen, das ist es, was heute weg ist: unwiderbringlich weg, meine ich. Heute wählt doch die Mehrheit der noch verbliebenen Textilarbeiter die Shiv Shena, eine so recht national-sozialistische Partei samt Killerbanden, die in Bombay die Mehrheit hat - das haben die Textilarbeiter heute mit den Handy-Men gemeinsam, die Fremdenangst, so was gab es einfach nicht, dass Fremde kamen, war der absolute Alltag, das Normalste der Welt. Unsere Insel war eben - für uns - etwas Besonderes. Ich will schon sagen: Es waren die Armen, die Arbeiter, die aus Bombay eine multikulturelle Stadt gemacht haben, das mag nicht überall so sein. aber Shiv Shena vergibt Arbeitsplätze - nur für ihre Klientel, zieht Investitionen an und das machte sonst keiner mehr hier. Das ist ein bisschen wie bei euch in Deutschland, da habe ich mich mal mit beschäftigt, mit der NSDAP, das war ja auch nicht so, dass die nichts getan hätten, obwohl ich mich da jetzt weit vorwage, denn die Geschichte kennt bei Euch wahrscheinlich jedes Kind besser. Tut es nicht, aber das vielleicht später - diese multikulturellen Arbeiter, woher kamen die? Von überall her - und sie wohnten, wenn sie nicht von hier kamen, in riesigen, ausser mit Schlafgelegenheiten unmöblierten Schlafsälen, denn es waren natürlich Unverheiratete. Was natürlich auch dazu beitrug, dass sich das Leben auf den Strassen abspielte. Heute haben wir, wie bei Euch eine kapitalistische Stadtplanung: alles gehorcht dem Auto, was den Verkehr stört: weg damit. Das alles fing spätestens an, als Bombay die Hauptsadt des neuen Maharashtra werden sollte - und wurde. Nein, Lüge - natürlich gab es auch um 1880 schon kommunale "Riots" aber das waren immerhin begrenzte, überschaubare Kräfte, die auch immer wieder isoliert wurden. Und wann hat sich das alles richtig geändert? Nun man kann dafür vor allem zwei Daten herbeizitieren: 1970 und 1983. Letzteres war unser letzter grosser, monatelanger Streik, da haben Tausende am Rande des Verhungerns gekämpft, gegen die Liberalisierung des traditionellsten Sektors der Industrie, unseres eben. Wir haben verloren, völlig verloren, wir hatten das ganze Land gegen uns, kaum Unterstützung, der Streik ist regelrecht zusammengebrochen, die Leute brauchten Geld, um ihre Kinder zu versorgen. Das war das faktische Ende der bisherigen Textilindustrie - und damit auch der entsprechenden Arbeiterschaft und damit auch der Gewerkschaft. Ich war danach tagelang betrunken. Und 1970 war der politische Beginn dieses Prozesses - als am 5.Juni Krishna Desai ermordet wurde, der Vertreter schlechthin der linken Arbeiterschaft, und faktisch ungestraft ermordet wurde. Das bedeutete schon für alle: Die richtige Linke ist schwach. Und wie sieht das heute aus? Nun, es gibt noch ungefähr 100 Betriebe des Textil- und Baumwollsektors in Bombay - das sind vielleicht 5 Prozent von früher. Und wir haben wieder angefangen, gewerkschaftlich zu organisieren, allerdings ganz anders als früher, denn die meisten Beschäftigten wechseln circa jährlich den Betrieb. Also versuchen wir es oft über Stadtteilbewegungen. Das geht in letzter Zeit wieder besser, aber es knirscht heftig in der Gewerkschaft, die Strukturen passen nicht, die Traditionen auch nicht und für alte Leute wie mich ist es schwer - Du sagst ja auch, ich wäre ein Romantiker der alten Zeiten. Sage ich nicht, denn eine Sache ist es, gute Seiten hervorzuheben und die andere ist, eine politische Perspektive zu haben, die keine ist - es muss wieder werden wie früher. Da hast Du recht, nichts kann wieder werden wie früher - auch wenn das der Anlass mancher Revolution war. Aber selbst, wenn es wird, wie früher ist es doch anders. Das war jetzt meine abschliessende Übung in Dialektik. |