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Updated: 18.12.2012 15:51
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Kapitel 4 : "Wir sind nicht die Sklavinnen der Händler" Zwischen Verzweiflung und Widerstand - Indische Stimmen gegen die Globalisierung
Dalit-Frauen setzen auf Unabhängigkeit

Exklusiver Auszug aus:
Gerhard Klas: Zwischen Verzweiflung und Widerstand - Indische Stimmen gegen die Globalisierung

Erschienen in der Edition Nautilus 2006; Broschur, 160 Seiten; ISBN 3-89401-490-2

Der Regen zur Monsunzeit fällt im Medak noch spärlicher als in anderen Distrikten Andhra Pradeshs. Verheerend ist das für die Bauern, die auf bewässerungsintensiven Ackerbau von Reis, Baumwolle und anderen cash-crops gesetzt haben. Die Kleinbauern im Medak jedoch pflanzen diese Agrarprodukte kaum an. Sie brauchen zu viel Wasser, Dünger und Pestizide und sind den harschen Klimabedingungen kaum gewachsen. Hier hat die DDS in 75 Dörfern Frauen aus den unteren Kasten in so genannten Sanghams, das sind lokale Frauenräte, organisiert. Obwohl der Distrikt als einer der ärmsten in Indien gilt, ist das Wort Hunger für die Frauen aus den Sanghams zum Fremdwort geworden. 2002, während einer Dürreperiode, wollte die Regierung Reis in der Region verteilen, um eine Hungersnot zu verhindern. Die Frauen aus den Sanghams haben dankend abgelehnt. "Früher hatte ich kein eigenes Land, aber seit einigen Jahren habe ich knapp einen Hektar", berichtet stolz Samamma Bidakanne. "Darauf baue ich verschiedene Feldfrüchte an, die je nach Jahreszeit variieren: Sesam, Kuhbohnen, Finger-, Perlen- und Mohrenhirse, Mungobohnen, Saubohnen und die Jackbohnen." Die Bäuerinnen der DDS setzen auf die Artenvielfalt der Region.

Ihr genaues Alter weiß Samamma Bidakanne nicht. Mit ungefähr zwölf Jahren wurde sie verheiratet. Sie blieb Analphabetin. Ihr ältester Sohn ist 20 Jahre alt und hilft bei der Feldarbeit, die anderen gehen noch zur Schule. Sie ist stolz darauf, dass ihre Kinder heute lesen und schreiben lernen und keinen Hunger mehr leiden müssen. Das war früher anders. Als die Kinder noch klein waren, musste die Familie oft hungrig einschlafen.

Heute hat es Samamma Bidakanne als Unberührbare sogar zu bescheidenem Wohlstand gebracht. Während ihre Schwägerin die Mohrenhirse in einer handbetriebenen Mühle aus Stein zermahlt, um anschließend daraus Brotteig zu machen, schauen ihre Kinder fern. Den Fernseher hat sie gekauft, obwohl sie das Geld lieber gespart hätte, vielleicht hätte sie sich irgendwann eine elektrische Mühle kaufen oder einen Brunnen graben lassen können. So muss sie weiterhin den weiten Weg zum Dorfbrunnen gehen. Aber ihr ältester Sohn ist fasziniert vom Fernsehen und hat sie zum Kauf überredet.

Der Weg zu ihrem Acker ist verhältnismäßig kurz. Fünf Minuten dauert er und oft geht sie ihn zusammen mit ihrer Nachbarin Peda Chandramma, die auch Mitglied im Sangham, dem Frauenrat ist. Dann jäten sie zum Beispiel Unkraut. Sie werfen es nicht weg, sondern kompostieren es; einige Pflanzen verwenden sie als Nahrungsmittel oder Viehfutter. Für die Feld-
arbeit benutzen die Frauen weder Kunstdünger noch Pestizide und auch keine Maschinen. Sie arbeiten mit Hacken und Sicheln; täglich sechs bis acht Stunden verbringen sie auf dem Feld. Das Pflügen mit den Ochsen allerdings ist reine Männerarbeit. "Alle Feldfrüchte, die wir anpflanzen, kommen ohne künstliche Bewässerung aus, ihnen reicht normalerweise der Monsunregen", sagt Peda Chandramma. Doch was macht sie, wenn der Regen ausbleibt? "Wir bauen verschiedene Pflanzenkulturen an. Wenn eine Sorte verloren geht, reicht die Ernte einer anderen aus, um uns zu ernähren, vielleicht sogar, um etwas auf dem Markt zu verkaufen", so Samamma Bidakanne. Auch in diesem Jahr ist nicht die ganze Ernte verloren. "Zwar werden wir kein einziges Kilo Fingerhirse ernten, aber Dicke Bohnen, Mungobohnen und die Perlhirse werden uns zum Leben reichen."

Der Boden ist steinig und schwer zu bearbeiten. Vor zehn Jahren war er noch im Besitz der Regierung und lag brach. Mitte der 90er Jahre hatten die Frauen bei den lokalen Verwaltungsbeamten in der nahe gelegenen Stadt Zaheerabad die Nutzung dieser Äcker beantragt. Die DDS unterstützte sie dabei. Mit Erfolg: "Wir können dieses Land bis an unser Lebensende behalten", freuen sich die beiden Frauen. Um jedoch die damalige Brache wieder fruchtbar zu machen, brauchten sie Pflüge und Dünger. Beides konnten sie sich als Landarbeiterinnen nicht leisten.

Für jeden Acker haben die Frauen einen Kredit von 4200 Rupien von der DDS erhalten, das sind umgerechnet 75 Euro, mehr als ein durchschnittliches Monatseinkommen eines Kleinbauern in Indien. Der Frauenrat hat davon aber keine Pestizide und keinen Kunstdünger, sondern Ochsen gekauft. Die Frauen zahlen den Kredit jährlich mit 125 Rupien pro Acker zurück, außerdem haben sie sich verpflichtet, jeweils 150 Kilo ihres Getreides abzugeben, das dann im Dorf gelagert wird, in der Regel Hirse und Bohnen. Denn die sind viel nahrhafter als Reis und enthalten mehr Proteine. Der Frauenrat verteilt das lagerfähige Getreide an Bedürftige, vor allem an Landlose, aber auch an Bauern, die eine Missernte hatten. Und er verwaltet das Saatgut, das in der nächsten Saison kostenlos verteilt wird.

Damit entscheiden die Frauen auch darüber, was angebaut wird. Aus gutem Grund: Denn ihre Männer sind weitaus anfälliger für die Propaganda, mit der die neuen "Wundermittel" in der Landwirtschaft eingeführt werden sollen. Bei einer Befragung in ihren Dörfern haben sich viele Männer vor allem für die Saatgutsorten ausgesprochen, deren Früchte auf dem Markt gefragt sind, die so genannten "cash crops " *. "Ich kaufe mir kein kommerzielles Saatgut, denn dann wird man zu einem Sklaven der Händler, die uns verschiedene Sorten Saatgut, Pestizide und all dieses Zeug andrehen", sagt dagegen Peda Chandramma. "Wenn wir die verschiedenen traditionellen Getreidesorten aussäen, können wir uns von der Ernte ernähren oder sie mehrere Jahre lagern. Das macht uns viel unabhängiger."

Delegierte Frauen der Sanghams treffen sich regelmäßig in Pastapur. Dort tauschen sie ihre Erfahrungen aus, planen politische Kampagnen und Medienprojekte. Da die meisten Dalit-Frauen weder lesen noch schreiben können, spielt die Verbreitung von Informationen - zum Beispiel über Konflikte in der Landwirtschaft bei den Baumwollbauern des Nachbardistrikts Warangal - mit Hilfe von Video-Filmen eine große Rolle. Sie werden nicht nur in den 75 DDS-Sanghams gezeigt, sondern auch in anderen Regionen des Bundesstaates. Den "Community Media Trust" gibt es seit 2001. Eine wichtige Motivation war die Berichterstattung der großen Fernsehanstalten in Andhra Pradesh 27 , die Themen der Landbevölkerung und der Marginalisierten überhaupt nicht mehr aufgriff. "Die Medien gehören den Eliten, sie produzieren sie und haben dabei hauptsächlich sich selbst im Blick", kommentieren die Frauen die indische Medienlandschaft. Ausgestattet mit mehreren Kameras, Mikrofonen und einem Schnittpult in Pastapur drehen die Frauen deshalb ihre eigenen Filme zu Themen, die ihnen wichtig sind: Landwirtschaftliche Produktion, Saatgut, Umgang mit natürlichen Ressourcen. "Die Reporter aus den Städten verstehen unsere Sprache nicht, geschweige denn unser Leben", sagt Chinna Narsamma (CN), die seit Jahren im Media-Trust der DDS mitarbeitet. Ebenso wie Samamma Bidakanne (SB) und Peda Chandramma (PC) hatte sie Gelegenheit, Erfahrungen mit Bauern im Ausland auszutauschen.

"Wir hatten immer gedacht, sie wären reich und glücklich"

Gerhard Klas: Indische Kleinbäuerinnen haben normalerweise keine Gelegenheit, ins Ausland zu reisen. Einige von Ihnen haben hingegen schon die Grenzen des indischen Subkontinents überschritten. Was haben Sie dort erlebt?

CN: Wir haben viele Länder besucht: Bangladesh, Sri Lanka und Nepal. Dort sind die meisten Bauern wie wir. Sie besitzen keine großen Ländereien. Aber als wir nach London und Großbritannien gefahren sind, haben wir keine Kleinbauern getroffen. Dort besaß jeder Bauer riesige Äcker, manche sogar mehr als tausend Hektar. Wir hatten immer gedacht, dass alle Bauern, die so viel Land besitzen, reich und glücklich sind. Aber als wir dort waren, haben wir nichts davon gemerkt. Wir hatten den Eindruck, dass sie nicht die Freiheit hatten, das anzupflanzen, was sie pflanzen wollten. Sie folgten den Anweisungen der Regierung. Die gab ihnen Geld, wenn sie einen Teil ihrer Äcker brachliegen ließen. Wir hatten das Gefühl, dass diese Bauern, obwohl sie so riesige Ländereien hatten, nur sehr wenig Freiheit hatten zu entscheiden, was sie anbauen, was sie essen, was sie verkaufen. Sie haben sich völlig der Regierung und dem Markt untergeordnet. Wir haben zum Beispiel einen Bauern getroffen, der hatte so viel Land, da wären drei Dörfer aus dem Medak mit ausgekommen. Wir dachten, er sei reich und glücklich. Aber als wir dann zusammensaßen, erzählte er, dass er mehr als hunderttausend Pfund Sterling Schulden hat. Wir fragten ihn, wie es dazu gekommen sei. Er tat uns wirklich Leid. Und dann fiel uns ein weiterer Gegensatz auf: Bei uns fühlen wir uns dem Boden und den Tieren sehr verbunden. Das ist ein integraler Bestandteil unserer Landwirtschaft. Doch dort gibt es so etwas nicht. Alles ist voneinander getrennt, es gibt keine Beziehungen zu Boden und Tieren, wie wir sie kennen. Zu dritt haben sie dort das riesige Land bearbeitet, alles mit Maschinen. Das hat uns sehr ernüchtert.

SB: Mit vielen anderen Farmern war ich in Kanada. Als ich mir ihre riesigen Ländereien und ihre Maschinenparks angeschaut und mit den Bauern dort geredet habe, verstand ich, dass die Landwirtschaft für sie eine sehr schwierige Angelegenheit geworden ist. Sie hatten ihr Wissen über die Landwirtschaft verloren. Sie war nicht mehr Teil ihres Lebens. Was sie als Landwirtschaft betreiben, kommt nicht mehr dem Land zu Gute. Es gibt nur noch Geschäftemacherei. Auf diese Weise
versuchen sie zu leben und haben dabei die Landwirtschaft völlig ruiniert. Peru war hingegen völlig anders. Dort benutzen die Bauern so gut wie keine Maschinen. Sie arbeiten hart auf ihrem Land und benutzen keine Chemie. Ihre Feldfrüchte haben eine hervorragende Qualität.

Feldarbeit ist harte Arbeit. Sind bestimmte Techniken - nicht unbedingt gentechnisch verändertes Saatgut, aber vielleicht Hilfsmittel wie Traktoren - ein Fortschritt?

SB: Wir haben riesige Maschinen gesehen. Eine davon konnte an einem Tag 50 Hektar Land umpflügen. Das ist bemerkenswert - aber wo sollen die ganzen Leute hin? Für uns ist es wichtig, auf dem Acker zu arbeiten. Jeder produziert, was er kann und muss hart arbeiten. Wenn ich, um mehr Freizeit zu haben, zu meiner eigenen Befriedigung oder aus Habgier mit einer solchen Maschine arbeite, dann nehme ich zehn Familien Arbeit und Auskommen weg. Aber jeder trägt doch Verantwortung dafür, dass auch der andere leben kann. Deswegen sollten wir solche Maschinen nicht einsetzen. Auf dem Ackerboden zu arbeiten, das erhält und vergrößert auch unser Wissen.

PC: Mir wurde gesagt, für diese Maschinen braucht man große Äcker. Die haben wir aber hier in unserer Gegend nicht. Wir sind alle Kleinbauern und haben nur wenige Hektar. Einen Acker, halb so groß wie unser Dorf, bräuchte eine solche Maschine. Aber wenn einer bei uns zwei oder drei Hektar Land besitzt, dann gehört er schon zu den "großen" Bauern im Dorf. Wir brauchen diese Maschinen nicht. Wir haben unsere Rinder und Ochsenkarren. Das reicht uns, damit sind wir zufrieden.

CN: Maschinen haben ihren eigenen Platz im Leben. Zum Beispiel Computer, Flugzeuge und Autos. Damit haben wir kein Problem, wir benutzen sie. Oder Mühlen, mit denen wir Mehl mahlen. Aber wenn es um die Landwirtschaft geht, wenn man Maschinen zum Pflügen, Aussäen und Ernten benutzen will, was passiert dann mit all den Bauern, die jetzt hier leben? Sollen sie alle sterben? Gibt es nicht Menschen, die von genau dieser Arbeit leben? Wo sollen sie hingehen? Deshalb sind wir der Überzeugung, dass es für diese Maschinen in der Landwirtschaft keinen Platz gibt.

Wenn Sie Ihre Erfahrungen aus anderen Ländern mit berücksichtigen - sehen Sie die Gefahr, dass der Landwirtschaft überall auf der Welt das westliche Modell der Agrarindustrie aufgezwungen wird - auch den indischen Kleinbauern?

CN: Wenn sie mit ihren Plänen und ihren Maschinen kommen, treffen sie hier auf Kleinbauern mit kleinen Äckern. Unsere Felder werden zu großen Ländereien zusammengelegt werden, die Maschinen werden die ganze Arbeit übernehmen. Und was passiert mit uns? Wir werden das Land, unsere Dörfer, verlassen müssen und in den Straßen der großen Städte betteln. Wie werden wir dann unser Leben bestreiten? Die Agrarindustrie ist eine reale Bedrohung für uns.

SB: Wir alle haben Angst davor. Und dabei geht es nicht nur um das Leben der aktiven Bauern, sondern um die Existenz ganzer Dorfgemeinschaften. Unsere Landwirtschaft kümmert sich auch um die Jungen, Alten, Behinderten, Kleinkinder, das Vieh, alles. Es ist eine umfassende Landwirtschaft, die wir hier betreiben. Sie unterstützt alle, die hier leben. Eine mechanisierte Landwirtschaft würde uns von der Verantwortung für die anderen abbringen. Eine solche Landwirtschaft interessiert sich nicht für Behinderte und Alte. Alle diese fragilen Mitglieder unserer Dorfgemeinschaft müssten gehen - und viele mehr. Dabei hätten nur die Jungen und Gesunden eine Chance, in der Stadt mit körperlicher Arbeit ein Auskommen zu finden. Niemand weiß, was mit den Alten, Behinderten, den Armen und Kranken passieren würde.

Schon heute verlieren viele Millionen Inder, die im öffentlichen Dienst und in der Verwaltung tätig sind, ihre Arbeit. Viele Beschäftigte wehren sich dagegen. Sehen Sie Gemeinsamkeiten in ihren Kämpfen?

SB: Es gibt auch eine Bewegung von der Stadt auf das Land. Ich würde es als "Revival" der Landwirtschaft bezeichnen. Viele Leute, die von Arbeitsplätzen in den Städten abhängig waren, kommen zurück aufs Land. Sie kaufen sich einen Acker und bauen an. Oder betrachten wir unsere Kinder: Heute sind wir in der Lage, sie bis in die zehnte Klasse zu schicken. Aber für die weitere Schulbildung fehlt uns das Geld. Selbst wenn wir uns das Essen vom Mund absparen würden, könnten wir es uns nicht leisten, sie eine höhere Schule besuchen zu lassen. Und dann wäre es ja immer noch unsicher, ob sie überhaupt eine Arbeit bekämen. Also bleibt auch für sie nur der Weg in die Landwirtschaft. Es gibt keinen anderen. Davon können wir alle leben. Höchstens 25 Prozent der Bevölkerung können Arbeit in den Städten finden. Aber 75 Prozent werden auch weiterhin Landwirtschaft betreiben müssen und so ihren gesellschaftlichen Beitrag leisten.

Sie haben 2003 am Asian Social Forum in Haideraba d 28 teilgenommen. Was hat das Ihnen gebracht?

CN: Wir hatten dort einen großen Stand. Viele Teilnehmer sind gekommen und haben sich unser Saatgut angeschaut und unsere Gerichte gegessen. Die meisten haben hier zum ersten Mal erfahren, wie viele verschiedene Sorten Hirse es überhaupt gibt. Für einige war es eine regelrechte Entdeckung. An den meisten Ständen gab es ausschließlich Bücher, Kassetten, Fahnen und Symbole. Viele Besucher unseres Standes haben erkannt, was unser Reichtum ist. Und für uns war es auch interessant, die vielen Arbeiter und gebildeten Leute zu treffen. Wir denken, dass wir alle gleichberechtigt nebeneinander leben müssen, die produzierenden Menschen, die Industriearbeiter, die Leute, die lesen, schreiben und denken. Wir alle müssen uns zusammenschließen. Nur wenn das gelingt, kann unsere Gesellschaft überleben.

PC: Das Sozialforum hat uns Mut gemacht. Wir waren dort mit sehr vielen Leuten. Es gab viele Lieder und Aufführungen, viele Reden und Demonstrationen. Aber nur einige von uns waren von Anfang an dabei, vor allem die, die den Stand betreuten. Später, als die anderen kamen, sind wir nicht nur an unserem Stand geblieben, sondern haben auch bei Demonstrationen mitgemacht. Wir waren sehr froh, Teil dieser Bewegung zu sein.

SB: Inmitten so vieler verschiedener Menschen, von Handwerkern, Arbeitern und vielen anderen, hatten wir das Gefühl, Teil einer größeren Sache zu sein. Das war sehr ermutigend. Außerdem hatten wir den Eindruck, dass unser Anliegen, nämlich die Bedeutung der organischen Landwirtschaft, dort sehr viel Beachtung fand. An unserem Essenstand ging es turbulent zu: Wir hatten kaum das Brot fertig gebacken, da war es auch schon wieder ausverkauft. Es gab eine große Nachfrage nach all unseren Produkten. Das hat uns sehr gut gefallen. Manchmal dachten wir, dass unser Thema, die organische Landwirtschaft, die Hälfte des Forums ausmacht. Das hatten wir nicht erwartet.

Normalerweise wissen die städtischen Inder nicht viel über die Landbevölkerung. Das sind zwei völlig fremde Welten. Sind Widersprüche zwischen diesen Welten auf dem Asian Social Forum deutlich geworden?

SB:Wir haben keine Widersprüche bemerkt. Im Gegenteil: Viele Städter sind zu unseren Veranstaltungen gekommen, haben uns zugehört und bewunderten vieles von dem, was wir machen und ihnen erzählt haben. Vor allem unser Workshop zur "Vision 2020" war sehr gut besucht, auch von Wissenschaftlern und Akademikern. Sie bestätigten, dass Landwirtschaft sehr viel bedeutet und zahlreiche Fähigkeiten umfasst. Sie sprachen sich auch gegen die industrielle Landwirtschaft aus. Sie haben uns unterstützt, nicht widersprochen.

"Vision 2020" (siehe Kapitel 3) ist von der internationalen Beratungsagentur McKinsey entwickelt worden. DDS hat eine Kampagne mit mehr als 300 Frauen durchgeführt, die in Andhra Pradesh von Dorf zu Dorf gezogen sind. Wie haben die Leute reagiert, als Sie ihnen erklärten, wer hinter dieser gegen die Landbevölkerung gerichteten Politik steht?

CN: Die Leute auf dem Land sind weder dumm noch sind sie ignorant. Sie verfügen über viel Wissen. Aber wenn Programme wie "Vision 2020" ausgearbeitet werden, sind sie nicht beteiligt. Es ist ihnen nicht bewusst, was da auf sie zukommt. Es gibt nur wenig Leute, die etwas darüber in den Tageszeitungen gelesen haben. Wir Bäuerinnen sind losgezogen, haben uns mit den Dorfbewohnern zusammengesetzt, das Programm gelesen, mit ihnen darüber gesprochen und ihnen unsere Meinung gesagt. Ihre Reaktion war eindeutig: Unser Wissen, unsere Landwirtschaft, unser Leben, das gehört uns. Das ist so seit tausend Jahren und niemand kann uns das wegnehmen, weder mit kommerziellem Ackerbau, noch mit gentechnisch manipuliertem Saatgut. Wir werden nicht zulassen, dass sie sich bei uns einnisten.

PC: Es gab nicht nur Diskussionen. Die Dorfversammlungen haben auch Resolutionen verabschiedet, in denen sie erklärten, dass sie der Politik von "Vision 2020" nicht folgen, dass sie sich widersetzen und protestieren wollen.

SB: Die Kampagne in den Dörfern hatte einen Langzeiteffekt. Zunächst hatten die Leute sich darauf festgelegt, dass sie eine Landwirtschaft wie in der "Vision 2020" vorgesehen nicht wollen. Aber unsere Kampagne hat noch viel mehr ausgelöst: Menschen, die sich mehr und mehr von der Landwirtschaft abgewandt haben, haben sich wieder umorientiert. Es gab viele Diskussionen, nicht nur mit Bauern, auch mit Konsumenten, Arbeitern und Städtern. Es ist eine solidarische Verbundenheit entstanden. Heute fordern viele von ihnen von der Regierung, dass sie uns in Ruhe lassen soll. Unsere Kampagne hat also das Bewusstsein geschärft, das Augenmerk der Leute auf die Landwirtschaft gelenkt und dazu beigetragen, dass überall Solidaritätsgruppen entstanden sind.

Betrachten Sie Gewalt - nicht gegen Menschen, aber zum Beispiel in Warangal gegen die Läden, in denen Pestizide und gentechnisch manipuliertes Saatgut verkauft werden - als gerechtfertigt?

CN: Was die Bauern dort machen, ist richtig. Drei Jahre lang wurde ihnen der Traum von der BT-Baumwolle verkündet. Ihnen ist so viel Hoffnung gemacht worden. Deshalb haben sie so viel Geld investiert. Jetzt stecken sie in der Falle, sind noch höher verschuldet als vorher. Viele haben sich deshalb das Leben genommen. Wenn ihnen diese Art Gewalt angetan wird und ihr Leben auf dem Spiel steht, dann müssen sie sich mit Gewalt wehren. Aber es geht nicht nur um die Geschäfte in Warangal. Wenn diese Art von Betrug weitergeht, dann werden auch die Fabriken brennen.

PC: Ich denke, es ist auch der Fehler der Bauern. So etwas passiert, wenn sie zu gierig werden. Als die Ernten im ersten und zweiten Jahr schlecht waren, hätten sie ihre Lektion längst gelernt haben müssen und nicht noch einmal das Saatgut kaufen sollen. Sie hätten sagen sollen: Wir werden eure Saat nicht aussäen.

SB: Wir hätten viel früher aktiv werden sollen. So wie hier im Medak. Als sie anfingen, bei uns mehr und mehr Felder mit Baumwolle zu bepflanzen, hatten wir dagegen Kampagnen organisiert. Dadurch ist es uns gelungen, die Verbreitung der Baumwolle hier in Grenzen zu halten und auch die BT-Baumwolle konnte hier keinen Einzug halten. Dieses Vorbeugen ist der einzige Weg, um Gewalt zu verhindern.

CN: Ich bin nicht einverstanden mit Peda Chandramma. Es ist nicht der Fehler der Bauern. Als wir unseren ersten Film über die BT-Baumwolle in Warangal gemacht und gezeigt haben, wie die Bauern durch den Anbau Verluste einfahren und regelrecht zerstört werden, waren zahlreiche Medienvertreter, Politiker und Wissenschaftler anwesend. Alle hatten verstanden, was dort passiert war. Aber der Minister für Landwirtschaft sagte auch, dass die Bauern zweimal nachdenken sollten, bevor sie die BT-Baumwolle anbauen. Wenn alle anfangen, die Bauern selbst verantwortlich zu machen, wofür haben wir dann Wissenschaftler, Agrarexperten und die Regierung? Warum haben sie nicht verhindert, dass die BT-Baumwolle auf den Markt kam? Wenn die Regierung dazu nicht in der Lage war, welches Recht hat sie, die Bauern zu beschuldigen? Alle Bauern wollen ein bisschen mehr verdienen. Die Werbung war massiv. Sie löste einen regelrechten Ansturm auf das neue Saatgut aus. Die Bauern haben gedacht, es sei das neue Wundermittel. Es ist die Pflicht der Wissenschaftler und der Regierung, über diese Art von Technologie und ihre Schädlichkeit aufzuklären. Sie tragen die Verantwortung, sie tragen die Schuld. Nicht die Bauern.

Wie stehen Sie zu den Naxaliten hier in Andhra Pradesh?

CN: Ich finde es richtig, was die Maoisten machen. Wer kämpft denn für die Armen? Sie kämpfen für eine gerechte Verteilung des Landes und des Wohlstandes. Sie wollen den Reichen etwas wegnehmen. Bisher war es immer so, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer wurden. Vor kurzem habe ich gehört, dass die Maoisten ein Stück Wald in Beschlag genommen und es den Armen zur Verfügung gestellt haben. Aber dass sie die Bäume gefällt haben, hat mich traurig gemacht. Ich finde es gut, wenn die Armen Land bekommen - aber ohne dabei die Umwelt zu zerstören. Sie hätten die Bäume nicht fällen sollen.


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