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Updated: 18.12.2012 16:07 |
Frankreich am zweiten Sonntag der Parlamentswahlen: ZUM AUSGANG DER SCH...WAHLEN - Erste Quittung für antisoziale Pläne der Regierung Sarkozy/Fillon Am Schluss gab es doch noch eine kleine Überraschung. Die "blaue Welle" fiel nicht so hoch aus, wie es die meisten Beobachter erwartet (befürchtet oder erhofft) hatten. Zwar hat der konservative Bürgerblock in Gestalt der Regierungspartei UMP, deren Parteifarbe blau ist, eine rund 60prozentige Sitzemehrheit in der nächsten französischen Nationalversammlung inne. Das Mehrheitswahlrecht sorgte dafür, dass auch mit knappem Vorsprung für die stärkste Mehrheit diese noch über eine satte Mehrheit an Mandaten verfügt. Aber die Tendenz des Wahlausgangs fällt an diesem Sonntag schon anders aus als beim ersten Wahlgang, eine Woche zuvor. Die parlamentarische "Links"opposition erlebt einen Aufschwung, und wird in der künftigen Nationalversammlung für die kommenden fünf Jahre stärker vertreten sein als in jener der Periode 2002 bis 2007. Die Sozialdemokratie hat (mit kleineren verbündeten Formationen zusammen) rund 50 Sitze mehr als im bisherigen Unterhaus des französischen Parlaments. Die UMP und ihre Verbündeten ihrerseits haben nunmehr 45 Sitze weniger. Konkret hat die Sozialdemokratie allein nunmehr 185 Sitze (von 577). Hinzu kommen die ,Radicaux de gauche', deren Name in deutschen Medien oft fälschlich als "Linksradikale" übersetzt wird, die jedoch eine linksliberale Traditionspartei sind - der Begriff "Radicaux" bezeichnet die antiklerikalen Liberalen im späten 19. Jahrhundert, der damaligen deutschen Bezeichnng "Freisinnige" entsprechend. Die Linksnationalisten unter Ex-Innenminister Jean-Pierre Chevènement zählen ebenfalls zu den verbündeten Formationen. Zusammen kommt dieser Block auf nunmehr 205 Sitze, rund 50 Mandate mehr als bisher. Die konservative UMP und ihre Verbündeten, darunter die Rechtskatholiken unter Philippe de Villiers, kommen nun auf 324 Sitze. Bislang hatte die UMP allein ihrer 359 inne. Die französische KP und ihre kleineren Verbündeten kommen auf 18 Sitze. Ihnen droht zwar immer noch der im Voraus prophezeite Verlust ihres Fraktionsstatus (für den man 20 Abgeordnete benötigt), aber es könnte ihnen nun doch noch gelingen, dem zu entgehen. Es würde genügen, dass sie Abgeordnete kleinerer Formationen (bspw. der Grünen, die ihrerseits nun vier Sitze innehaben, bisher waren es drei) zur Bildung einer gemeinsamen Fraktion gewinnen, und die Sache wäre gerettet. Alles in allem hat zwischen den beiden Wahlgängen, in gewissem Ausmaß, ein Tendenzwechsel stattgefunden. Man hatte der Regierungspartei UMP einen Erdrutschsieg und "400 bis 500 Sitze" vorhergesagt, ähnlich wie zuletzt 1993 am Ausgang der Mitterrand-Ära (als die bürgerliche Rechte 472 von 577 Sitze holte, da die Sozialdemokratie vollkommen diskrediert war). Die Ergebnisse im ersten Wahlgang passten dazu. Denn am ersten Wahlsonntag der Parlamentswahlen - dem 10. Juni - wurden bereits 110 Abgeordnete direkt gewählt, d.h. erhielten eine absolute Mehrheit der Stimmen in ihrem Wahlkreis. Unter ihnen waren 109 Konservative. Nunmehr hat sich der Wind aber doch, bereits jetzt, ein wenig zu drehen begonnen. Die Phase, während derer dem frisch gewählten Präsidenten Nicolas Sarkozy alles zu gelingen schien, ist anscheinend vorüber. Zumal der sich nun gezwungen sieht, seine Regierung umzubilden: Sarkozy bzw. sein Premierminister François Fillon hatte zuvor die Spielregel aufgestellt, dass ein Minister, der bei der Parlamentswahl durchfällt (die Mehrheit der Regierungsmitglieder stellte sich den Wählern, obwohl ein Minister im französischen System nicht zugleich ein Abgeordnetenmandat wahrnehmen darf), zurücktreten muss. Und nun ist glatt die "Nummer Zwei" der Regierung durchgerasselt, der Vize-Premierminister (und Minister für Umwelt und nachhaltige Entwicklung), der alte bürgerliche Technokrat Alain Juppé. In Bordeaux, wo man seit Jahrzehnten konservativ wählte, scheiterte er mit 49,07 %. Den Hauptanteil an diesem (in gewissen Grenzen) stattgefundenen Tendenzwandel trug offenkundig die Debatte über die Anhebung der Mehrhwertsteuer. Wirtschaftsminister Jean-Louis Borloo war unvorsichtig genug gewesen, am ersten Wahlsonntag (10. Juni) im Fernsehen auf eine Fangfrage seines sozialdemokratischen Amtsvorgängers Laurent Fabius - Wirtschafts- und Finanzminister von 2000 bis 02 - nach der eventuellen Erhöhung der Mehrwertsteuern zu antworten: Jawohl, dies werde "geprüft". Anscheinend war die Regierung, in ihrer Arroganz und Überheblichkeit, sich ihrer Sache zu sicher gewesen. Man hätte die Pläne wohl besser nicht zu früh ausgeplaudert. Den Stimmbürgern hat es nicht gefallen. Tatsächlich verdeutlicht das Vorhaben der Regierung, die bisherigen Sozialabgaben der Unternehmen auf die Verbrauchssteuern (die durch die Konsumentinnen und Konsumenten, unabhängig von ihrem Einkommen, an der Kasse bezahlt werden) abzuwälzen, außerordentlich gut den Klassencharakter ihrer Politik. Was das alles für künftige soziale Proteste und Mobilisierungen - auf der Straße - bedeuten wird, bleibt im Moment noch abzuwarten. Klares Anzeichen für den Klassencharakter dieser Regierung: Umwälzung der Sozialabgaben der Arbeitgeber auf die Konsumsteuern Ein bisschen Schwung ist in den letzten 8 Tagen noch in den Wahlkampf gekommen, da die französischen Sozialisten seit dem Abend des ersten Wahlgangs nunmehr ein zugkräftiges Argument für sich entdeckt hatten: Sie betrieben Wahlkampf gegen "eine Mehrwertsteuer von fast 25 Prozent". Das hat einen ernsten Hintergrund, denn der neue Wirtschaftsminister Jean-Louis Borloo hatte am vergangenen Sonntag tatsächlich unvorsichtig ausgeplaudert, dass daran gedacht wird, die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme und des Staatshaushalts umzuschichten. Nachdem im Juli 2007 eine Reihe von Maßnahmen zur Steuersenkung beschlossen worden sein werden - die überwiegend den Besser- und Bestverdienenden nutzen werden - wie eine weitgehende Abschaffung der Erbschaftssteuer (die ohnehin von drei Vierteln der Franzosen nicht bezahlt wird), wird der Staat dringend Geld benötigen. Oder aber die Sozialkassen drohen trocken gelegt zu werden. Die Kosten für die "Steuergeschenke", wie sie es nennen, beziffern die Oppositionspolitiker auf 11 bis 19 Milliarden Euro Einnahmenausfall jährlich, die Regierung spricht von elf Milliarden. Ferner sollen die Arbeitgeber keine Sozialabgaben mehr auf Überstunden, welche die Regierung ja erleichtern und "ermutigen" möchte, bezahlen - und die abhängig Beschäftigten ihre Überstunden nicht länger versteuern. Das allein wird, laut Premierminister François Fillon, sechs Milliarden pro Jahr kosten. Nunmehr hat die Regierung die vermeintliche Patentlösung dafür gefunden: Die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme soll stattdessen auf die Mehrwertsteuer umgelegt werden. Und damit freilich auf die sozial ungerechteste Steuer, die für alle Konsumentinnen und Konsumenten gleich hoch ausfällt, wenn sie die gleiche Summe für den Kauf von Produkten ausgeben - für den Milliardär ebenso wie für die Sozialhilfeempfängerin. Nicolas Sarkozy hatte schon vor der Wahl die Idee einer Mehrwertsteuer-Anhebung unter dem Titel "Soziale TVA" ("sozial", da das Vorhaben angeblich die Schaffung von Arbeitsplätzen begünstigt, und TVA ist die französische Abkürzung für Mehrwertsteuer: ,Taxe de valeur ajoutée') ins Gespräch gebracht. Und sich dabei auch auf das Vorbild der Bundesrepublik Deutschland bezogen, wo die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent angehoben worden ist. Allerdings liegt sie in Frankreich bereits jetzt höher, bei 19,6 Prozent, und soll nun noch weiter angehoben werden. Wie Premierminister Fillon durchblicken ließ, möglicherweise um fünf Prozentpunkte, dies werde jedenfalls untersucht. Damit läge die TVA bereits bei 24,6 % - knapp unter dem Höchstwert, den die Europäische Union gestattet, die für solche Verbrauchssteuern einen Maximalsatz von 25 Prozent in ihren Mitgliedsländern vorsieht. Eilfertig wurde in der zweiten Wochenhälfte vom Elyséepalast dementiert: Eine solche Erhöhung "der Mehrwertsteuer in ihrer derzeitigen Form" - die Begründungen, warum die künftige Steuer eben eine andere Form haben wird, dürften dann nicht fehlen - sei ausgeschlossen, verkündete Nicolas Sarkozy, "wenn sie die Kaufkraft der Franzosen amputieren wird". Auch da wird es in naher Zukunft an Begründungen nicht mangeln, denn das für Juli geplante Steuersenkungspaket hört ja gerade auf den Namen "Maßnahmen für die Kaufkraft". Und tatsächlich verteilt die Regierung ja Kaufkraft an die Franzosen, wie angekündigt - fragt sich nur an wen, und in welchem gleichen oder ungleichen Ausmaß. Niedrige Wahlbeteiligung Dennoch fand zu den Parlamentswahlen keine Mobilisierung statt, vor allem nicht in den sozialen Unterklassen. Die Mehrheit der Französinnen und Franzosen möchte zudem keine Cohabitation mehr, wie man das aus früheren Jahren bekannte Nebeneinander eines Präsidenten und einer Parlamentsmehrheit aus unterschiedlichen politschen Lagern nennt. (Allerdings haben sie nun, de facto, das Nebeneinander von Repräsentanten des konservativen Lagers und ehemaligen Oppositionspolitikern im selben Kabinett als Ergebnis, nachdem Nicolas Sarkozy mehrere Opportunitätssucher und Günstlinge aus den Reihen der parlamentarischen Opposition abgeworben hat.) Die Wähler der Oppositionsparteien blieben daher an den beiden Wahlsonntagen zum Teil zu Hause, die Stimmenthaltung fiel schon im ersten Durchgang am vorigen Sonntag mit gut 39 Prozent außerordentlich hoch aus. Dasselbe Szenario wiederholte sich an diesem Sonntag: Im zweiten Wahlgang lag die Enthaltung erneut bei 39,2 Prozent (auf Frankreich ohne die Überseegebiete bezogen). Dazu trug sicherlich auch das allgemeine Medienklima bei, in dem die Wahlen - außer an den beiden Sonntagen selbst - nur eine vernachlässigbar geringe Rolle spielten. Es scheint fast so, als ob vielen Akteuren eine schwache Teilnahme durchaus recht wäre, da diese ihrer Auffassung nach das regierende konservative Lager, dessen Anhänger seit der Wahl Nicolas Sarkozys stark mobilisiert sind, begünstigen würde. Vor allem in den Trabantenstädten an der Peripherie der Ballungszentren, wo zahlreiche Familien aus den sozialen Unterklassen -- auch, aber nicht allein Einwandererfamilien -- aus finanziellen Gründen wohnen, wurden viele Wähler bei der Präsidentschaftswahl am 22. April, erstmals seit langen Jahren, in größerem Ausmaß zur Stimmabgabe mobilisiert. Ihr Wahlverhalten war aber oft extrem personenbezogen und die Frage "pro oder kontra Sarkozy" polarisierte die Stimmabgabe. Dort war die Mobilisierung bei der Präsidentschaftswahl Ende April und Anfang Mai au ß erordentlich stark, hingegen bei den jüngsten Parlamentswahlen ungleich schwächer. In Clichy-sous-Bois, jener Vorstadt 10 Kilometer östlich von Paris, von der im Oktober 2005 - aufgrund eines Vorfalls im Zusammenhang mit Polizeigewalt - die mehrwöchigen Unruhen in den Banlieues ausgingen, lässt sich dies besonders gut ablesen. Bei der Präsidentschaftswahl gingen hier 82 Prozent der in die Wählerlisten eingetragenen Stimmberechtigten zur Wahl. Im ersten Durchgang der Parlamentswahlen waren es nur noch 46 Prozent. Ähnlich sieht es auch in vielen anderen Trabantenstädten rund um Paris aus. Aber nicht nur dort sank die Beteiligung zwischen der Präsidentschafts- und der Parlamentswahl rapide ab. Für ein wenig Freude, Spaß und Unterhaltung bei der ganzen unerfreulichen Angelegenheit sorgten wenigstens noch die Eskapaden mancher Akteure. Belustigend ist zum Beispiel die monumentale Dummheit der UMP-Kandidatin Sylvie Noachovitch, die in Sarcelles gegen den sozialdemokratisch-neoliberalen früheren Wirtschaftsminister (von 1997 bis 99) Dominique Strauss-Kahn antrat, und nun haushochv verlor. Die Abenteuer der Sylvie N. im (urbanen) Dschungel Sarcelles ist eine Stadt knapp 10 nördlich von Paris, die zum Teil Wohnbedingungen wie eine Dritte-Welt-Metropole aufweist - ein Spiegelbild der Tatsache, dass in vergleichbaren Trabantenstädten über Jahrzehnte hinweg fast alles soziale Elend der Ballungsräume konzentriert worden ist. In Sarcelles waren in der zweiten Hälfte der 1950er Jahren die allerersten Hochhaussiedlungen errichtet worden. Obwohl Repräsentantin der sozialen Elite, hatte Sylvie Noachovitch an Ort und Stelle durchaus Chancen, populär zu sein, weil sie nämlich aus dem Fernsehen bekannt ist. Die prominente Anwältin, die sich auf Prozesse gegen Justizirrtümer spezialisiert hat, ist der Star einer Fernsehserie auf dem (1987 privatisierten und seitdem dem Betonriesen Bouygues [1] gehörenden) ersten Fernsehkanal namens ,Sans aucun doute' , die ähnlich wie früher die Folge "Nepper, Schlepper, Bauernfänger" im Rahmen der ZDF-Serie "Aktenzeichen XY ungelöst" konzipiert ist. Leider erweist sich einmal mehr, dass das Fernsehen und gerade der reaktionäre Sender TF1 einen erheblichen Einfluss auf die, nun ja, "politische Bewusstseinsbildung" (mit allen verfügbaren Anführungszeichen der Welt versehen) in den sozialen Unterklassen ausübt. Nun hat sich aber Noachovitch, die ständig auf den Marktplätzen von Sarcelles ihre "Liebe zu den Leuten" beschwor (nach dem Motto: "Wenn ich Kandidatin bin, dann nur aus Zuneigung zu den so ergreifenden und warmherzigen Leuten hier") und dabei wildfremden Personen buchstäblich um den Hals fiel, selbst wiederholt ein Bein gestellt. So schwor die Dame, die selbst im ungleich nobleren Pariser Vorort Enghien-les-Bains - Sitz eines berühmten Kasinos und des angrenzenden Badesees - wohnt, sie tätige ihre sämtlichen Einkäufe nur in ihrem Wahlkreis in Sarcelles. Jawohl, "beim Picard von Sarcelles" (Picard ist eine Kette für Tiefkühlkost). Bingo: Picard hat keine einzige Filiale in Sarcelles, also kann Madame dort auch kaum einkaufen. Und dann kam es noch doller. Am vergangenen Mittwoch berichtete die Pariser Enthüllungszeitung ,Le Canard enchaîné' (eine wahre Institution, und gewöhnlich gut unterrichtet...), was Madame anlässlich irgendeiner Sitzung der Jury für die Verleihung eines Literaturpreises so losgelassen habe. Unter anderem dieses: "Oh, mein Ehemann, der kann ruhig schlafen. In meinem Wahlkreis, da sind nur Schwarze und Araber. Die Idee, mit einem von denen zu schlafen, ekelt mich an." Die werten Wähler konnten es ihr danken.... Kopien dieses kleinen Artikels wurden alsbald überall in Sarcelles verklebt, und am Freitag schmiss ein vermummtes Individuum der gnäd'gen Frau auf einem Wochenmarkt in Sarcelles rohes Fleisch ins Gesicht. (Madame hat inzwischen Strafanzeige wegen "versuchten Totschlags" erstattet.) Bei den Wählern fiel Sylvie N. nun, mit 45 Prozent gegenüber 55 Prozent für den rechten Sozialdemokraten Strauss-Kahn, am Sonntag glatt durch. Im ersten Wahlgang, acht Tage zuvor, hatte Sylvie N. noch, mit 37,4 Prozent gegenüber 37 Prozent knapp vor dem sozialliberalen Ex-Minister (und langjährigen Abgeordneten des Wahlkreises) Strauss-Kahn gelegen. Das Konzept der ,fausse manif de droite' Auf diese Weise zeigte die Elite der feinen Herrschaften (und sauberen Damen) den braven Leuten noch vor dem zweiten Wahlgang ihr wahres Gesicht, wenn auch unfreiwillig. In ähnlichem Sinne, obwohl in diesem Falle die Vorführung natürlich bewusst erfolgt, funktioniert das Spektakel der ,fausse manif de droite' (falsche Demo der Rechten): Eine Anzahl von als Bourgeois verkleidenten DemonstrantInnen fordert offensiv die "Werte" der Rechten und der Besserverdienenden ein. Und dies in einer Art und Weise, welche zwar die Wirklichkeit oft ziemlich gut beschreibt, in welcher sich aber die betreffenden Kreise selbstverständlich nie gegenüber der Öffentlichkeit äußern würden. Am vorigen Dienstag etwa fand eine solche "falsche Demo der Rechten" in Paris statt, und erregte ziemlich hohes Aufsehen. Beliebt ist bei solchen Anlässen bspw. die Parole ,Tous tout seuls! Tous tous seuls' (Alle ganz für sich allein); unter Abwandlung des traditionellen Demo- und Streik-Slogans ,Tous ensemble, tous ensemble!' (Alle zusammen!) Vgl. dazu etwa einen Ausschnitt an dieser Stelle: http://www.dailymotion.com/video/x298rk_la-manif-de-droite-du-12-juin-2007 ... Nicht schlecht, und in ähnlichem Sinne angelegt, ist übrigens auch die Homepage « www.delation-gouv.fr » (Denunzierung-Regierung.fr), die wie eine officielle Regierungswebpage, mit der Endung -gouv.fr, aufgemacht ist. Darauf kann man seine Nachbarn, Arbeitskollegen. denunzieren, wenn sie nicht bei dem neuen konservativen Elan mitmachen mögen, etwa nicht der Aufforderung zu Ordnung und Arbeitseifer Folge leisten oder gar (oh Schauder !) illégale Ausländer beherbergen. "Bereits 99.000 Denunzierungen" sind demnach eingetroffen, etwa nach dem Motto: "Mein Nachbar gehört zu dem Frankreich, das früh aufsteht" (von dem Nicolas Sarkozy wiederholt gesprochen hat), "aber danach wieder ins Bett geht!" Sogar die sehr seriöse Pariser Abendzeitung ,Le Monde' hat amüsiert über die Homepage berichtet... Und nun noch ein paar Ausführungen zu Sarkozy und seiner Regierung, und ihrer realen Politik. Am Sonntag Abend haben sämtliche Regierungsvertreter, die in den Fernsehstudios präsent waren, bereits angekündigt, sie würden ihre "Reformen" unbeirrt fortsetzen und weiterhin mächtig aufs Tempo drücken. Denn "die Franzosen verlangen Aktion, die Franzosen verlangen Veränderung." Wie bereits bisher geplant, soll daher im Juli (während üblicherweise die Abgeordnetenferien ins Haus stehen) eine hochsommerliche Sondersitzung des Parlaments stattfinden, um die ersten wichtigen "Reform"projekte durchzuwinken: Steuer- und Abgabenbefreiung der Überstunden, "Autonomie der Universitäten" (wir berichteten), weitgehende Abschaffung der Erbschaftssteuer, Verschärfung des Strafrechts und der Regeln für die Familienzusammenführung von Zuwanderern. Im folgenden ein kurzer Überblick über den aktuellen Stand der Regierungspolitik, ohne das zu wiederholen, was bereits in früheren Artikeln festgestellt worden ist. Sarkozys Umtriebe in der Außenpolitik Im Moment steht die internationale Politik kaum im Mittelpunkt der französischen Wahlkampfdebatten, aus denen sie auch vor der Präsidentschaftswahl im April und Mai weitgehend abwesend war. Einzige Ausnahme bildet die Darfur-Problematik. Angesichts der dramatischen Situation für viele Insassen von Flüchtlingslagern, die vor dem Konflikt und vor Massakern geflohen sind, unternahm Außenminister Bernard Kouchner Anfang Juni einen Vorstoß: Der überzeugte Interventionist (einer der Väter des Konzepts eines ,droit d'ingérence' - eines "Rechts auf Einmischung" überall dort, wo die Menschenrechte verletzt werden) forderte, die französische Armee solle vom Tschad - wo sie stationiert ist - aus "humanitäre Korridore" zur Versorgung der Flüchtlingslager in Darfur schaffen. Die NGOs, die vor Ort tätig sind, schlugen hingegen die Hände über dem Kopf zusammen und warnten davor, "Militärisches und Humanitäres miteinander zu verquicken". Einer der Gründe dafür ist, dass ihre Mitarbeiter vor Ort fürchten, ansonsten selbst als Hilfstrupp der französischen Armee zu gelten und damit zukünftig entsprechend zur Zielscheibe zu werden. Ein anderes Motiv für ihren Widerspruch ist, dass das französische Militär im Tschad und im Sudan durchaus nicht als neutraler Faktor, der lediglich humanistischen Verpflichtungen gehorchen würde, wahrgenommen wird. Völlig im Gegenteil: Die französische Armee hat etwa noch im April 2006 durch den Einsatz ihrer Luftwaffe dem tschadischen Regime unter Präsident (Diktator) Idriss Déby geholfen, einen Ansturm der Rebellen aus dem Südosten des Landes blutig niederzuschlagen. Im tschadisch-sudanesischen Grenzgebiet leben dieselben "ethnischen Gruppen", die auf beiden Seiten der Grenze im Konflikt untereinander liegen (u.a. weil das Austrocknen der Region dafür sorgt, dass die traditionellen Kompromisse zur Aufteilung der Wasservorräte zwischen Ackerbauen und Viehzüchtern nicht länger funktionieren). Wobei aber jene Gruppen, die in der sudanesischen Provinz Darfur in der militärisch unterlegenen Position sind und deren Angehörige Opfer von Gewalt werden, im Tschad obenauf und an der Macht beteiligt sind, und umgekehrt. Deshalb kann die französische Armee grundsätzlich nur als Kampfpartei aufgefasst werden. Der frühere Präsident der Organisation Ärzte ohne Grenzen, MSF ( Médecins sans frontières ), Rony Brauman erklärte seinerseits in der Sonntagszeitung ,JDD' vom 10. Juni seine Opposition gegen Kouchners Vorschlag. Und führte aus: "Es ist bekannt, dass der Krieg (in Darfur) im eigentlichen Sinne, von 2003 bis 2005, rund 200.000 Tote und zwei Millionen Flüchtlinge verursachte. Heute sind wir auf einer völlig anderen Ebene von Gewalt. Statt, wie zuvor, 10.000 Toten im Monat haben wir jetzt 200 Tote monatlich. Wir haben es nunmehr mit einer Konstellation von (bewaffneten) Gruppen zu tun, die ihre Konflikte austragen oder aber Gewalt (Anm.: d.h. vor allem Raub) als Mittel zum Lebensunterhalt gewählt haben. Es gibt nicht mehr die identifizierbare Frontlinie, mit einer Armee und Rebellen, oder mit Kombattanten auf deren einen Seite und Zivilisten auf der anderen. Heute sind von den 200 Getöten pro Monat ein Gutteil Kombattanten dieser Gruppen." In dieser Situation einer unübersichtlichen "Framentierung der Gruppen" könne er vor einer militärischen Intervention nur warnen, die sonst ähnliche Ergebnisse wie die Intervention im Iraq zu produzieren drohe. Im Namen einer "westlichen Allmachtsfantasie" zu erwarten, durch militärisches Eingreifen alles regeln und die komplexe Konfliktkonstellation auf einen Schlag auflösen zu können, sei ein fataler Irrtum. Hingegen müsse man unbedingt mit der, vorhandenen, Nahrungshilfe für die Flüchtlinge fortfahren, da sonst ebenfalls katastrophale Konsequenzen drohten. Kouchner, der in diesem Punkt von Sarkozy unterstützt wird, sprach sich seinerseits für einen größeren "Voluntarismus" der westlichen Mäche betreffend Darfur und den Sudan aus. Doch von einem französischen militärischen Eingreifen ist im Augenblick nicht mehr die Rede, da die Regierung in der sudanenischen Hauptstadt Khartum - der Kouchner in der vergangenen Woche einen Besuch abstattete - inzwischen die Entsendung einer 18.000-köpfigen gemischten Truppe unter dem Oberbefehl der UN und der Afrikanischen Union (AU) akzeptiert hat. An diesem Sonntag berichtete ,Le Monde' in Paris, dass die französische Armee unterdessen eine Luftbrücke innerhalb des Tschad eingerichtet hat, um die Flüchtlingslager an der Ostgrenze des Landes besser zu versorgen. Am 25. Juni soll nunmehr in Paris eine internationale Konferenz über die Zukunft der Provinz Darfur stattzufinden. Nähere Ergebnisse bleiben abzuwarten. Hinter all diesem Eifer im Namen humanitären Engagements kann nicht übersehen werden, dass sich die allgemeine französische Afrikapolitik, die insgesamt unter neokolonialen Vorzeichen steht, keineswegs geändert hat. Trotz mancher rhetorischer Ankündigungen Nicolas Sarkozys, der bei einer Reise nach Mali und Bénin im Mai 2006 (vgl. dazu http://www.labournet.de/internationales/fr/ceseda.html ) verkündet hatte, den Umgang mit Afrika auf neue Grundlagen stellen und rundum erneuern zu wollen, ist in Wirklichkeit weitestgehende Kontinuität anzutreffen. Ja, kritische Beobachter wie die französische Solidaritätsvereinigung ,Survie' (die die Pariser Afrikapolitik untersucht) befürchten sogar perspektivisch eher eine Verschlimmerung, da Jacques Chirac noch paternalistisch wie ein ,guter Papa' aufzutreten beliebte, während Sarkozy im Konflikt mit den Herkunftsländern um den Zutritt afrikanischer Einwanderer bisher eher Arroganz und Härte demonstriert habe. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass der frisch ins Amt gekommene Präsident Nicolas Sarkozy als eines der ersten ausländischen Staatsoberhäupter überhaupt - und als ersten Staatschef des afrikanischen Kontinents - am 25. Mai ausgerechnet Omar Bongo im Elysée-Palast empfangen hat. Omar Bongo, der seit 1967 ununterbrochen amtierende Präsident der Republik Gabun, eines der erdölreichsten Staaten Afrikas, ist der dienstälteste Staatschef des Kontinents. Omar Bongo ist so etwas wie dem Kassenwart der Françafrique , jenes geradezu mafiösen Netzwerks, mittels dessen der französische Postkolonialismus Teile des afrikanischen Kontinents kontrolliert. Bongo kann politische Karrieren nicht nur in Afrika, sondern selbst in Frankreich fördern oder zerstören: In seiner vierzigjährigen Laufbahn hat er so viel Wissen über Korruptionsnetze, Finanzierungsquellen und geheime Waffenlieferungen angehäuft, dass er für viele Akteure der französischen Politik unumgänglich geworden ist. Er habe "genug Wissen, um die Fünfte Republik zehn mal in die Luft gehen zu lassen", drohte er im Januar 2001, als französische Ermittler den Spuren der "Affaire Falcone" - es ging um einen Waffendeal mit beiden Bürgerkriegsparteien in Angola - folgten und ihm bedrohlich auf die Pelle zu rücken drohten. Das Zitat fand sich damals im stockkonservativen , Figaro Magazine' . Seine Tochter Pascaline Bongo war als offizieller Gast zum UMP-"Krönungskongress" - wie viele Beobachter den Nominierungsparteitag, auf dem Nicolas Sarkozy offiziell seine Präsidentschaftskandidatur verkündete, die er seit 2002 vorbereitet hatte, spöttisch nannten - am 14. Januar dieses Jahres in den Pariser Messehallen eingeladen. Damit erweist sich, wie ernst es Nicolas Sarkozy tatsächlich mit dem bekundeten Willen zu einer "Erneuerung" der französisch-afrikanischen Politik ist: Es handelt sich um pure Lippenbekenntnisse. Nicolas Sarkozy, aber auch der andere bürgerliche Kandidat François Bayrou hatten Präsident Omar Bongo bereits im April getroffen, noch vor Abschluss der französischen Präsidentschaftswahl. Damals hatte sich Sarkozy bei dem Autokraten der Republik Gabun öffentlich für seine "guten Ratschläge" bedankt. Ringen um Sarkozys Pläne für einen "Mini-EU-Vertrag" Auf Ebene der Europäischen Union haben sich die Verhandlungen um einen Neuanlauf im EU-Verfassungsprozess intensiviert, die Nicolas Sarkozy jüngst neu angestoßen hatte. Anlässlich eines Treffens aller 27 europäischen Außenminister am Sonntag, zu dem es kaum offizielle Verlautbarungen gab, wurde versucht, die Sache in trockene Tücher zu bringen - fünf Tage vor einem "entscheidenden" Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Union. Dieses wird am 21. und 22. Juni in Brüssel stattfinden. Am 24. Mai begann sich erstmals ansatzweise ein neuer Konsens rund um Sarkozys Vorschlag, einen "Mini-Vertrag" herauszuschälen. Dieses Konzept beinhaltet eine verkleinerte Version des im Frühsommer 2005 an der französischen und der niederländischen Abstimmmung gescheiterten Verfassungsvertrags - die dann durch die Parlamente verabschiedet werden soll. Anders als 2005 sollen die Bevölkerungen also nicht mehr einer in Abstimmung konsultiert werden. Dafür hat Nicolas Sarkozy am 31. Mai in Madrid, nach einigen kontroversen Debatten, auch den spanischen Premierminister José Luis Rodriguez Zapatero gewinnen können. Am Donnerstag dieser Woche bemühte Sarkozy sich in Warschau um die Zustimmung der konservativen polnischen Regierung, wobei sich die Konturen eines Konsenses abzuzeichnen begannen. Hingegen beharrt die EU-Kommission darauf, dass möglichst große Teile des derzeit gescheiterten Verfassungsvertrags übernommen werden müssten, dessen Bestimmungen nicht einfach "aufgegeben" werden dürften. Sarkozys Vorschlag läuft darauf hinaus, vor allem jene Teile des Verfassungsentwurfs, die die Reform der europäischen Institutionen betreffen, zu übernehmen und die Bestimmungen des Kapitels 3 - zur Wirtschaftspolitik - nicht mehr in die künftige EU-Verfassung oder ihre "Miniversion" aufzunehmen. Nach Auffassung der zahllosen Kritiker haben diese freilich ohnehin in einem Verfassungstext nichts verloren, da ein solcher, wie in jedem Staatswesen, vor allem die Institutionen und ihre Rolle zu definieren habe. Umstritten ist derzeit noch, ob auch die "Grundrechtscharta" aus dem bislang gescheiterten Verfassungsvertrag, die von dessen Kritikern meist als unzureichend bezeichnet worden ist, in den künftigen "Minivertrag" übernommen werden soll oder nicht. Veränderungen in der französischen Innenpolitik Das lautstark abgegebene Versprechen, sich um die "nationale Identität" zu kümmern, wurde eingehalten. Nunmehr wurde in der Sache ein eigenes Ministerium geschaffen, das für "Zuwanderung, Integration, nationale Identität" und Beziehungen zu den Herkunftsländern von Migranten - vornehm co-développement genannt - sowie für Staatsbürgerschaftsfragen zuständig sein wird. Unter dem dafür ernannten Minister Brice Hortefeux (UMP), einem langjährigen Mitarbeiter und "rechten Arm" Sarkozys, wird es in naher Zukunft vor allem eine Verschärfung der Regeln für den Familiennachzug von Einwandern geben. Ein Entwurf dazu ist an diesem Mittwoch vorgestellt worden. Demnach soll ein "legal" in Frankreich sich aufhaltender Zuwanderer seine Familienmitglieder - Ehepartner und Kinder - nur dann auf gesetzlichem Wege nach Frankreich holen können, wenn diese bereits im Herkunftsland ausreichende Französischkenntnisse und den "Respekt der Werte der Republik" nachweisen können. De facto dreht es sich hauptsächlich darum, zusätzliche Hürden zu errichten. Die beschworene Erfordernis der "Integration in die französische Gesellschaft" wird dazu benutzt, um das Gegenteil zu betreiben - nämlich eine Ausschlussmaßnahme, dergestalt, dass man eine wachsende Zahl von Personen gar nicht erst kommen lässt und ihnen damit auch keine "Integrationschance" erteilt. Ferner hatte Hortefeux vor zwei Wochen angekündigt, es solle künftig eine feste Quotenregelung für Zuwanderung eingeführt werden, durch die auch der Zuzug von Asylsuchenden nach der Genfer Konvention jährlich vorab kontingentiert wird. Und vor acht Tagen hat er eine fixe jährliche Abschiebequote von 25.000 außer Landes zu schaffenden, unerwünschten Zuwanderern festgelegt. Damit steht er zwar in einer Kontinuitätslinie mit der vormaligen Politik Nicolas Sarkozys im Innenministerium, der Anfang 2003 als Minister ebenfalls eine jährliche Quote für Abschiebekandidaten vorab festgelegt hatte. Kritiker wie Juristen sprechen jedoch davon, eine solche Politik mit Sollzahlen und Kennziffern stehe in Widerspruch zu einem rechtsstaatlichen Geist, der auch Einwanderern "ohne Papiere" einen minimalen Grundrechtsschutz gewähren müsse. Und der zudem erfordere, die individuelle (und familiäre) Situation der Betroffenen zu untersuchen, bevor eine fundamentale Entscheidung über ihr Schicksal getroffen wird. Die neue Justizministerin, die 41jährige Rachida Dati, stellt in ihrer Person selbst ein Symbol dar. Die Tochter eines marokkanischen Vaters und einer algerischen Mutter mit zwölf Kindern, die unter ärmlichen Verhältnissen aufwuchs, soll die Aufstiegschancen für Einwandererkinder personifizieren. Ihre Rolle wird oft mit jener von Condoleeza Rice in der US-Administration von George W. Bush verglichen. Rachida (gesprochen Raschida) Dati hatte nicht nur mächtige Gönner, da sie schon als zwanzigjährige Jurastudentin im Kabinett des damaligen Justizministers Albin Chalandon arbeiten konnte. Sie kann sich auch auf ein eigenes kleines Netzwerk stützen, das aus Vertretern der so genannten ,Beurgeoisie' - man bezeichnete die "arabischstämmigen" Franzosen aus der zweiten oder dritten Einwanderergeneration in den achtziger Jahren als ,beurs' - besteht. Ihre Rolle, aber auch die anderer junger UMP-Politiker "mit Migrationshintergrund" - wie man im Deutschen sagen würde - besteht darin, gut ausgebildete junge Leute aus Zuwandererfamilien an das konservative Lager zu binden. Was umso besser gelingt, als die sozialdemokratische Lager, in die dieses Milieu seine Hoffnungen in den 80er und 90er Jahren vorwiegend seine Hoffnungen gesetzt hatte, sich dazu als komplett unfähig erwiesen hat. Mit Rachida Dati besetzt zum allerersten Mal eine Einwanderertochter ein so genanntes Schlüsselministerium, auch unter Linksregierungen hatte es das bislang nicht gegeben. Problematisch ist dabei freilich, dass viele Angehörige aus dem kleinen Netzwerk, das Rachida Datis Aufstieg unterstützt hat, Chefs von privaten Sicherheitsfirmen sind; zu hoffen bleibt, dass dies nicht zu Interessenkontlikten in ihrem Amt als Chefin der französischen Justiz - und damit auch der ,Police judiciaire', dem französischen Äquivalent zur deutschen Kriminalpolizei - führen wird. Auffüllen der Knäste? Die ersten Maßnahmen, für die die ehemalige Staatsanwältin zuständig sein wird, betreffen im Sommer dieses Jahres das Jugendstrafrecht und die Einführung von Mindeststrafen. Der entsprechende Gesetzesvorschlag wird der französischen Nationalversammlung am 5. Juli vorgelegt werden. Bislang legte das Gesetz allein Höchststrafen fest und überließ es ansonsten den Richtern, das der Persönlichkeit und ihrer Tat angemessene Strafmaß zu finden. Das ändert sich nun bei mehrfach straffällig Gewordenen. Allerdings fällt der Gesetzentwurf "weniger brutal aus, als man annehmen konnte", schrieb vor anderthalb Wochen die linksliberale Tageszeitung ,Libération' unter Anspielung an die oft brachiale Wahlkampf-Rhetorik Nicolas Sarkozys in Sachen Strafrechtspolitik. Der Text fällt nun nach Auffassung der Tageszeitung ein wenig milder aus als die Ankündigen. Denn er nimmt dem Richter nicht jeglichen Ermessensspielraum: Er muss normalerweise für einen Wiederholungstäter, sofern er dieselbe Straftat wie zuvor zum zweiten Mal begeht und auf diese eine Höchststrafe ab drei Jahren steht, ein MIndeststrafmaß verhängen. Dieses beträgt ein Jahr Haft, wenn die Höchsstrafe bei drei Jahren liegt; zwei Jahre, wenn die Höchststrafe bei fünf Jahren liegt, usw. Aber der Richter kann "mit einer speziellen, schriftlich motivierten" Entscheidung, unter Würdigung aller Umstände, davon absehen und nach unten hin von diesem Minimum abweichen. Andernfalls wäre die Reform auch schlicht verfassungswidrig gewesen, da das Grundrecht auf rechtliches Gehör übermäßig eingeschränkt worden wäre. Bei Jugendlichen im Alter von 16 von 17 Jahren, die zum zweiten Mal "rückfällig" werden und eine der auf einer Liste stehenden Straftaten (v.a. Körperverletzungsdelikte) verüben, wird zukünftig ferner das Erwachsenenstrafrecht angewendet - wovon der Richter wiederum mit speziell ausgearbeiteter Begründung abweichen kann. Angesichts einer Justiz, die über Arbeitsüberlastung und Personalmangel klagt, dürften solche gesondert begründeten Entscheidungen aber wohl eher die Ausnahme darstellen, da sie zusätzlichen Aufwand bedeuten. Darauf baut man jedenfalls auf der politischen Rechten. Die Gefangenenhilfsorganisation ,Observatoire international des prisons' spricht von einer Reform, die die Haftanstalten auffüllen solle - deren Überfüllung, mit gut 60.000 Insassen bei rund 50.000 offiziell vorhandenen Plätzen, ohnehin beklagt wird. Bislang wirkt die Liste der Straftat, die von der Neuerung im Strafrecht betroffen sind, zwar noch recht begrenzt. Allerdings haben alle wichtigen Umwälzungen von Prinzipien im Strafrecht oder Strafverfahrenrecht genauso begonnen. Beispielsweise die Einführung von DNA-Tests: Sie wurde zu Anfang des Jahrzehnts zunächst nur für Sexualstraftäter zur Pflicht gemacht. Niemand protestierte. Inzwischen hat sich die Liste der betroffenen Delikte ins Unermessliche verlängert. Im Mai dieses Jahres wurde bekannt, dass zwei Neunjährige, die Spielsachen geklaut hatten, nur knapp einem angeordneten DNA-Tests entronnen sind, nachdem dieses Vorhaben dann doch zu Protesten geführt hatte. Die Quotenregelung für Asylsuchende und das Erwachsenenstrafrecht ab 16 sind zwei alte Projekte Sarkozys, mit denen er unter seinem Amtsvorgänger Chirac nicht durchkam, da seine damaligen Regierungskollegen noch einen Bruch mit republikanischen Prinzipien befürchteten. Post scriptum Da war noch was? Ach ja: Manche früheren Linken - der Akzent liegt auf "früheren" - sind da nun wirklich völlig anderer Auffassung, was die Bewertung Nicolas Sarkozys betrifft. So fand sich in der Ausgabe 06/2007 des Magazins KONKRET ein ziemlich amüsanter Artikel zum Thema, dessen Autor in lautes Lob ausbricht und mit seiner Begeisterung kaum hinter dem Berg halten kann: "Weil Ségolène Royal für dieses ressentimentgeladene Linkssein steht (...) freue ich mich über den eindeutigen Wahlausgang in Frankreich. Für Israel könnte er allein deswegen positiv sein" - um am Schluss des Artikels, endlich, beim Hauptthema des Weltgeschehens, bei dessen archimedischem Zentrum ankommen zu dürfen - "weil keine Kandidatin gewählt wurde, die mit den Islamisten gemein hat, dass sie den großen Teufel in den USA und den kleinen in Israel verkörpert sieht" (ach so, weil das bei der französischen Tony Blair-Verehrerin Ségolène Royal der Fall war??). Um zu dem Schluss zu kommen: "Die Ambivalenz, dass ein Rechter das Richtige tun könnte, halte ich gern aus." Wobei es der übrigen Menschheit mutmaßlich relativ furzegal ist, was der bis hierher zitierte Autor, seines Zeichens Ideologe einer neokonservativen Sekte, aushalten mag und was nicht. Ach ja, noch ein Detail ohne Belang: Tjark Kunstreich heißt der gute Mann. Die, nun ja, ausgesprochen stringente (und auf eine, seien wir dessen gewiss, außerordentlich gute Kenntnis der französische Verhältnisse gestützte - eine Kenntnis, die umso besser sein muss, als der zitierte Autor sie nun wirklich streng geheim hält) Beweisführung geht so: KONKRET-Herausgeber Herman Gremliza dient der muselmanischen Weltverschwörung als Erfüllungsgehilfe. (Wie sich an einigen dürren Zitaten wirklich gut ablesen lässt, wenn man nur hinreichend ideologisch dafür präpiert und mit Scheuklappen ausgestattet ist.) Deshalb ist die Linke böse, richtig böse, sehr böse sogar. Ségolène Royal ist aber auch eine Linke. (Echt wahr?) Und deshalb ist es viel gut, dass die Rechte die Wahl gewonnen hat, weil die Linke hat deshalb verloren. Was zu beweisen war. Ansonsten kann man, folgt man unserem beinahe liebenswürdig zu nennenden Realsatiriker, selbstverständlich nichts und rein gar nichts über die Politik Nicolas Sarkozys aussagen. Verständlich, ist der Mann doch nur circa sieben Jahre lang Minister gewesen (Haushaltsminister und Regierungssprecher von 1993 bis 95, Innen-, dann Wirtschafts- und am Schluss wieder Innenminister von 2002 bis 2007). "Was Royal im Falle ihrer Wahl tatsächlich getan hätte, was Sarkozy wirklich tun wird, wer kann das voraussagen?" Niemand natürlich, wie könnte man das auch mit gesellschaftlichen, gar materialistischen Kategorien fassen wollen! Anything goes , die Welt ist ja so unübersichtlich geworden. Gut möglich, dass Sarkozy am Ende noch anordnen wird, einen radikalen ökosozialistischen Kurs in der französischen Politik einzuschlagen. Schön verarscht wären sie, die Wähler der Rechten, die da glaubten, für einen Kandidaten der Rechten zu stimmen, damit er etwa eine rechte Politik hinlegt! Neinnein, so einfach geht das nicht. Man wusste gar nicht, dass unsere ,Antideutschen' so starke Anhänger der postmodernen Beliebigkeit sind, man lernt eben nie aus. "Jedenfalls ist im Moment", schreibt unser Held ferner, "die republikanische (...) sowie laizistische Tradition Frankreichs bei Sarkozy besser aufgehoben als bei Royal." Abgesehen davon, dass man auch nicht wusste, dass unsere Lieblingsquacksalber sonderlich um Traditionen besorgt sind, ist dieser Satz auch sonst bemerkenswert. War nicht Nicolas Sarkozy derjenige französische Politiker, der vielfach ins Kreuzfeuer der Kritik geriet, weil er die Trennung von Kirche und Staat - den französischen Laizismus - in Frage stellte und dazu sogar eigens ein Buch verfasst hat? (Vgl. dazu u.a.: http://www.jungle-world.com/seiten/2004/49/4443.php ) Nicht doch, nicht doch, wer wird sich denn so an Äußerlichkeiten festmachen wollen? Alles nur Trug, alles nur Schein. In Wirklichkeit handelt es sich um ein besonders geschicktes Manöver gegen die muselmanische Weltverschwörung, um in Zeiten finsterstes Bedrohung die europäische Aufklärung vor den barbarischen Horden des Furor muselmanicus zu schützen: Hat Sarkozy sie erst einmal geschickt versteckt, werden die bedrohlichen Reiterscharen sie schon nicht finden. Aber, liebe Leute, nun hackt doch nicht gleich auf unserem großartigen Philosophen und leuchtenden Vordenker des Tjarkismus-Krétinismus (Vorsicht Satire) herum! Sonst holt er noch den Onkel Großinquisitor von der Bahamas, und der macht Euch glatt einen ideologischen Prozess wegen unamerikanischer Aktivitäten, pardon, wegen "Antisemitismus in strafverschärfender Tateinheit mit mangelnder Liebe zu den Vereinigten Staaten von Amerika". Und darauf steht in jenen Kreisen die Strafe des ideologischen Bannfluchs. Harharhar... Nun, verehrte Leserinnen und Leser in Berlin, falls Ihr für uns in Frankreich ab und zu noch so einen lustigen Rechtssektierer zur Hand habt, schickt ihn uns ruhig vorbei. Bei der nächsten ,fausse manif de droite' würde es sich bestimmt gut machen, ihn in der ersten Reihe mitlaufen zu lassen, er dürfte auch ein paar Parolen schreien. Dass es sich um Satire handelte, verraten wir ihm dann aber erst hinterher. Bernard Schmid, Paris vom 18.06.2007 (1) Die Aktie des Bouygues-Konzerns gehört (neben jenen von Bolloré u.a.) zu jenen Börsenwerten, die seit der Wahl des neuen Staatschefs am 06. Mai auffällig an Wert zugelegt haben - und die seitdem von Anlegern und Fachjournalisten als ,valeurs Sarkozy' (Sarkozy-Werte) bezeichnet werden. Konzernerbe Martin Bouygues ist ein Duzfreund Nicolas Sarkozy, und nach eigenen Angaben telefonieren die beiden täglich miteinander. Vincent Bolloré wiederum ist u.a. der Eigentümer jener Yacht, auf der Sarkozy die ersten drei Tage nach seinem Wahlsieg vom O6. Mai verbracht hat - ohne einen Heller zu bezahlen natürlich. Bouygues und Bolloré spielen beide eine zentrale Rolle bei der Plünderung des afrikanischen Kontinents. |