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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Advent, Advent, ein Abschiebeknast brennt Infolge einer Revolte der Gefangenen brannte eine Abschiebehaftanstalt in Vincennes, vor den Toren von Paris, bis auf die Grundmauern nieder. Die Anwesenden trauten zunächst ihren Augen nicht. Zunächst nur rund 40 Personen, später 150 bis 200 Personen waren am Sonntag Nachmittag zu einer - relativ spontan anberaumten - Protestkundgebung vor dem Abschiebegefängnis im Bois de Vincennes, dem Stadtwald südöstlich von Paris, versammelt. Anlass war der Tod eines 41jährigen Tunesiers am Samstag, der laut offiziellen Angaben der Pariser Polizeipräfektur an "Herzversagen" starb. Der tunesische Staatsbürger war laut Angaben seiner Mithäftlinge chronisch krank und hatte am Samstag um 15 Uhr den Zugang zu Medikamenten verlangt. Vergeblich. Um dieselbe Zeit hatte ein ebenfalls in der Abschiebehaftanstalt festgehaltener Ägypter einen Selbstmordversuch begangen, indem er Eisendrähte verschluckte, um seiner für diese Woche angesetzten Abschiebung zu entgehen. Das "Netzwerk Erziehung ohne Grenzen" (RESF, Réseau éducation sans frontières), das hauptsächlich Kinder und Jugendliche vor drohenden Abschiebungen - zusammen mit ihren Familien - versteckt, hatte für den darauffolgenden Nachmittag zur Protestversammlung vor den Toren des Abschiebegefängnisses aufgerufen. Und plötzlich stieg, gegen 16 Uhr, dicker Rauch aus den Dächern der beiden Gebäude der Abschiebehaftanstalt auf. Und alsbald züngelten auch Flammen aus einem der Dächer. Binnen weniger Minuten brannte eines der beiden Gebäude aus, das Dach brach nach innen hin ein, und nur noch die Mauern blieben stehen. Der andere Bau hingegen kokelte rund zwei Stunden vor sich, bis auch dort dasselbe Ergebnis eintrat. Am frühen Sonntag Abend blieben von den beiden kasernenähnlichen Gebäuden der Abschiebehaftanstalt, die auf dem Gelände einer Polizeischule im Bois de Vincennes liegt, nur noch aschgraue kahle Mauern übrig. Unterdessen drangen Schreie aus dem Inneren der beiden Gebäude. Bei der Polizei schien nackte Panik zu herrschen, behelmte und bewaffnete Bereitschaftspolizisten der CRS liefen hin und her. Gruppenweise wurden Insassen der Abschiebehaftanstalt nach draußen geführt und argwöhnischen Auges überwacht, unter der Drohung, jederzeit Tränengas gegen sie einzusetzen, falls sie eine falsche Bewegung unternähmen. Mehrere Personen mussten mit Rauchvergiftung ins Freie transportiert werden. Der Brand war das Ergebnis einer Revolte im Inneren der Abschiebehaftanstalt: Der Selbstmordversuch des Ägypters und der Tod des herzkranken Tunesiers waren für viele Insassen nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die zuvor herrschende Situation im Inneren wird als seit Tagen und Wochen angespannt beschrieben. Das Centre de rétention administrative ("Festhaltezentrum der Verwaltung", so lautet im Französischen der administrative Name einer Abschiebehaftanstalt, die nach französischem Recht kein Gefängnis ist) fasst 280 Plätze und war zum Zeitpunkt des Brandes mit 248 belegt. Damit herrschte zwar formal keine Überbelegung, wie sich die Regierung auch zu Wochenanfang - in einem "Dementi gegen die Anschuldigung der Solidaritätsinitiativen" - beeilte zu betonen. Dennoch ist eine Anstalt wie die im Bois de Vincennes, die administrativ zum 12. Pariser Bezirk gehört, im Prinzip nicht für so viele Personen ausgelegt: Normalerweise darf sie nach französischen Vorschriften nur die Hälfte, 140 Personen, fassen. Das Abschiebezentrum im Pariser Stadtwald war jedoch vor zwei Jahren vergrößert worden, nachdem das so genannte "Ausländerdepot" - auch als "Mausefalle" bekannt - in den Kellergeschossen unterhalb der Pariser Polizeipräfektur (neben dem Justizpalast auf der Stadtinsel Ile de la Cité) nach jahrelanger Ankündigung endlich geschlossen worden war. In den unterirdischen Räumen hatten derart unerträgliche Zustände geherrscht, dass es seit Jahren durch Journalistenberichte und durch Solidaritätsinitiativen angeprangert worden war. Im Gegenzug wurde allerdings die Aufnahmekapazität der ach so schönen "modernen" Anstalt im Bois de Vincennes stark ausgebaut. Und das ist noch nicht alles: Im anderen Abschiebeknast im Pariser Raum, in Le Mesnil-Amelot in der Nähe des Flughafens von Roissy, sind derzeit 17.000 Quadratmeter zusätzlicher Räume in Bau. Zur starken Auffüllung der Abschiebehaftanstalt kommen oft noch schwere menschliche Situationen und hygienische Verhältnisse hinzu. Wie vor zwei Monaten die Wochenzeitung ,Le Canard enchaîné' enthüllte, hatte etwa die Firma (Gepsa), der als Subunternehmen die "Betreuung" der Abschiebehäftlinge mit Wäsche und Ausstattung der Räume anvertraut worden war, die Bettlaken nur alle vier Monate ausgewechselt. Das rief einen Skandal hervor - aber derjenige Angestellte, der "ausgepackt" und die unmöglichen Zustände beschrieben hatte, wurde fristlos entlassen. Schon zu Jahresanfang war es infolge der starken Anspannung unter den Abschiebehäftlingen zu Revolten gekommen. Am 11. Februar setzten die Polizeikräfte dabei den Taser, ein elektrisches Gerät, das "Aufrührern" starke Stromstöße versetzt (und in Nordamerika beschuldigt wird, 150 Tote in den USA und Kanada bei polizeilichen Einsätzen hinterlassen zu haben) gegen Abschiebehäftlinge ein. Die Solidaritätsinitiativen reagierten sofort auf die Ereignisse vom Sonntag, unterstützten die Revolte und prangerten die Abschiebepolitik unter Präsident Nicolas Sarkozy (der ein jährliches Kontingent von 25.000 "effektiv durchgeführten Entfernungsmaßnahmen" angeordnet hat) als verantwortlich an. U.a. die Antirassismusbewegung MRAP, die französisch-tunesische "Vereinigung für Bürgerrechte auf beiden Ufern (des Mittelmeers)" FTCR und andere Verbände rufen für den heutigen Dienstag um 18 Uhr zu einer Solidaritätskundgebung vor den Mauern des abgebrannten Abschiebeknasts auf. Unterdessen beschuldigte die konservative Regierungspartei UMP das "Netzwerk Erziehung ohne Grenzen" RESF, die Abschiebehäftlinge durch ihre Solidaritätsdemos "aufzuwiegeln" und dadurch "Menschenleben zu gefährden". Dies führte am Montag zu einer heftigen innenpolitischen Polemik, während sich Abgeordnete der UMP und der französischen KP im Innenhof der abgebrannten Abschiebehaftanstalt gegenseitig beschimpften. Mehr dazu bei der nächsten Aktualisierung im Labournet. Siehe auch Fotos und Videos sowie ein weiteres Video Bernard Schmid, Paris, 24.06.2008 |