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Updated: 18.12.2012 15:51
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Heftiger Streit um Sarkozys Fernseh-"Reform"

Die französische Regierung reformiert die öffentlich-rechtlichen Anstalten kaputt - zugunsten reaktionärer privater Fernsehsender. Streiks und heftige Kritik empfangen die "Reform". Trotzdem trat sie schon gestern Abend in Kraft, obwohl das erforderliche Gesetz dazu noch nicht einmal durch beide Parlamentskammern verabschiedet wurde

Anfang dieser Woche blieb manche Bildschirmröhre ausgeschaltet. Am gestrigen Montag Abend und heute streik(t)en die Beschäftigten des französischen öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders France-3 - die bereits Mitte Dezember im Ausstand waren, aus demselben Grund wie jetzt - die dortigen Nachrichtensendungen waren empfindlich gestört. Und am morgigen Mittwoch streiken dann jene der Station France-2. Dazu riefen respektive rufen acht Gewerkschaften von Journalisten und Medienschaffenden auf: die Mitgliedsgewerkschaften der Dachverbände CGT, CFDT, FO, CFTC, CGC, SUD/Solidaires, UNSA und die keinem Dachverband angehörende Mediengewerkschaft SNJ (vgl. Artikel externer Link).

Die Arbeitsausfälle begleiteten die wichtigste Neuerung in der französischen Medienlandschaft zu Anfang dieses Jahres: Seit Montag Abend um 20 Uhr ist Werbung aus dem Abendprogramm aller öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten verbannt. Schrittweise soll die Reklame dann bis im Jahr 2011 gänzlich aus den Programmen dieser Anstalten weichen. (Vgl. im Labournet)

Nun wird man die Werbung als solche nicht unbedingt vermissen. Und dennoch steckt hinter der Neuerung eine Maßnahme, die den Lohnabhängigen bei den diversen Fernsehanstalten und ihren Gewerkschaften, aber auch vielen BeobachterInnen als skandalös gilt. Und dies aus gutem Grund. Denn es geht um eine planmäßige finanzielle Austrocknung der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender - zugunsten der privaten Kanäle, denn diese sind von der Neuerung überhaupt nicht betroffen.

Der Beschluss zum Wegfall der Werbung im öffentlich-rechtlichen französischen Fernsehen war vor fast genau einem Jahr, am 8. Januar 2008, durch Präsident Nicolas Sarkozy verkündet worden. Daraufhin wurde eine Gesetzesvorlage zum Thema verfasst, die seit Dezember im französischen Parlament diskutiert wird. Eine Woche vor der Weihnachtspause wurde sie in erster Lesung durch die Nationalversammlung verabschiedet; später als geplant, doch die Parlamentsopposition hatte einen heftigen Abwehrkampf gegen diese "Zerschlagung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens" (laut den Worten des PS-Abgeordneten Benoît Hamon, vgl. Artikel externer Link) geliefert. Nun beginnt an diesem Mittwoch - 7. Januar - die Lesung im Senat, dem parlamentarischen "Oberhaus".

Damit kommt der Gesetzgeber aber nicht mehr rechtzeitig, um die Reform, wie seit längerem geplant, schon ab Montag dieser Woche in Kraft treten zu lassen. Deshalb forderte die Regierung noch vor der Weihnachtspause den gemeinsamen Direktor der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten - Patrick de Carolis - ultimativ dazu auf, er möge die Reform schon mal selbst in Eigenverantwortung beschließen. Dies erfolgte dann auch, der Aufsichtsrat des gemeinsamen Verwaltungsträgers ,France Télévisions' nahm am 16. Dezember auf Druck seines Direktors hin einen entsprechenden Beschluss an. Die liberale Pariser Abendzeitung ,Le Monde' zeichnete dazu eine Karikatur, in welcher de Carolis eine Pistole auf einem Tablett gereicht wird - um sich selbst eine Kugel in den Kopf zu schießen.

De Carolis weiß sich bedroht. Denn die dieselbe Gesetzesvorlage, die sich zur Zeit in Beratung befindet, wird auch den Ernennungsmodus für den Fernsehdirektor ändern: Er wird künftig direkt vom Staatspräsidenten ernannt und entlassen. Wahrscheinlich möchte de Carolis also seinen Kopf retten, während er in der Sache heftig gegen die Maßnahme eingetreten ist: Noch vor Jahresfrist hatte er eine Erhöhung des Werbeetats für die öffentlich-rechtlichen Sender gefordert, um diesen zu ermöglichen, die Qualität ihrer Programme aufrecht zu erhalten. Nun hat also er also klein beigegeben. Ob er damit wirklich sein Amt retten kann, bleibt freilich dahingestellt. Denn schon im Dezember hatte er ernsten Streit mit Sarkozy um den Inhalt der Programme: Der Staatspräsident meinte, diesen seien denen der privaten Sender, die er gerne bevorzugt sehen möchte, "zu ähnlich"; de facto ging es ihm darum, dass die öffentlich-rechtlichen Anstalten möglichst keine Programme mit hohen Einschaltquoten mehr senden sollten. (Vgl. Artikel externer Link). Bei Nicolas Sarkozy dürfte de Carolis also ausgespielt haben. Und die Gewerkschaften werden ihn, falls er durch Sarkozy gekippt wird, nun wohl nicht unterstützen und verteidigen, da er am wesentlichen Punkt -- dem der Streichung der Werbeeinnahmen -- eingeknickt ist. Dadurch dürfte de Carolis sich auf Dauer wohl sein eigenes Grab geschaufelt haben...

Die nun zu Anfang der Woche in Kraft getretene Reform sollte zunächst den Anschein einer "antikommerziellen" Maßnahme - gegen Manipulation und Belästigung durch Werbung - erwecken. Seine Berater sprachen sogar von einer "linken Maßnahme" Sarkozys, an die sozialdemokratische Regierungen sich nicht herangetraut hätten. Tatsächlich hatten die Linksparteien sich historisch - im Herbst 1968, als erstmals Werbung im damaligen einzigen Kanal des französischen Fernsehens ausgestrahlt wurde - gegen die Einführung der Reklame gesträubt (vgl. ,Direct Matin' vom o5. Januar o9). Nur besteht heute eine andere Situation, da alternative Einnahmequellen gefunden werden müssten, und weil 1968 noch keine Konkurrenz durch private Fernsehanstalten herrschte. Die Idee zu der aktuellen "Reform" hatte übrigens Alain Minc, der als Personifizierung eines wirtschaftsliberalen und technokratischen Konformismus gilt.

Die Sache hat vor allem einen sehr wichtigen Haken: Denn die Frage nach der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wird dabei neu aufgeworfen - aber nur unzureichend geklärt. Der Staat übernimmt zwar eine finanzielle Garantie für den Ausfall an Werbeeinnahmen; einen Verlust für die öffentlich-rechtlichen Sender, der auf 450 Millionen Euro pro Jahr geschätzt wird. Aber die Garantie gilt nur bis im Jahr 2011, danach ist Schluss. Und bis dahin soll die staatliche Kostenübernahme durch eine Sondersteuer auf die Werbeeinnahmen der privaten Fernsehsender - die von der Reform gänzlich unberührt bleiben - finanziert werden. Diese sollte zunächst, laut Ankündigungen Sarkozys, bei drei Prozent liegen. Aufgrund der ausgebrochenen Wirtschaftskrise werden diese Pläne aber nun bereits heruntergekocht, möglicherweise soll diese Steuer auch nur noch halb so hoch ausfallen. (Aktuell ist von "1,5 bis 3 %" die Rede.) Dies bedeutet, dass es finanziell für die öffentlich-rechtlichen Sender auch schon früher als 2011 knapp werden könnte.

Damit droht den öffentlich-rechtlichen Anstalten die finanzielle Austrocknung. Zugunsten der privaten Fernsehsender, die zwar statusmäßig von der Regierung unabhängig, in Wirklichkeit aber dem konservativen Lager weitaus näher verbunden sind als die öffentlich-rechtlichen. Der wichtigste private Fernsehsender, TF1 - früher der erste Kanal des Öffentlich-Rechtlichen -, war 1987 durch den damaligen konservativen Premierminister Jacques Chirac privatisiert worden. Heute befindet er sich im Besitz des Konzernerben Martin Bouygues, eines Duzfreunds von dessen Nachfolger als Präsident, Sarkozy. Die Programmierung von TF1 gilt als besonders "verdummend" und reaktionär. Als Jean-Marie Le Pen vom FN - Front National - im Jahr 2002 in die Stichwahl um die Präsidentschaftswahl einziehen konnte, war auf Protestdemonstrationen vielfach der Name des Senders ironisch als "TFN" zu lesen.

Bernard Schmid, Paris, 06.01.2009


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