Home > Internationales > Frankreich > Soziales > Migration > spstreik7
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Streik der „papierlosen“ eingewanderten Lohnabhängigen: Seit Montag läuft der Sans papiers-Streik in der „dritten Welle“ zu neuer Hochform auf – stärker denn je!

Die dritte Welle rollt. Nein, hier ist nicht die Rede von einem Modephänomen oder einer neuen Welle des Musikgeschmacks (Da-da-da, ich-lieb-Dich-nicht-Du-liebst-mich-nicht, da-da-da Aha-aha-aha). Es handelt sich vielmehr um die „dritte Welle“ des Streiks der «travailleurs sans papiers» oder «papierlosen (d.h. nicht mit staatlichen Aufenthaltstiteln ausgestatten) Werktätigen» in Frankreich. Der neue Ausstand fing am Montag dieser Woche, dem 12. Oktober 2009 an und umfasst mehr arbeitskämpfende und „papierlose“ Lohnabhängige als bei den letzten beiden Malen. Am Donnerstag waren im Pariser Raum über 2.000 „illegalisierte“, und in Frankreich lohnabhängig arbeitende, Einwanderer im Streik. Voraus gingen am vergangenen Wochenende eine ausdrucksstarke Demonstration zur Unterstützung der «Sans papiers»(am Samstag) und eine Großveranstaltung des Gewerkschaftsbunds CGT mit rund 2.500 „papierlosen“ Lohnabhängigen am Sonntag.

Am 15. April 2008 hatte die erste Welle des Ausstands begonnen. Damals traten im Großraum Paris rund 600 „papierlose“ und dadurch „illegalisierte“ Einwanderer & Lohnabhängige in den Streik. (Labournet berichtete ausführlich.) Betroffen von dem Ausstand waren damals überwiegend das Gaststättengewerbe – darunter absolute Nobelschuppen wie das Restaurant ‚Le Café de l’île de Jattes’ im Millionärsvorort Neuilly-sur-Seine -, das Reinigungsgewerbe und zum Teil noch die Bauindustrie. Drei wirtschaftliche Sektoren, die ohne eingewanderte und unter ihnen auch zahlreiche „papierlose“ Lohnabhängige in kürzester Zeit zusammenbrechen würden. Dieselben Branchen verdanken ihre Profitrate aber entsprechend auch einer Überausbeutung, die lange Jahre hindurch durch die besonders starke Prekarität „illegalisierter“ Einwanderer (die viele soziale Rechte, darunter besonders jenes auf den Bezug von Arbeitslosenunterstützung, nicht wahrnehmen können) ermöglicht oder erleichtert wurde.

Es war letztendlich der raserische Kontrollanspruch konservativer Staatspolitiker, die – (nicht nur) in Wahlkampfzeiten – gerne zur Jagderöffnung auf „illegale“ Migranten blasen und Letztere ihrem Wahlkampfpublikum zum Fraß vorwerfen möchten, welcher die Widersprüche zum Tanzen brachte. Seit dem 1. Juli 2007 erhebt der Staat einen verschärften Kontroll- und Strafanspruch auch gegenüber jenen so genannten Arbeitgebern, die „illegale“ Einwanderer lohnabhängig beschäftigen: Letztere können sich nun nicht mehr darauf hinausreden, sie hätten nicht gewusst, dass „ihre“ jeweiligen Arbeitskräfte „illegal“ (im Hinblick auf ihren Aufenthaltsstatus in Frankreich) waren, oder dass die ihnen vorgelegten Aufenthaltstitel „doch echt aussahen“ (auch wenn sie in Wirklichkeit gefälscht waren oder einer anderen Person gehörten). Vielmehr müssen die Arbeitgeber nunmehr ihrer seit dem 1. Juli 2007 bestehenden Pflicht nachkommen, und die Aufenthaltstitel ihrer neu eingestellten Beschäftigten auf Gültigkeit und Echtheit hin behördlich überprüfen lassen. Diese neue Vorschrift des Staates (als ideellem Gesamtkapitalisten, der das Dichtmachen des Arbeitsmarkts für „illegal“ Migranten durchzusetzen versucht) schmeckte selbstverständlich nicht allen Einzelkapitalisten. Letzteren lässt der Gesetzgeber nun seit dem 20. November 2007 ein neues Schlupfloch offen: Einzelne Arbeitgeber können, indem sie ihr wirtschaftliches Interesse an der Beschäftigung konkreter „illegaler“ ausländischer Arbeitskräfte darlegen (und begründen, warum sie nicht auf französische oder mit EU-Staatsbürgerschaft ausgestatte Arbeitskräfte zurückgreifen konnten), für Letztere ihre „Legalisierung“ beantragen. Seit dem 15. Dezember 2008 schreibt das Einwanderungsministerium im Übrigen vor, dass die betroffenen migrantischen Arbeitskräfte unterdessen weiterbeschäftigt werden dürfen, so lange die Bearbeitung des Antrags auf „Legalisierung“ läuft. Ihr Arbeitsvertrag muss also, trotz „Illegalität“, einstweilen nicht länger gekündigt oder ausgesetzt werden.

Auf dieses „Schlupfloch“, das sich aufgrund des partiellen Widerspruchs zwischen den Interessen von Staatsmacht (mit ihrem Kontrollanspruch) einerseits und Einzelkapitalisten andererseits auftat, zielt der durch die „Sans papiers“-Streiks entfaltet Druck ab. Durch den Arbeitskampf – der sich in Wirklichkeit nicht direkt gegen den jeweiligen „Arbeitgeber“ richtet, sondern in erster Linie gegen die Ausländerbehörden (Präfekturen), die den Betroffenen bislang einen legalen Aufenthaltstitel verweigerten – wird die „illegale“ Aufenthaltssituation der betreffenden Lohnabhängigen öffentlich gemacht. Dies übt erheblichen Druck auf deren „Arbeitgeber“ aus, denn nun dürfen sie die jeweiligen Arbeitskräfte nicht ungestraft weiter beschäftigen, so lange ihre rechtliche Situation nicht „legalisiert“ (régularisé) worden ist. (Indirekt jedoch richtet sich der Streik zumindest insofern gegen die Interessen der Arbeitgeber, als zumindest einige von ihnen zuvor von der „Illegalität“ ihrer Arbeitskräfte profitierten, um gegen alle rechtlichen Regeln verstoßende Arbeits- oder Lohnbedingungen durchzusetzen. Dies lässt sich durchaus nicht verallgemeinern, trifft aber in einigen Fällen auf flagrante Weise zu. Sofern die abhängig Beschäftigten aus ihrer „illegalen“ Situation heraustreten können, erlaubt ihnen dieser Schritt auch, mindestens rechtskonforme Beschäftigungsbedingungen durchzusetzen. Die Kehrseite der Medaille: Sie einzustellen, ist für manche so genannten Arbeitgeber nicht mehr länger so „attraktiv“...)

Die Streikwelle im April/Mai 2008 endete damals für einen Großteil der Betroffenen mit ihrer „Legalisierung“ im Laufe des Sommers oder Herbstes 2008. Daraufhin begann im Herbst 2008 die „zweite Welle“, die nun unter anderem auch „isolierte“ (vereinzelte) Beschäftigte ohne rechtlich abgesicherten Aufenthaltstatuts umfasste. Dazu gehören sowohl Lohnabhängige in Klein- und Kleinstbetrieben, die keine oder nicht viele ArbeitskollegInnen aufweisen – als auch „Sans papiers“, die in solchen Betrieben arbeiten, wo sich sonst keine „illegalisierten“ Einwanderer unter der Belegschaft/dem Personal befinden. Sofern nur einzelne MitarbeiterInnen von der Situation der „Sans papiers“ betroffen sind, lässt sich natürlich sehr viel weniger Druck im jeweiligen Betrieb oder Unternehmen entwickeln – als wenn hingegen die gesamte Belegschaft gleichermaßen betroffen ist und zusammen in den Streik tritt. Bis heute dauern, seit oft über 13 Monaten, mehrere Ausstände von „Sans papiers“ an, die entweder in solchen „isolierten“ Beschäftigungsverhältnissen stecken – oder aber in Zeitarbeitsfirmen mit befristeten Verträgen arbeiten, also keinen „regelmäßigen“ Arbeitgeber aufweisen, der eine „Legalisierung“ ihres Aufenthaltsstatus für sie beantragen könnte. Am Boulevard Magenta, unweit der Pariser Place de la République, etwa werden Büros von Zeitarbeitsfirmen seit dem Spätherbst 2008 ununterbrochen bestreikt und besetzt. Allein, es fehlte bislang am nötigen Kräfteverhältnis, um daraus den für eine „Legalisierung“ nötigen Druck auf die Ausländerbehörden entfalten zu können.

Die aktuell begonnene „dritte Welle“ des Ausstands sorgt nun für zweierlei: Erstens wird von Neuem ein erhebliches Druckpotenzial aufgebaut. Denn so werden beispielsweise Prestigeprojekte der öiffentlichen Hand durch den Streik blockiert. Am östlichen Pariser Stadtausgang etwa liegt die Baustelle für die künftige Pariser Außenring-Straßenbahn an der Porte des Lilas nun lahm. Die Subfirmen, die mit dem Bau beauftragt worden waren, hatten „illegalisierte“ migrantische Arbeitskräfte beschäftigt. (Der dortige Ausstand wird besonders durch die CGT, den Zusammenschluss linker Basisgewerkschaften ‚Solidaires’ und die anarcho-kommunistische Vereinigung ,Alternative Libertaire’ des 20. Pariser Bezirks aktiv unterstützt.) Andernorts werden einige der größten Privatunternehmen bestreikt, wie bspw. an der Pariser Kreuzung Strasbourg-Saint Denis die Einkaufskette Monoprix: Letztere hatte mit der Bewachung ihres Geschäfts eine Subfirma beauftragt, die ihrerseits Sans papiers beschäftigt.

Zum Zweiten aber, und dies ist bemerkenswert, beinhaltet der jetzige Streik auch den Zusammenschluss vieler „isolierter“, „illegalisierter“ Lohnabhängiger an einzelnen „Standorten“. (Vgl. unter dieser Adresse externer Link pdf-Datei die Liste der bestreikten Örtlichkeiten, an deren Anfang die Sammelpunkte der „vereinzelten“ Beschäftigten steht) Niemand soll auf diese Weise allein gelassen werden. Im 17. Pariser Arrondissement wurden bspw. im selben Moment drei Zeitarbeitsagenturen besetzt. (Vgl. Artikel externer Link)

Den Streik hatte am 02. Oktober ein gemeinsamer Offener Brief mehrerer Gewerkschaften und Solidaritätsvereinigungen an die Regierung angekündigt. Selbst die eher „moderate“, und nicht aktiv an der Unterstützung des Streiks beteiligte, CFDT (sozialdemokratisch bis sozialliberal ausgerichteter gewerkschaftlicher Dachverband) hat das gemeinsame Schreiben unterstützt und unterzeichnet. (Vgl. Artikel externer Link)

Manche Kritiker/innen merken unterdessen an, „rein zufällig“ sei der Streik wenige Wochen vor der Eröffnung des nächsten Kongresses des Dachverbands der CGT ausgelöst worden. Die CGT hält ihren kommenden, 49. Gewerkschaftstag vom 07. bis 11. Dezember dieses Jahres im westfranzösischen Nantes ab. (Vgl. die Seite http://www.congres49.cgt.fr/ externer Link) Es kann keineswegs ausgeschlossen werden, dass ein solcher Zusammenhang besteht. Allerdings ist die CGT nicht die einzige gewerkschaftliche Organisation, die den jetzigen Ausstand aktiv unterstützt – auch die linken Basisgewerkschaften SUD/Solidaires bpsw. nehmen ihren aktiven Anteil daran. Und falls sich die CGT wirklich durch ihre Unterstützung für diesen Kampf profilieren möchte – warum nicht? Kritik hat sie eher erst dann verdient, wenn sie ihn (wie es zeitweise im Jahr 2008 der Fall war) auf zu lahme Art und Weise unterstützt, oder in zu enge Bahnen zu kanalisieren versucht.

Nähere Einzelheiten dazu, demnächst auf dieser Seite...

Artikel von Bernard Schmid, 16.10.2009


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang