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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Frankreich: Sans papiers-Streiks vorläufig in der Klemme Der Arbeitskampf der Sans papiers oder "illegalisierten" Einwanderer, die seit dem 15. April dieses Jahres im Raum Paris um ihr Aufenthaltsrecht kämpfen, steckt Mitte Mai in einer schwierigen Situation. Regierung und Präfekturen (Polizei- und Ausländerbehörden) erfüllen entgegen mancher ursprünglicher Erwartungen die Forderung, den einigen hundert Streikenden Aufenthaltstitel zu erteilen - was ihren Ausstand beenden würde -, überwiegend nicht. Vielmehr setzen sie offenkundig in der Mehrheit der Fälle auf eine Zermürbungstaktik, die den Streik "sich totlaufen" lassen soll und als Abschreckung für zukünftige Streikwillige wirken könnte. Denn alle Beteiligten wissen, dass es über die rund 900 Personen, die derzeit im Rahmen des Streiks ihre "Legalisierung" beantragt habe, geschätzte 200.000 bis 400.000 weitere Einwanderer gibt, die ohne gültigen Aufenthaltstitel in Frankreich arbeiten. Die einzige positive Ausnahme aus Sicht der Betroffenen findet sich bislang im Département Hauts-de-Seine (92), das unmittelbar westlich an Paris und überwiegend wohlhabendere Vororte von Paris umfasst. Dort wurden 27 von insgesamt 30 streikenden Sans papiers, die im Département zu verzeichnen waren, durch die Präfektur von Nanterre "legalisiert" ( régularisés ). Dass bislang drei Personen von diesem Vorgang ausgenommen wurden, hat hingegen offenkundig keine triftigen juristischen Gründe, sondern rein politische Motive zugrunde liegen: Es soll nicht die Erinnerung an einen "leichten Sieg" zurückgelassen, sondern zumindest an Einzelnen ein Exempel statuiert werden. Denn jene, die nunmehr als "Illegale" bekannt sind, aber ihre "Legalisierung" durch den aktuellen Kampf nicht erreicht haben, dürften nunmehr auch ihren Job verlieren - die geltende Gesetzgebung sorgt dafür, dass auch der Arbeitgeber sich strafbar macht, wenn er bewusst und in vollem Wissen "illegal" sich in Frankreich aufhaltende Lohnabhängige beschäftigt. Hingegen gibt es in Paris bislang noch keine positiven Antworten; die örtliche Präfektur (die in der Hauptstadt "Polizeipräfektur" heißt) erklärte aber, unter insgesamt 205 eingereichten Dossiers seien "fünfzehn juristisch solide", für die eine "Legalisierung" in Aussicht stehen könnte. Insbesondere wurde an den beiden grö b ten "Brennpunkten" des Streiks in Paris, bei dem Billig-Klamottenverkäufer Fabio Lucci im 19. Pariser Bezirk (an der Porte de Pantin) sowie bei der Restaurantkette "Chez Papa", bislang keine einzige "Legalisierung" ausgesprochen. Bei Fabio Lucci besteht insofern eine Sondersituation, als hier der Streik nicht im Rahmen der jüngsten Arbeitskampfwelle von "illegalen Einwanderern" am 15. April begonnen wurde, sondern bereits am 27. März - isoliert von anderen Kämpfen - ausbrach. Denn bei Fabio Lucci war das auslösende Moment des Streiks das Ausbleiben seit Monaten nicht ausbezahlter Löhne: Die Billiganbieterkette hatte auf Subfirmen zurückgegriffen, um Sicherheitspersonal und Wachleute einzustellen. Von drei Subfirmen sind mutma b lich zweie zum Objekt eines betrügerischen Bankrotts geworden, da der jeweilige Chef allem Anschein nach mit der Kasse durchgebrannt ist. Fabio Lucci hatte auf solche dubiosen Subfirmen zurückgegriffen, um ihre Sicherheits- und Wachleuten zu Stundenlöhnen von circa 3,50 Euro einstellen und einer Überausbeutung unterwerfen zu können - was nur deshalb möglich ist, weil es sich um Sans Papiers handelt, da solcherlei Stundenlöhne weit unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns (SMIC, rund 8,50 Euro die Stunden) total illegal sind. Die Streikenden bei Fabio Lucci fordern die nachträgliche Ausbezahlung sämtlicher ausstehender Löhne, dass die Kette die Verantwortung für das Agieren ihrer Subfirmen übernimmt sowie sich bei den Behörden für ihre "Legalisierung" einsetzt. Ihr Ausstand wird durch die CGT und örtliche linke Kräfte stark unterstützt. Nach über 50 Streiktagen sind die Teilnehmer an dem Arbeitskampf, die überwiegend aus Westafrika stammen, jedoch nahezu erschöpft. Die Kette Fabio Lucci will bisher von den Forderungen nichts wissen; nach einem Streikmonat sah es Ende April vorübergehend nach einer Regelung des Konflikts aus, aber in mehreren Fällen wurden Streikteilnehmer durch ungedeckte Schecks - die durch die Banken zurückgewiesen wurden - bezahlt. Nunmehr mischen sich bei ihnen Wut, Erschöpfung und ein Anflug von Resignation. Ihr Kampf geht dennoch weiter, und wird am Dienstag Abend dieser Woche (20. Mai) durch eine größere Kundgebung und die Aufführung eines engagierten Theaterstücks wieder durch breite Kräfte von außen unterstützt werden. Das ist auch bitter nötig, denn am selben Tag wird ein Pariser Gericht über einen Antrag des Unternehmens auf polizeiliche Räumung der besetzten Arbeitsstätten verhandeln. Bei der Restaurantkette "Chez Papa" sind, an ihrem Stammsitz in der rue de Lafayette im 10. Pariser Bezirk, derzeit über 30 Sans Papiers im Streik. Sie stammen aus Senegal, Mauretanien, Mali und dem Maghreb (Marokko/Algerien/Tunesien). Bislang war in ihrem Falle noch keine positive Antwort der Pariser Polizeipräfektur zu verzeichnen. Auch ihr Ausstand, an dem Unterstützerkreise (in dem Fall überwiegend KP und CGT) teilnehmen, dauert fort. Unterdessen hat Jean-Claude Amara von der Bewegung "Droits devant!" (,Rechte zuerst', "Rechte" im Sinn von Rechtsansprüche und nicht von politischer Rechter...), einer Art PR-Agentur für soziale Bewegungen, ein vorläufiges mageres Fazit für die Streikergebnisse gezogen. Er rechne mit "15 bis 20 Prozent" positiven Antworte auf die eingereichten Dossiers, mehr nicht, erklärte Amara in einem am 16. Mai veröffentlichten Kommuniqué. Deswegen werde nunmehr eine zweite Welle von Streiks vorbereitet, der als Druckmittel betrachtet und benutzt wird, um die Dossiers der betroffenen Sans papiers in ihrer Gesamtheit vorankommen zu lassen. Bislang hatten die Hauptorganisatoren des Ausstands, der Gewerkschaftsbund CGT und Droits devant!, noch eine sofortige Ausdehnung des Streiks - an dem gerne auch andere abhängig Beschäftigte teilgenommen hätten - abgelehnt. Und zwar aus der Erwägung heraus, dass der unmittelbare Kampferfolg nicht gefährden werden dürfe, indem man den Streik überdehne und dadurch eine Anzahl geforderter "Legalisierung" vortrage, die politisch unter dem momentanen Kräfteverhältnis nicht durchsetzbar ist. Tatsächlich kann perspektivisch nur ein gewonnener Kampf, nicht aber ein verlorener positiv im Gedächtnis bleiben und dadurch zur "Nachahmung", also zu weiteren Kämpfen motivieren: Verlorene Kämpfe hinterlassen nur bleischwere Resignation und Bitterkeit. Insofern hatte die Überlegung, den Streik nicht sofort über einen gewissen Punkt (gut 900 Dossiers zur "Legalisierung", die bei den Präfekturen im Raum Paris eingereicht wurden) hinaus auszudehnen, anfänglich durchaus eine gewisse Logik inne. Auch wenn manche Unterstützer, zum Teil unter Zuhilfenahme möchtegern-linksradikaler Phraseologie, die vorläufige Beschränkung der Streikziele auf einen "zu legalisierenden" Personenkreis von einigen hundert Streikteilnehmern als "Verrat der CGT" u.ä. anprangerten, so war dieses Vorgehen dennoch nicht unlogisch. Aber gleichzeitig ist es vor diesem Hintergrund nicht verwunderlich, ja war es quasi unvermeidlich, dass es auch zu ernsthaften Konflikten innerhalb der Sans papiers - und UnterstützerInnen-Szene kommen würde. Seit dem o2. Mai besetzt die "Pariser Koordination der Sans papiers " bereits mit rund 300 Leuten die Lokale der CGT und das Pariser Gewerkschaftshaus, um Druck für ihre Forderung zu entfalten, 1.000 ihrerseits zusammengestellte Dossiers zu akzeptieren und ebenso wie die bei den Präfekturen (= Polizei- und Ausländerbehörden) eingereichten 1.000 Dossiers als (vor)dringlich zu behandeln. Was die CGT ihrerseits ablehnt, mit der Begründung, jene, die sich selbst gewerkschaftlich organisieren und an einem Streik teilnehmen, seien als Verhandlungsteilnehmer vorrangig, "dies ist nun einmal die Basis des Gewerkschaftswesens" (so die CGT-Sekretärin Francine Blanche). Dies hat durchaus seine Logik, denn tatsächlich definiert sich die Aktivität einer Gewerkschaft nun einmal zuvörderst über die aktive Solidarität und das eigene Einbringen in kollektive Streiks. Es hat ebenfalls seine Logik, dass die CGT "ihre" derzeit bei den Präfekturen in Paris und in den Bezirkshauptstädten im Pariser Umland eingereichten Dossiers von Streikteilnehmern zuerst behandelt sehen möchte: Alle Kollektive und Koordinationen von Sans papiers, die bislang existieren und (infolge von Demonstrationen, Besetzungsaktionen, öffentlichem Druck usw.) de facto als Verhandlungspartner der Staatsmacht auftreten können, handeln ihrerseits ähnlich. Wenn die Präfektur einem Sans papiers-Kollektiv zu erkennen gibt, dass sie bereits sei, 200 Personen zu "legalisieren", dann wählt das Kollektiv seinerseits 200 Namen aus, um sie bei der Präfektur einzureichen - und tut dies unter Berücksichtigung derjenigen, die selbst beim eigenen Kollektiv organisiert oder dort aktiv sind. Insofern handelt es sich um eine nachvollziehbare, aber beklagenswerte "Konkurrenz"logik, die jedoch aufgrund des Handelns der Gegenseite quasi unvermeidlich zu werden schien: Die Pariser Regierung hatte der CGT signalisiert, das sie bereit sei, 1.000 "Legalisierungen" in Erwägung zu ziehen, hat ihr aber zugleich als Gegenleistung abgefordert, die aktuelle Bewegung zu "beruhigen". Also keine neuen Streiks für "Legalisierung" unmittelbar nachkommen zu lassen. Das wirklich Niederschmetternde dabei ist freilich, dass die Regierungsseite sich nun nicht einmal an ihren eigenen, informellen Vorschlag (rund 1.000 "Legalisierungen") gebunden zu sein fühlt, sondern im Moment sogar nur noch von rund 100 möglichen "Legalisierungen" spricht. Anscheinend sieht das Regierungslager das Kräfteverhältnis zu seinen Gunsten sehen. Ob dem so ist, bleibt abzuwarten bzw. auszutesten. Ab dieser Woche ist deswegen mit erneut ausbrechenden Streiks von Sans Papiers in verschiedenen Betrieben, Restaurants usw. zu rechnen. Die beiden linken Basisgewerkschaften SUD-Rail (SUD Schienenverkehr) und SUD-Nettoage (SUD Reinigungsgewerbe) haben ihrerseits am Montag, 19. Mai angekündigt, solche Ausstände zu unterstützen und zu begleiten. Artikel von Bernard Schmid, Paris, vom 19.05.2008 |