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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Schülerproteste: "Die Zahnpasta ist aus der Tube..." Rückzieher oder nicht? Möglicherweise voreilig waren die Medienberichte vom Freitag, Bildungsminister François Fillon habe infolge der anschwellenden SchülerInnenproteste vom Vortag seine "Abiturreform" ersatzlos zurückgezogen. Am Freitag abend wollte Fillon davon plötzlich nichts mehr wissen: Er habe lediglich das Treffen der dazu tätigen Arbeitsgruppe vom Montag dieser Woche (14. Februar) abgesagt, wodurch die Reform zwar aufgeschoben, aber nicht aufgehoben sei. Der erste taktische Rückzug war wohl von Präsident Jacques Chirac angeordnet worden (wie "Libération" vom Samstag berichtete). Dieser befürchtete, die Proteste konnten ihm in der sensiblen innenpolitischen Phase, in der er auf keinen Fall die Mehrheit für das "Ja" beim kommenden Referendum über die EU-Verfassung gefährdet sehen möchte und die er deswegen so konfliktfrei wie möglich halten will, die Rechnung verderben. Aber gegen Ende voriger Woche wurde auch gemutmaßt, ein "zu schneller" Rückzug von Minister Fillon könne weitere soziale Konflikte auf anderen Feldern ermutigen. Deswegen wurde wohl der Rückzieher seinerseits zur Hälfte zurückgenommen. Die Arbeit der "Reform"-Kommission wird auf jeden Fall künftig sehr erschwert sein, da mehrere Lehrer- und SchülerInnen-Gewerkschaften (siehe unten) sich bereits aus ihr zurückgezogen haben. Worum geht es? Der Bildungsminister der Regierung Raffarin will bisherige Kurse, in denen Oberstufenschüler eigenständig (aber unter pädagogischer Betreuung) Referate erarbeiten, abschaffen zu teuer und mehrere Fächerangebote, darunter "seltenere" Fremdsprachen, streichen. Auch soll das bisherige Zentralabitur verschwinden, und jede Schule soll ihre eigenen Abiturnoten unter Berücksichtigung der ganzjährigen Mitarbeit erstellen. Schüler- wie Lehrergewerkschaften befürchten aufgrund der Abschaffung des Zentralabiturs eine verschärfte Ungleichheit in der Anerkennung der Abschlüsse, vor allem zwischen Paris und den Banlieues. Am Donnerstag demonstrierten in Paris 40.000 SchülerInnen der Oberstufenschulen (lycées) dagegen, frankreichweit waren es gut 100.000 "lycéens". Ein hoher Beamter des Bildungsministeriums wurde in den Medien mit den warnenden Worten zitiert: "Schüler und Stundeten sind wie Zahnpasta: Wenn sie einmal aus der Tube entwischt sind, bekommt man sie nicht wieder hinein." Wer sind die (organisierenden) Akteure? Organisiert werden die Proteste vor allem durch zwei "Gewerkschaften" der OberstufenschülerInnen. Da wäre erstens die FIDL (Unabhängiger und demokratischer Oberschüler-Verband), die faktisch von der Sozialdemokratie kontrolliert wird und durch deren Satellitenorganisation SOS Racisme ins Leben gerufen wurde. Zum Zweiten gibt es die UNL (Nationale OberschülerInnen-Union), die als "moderater" bzw. weniger verbalradikal als (manchmal) die FIDL gilt, aber auch parteipolitisch unabhängiger ist als diese. Links bis linksradikal orientiert sind daneben die CAL (Comité d`actions lycéens). In ihren Reihen sind vor allem die Jeunesses communistes révolutionnaires (JCR, Jugendorganisation der undogmatisch-trotzkistischen LCR) und Leute von der libertär-kommunistischen AL (Alternative libertaire) aktiv. Unterstützung für die Proteste kam ferner von
verschiedenen Lehrergewerkschaften wie der FSU, während die eher
sozialdemokratische UNSA (Sektion Bildungswesen) einen Teil des Ordnerdiensts
am vorigen Donnerstag zur Verfügung stellte. In konservativen Medien
brachte dies aber schnell Wie geht es weiter? François Fillon wird einige Mühe haben, die
Arbeit der Kommission zur "Abiturreform" wie geplant zum 15.
Juni 05 zum Abschluss zu bringen jedenfalls, wenn diese einigermaßen
legitim erscheinen soll. Denn sowohl die beiden SchülerInnengewerkschaften
FIDL und UNL (die dritte organisierte Dennoch versucht Fillon bisher den Eindruck zu erwecken, er werde und könne sein Projekt durchziehen. Gleichzeitig versichert er aber nunmehr auch, er werde "keine Reform des Abiturs machen, solange die aufgekommenen Ängste nicht beigelegt sind". Zu den übrigen Aspekten der näheren Zukunft des
Bildungswesens (außer der "Reform" des Abiturs) wird,
wie geplant, am 15. Februar die Parlamentsdebatte über eine Vorlage
des Ministers Fillon beginnen. Also am Dienstag dieser Woche. Die umstrittene
Abiturreform wird wohl aus dem Einziger Trost für François Fillon: Derzeit und noch bis Ende des Monats ist eine Mehrheit der französischen SchülerInnen im Urlaub, zeitlich gestaffelt nach 19 Ferienzonen. Genau deswegen wird ja auch die Parlamentsdebatte am morgigen Dienstag beginnen. Aber SchülerInnen- wie LehrerInnengewerkschaften haben Wachsamkeit und Mobilisierung auch während der Ferienperiode angekündigt. Bernhard Schmid, Paris Für einige Bilder der Demo am 15.3.05 siehe den Beitrag "Erste Ergebnisse der erfolgreichen Streik- und Aktionstage" |