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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Erste Ergebnisse der erfolgreichen Streik- und Aktionstage Alle Bilder von der Demonstration vom 15. März 2005 Einfach und klar war die Botschaft, die ein Demonstrant auf einem Pappschild vor sich hertrug: "La concurrence n`est pas la solidarité". Dass Konkurrenz und Solidarität nicht dasselbe sind, denken wohl auch die anderen 80.000 Mitdemonstranten in Paris und die 800.000 in ganz Frankreich, die anlässlich des Streik- und Aktionstags gegen Arbeitszeitverlängerung und sozialen Kahlschlag am 10. März auf der Straße waren. Es handelte sich um Gewerkschafter aus den öffentlichen Diensten, die gegen Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Bildungswesen oder im Transportsektor protestieren und bessere Löhne einfordern. Um Streikkomitees aus der Privatwirtschaft: Derzeit finden größere Ausstände beim Automobilkonzern Citroën und in der Möbel-Kaufhauskette Castorama statt, um gegen Niedriglöhne und (in den Automobilwerken, wo seit dem 3. März gestreikt wird) auch gegen rassistische Diskriminierungen zu kämpfen. Und auch viele Kritiker der neoliberalen EU-Verfassung, über die am 29. Mai dieses Jahres in Frankreich abgestimmt wird, sind bei den Demonstrationen vertreten. Denn statt auf Solidarität zwischen den Bevölkerungen der nunmehr 25 Mitgliedsstaaten basiert die Logik dieses Verfassungsvertrags eben genau auf einer wirtschaftlichen Konkurrenz, die verallgemeinert und auf bisher noch relativ geschützte gesellschaftliche Bereiche ausgeweitet werden soll. Die Regierung will über Löhne verhandeln... Als Reaktion auf die wachsenden Proteste hat Premierminister Jean-Pierre Raffarin nunmehr angekündigt, am 22. März Lohnverhandlungen in den öffentlichen Diensten aufzunehmen. Zu Jahresbeginn hatte der Minister für den öffentlichen Dienst, Renaud Dutreil, eine Lohnerhöhung für die Staatsangestellten um 0,5 Prozent angekündigt; weitere 0,5 % sollten im November 2005 folgen. Nunmehr will der konservative Regierungschef Raffarin noch über ein weiteres Prozent Anhebung mit sich reden lassen, wie er ankündigte: "Das wirtschaftliche Wachstum hat uns nunmehr einen kleinen Spielraum verschafft", rechtfertigte er sein Einschwenken. Die Führungen der drei großen Gewerkschaftsbünde CGT, CFDT und FO haben alsbald ihre Bereitschaft bekundet, zu einer Lösung am Verhandlungstisch zu kommen. Dabei dürften sie allerdings, wenn es dann konkreter wird, einen gewissen Druck seitens ihrer Basis verspüren. Seit Beginn dieses Jahrzehnts ist die Kaufkraft, gemessen an der Entwicklung der Verbraucherpreise und vor allem der Mieten, nach gewerkschaftlichen Berechnungen um 5 Prozent im öffentlichen Dienst und bis zu 12 Prozent in der Privatindustrie gesunken. Dabei ist zwar der Nominalwert der Löhne und Gehälter (auf dem Papier) von Jahr zu Jahr gestiegen abgesehen von der Lohnentwicklung von 2002 auf 2003, die auch nach Angaben des staatsoffiziellen Amts für Statistik und Wirtschaftsstudien (INSEE) annähernd bei Null lag. Doch die Preise und vor allem die Mieten sind noch viel schneller gestiegen, wobei 2002 die Euro-Einführung zeitweise als Katalysator wirkte aber beim damaligen Preissprung ist es bei weitem nicht geblieben. Die Wohnungsmieten stiegen allein im Jahr 2004 frankreichweit um 4,58 Prozent (Durchschnittswert), u.a. weil viel zu wenig im sozialen Wohnungsbau vorhanden ist. In den Jahren 2001 bis 04 (eingeschlossen) stiegen die Mieten, laut offiziellen Zahlen des INSEE, um 14,22 Prozent. Die öffentlichen Transportmittel im Großraum Paris, deren Preis durch die Regierung festgelegt wird, wurden im selben Zeitraum um 13,6 Prozent teurer (auf der Basis des Preises einer Zwei-Zonen-Monatskarte, die in den Jahren 2001 05 von vorher 44,36 Euro auf 50,40 Euro kletterte). Die Briefmarke für die einfache Briefbeförderung wurde um 15,2 Prozent teurer (zu Beginn der Euro-Einführung kostete sie 46 Centimes, jetzt 53 Cents). Die Wasserpreise stiegen von 2001 bis 05 um 9,4 Prozent. Undsoweiter undsofort... ...der Kapitalistenverband MEDEF aber nicht! Den
MEDEF, der hauptsächliche Arbeitgeberverband in Frankreich (vor 1998
hieß er noch CNPF), kümmert die Besorgnis der Regierung um
eine gewisse innenpolitische Beruhigung unterdessen aber gar nicht. Er
klagt vielmehr offen die Regierung an, sich aufgrund des heranrückenden
französischen Referendums über die Annahme oder Ablehnung des
EU-Verfassungsvertrags zu Der derzeit noch amtierende MEDEF-Vorsitzende, der Baron
Ernest-Antoine de Seillière (er wird am 21. März voraussichtlich
an die Spitze des EU-weiten Arbeitgeberverbands Unice aufrücken und
deswegen sein französisches Amt ab Sommer räumen), äußerte
sich in einem Interview mit der Pariser Abendzeitung "Le Monde"
vom Dienstag abend. Darin ließ de Seillière sich in selbst
für Eine allgemeine Lohnerhöhung, so verlautbarte der Baron
dabei, komme nicht in Frage, da die Situation der Unternehmen ("ihre
Erfolge, ihre Märkte, ihre Konkurrenzsituation") nun einmal
unterschiedlich sei. Deswegen komme für jene Unternehmen, die nicht
"das Gefühl haben, dass ihre (jetzigen) guten Ergebnisse von
Dauer sein werden" (O-Ton Ernest-Antoine de Seillière), statt An anderer Stelle jedoch hatte der Baron, zu Anfang desselben
Interviews, noch strikt gegen das Gefühl und für eine so genannte
rationale Betrachtungsweise plädiert. Nämlich mit den Worten:
"Seit 1999 haben die abhängig Beschäftigten das Gefühl
(!), dass die Preissteigerung die Die Regierung von Jean-Pierre Raffarin, so beklagte sich der Baron de Seillière ferner, habe eine schöne Gelegenheit quasi vergeigt: "Wir hatten erwartet, dass die zweite Hälfte der Wahlperiode (Anm.: also Ende 2004 bis 2007) eine Reformpolitik erlauben würde, die umso leichter fallen würde, als keine Wahlen anstanden, die sie hätten blockieren können. (Anm. B.S.: Die nächsten Wahlen sind erst wieder die Präsidentschafts- und folgenden Parlamentswahlen im Frühjahr 2007. Also genügend Zeit, um soziale Grausamkeiten zu begehen und sie kurz vor den Wahlen wieder vergessen zu machen...) Aber jetzt gibt es einen neuen Wahltermin, nämlich das Referendum. (...) Es scheint offenkundig, dass das Referendum heute die Regierung dazu bringt, im Jahr 2005 nicht die Politik durchzuführen, die sie im Sinn hatte." (Auf die leicht ironische Nachfrage der JournalistInnen, ob der Arbeitgeberverband also zum "Opfer des Referendums" werde, antwortet der Baron: "Der Ausdruck ist zu stark" will die Grundaussage aber keineswegs verneint sehen.) Die Taktik der konservativen Regierung Tatsächlich
hat das angekündigte "Ballastabwerfen" (der Ausdruck stammt
von Staatspräsident Chirac) hinsichtlich der Lohnpolitik im öffentlichen
Dienst damit zu tun, dass Chirac und Raffarin den Ausgang der Volksabstimmung
über die neoliberale EU-"Verfassung" auf keinen Fall gefährdet
sehen wollen. Seit Wochen macht sich tatsächlich in Kreisen des Establishments
die Sorge breit, die wachsende soziale Unzufriedenheit im Lande könne
auch auf die Abstimmung durchschlagen. Daneben spielen auch andere Faktoren
dabei eine Rolle, dass die Regierung unter Handlungszwang steht. So hat
die Affäre um den am 25. Februar unter erheblichem Druck zurück
getretenen ehemaligen Wirtschaftsminister Hervé Gaymard der
Regierung erheblich geschadet: Die Regierung setzt im Moment allem Anschein nach auf eine doppelte Taktik. Einerseits soll die derzeitige "Front der Unzufriedenen" aufgebrochen werden, indem den öffentlich Bediensteten einige Zugeständnisse gemacht werden. Die Beschäftigten in der Privatwirtschaft, die über einen weit schlechteren gewerkschaftlichen Organisationsgrad verfügen, werden dabei aber wesentlich weniger abbekommen. (Was in naher Zukunft den zahllosen Versuchen aus der bürgerlichen Rechten, durch das Schüren von Neid gegen die "privilegierten Staatsbediensteten" eine Spaltkeil zwischen die Beschäftigtengruppen zu treiben, neue Nahrung verschaffen könnte...) Zwar will die Regierung am 18. März die Arbeitsgruppe
"Lohnpolitik" der Nationalen Tarifkommission in der auch
die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften sitzen zusammenrufen.
Doch absehbar ist, dass den Beschäftigten statt allgemeiner Lohnerhöhungen
vorwiegend Erfolgsprämien in Abhängigkeit von den Unternehmensgewinnen
und individuelle Andererseits ist aber auch in den öffentlichen Diensten
durchaus nicht an soziale Wohltaten gedacht. Vielmehr läuft die Taktik
der Regierung darauf hinaus, die absehbaren geringfügen Gehaltserhöhungen
mit einer Akzeptanz der so genannten "Modernisierung der Staatsfunktionen"
durch die Gewerkschaften zu verknüpfen. Dabei geht es vor allem um
eine erhöhte Flexibilität der Ob es der konservativ-liberalen Regierung gelingen wird, damit die sozialen Proteste zu "beruhigen", ist momentan eine offene Frage. Streikbewegung im Bildungswesen: Vor dem Auslaufen? Die beeindruckendste soziale Bewegung der letzten Monate aber war jene der SchülerInnen der Oberstufenschulen (lycées). (Zu den Beweggründen dieser Protestbewegung siehe "Schülerproteste: "Die Zahnpasta ist aus der Tube...") Auch die Lehrer, die bereits im Frühsommer 2003 die "Speerspitze" des damaligen massenhaften Ausstands gegen die regressive "Rentenreform" stellten aber von der damaligen Niederlage und den nachfolgenden Lohnabzügen für mehrere Streikwochen besonders hart getroffen wurden waren in jüngster Zeit wieder massiv mobilisiert. Auf den Protestzügen am 10. März stellten die Lehrer, die teilweise mit ihren Gewerkschaften und teilweise in nach Schulen aufgestellten Streikblöcken (wie 2003) mitliefen, beispielsweise in Paris den größten Demoblock. Direkt hinter ihnen, aber in eigenständigen Blöcken liefen die SchülerInnen. Doch in den letzten Tagen scheint diese Mobilisierung dabei, zusammen zu brechen. Zu den aktuellen Schwierigkeiten der Mobilisierung gehört, dass die Pariser Demonstration der SchülerInnen am 8. März von kriminellen Jugendbanden aus den Trabantenstädten angegriffen wurde und nach zwei Dritteln der geplanten Route abgebrochen werden musste. An jenem Tag (Dienstag voriger Woche) demonstrierten frankreichweit rund 165.000 SchülerInnen, davon 9.000 in Paris. Letztere wurden von einer Gesamtzahl von Gewalttätern, die zwischen 800 und 1.000 liegen dürfte, attackiert. Diese Form der Gewalt ist ein neues Phänomen. Denn
anders als die früher bei Demonstrationen auftretenden "casseurs"
(ungefähr: Krawallmacher) greifen die jetzt auftretenden Banden nicht
die Polizei oder Luxusgeschäfte an sondern stürzen sich
mit größerer Übermacht auf einzelne Demoteilnehmer, um
ihnen Handys oder Markenklamotten abzunehmen. Dieses in dieser Gestalt Dass es aber soweit kommen konnte, dass die Gewalt dieser Banden eine ganze Demonstration zerstören kann, lag auch an nicht vorhandenen oder völlig unstrukturierten Ordnerdiensten und mangelnder Organistionserfahrung. Das sollte sich so nicht wiederholen: Am 15. März stellten Gewerkschaften, Schülerverbände und linke Organisationen (Lehrergewerkschaft FSU, CGT, Kommunistische Partei, LCR, SUD Education) gemeinsame beeindruckende Ordnerdienste. Doch bei vielen, vor allem jüngeren SchülerInnen
hat die Erfahrung der Woche davor eine einschüchternde Wirkung hervorgerufen.
Sie bleiben teilweise lieber zu Hause oder plädieren für Protestaktionen
innerhalb der Schulgebäude wo sie aber Signalwirkung nach außen
entfalten. Das Scharniermoment für die SchülerInnen-Proteste
lag in der zweiten Märzwoche. Am 8. Mârz war mit 165.000 demonstrierenden
SchülerInnen frankreichweit (und 9.000 in Paris) wohl der Zenit erreicht.
Am folgenden Tag demonstrierten in der Hauptstadt ihrerseits um die 5.000
junge Doch am Dienstag dieser Woche schien die Bewegung sich bereits abzuschwächen. In Paris demonstrierten rund 6.000 SchülerInnen (unter ihnen auch einige hundert LehrerInnen), frankreichweit waren es noch 50.000. Bernhard Schmid (Paris) |