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Updated: 18.12.2012 15:51
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Nach dem Abkommen über die Neuregelung der "Repräsentativität" der französischen Gewerkschaften: Zusammenlegung von Gewerkschaftsverbänden in Aussicht

Größere Umwälzungen stehen in der französischen Gewerkschaftslandschaft möglicherweise bevor, und dies schon sehr bald.

Noch ist das "sozialpartnerschaftliche" Abkommen vom vorigen Donnerstag, das den Rechtsstatus der Gewerkschaften - vor allem der kleineren unter ihnen - neu regeln wird, nicht in Kraft getreten. Offiziell ist bislang noch unklar, welche Gewerkschaftsdachverbände ihre Unterschrift darunter setzen werden; freilich wurde am gestrigen Donnerstag durch eine Abstimmung in ihrem Vorstand klar, dass die CGT es auf jeden Fall unterzeichnen wird. Bisher ist das neue Abkommen auch noch nicht vom Gesetzgeber in bindendes Recht umgesetzt worden. Allerdings hat die französische konservative Parlamentsmehrheit sich im Vorfeld dazu verpflichtet, einem solchen Abkommen, wenn es denn zustande komme, Gesetzeskraft zu verleihen. Das Ganze dient perspektivisch dazu, die Legitimation der durch ("repräsentative") Gewerkschaften mit den Unternehmen ausgehandelten Kollektivverträge zu stärken: Einerseits wird künftig diese "Repräsentativität" nicht mehr - wie bislang - vom Gesetzgeber automatisch unterstellt, sondern anhand der Wirklichkeit überprüft. (Vgl. dazu unseren Artikel vom Dienstag dieser Woche im LabourNet) Und andererseits müssen Gewerkschaften künftig - allein oder zu mehreren - mindestens 30 Prozent der Stimmen bei Betriebswahlen im Unternehmen oder in der Branche erhalten haben, um einen rechtsgültigen und für die Lohnabhängigen rechtlich verbindlichen Kollektivvertrag abschließen zu können. Gewerkschaften, die zusammen mindestens 50 % der Stimmen erhalten haben, können ferner durch Ausüben eines "Vetorechts" das Inkrafttreten eines Kollektivvertrags verhindern. Bislang genügte die Unterschrift einer einzigen als "repräsentativ" anerkannten Gewerkschaft, so schmal ihre soziale Basis in der Praxis auch sein mochte, um einem Kollektivvertrag (gegenüber den Lohnabhängigen) Rechtskraft zu verleihen.

Bislang steht das Abkommen dazu, vorläufig, nur auf dem Papier. Aber schon hat es unmittelbare Auswirkungen: An diesem Donnerstag und Freitag sollen die (jeweiligen) Vorstände zweier mittelgroßer Gewerkschaftsdachverbände einen Fusionsprozess einleiten, der auf Dauer zu einem Zusammenschluss ihrer jeweiligen Strukturen führen soll.

Es handelt sich um die Gewerkschaft der höheren und leitenden Angestellten oder ,cadres' (CGC) sowie die "Nationale Union unabhängiger Gewerkschaften" UNSA. Die erstgenannte gehörte bislang zum - bis zur jetzt anstehenden Neuregelung geschlossenen - Club der vom Gesetzgeber als "repräsentativ" anerkannten Gewerkschaften. Künftig droht sie diesen Status allerdings zu verlieren, da sie dann nämlich beweisen muss, was ihr bisher vom Gesetzgeber als "unwiderlegbare gesetzliche Vermutung" zu ihren Gunsten unterstellt worden war: Dass sie über eine hinreichende soziale Basis verfügt, um im Namen der Lohnabhängigen zu sprechen und zu verhandeln. Umgekehrt gehörte die UNSA - ein als "gemäßigt" geltende, und sich selbst als "unpolitisch" betrachtender, Gewerkschaftszusammenschluss - bislang nicht zum Club der "repräsentativen" Beschäftigtenorganisationen.

Aber möglicherweise gelingt es ihr künftig - besonders nach dem geplanten Zusammenschluss -, in den Kreis der zur rechtlichen Vertretung der abhängig Beschäftigten befugten Organisationen einzutreten. Denn künftig könnte ihr (bzw. dem geplanten gemeinsamen Verband) der Nachweis gelingen, mindestens ebenso "repräsentativ" zu sein wie solche Gewerkschaften, die bislang vom Gesetzgeber privilegiert worden waren. Um gemeinsam hinreichend Gewicht auf die Waagschale zu werfen, dürften UNSA und CGC also auf einen Zusammenschluss hinarbeiten. Insbesondere in den Transportbetrieben und bei der französischen Polizei kämen beide zusammen auf ein erhebliches Gewicht. Jedenfalls theoretisch, denn in der Praxis ist die soziale Basis oft nicht dieselbe: Bei den Pariser Verkehrsbetrieben etwa vertritt die UNSA recht viele Busfahrer, die CGC hingegen spricht - wie überall - vorwiegend für die Schicht der "weißen Kragen". Deswegen wird auch noch mit Abspaltungen und Absplitterungen, auf beiden Seiten, vor dem Zustandekommen einer Fusion gerechnet. Wenn es allerdings so weit ist, dann dürfte ein wichtiger neuer Pol auf dem rechten Flügel der französischen Gewerkschaftslandschaft entstehen.

Aber nicht für diesen, eher "moderaten" und sozialdemokratisch-bürgerlich geprägten Teil der französischen Gewerkschaften wird die neue Vereinbarung erhebliche Veränderungen nach sich ziehen. Auch auf der anderen Seite des gewerkschaftlichen Spektrums, auf seinem linken Flügel, könnte Bewegung aufkommen. Denn zu den mit Abstand wichtigsten jener Gewerkschaften, die bisher nicht vom Gesetzgeber mit dem Privileg des "automatischen" Repräsentativstatus ausgestattet waren - und sich daher ihre Rechte regelmäßig erst noch vor Gericht erstreiten mussten, indem sie dort ihren "Repräsentativcharakter" nachwiesen - gehören die linksalternativen Basisgewerkschaften SUD/Solidaires. Auch ihnen dürfte die Tür zum Club der "repräsentativen" Gewerkschaften künftig theoretisch leichter offen stehen. (Vgl. dazu unseren Artikel vom Dienstag dieser Woche im LabourNet)

Bernard Schmid, Paris, 17.04.2008


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