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Updated: 18.12.2012 15:51
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Frankreich: Das neue Abkommen über "Repräsentativität" der Gewerkschaften und die alternativen Beschäftigtenorganisationen

Anmerkung: Langfassung eines Artikels, der an diesem Donnerstag in der ,Wochenzeitung' (WoZ) in Zürich erscheinen wird

Es war als eine große Neuerung, ja als eine Revolution in den sozialen Beziehungen angekündigt worden. In Wirklichkeit wurde es eine Reform von begrenzten Ausmaßen. Am Donnerstag vergangener Woche, gegen 2 Uhr in der Frühe, schlossen die französischen Gewerkschaftsbünde und die Unternehmerverbände ihre letzte Verhandlungsrunde über das Thema der "Repräsentativität" von Gewerkschaften in Betrieben und Wirtschaftssektoren ab. Die so bezeichnete Eigenschaft (der "Repräsentativcharakter" im Sinne des Arbeitsgesetzbuchs) bezeichnet das vom Gesetzgeber zuerkannte Recht, im Namen der abhängig Beschäftigten zu verhandeln und Kollektivverträge abzuschließen, die für Letztere eine rechtsverbindliche Wirkung haben.

Noch ist nicht klar, welche Organisationen das Abkommen, das bei diesen Verhandlungen -- auf die die Regierung gedrungen hatte, unter der Drohung, bei einem Nichtzustandekommen einer Einigung selbst gesetzgeberisch aktiv zu werden -- heraus kam, unterzeichnen werden. Aller Wahrscheinlichkeit aber werden die beiden größten Gewerkschaftsdachverbände, die "postkommunistische" CGT und die rechtssozialdemokratische CFDT, ihre Unterschrift unter die Vereinbarung setzen. Kommt diese doch ihren Interessen entgegen, während zumindest manche der kleineren Gewerkschaften tendenziell benachteiligt werden. Das gilt vor allem für die eher rechten, ja "gelben" Dachverbände wie den christlichen Gewerkschaftsbund (CFTC), denen bisher ein künstlicher Status der "automatischen Repräsentativität" zuerkannt wurde. Dies bedeutet, dass sie nicht nachweisen mussten, wirklich über eine soziale Basis im Betrieb oder in der Branche zu verfügen, um vom Gesetzgeber das Recht zugestanden zu bekommen, für die Lohabhängigen rechtsverbindliche Verträge einzugehen.

Das jetzige System datiert aus der unmittelbaren Nachkriegszeit (im Kern von einem Gesetz vom 11. Februar 1950) und war ursprünglich dazu gedacht, kleinere Gewerkschaften leichter am Leben zu halten. Denn damals ging es darum, den Unternehmen Verhandlungspartner außerhalb der "übermächtigen", mit Abstand stärksten Gewerkschaftsvereinigung - der "kommunistischen" oder "pro-kommunistischen" CGT - zu sichern. Deshalb werden mehrere kleinere Gewerkschaften per Gesetz als "automatisch repräsentativ" betrachtet. Dieses System leidet aber heutzutage, in Zeiten schwindender Mitgliedszahlen, unter einem zunehmenden Legitimationsdefizit.

Neue Kriterien

Nunmehr wird diese "automatische" Zuerkennung der Repräsentativ-Eigenschaft durch den Gesetzgeber durch ein Bündel an Kriterien ersetzt. Bereits bisher gab es ein solches Kriterienbündel, das aber nur auf diejenigen Gewerkschaften Anwendung fand, die nicht ohnehin einen "automatischen Repräsentativcharakter" aufwiesen. Es umfasste insgesamt sechs Punkte: das Vorhandensein von Mitgliedern, eines Beitragsaufkommens, im Prinzip auch die Gegnerfreiheit (also Unabhängigkeit vom Arbeitergeber, die aber für manche Gewerkschaften doch eher theoretisch blieb). Hinzu kam ferner, zuzüglich, auch noch der "patriotischen Haltung" während der Besatzungszeit der Jahre 1940 bis 44. Dieses Element diente dazu, um rechtsextreme Beschäftigtenorganisationen im Stil der "Korporationen" des Vichy-Regimes auszuschließen, fand aber auf zu einer späteren Zeit neu gegründete Gewerkschaften keine Anwendung.

Künftig gibt es keine "automatische Repräsentativität" mehr, und alle Gewerkschaften müssen in Zukunft nachweisen, tatsächlich über eine soziale Basis zu verfügen, um bestimmte Rechte im Namen der Lohnabhängigen ausüben zu können. Nunmehr sind es auch nicht mehr 6, sondern auch 8 Kriterien, die überprüft werden können (wobei das Kriterium der "patriotischen Haltung" während der Besatzungszeit selbstverständlich auch künftig für Gewerkschaften jüngeren Datums keinerlei Rolle spielen wird). Dazu gehören nunmehr, neben den bisherigen Prüfungspunkten, die an Gewerkschaften angelegt wurden, auch ihre Wahlergebnisse bei Betriebsrats- oder Personalratswahlen: Um Kollektivverträge eingehen zu können, muss eine Gewerkschaft auf Betriebsebene mindestens 10 Prozent, auf Branchenebene mindestens 8 Prozent der abgegebenen Stimmen eingefahren haben. Eine neugegründete Gewerkschaft muss allerdings zwei Jahren warten, bevor sie überhaupt mit eigenen Kandidaten zu einer Wahl - die in vierjährigem Rhythmus stattfinden - antreten dürfen. Und sie muss zukünftig (achtes Kriterium, das ebenfalls neu hinzutritt) ihren "Respekt der republikanischen Werte" nachweisen, was immer das im Einzelnen genau bedeuten mag. Mit einiger Sicherheit dürfte das rechtsextreme Pseudogewerkschaften von einer Wahrnehmung jener Rechte, die wirklichen Arbeitnehmerorganisationen vorbehalten sind, abhalten. Aber auch (klassen)kämpferische Gewerkschaften könnten unter Umständen mit diesem Kriterium später Probleme bekommen - je nachdem, wie es später durch die Gerichte ausgelegt werden wird.

Die SUD-Gewerkschaften

Zu den mit Abstand wichtigsten jener neuen Gewerkschaften, die bisher nicht vom Gesetzgeber mit dem Privileg des "automatischen" Repräsentativstatus ausgestattet waren - und sich daher ihre Rechte regelmäßig erst noch vor Gericht erstreiten mussten, indem sie dort ihren "Repräsentativcharakter" nachwiesen - gehören die linksalternativen Basisgewerkschaften, die in den letzten 15 Jahren in zahlreichen Sektoren unter dem Namen SUD ( Solidaires, Unitaires, Démocratiques ) entstanden sind. Am stärksten vertreten sind sie bei der französischen Post und Telekom, wo sie über 20 Prozent der Stimmen bei Personalratswahlen wiegen, sowie bei der Bahngesellschaft SNCF mit inzwischen 16 Prozent der Stimmen. In den beiden letztern Fällen bildet SUD jeweils die zweistärkste Gewerkschaft im (öffentlichen) Unternehmen. Schwächer dagegen sind die "solidarischen, der Kampfeseinheit verbundenen und demokratischen" Gewerkschaften hingegen in der Privatindustrie verankert. Aber auch hier gibt es in den letzten Jahren Ansätzen zur Neubildung solcher, gleichzeitig basisdemokratisch strukturierten und kämpferisch ausgerichteten, Gewerkschaften. Letztere sind bisher nur locker in einem Zusammenschluss namens ,Union syndicale Solidaires' zusammengeschlossen, in dem jede einzelne Mitgliedsgewerkschaft ein Vetorecht besitzt, gehören aber bislang keinem zentralisierten Dachverband an. Die Union ,Solidaires' versucht nun allerdings, sich besser zu strukturieren, ohne die bei anderen Gewerkschaftsverbänden bestehenden Probleme der Bürokratisierung und Verkrustung nachzuahmen. So besteht bei den SUD-Gewerkschaften und ihrem Zusammenschluss ,Soldaires' bisher das Prinzip des Verbots von Ämterhäufung, un der Rotation von Mandatsträgern: Niemand soll länger als zwei Amtsperioden (die in der Regel drei Jahre dauern) in einem Mandat als hauptamtlicher Gewerkschafter bleiben können.

Die SUD-Gewerkschaften entstanden meist aus Abspaltungen von der CFDT. Letztere hatte zunächst (nachdem sie in den sechziger Jahren ihren ursprünglich christlichen Hintergrund abstreifte) nach dem Mai 68 einen Linksruck erlebt und sich vielen neuen gewerkschaftlichen Praktiken - etwa der Forderung nach mehr Lebensqualität statt mehr Lohnprozenten - und internationalistischen oder ökologischen Themen geöffnet. Aber in den späten achtziger Jahren vollzog die CFDT dann einen starken Rechtsruck, der auch aus der Enttäuschung über die Regierungspraxis der Sozialdemokratie unter François Mitterrand erwuchs. Viele CFDT-Funktionäre waren zuvor in Regierungsämter unter den "Sozialisten" gewechselt, aber alsbald hatte sich in ihrer Gewerkschaften eine herbe Enttäuschung breit gemacht. Die Führung der CFDT reagierte mit einer Offensive zur "Entideologisierung", der Hinwendung zu "betriebsnaher, pragmatischer Vertragspolitik" mit den Unternehmen und zur Übernahme vieler neoliberaler Paradigmen ("Vertrag ist immer besser als Gesetz"). Ihr Apparat versuchte, den linksalternativen bis linksradikalen Flügel in den eigenen Reihen abzustoßen, und schloss 1988/89 die Anführer mehrer wichtiger Streikbewegungen - bei den Krankenschwestern sowie den Postangestellten - aus der CFDT aus. Doch mit ihnen zusammen gingen auch zahlreiche Mitglieder. Aus diesen "harten Kernen", die sich damals von der CFDT trennten, entstanden die ersten alternativen Basisgewerkschaften: SUD-PTT bei der Post sowie der französischen Telekom, und die heutige SUD Santé (damals noch CRC) im Gesundheitswesen.

Später kamen viele neue Gründungskerne von SUD-Gewerkschaften hinzu, und zwar vor allem jedes Mal dann, wenn sich die "offizielle" CFDT explizit gegen Streikbewegungen stellte und regressive "Reformen" unter konservativen Regierungen unterstützte. So entstand SUD-Rail (SUD im Schienenverkehr) bei der französischen Eisenbahn 1995, als die CFDT-Führung einen Plan des konservativen Premierministers Alain Juppé zur Dämpfung von Gesundheitskosten sowie zum Kaputtsanieren der Staatsbahn unterstützt hatte. Die linke Eisenbahnergewerkschaft wuchs stark an, als 2003 eine neue Austrittswelle bei der CFDT auf ihre Unterstützung für die "Rentenreform" antwortete. Und im vergangenen Herbst und Winter (2007/08) wuchsen die Sympathien für SUD unter den Eisenbahner/inne/n erneut, als die Gewerkschaft mit Abstand am kämpferischsten gegen die damals durch die Regierung betriebene Abschaffung der Régimes spéciaux - der relativ günstigen Sonderregelungen bei der Rente für die Transportarbeiter - vorging. Allerdings erfolglos, zumal da die größeren Gewerkschaften den Streik im vergangenen November eher bremsten denn aktiv unterstützten, da ihre Führungen nicht von dessen Erfolgsaussichten überzeugt waren.

Im Unterschied zur Mehrzahl der anderen Gewerkschaften betätigen sich die SUD-Gewerkschafter/innen ausdrücklich nicht nur zu Themen, die materielle Verteilungsfragen und die unmittelbaren Interessen der Lohnabhängigen an ihren Arbeitsplätzen betreffen. Dazu zählt das aktive Engagement für die Sans papiers oder "illegalisierten" Einwanderer (das die SUD-Gewerkschafter/innen jedenfalls mit einigen Mitgliedsgewerkschaften der CGT teilen) oder für die "Dritte Welt" betreffenden Themen. Auch bei Demonstrationen gegen den Überfall auf den Irak, zu Weltwirtschaftsfragen oder ähnlichen Themen fand und findet man SUD-Gewerkschafter/innen überdurchschnittlich stark vertreten.

Wird die Neuregelung, die sich jetzt am Horizont abzeichnet, die Betätigung kleinerer Gewerkschaften - und damit auch der SUD - eher begünstigen oder eher behindern? Dies bleibt im Moment noch abzuwarten. Möglicherweise wird man ihnen ihren kämpferischen Charakter als mangelnden Respekt vor den "Werten der Republik" ankreiden.

Langfassung eines Artikels von Bernard Schmid vom 15.4.08, der an diesem Donnerstag in der ,Wochenzeitung' (WoZ) in Zürich erscheinen wird


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