letzte Änderung am 12. Sept. 2003 | |
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Kurz vor dem 14. Juli nahm die Pariser Nationalversammlung das "Unterhaus" des Parlaments ein anderes Aussehen an. Am Abend des 11. Juli, des letzten Werktags vor dem französischen Nationalfeiertag (der in diesem Jahr auf einen Montag fiel), wurden mehrere Riesenportraits unter dem Titel "Mariannes von heute" an der Außenfassade des Palais Bourbon angebracht. Die insgesamt vierzehn Abbildungen zeigen junge Frauen, die erkennbar aus Einwandererfamilien stammen und teilweise nicht weißer Hautfarbe sind. Jede von ihnen hat entweder einen "bonnet phrygien" auf dem Kopf - so heißt die rote Zipfelmütze, die Jakobiner und Sans-culotten zur Zeit der Französischen Revolution trugen oder trägt eine Cocarde, ein aus derselben Periode stammendes Symbol für revolutionären Patriotismus, das allerdings in späteren Zeiten chauvinistische Bedeutung hatte.
Der Titel der Ausstellung, die noch bis in die ersten Septembertage hinein zu sehen war, vermittelt die anvisierte Botschaft: La République métissée. Das bedeutet ungefähr die "vermischte Republik", wobei der französische Begriff métissage anders als der ihm eigentlich entsprechende deutsche Begriff "Rassenmischung" keineswegs negativ beladen ist, sondern je nach Standpunkt euphorisch-zustimmend bis ablehnend benutzt werden kann. (Fußnote 1)
Doch nein, die Revolution gegen die postkoloniale und von Rassismus ebenso wie Männerdominanz geprägte, bourgeoise Republik ist nicht ausgebrochen. Die Porträts wurden, im Rahmen einer offiziellen temporären Ausstellung, auf Anordnung des konservativen Parlamentspräsidenten und Ex-Innenministers Jean-Louis Debré angebracht. Das ist eines der Ergebnisse der Unterredungen zwischen der amtierenden Raffarin-Regierung und Frauengruppen, die vor allem die Bewohnerinnen der Banlieues (Trabantenstädte) französischer Ballungsräume vertreten, im Laufe des Frühjahrs.
Die vierzehn jungen Frauen, deren Porträts einige Wochen lang das Palais Bourbon zierten, haben alle im Februar und März dieses Jahres am "Marsch der Frauen aus den Vorstädten" teilgenommen. Einer Tour der France ähnlich, hatten dessen Teilnehmerinnen ihr harter Kern bestand aus etwa zwei Dutzend Aktivistinnen, die von Stadt zu Stadt reisten, um an Vorträgen und Diskussionsrunden teilzunehmen im Februar und März dieses Jahres ganz Frankreich durchquert. Auf diesem Wege sollte eine Bewegung der filles des cités ("Mädchen der Siedlungen", gemeint sind die Trabantenstädte) initiiert werden, um deren besondere Unterdrückungsbedingungen landesweit zum Thema zu machen. Als Höhepunkt und Abschluss der Aktion führten die Teilnehmerinnen und zahlreiche UnterstützerInnen der Kampagne in Paris die Demonstration zum internationalen Frauentag am 8. März 2003 an. In der Folgezeit sollten sich feste Bewegungsstrukturen herausbilden, in Gestalt einer neuen Frauenorganisation unter dem Titel Ni putes ni soumises (Weder Huren noch unterwürfig).
Unter diesen provokanten Titel hatten die Initiatorinnen ihre mehrere Monate dauernde Protest- und Organisierungskampagne gestellt, die durch den "Marsch der Frauen aus den Banlieues" sichtbar gemacht werden sollte. Die Namensgebung soll den Doppelcharakter der spezifischen Unterdrückung von Frauen in der Einwanderungsbevölkerung und der Bewohnerschaft der Trabantenstädte beide soziale Gruppen überlappen sich deutlich heraus streichen. Diese weist zwei Hauptaspekte auf, die oftmals in die fatale Alternative "Entweder Freiwild oder früh verheiratete, wie ihre Vorfahrinnen lebende Frau" einmünden.
Manche BeobachterInnen führen die besondere Unterdrückungssituation junger Frauen in diesen Bevölkerungsgruppen vorwiegend auf "den Islam" zurück. In konservativen und rechtsextremen Kreisen war es vor allem in den Neunziger Jahren üblich, eine "Islamisierung der Banlieues" zu beklagen. (Fußnote 2) Inzwischen ist es um diese Behauptung allerdings stiller geworden, da einerseits die große "islamische Welle" offenkundig ausgeblieben ist und andererseits auch die regierende Rechte die konservativen islamischen Gemeindevertreter als Ordnungsfaktor in den "sozialen Problemzonen" für sich entdeckt.
Tatsächlich ist das Gewicht der muslimischen Religion, auch in den französischen Trabantenstädten, an sich nicht gewachsen. Seit den späten Siebziger hat keine Zunahme der Zahl von Einwanderern aus muslimischen Ländern dort stattgefunden. Allenfalls ist ein (begrenztes) Austauschphänomen zu beobachten, das darin besteht, dass die früher dominante Einwanderergruppe jene der Menschen aus dem Maghreb in den Banlieues zahlenmäßig leicht ab- und die Zahl von Einwanderern aus westafrikanischen Ländern wie Mali und Senegal zunimmt. Vor allem muss festgestellt werden, dass die französischen Banlieues, anders als die "Ghettos" nordamerikanischer Großstädte, keine "ethnischen" Bezirke sind, in denen eine Community absolut bestimmend wäre. Die Mehrzahl der Bewohner in den Trabantenstädten sind europäischstämmige Angehörige der sozialen Unterschichten, auf die freilich der Fokus der Medien nicht gerichtet ist. Nirgendwo bestehen rein "islamische" Bezirke.
Das dominierende Phänomen in den sozialen Brennpunkten, welche viele der Trabantenstädte darstellen, ist die Auflösung kollektiver sozialer Strukturen durch Anonymität, mangelnde Möglichkeiten sozialer Eingliederung und Fehlen von Zukunftsperspektiven. Das kollektive Bewusstsein der dort lebenden Jugendlichen ist real kaum von der Religion oder sonstigen traditionellen Werten geprägt, weniger noch als das ihrer Vorfahren, da sie mit den Lebensweisen der traditionellen Gesellschaft kaum noch in Berühung sind. Absolut dominierend ist das durch die audiovisuellen Medien vermittelte Konsum- und Konkurrenzbewusstsein, das durch die allerorten in den Banlieues in die Augen stechenden Marken-Sportklamotten, Baseballkappen und Turnschuhe oder den hohen Stellenwert schneller Autos widerspiegelt wird. Tätigkeiten in der "Parallelökonomie", wie etwa der Handel mit bestimmten Drogen, erlauben einer durchsetzungsstarken Minderheit, zu "schnellem Geld" zu kommen, das sie auch entsprechend zur Schau stellen. Andere, lautstarke Minderheiten schließen sich zu Jugendgangs zusammen, um in dieser auf Härte und Konkurrenz ausgerichteten Umgebung zu bestehen. Sexualität wird in dieser Umwelt oftmals als "etwas" gesehen, was man sich "aneignet" und "notfalls" eben auch durch Belästigung oder gar Gewalt.
Körperlich schwächere unter den männlichen Jugendlichen, aber vor allem auch Mädchen haben in diesem Umfeld häufig das Nachsehen. Deswegen werden viele von ihnen auf die traditionellen Familienstrukturen die dadurch völlig überfordert sind, zumal sie durch Arbeitslosigkeit und / oder Autoritätsverlust der Eltern ohnehin kräftig erodiert sind zurückgeworfen. Auf der Suche nach Rückhalt flüchten manche unter ihnen sich in den Rückzug eine vermeintliche Tradition, die aber in der Regel aufgesetzt und herbei projiziert ist.
Die (relative) Zunahme von Kopftüchern die aber in den französischen Einwanderervierteln nach wie vor deutlich weniger verbreitet sind als beispielsweise in Berlin-Kreuzberg erklärt sich zum Großtteil aus diesem Kontext: Sein Tragen signalisiert den männlichen Jugendlichen "Lasst mich in Ruhe, ich bin nicht zu haben". Das funktioniert auch häufig, da auch die männliche Einwandererjugend oftmals mit dem Rückzug auf (vermeintlich) traditionelle Rollen spielt - wenn es etwa darum geht, der Schwester das Ausgehen zu verbieten, da man dieser nicht gönnt, dass sie "es besser haben" soll. Da in den Resten traditionell-patriarchalischer Familienstrukturen, die in den Einwandergruppen als solche längst zerfallen sind, dennoch die Mädchen weit stärker zum Arbeiten angehalten werden als die Jungen, haben sie oft auch bessere Schulergebnisse. Der dadurch hervorgerufene Neideffekt wiederum führt zu autoritären, machistischen Abwehrmechanismen. Der symbolisch zur Schau gestellte Respekt (angeblich) tradierter Rollen, etwa durch das Kopftuchtragen, demonstriert die Unterwerfung unter dieses Dominanzverhalten. Damit lässt sich oftmals "Ruhe" erkaufen.
Genau daraus aber resultiert die fatale Alternative, die durch den Slogan Ni putes ni soumises denunziert werden soll: Entweder fügt frau sich in eine solche Rolle, oder aber sie gilt in den Augen einer rücksichtslosen Minderheit als Freiwild, das man fast nach Belieben anmachen oder begrapschen kann.
Hinzu kommt, dass die deutliche Verschlechterung der Aussichten, etwa einen (festen) Job und daraufhin eine Wohnung zu finden, sich gerade für Personen, die eine Wohnadresse in "sozialen Problemvierteln" angeben in den letzten 15 Jahren dazu geführt hat, dass der Weg über die berufliche zur sozialen Emanzipation für viele junge Frauenversperrt ist. Die 50jährige Mouna, die in der Pariser Trabantenstadt La Courneuve Alphabetisierungskurse für migrantische Frauen leitet, meint: "Der Mentalitätswandel lässt sich bei manchen Frauen aus migrantischen Familien spüren. Meine Generation hat alles getan, um aus traditionellen Rollen herauszukommen. Als meine Eltern eine arrangierte Heirat für mich einfädeln wollte, habe ich mich für die Kandidaten systematisch auf eine Weise angezogen, dass sie abgeschreckt wurden und Reißaus nahmen das hat funktioniert, am Ende habe ich geheiratet, wen ich wollte. Doch viele der heute aufwachsenden Mädchen verhalten sich da anders, wollen jung und unbedingt jemanden aus der Community heiraten, damit sie akzeptiert werden. Das hat damit zu tun, dass andere Wege, die die Gesellschaft früher bereit hielt, blockiert scheinen."
Viele Frauen aus Trabantenstädten und Einwandererfamilien hatten seit Jahren begonnen, die Situation zunehmend unerträglich zu finden. Zu Beginn des Jahrzehnts entstand ein eigener, frauenspezifischer Organisierungsprozess, außerhalb der bzw. neben den klassischen feministischen Gruppierungen.
Aus Zusammenschlüssen in örtlichen associations (im Deutschen eine Zwischenform zwischen Verein und Bürgerinitiativen) erwuchs die Bewegung für örtliche Frauenkongresse, die unter der Bezeichnung Etats généraux locaux des femmes im Jahr 2001 stattfanden. Die Schirmherrschaft hatte dabei das landeweite Netzwerk Fédération nationale des maisons des potes der Nationale Zusammenschluss der "Häuser der Kumpels" übernommen, eine Struktur, die unter der Kontrolle der um 1984/85 entstandenen Organisation SOC Racisme steht. Im Inneren der Fédération waren im Vorfeld frauenspezifischer Kommissionen gegründet worden.
Aus den bei den lokalen Veranstaltungen zusammen getragenen Erkenntnissen, Kritikpunkten und Forderungskatalogen wurde ein "Weißbuch der Frauen aus den quartiers" (die generische Bezeichnung "Quartiere" steht dabei üblicherweise für quartiers populaires, also Armen- oder Unterschichtsviertel) erstellt, das eine Grundlage für einen nationalen Frauenkongress bilden sollte. Dieser fand dann auch statt, am 26. und 27. Januar 2002 an der Sorbonne. Der Veranstaltungsort, die älteste Hochschule der Hauptstadt in deren Ballungsraum es mindestens 13 Universtitäten gibt in deren historischem Zentrum, schien dabei nicht unbedingt besonders dazu geeignet, ein Höchstmaß an Mobilisierung aus den Trabantenstädten sicherzustellen, abgesehen natürlich von dazu berufenen Delegierten. Insgesamt nahmen 250 Frauen aus verschiedenen Teilen Frankreichs an dem Kongress teil. Dort wurde beschloss, ein "Frauenmanifest" zu veröffentlichen, das besonders den spezifischen Problemen der Bewohnerinnen der quartiers gewidmet sein sollte.
Den Auslöser dafür, dass die landesweite Kampagne in Form der Städtetour gestartet wurde, gab eine besonders Aufsehen erregende Gewalttat, die am 4. Oktober 2002 in der Pariser Trabantenstadt Vitry-sur-Seine stattfand. Die 17jährige Sohane - Tochter kabylischer Einwander war durch einen örtlichen führenden Kleinkriminellen getötet worden. Das Opfer war vom gleichaltrigen Jamal Derrat mit Benzin übergossen worden, und als dieser sie dann auch noch mit einem Feuerzeug bedrohte, geriet ihm offenbar die Situation außer Kontrolle - er erlitt selbst schwere Brandverletzungen, während sein Opfer in den Flammen starb. Hintergrund waren Konflikte zwischen seiner Freundin und Sohane und Territorialansprüche eines Bandenchefs, der die Folgen seines gefährlichen Verhaltens am Ende selbst nicht mehr beherrschte.
Dieser besonders spektakuläre Tod, in dessen Folge bis zu 2.000 Menschen aus Vitry-sur-Seine in Form eines Schweigemarschs demonstrierte, wurde durch die Medien in hohem Maße wahrgenommen wurde. Deswegen schien die Zeit reif, um die Ursachen zur Sprache zu bringen und an den Zuständen zu rütteln. Anfang Februar dieses Jahres begann der "Marsch der Frauen aus den Banlieues" deswegen auch in Vitry-sur-Seine. Von dort aus ging es zunächst nach Süd- und Südwestfrankreich, bevor in den ersten Märztagen verschiedene Trabantenstädte im Ballungsraum Paris auf dem Programm standen. Am 8. März demonstrierten rund 15.000 bis 20.000 Personen, darunter auch eine größere Anzahl Männer, in Paris hinter den Organisatorinne, viele von ihnen trugen die schwarz-rosafarbenen Aufkleber Ni pute ni soumises. Damit fiel die Teilnahme am internationalen Frauentag in diesem FrÜhjahr in Paris deutlich stärker aus als in den Vorjahren.
Zwar war die Teilnahme am Demonstrationszug durch Paris optisch stark durch die Präsenz von Berufspolitikern und Funktionärinnen, die den Zuspruch zu der durch die vor allem linksliberalen Medien mit viel Sympathie begleiteten Kampagne gern für sich genutzt hätten, geprägt. So traf man auf den neoliberalen Sozialdemokraten und Ex-Wirtschaftsminister Laurent Fabius, den amtierenden bürgerlichen Städtebauminister (er ist für die Banlieues zuständig) Jean-Louis Borloo oder Lionel Jospins Ehefrau Sylviane Agacinski. Hinter dem eigentlichen mondänen Prominentenblock waren die FunktionsträgerInnen von SOS Racisme, ausgestattet mit Ni putes ni soumises-Wimpeln und Aufklebern, ein wenig überdeutlich präsent.
Dennoch war auch eine reale Beteiligung von Frauen, und auch einigen Männern, aus den Trabantenstädten selbst sichtbar. Es genügte, im Anschluss an den entsprechenden Métro-Stationen wie Stalingrad umzusteigen, um zu sehen, dass auch die in die Banlieues fahrenden Züge dieses Mal nach der Demonstration überfüllt waren und viele Personen Transparentstangen nach Hause beförderten. Die Mobilisierung aus den Banlieues ist bei solchen Anlässen nicht immer sehr stark.
Ein Problem wird darin sichtbar, dass der Organisierungsprozess in diesen Trabantenstädten und "sozialen Problemvierteln" selbst seitdem allem Anschein nach ins Stocken, wenn nicht gar zum Stehen gekommen ist. Tatsächlich ist von einer Organisierungs-Dynamik vor Ort, innerhalb der Banlieues, zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr viel zu lesen und zu hören. Im Anschluss an den 8. März nahmen die Organisatorinnen Verhandlungen mit der konservativen Regierung über eine mögliche Finanzierung des Netzwerks, oder von Projekten wie der Herausgabe eines Handbuchs für Frauen, auf.
Da bis im Frühsommer aber noch keine Einigung diesbezüglich erzielt war, wurde für den 6. Juni ein Konzert mit tatsächlich beeindruckender Teilnehmerliste: Rita Mitsouko, Jean-Jacques Goldmann, Aston Vila, Enrico Macias - im Pariser Veranstaltungssaal Le Zénith angesetzt, um Geld in die Kassen zu spülen. Der Eintrittspreis von 20 Euro, auch wenn die gebotenen Gruppen ihn vermutlich wert waren, wäre sicherlich nicht geeignet gewesen, allzu viele TeilnehmerInnen aus den Trabantenstädte und "sozialen Brennpunkten" anzuziehen. Le Monde wollte Anfang Juni wissen, dass bis eine Woche vor dem Konzertermin 150 Plätze im Vorverkauf abgenommen worden waren; das Zénith fasst 6.000 Sitzplätze. Jedenfalls kam es nicht zur Nagelprobe, denn das Konzert wurde kurz vor dem Termin auf bisher unbestimmte Zeit verschoben, unter Berufung auf den damaligen (allerdings nur teilweise wirksamen) Transportstreik und darauf, dass so hieß es 1.000 Personen aus anderen Städten erwartet würden, die so vielleicht nicht kommen könnten.
Die Algerierin Chafia, Mitglied der internationalistischen Gruppe Solidal die sich vor allem um den Maghreb, aber auch um die Situation der Immigranten in Frankreich kümmert beobachtete einige Monate lang Ni putes ni soumises. Während sie ihrem Anliegen große Sympahie bekundet, ist ihrer Ansicht nach jedoch in der konkreten Bewegung ein Problem angelegt: "Es gibt keine wirkliche Bewegung von unten, keine Selbstorganisation. Der Funktionärsapparat von SOS Racisme hat seit längerem alles getan, um seine Hegemonie über diese Kampagne zu sichern. Dadurch kommt aber keine echte Dynamik dort, wo sie nötig wäre, zustande."
SOS Racisme hat bereits in den 80er Jahren, damals mit reichlich Geld von Präsident François Mitterrand, den antirassistischen Mobilisierungen der Immigrantenjugend die Spitze abgebrochen sie wurden für Konzerte mobilisiert und anschließend ohne politische Perspektiven gelassen. Die staatsnahe Organisation ist heute unter den Banlieue-BewohnerInnen selbst eher diskreditiert, zumal ihr bis vor kurzem amtierender Präsident Malek Boutih im Juni dieses Jahres sein Amt gegen einen Sitz in der Parteiführung der Sozialdemokraten ausgetauscht hat - nicht ohne zwei Monate später auch noch lautstark den konservativ-repressiven Innenminister Nicolas Sarkozy als "Hoffnungsträger für die Jugend" zu loben.
Aber Chafia macht dem organisatorischen Kern noch einen anderen Vorwurf: "Sie hatten Recht damit, von der Gewalt in den Banlieues und der Situation der jungen Frauen in der Immigrationsbevölkerung zu reden. Aber sie tun das in einer solchen Weise und mittlerweile so ausschließlich, dass es sich in den dominierenden Medien wunderbar in die Angstkampagne gegenüber Einwanderung, Kriminalität und Trabantenstädten einfügt. Es gibt in Frankreich 1,5 Millionen misshandelte Frauen tun wir doch nicht so, als ob solche Probleme nur die Banlieues betreffen würden. Jetzt hat die Sache einen Dreh angenommen, dass sie zur Selbstbestätigung derLeute in den sauberen Mittelschichtsvierteln wird." Kein Wunder ist es deswegen auch, wenn führende Medien im Frühjahr zeitweise vor Sympathien für Ni putes ni soumises überquollen, die sich sonst nicht eben über die Situation der Banlieue-BewohnerINnen besorgt zeigen. Aus ähnlichen Gründen hat sich das Netzwerk gegen Polizeigewalt Résistons, das vor allem zu den Banlieues arbeitet, im Frühjahr über die Kampagne Ni putes zerstritten, bevor es sich abwandte.
Bezüglich kommender Aktionen wird unter der Rubrik "September und Oktober 2003" auf der derzeitigen Homepage von Ni putes ni soumises, www.macite.net, die Organisierung und Abhaltung einer (leicht verspäteten) Sommeruniversität vom 3. bis 5. Oktober im Pariser Vorort Dourdan angekündigt genau dort, wo die Funktionäre von SOS Racisme alljährlich im Juli die ihrige abhalten. Andere Versammlungen, etwa in "sozialen Brennpunkten", sind nicht genannt.
1) Nicht zum ersten Mal verändert ein französischer Begriff radikal seinen Bedeutungsgehalt, wenn er inšs Deutsche übertragen wird. So erging es bereits dem französischen peuple (das ursprünglich nicht das Volk im ethnischen Sinne, sondern die sozialen Unterklassen bezeichnet), aus dem im späten18. und frühen 19. Jahrhundert im Deutschen "der Pöbel" wurde.
2) Nur am Rande sei erwähnt, dass in Deutschland einige nach rechtsaußen gedriftete Ex-Linke diesen Diskurs für sich entdeckt haben. So schreibt ein Autor unter der Überschrift "Französische Zustände" über den Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen: "Er hat rassistischen Hass und vernünftige Einwände gegen die ungebremste Islamisierung der Banlieues unter ein Dach gebracht". Der Autor ist der Sektenpriester Justus Wertmüller, in Bahamas Nr. 42 vom Herbst 2003.
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