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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Die ,schwarzen Serie' in der Atomindustrie geht weiter. Dieses Mal sind nicht mehr "nur" Umwelt und Anrainer betroffen, sondern auch unmittelbar Lohnabhängige in den Anlagen Nach den Störfällen in der europäischen Urananreicherungsanlage ,Eurodif' im französischen Tricastin und in einer Brennelementefabrik in der Nähe von Grenoble (Labournet berichtete am Dienstag ausführlich) sind seit Anfang dieser Woche bereits zwei neue "Störfälle" in der französischen Atomindustrie zu vermelden. Man ginge allerdings falsch in der Annahme, diese sei im Moment von einem völlig außergewöhnlichen Pech verfolgt. Tatsache ist vielmehr: Diese "Störfälle" sind allem Anschein nach der "Normalbetrieb", wenn man die unten aufgeführten Zahlen - 800 Zwischenfälle der "Stufe Null" pro Jahr - bedenkt. Nur stoßen sie im Augenblick auf eine ungleich höhere Aufmerksamkeit als sonst... Am Montag (21. Juli) war schon der dritte Störfall in Serie zu vermelden: An jenem Tag wurde bekannt, dass Ende vergangener Woche bei 15 Lohnabhängigen einer Subfirma im Atomkraftwerk Saint-Alban (im Bezirk von Grenoble, 40 Kilometer südlich von Lyon) Spuren radioaktiver Kontamination festgestellt worden seien. Die Betroffenen seien am vorigen Freitag bei der Inspektion einer Baustelle im Reaktorblock 2 "leicht" radioaktiv bestrahlt worden, wie verlautbarte. Es bestehe jedoch "keine Gefahr für die Gesundheit des Personals usw. usf. ...." Die Arbeitsmedizin betrachtete eine "medizinische Nachfolgeuntersuchung" als "nicht erforderlich" und verschrieb keinerlei sonstige Behandlung. Es ist seit Jahren gängige Praxis, dass bei Baustellen und anderen Eingriffen in Atomkraftwerke Lohnabhängige von Subfirmen eingesetzt werden: Sobald sie die jährlich zulässige Höchstdosis an Radioaktivität erreicht haben, werden sie durch andere (Beschäftigte von andere Firmen, die Outsourcing-Aufträge annehmen, oder Zeitarbeiter/innen) ersetzt. Am Mittwoch/Donnerstag dann ging es mit den Nachrichtenmeldungen über "Störfälle" zurück nach Tricastin, also quasi zu alten Bekannten aus den letzten Tagen. Dieses Mal wurde zur Abwechslung bekannt, dass am Mittwoch 100 Lohnabhängige in der Atomanlage mit einer radioaktiven Substanz - dem strahlenden Isotop Kobalt-58 - in Berührung gekommen seien, die aus einem Leck in einem Rohr des derzeit abgeschalteten Reaktorblocks 4 ausgetreten war. Die Strahlung, der sie dabei ausgesetzt worden seien, liege jedoch bei einem Faktor 40 unterhalb der "zulässigen Grenzwerte" - wobei die Grenzwerte für die radioaktive Belastung während der Dauer eines Jahres kalkuliert sind, nicht für eine kurzfristige intensive Bestrahlung, die den menschlichen Organismus einem wesentlich höheren Stress und damit einem höheren (längerfristigen) Risiko der Krebserkrankung aussetzt. Aufgrund der "niedrigen Dosis", hieß es jedoch, "bestand zu keinem Zeitpunkt Gefahr für die... usw. usf.", aber das kennen wir ja schon. Der "Störfall" wurde in die "Kategorie 0" - also unterhalb der niedrigsten Stufe, auf einer Leiter von 1 bis 7 - eingeordnet. Aus gleichem Anlass wurde bekannt, dass pro Jahr 800 solcher "Störfälle der Kategorie Null" stattfinden. Darunter 150, in die "Personen verwickelt", also beispielsweise von radioaktiver Strahlung betroffen, seien. Das "Netzwerk Atomausstieg" machte sich daraufhin jedoch sarkastisch über die offizielle Störfalltabelle lustig: "74 Kilogramm Uran in die Umwelt ausgetreten - Kategorie 1! 100 Personen radioaktiv kontaminiert - Stufe 0! Der nächste Störfall wird dann bestimmt in die Kategorie ,minus 1' eingestuft..." Die Organisation von Atomkraftkritiker/inne/n weist zudem darauf hin, dass die Kontamination der 100 Lohnabhängigen in der Anlage von Tricastin keinesfalls auf die leichte Schulter zu nehmen sei: Das Kobalt-58, mit dem lt. ersten Angaben sie in Berührung kamen, befindet sich in Wirklichkeit - als Spaltprodukt des Zerfalls von Uran-Atomen - in kleinen Uranstaubpartikeln. Diese aber drohen sich bei Austreten, wie es am Mittwoch passierte, in der Lunge der Betroffenen festzusetzen und dort weiterhin munter vor sich hin zu strahlen. Dass dies ein wesentlich erhöhtes Krebsrisiko in sich birgt, braucht man wohl nicht ausdrücklich zu erwähnen... Bernard Schmid, Paris, 25.07.2008 |