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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Nach einer ,schwarzen Woche' für die französische Nuklearindustrie: AREVA-Bossin ,Atomic Anne' strahlt Frankreich plant unmittelbar weiteren Ausbau des Atomprogramms. Bei den Gewerkschaften ist die CGT dafür, die CFDT (eher verhalten) dagegen. Unterdessen erwachen die Anti-AKW-Bewegung und die ,atomkritische' Öffentlichkeit zu neuem Leben Eine Kurzfassung dieses Artikels erschien am 3. Juli in der Berliner Wochenzeitung ,Jungle World' auf der Ökologieseite. Das Manuskript wurde nach der europaweiten u. internationalen Demonstration für den Atom-Ausstieg in Paris am 12. Juli (siehe dazu auch nebenstehenden Bilder) und der jüngsten Störfall-Serie nochmals gründlich überarbeitet. Die zurückliegenden 8 Tage waren eine "schwarze Woche" für die französische Nuklearindustrie. Selten zuvor sprach man in diesem Land derart viel von Störfällen in Atomanlagen, und die Atomindustrie (allen voran ihr führendes Unternehmen: AREVA) ist unter Rechtsfertigungsdruck und Zugzwang geraten. Wie es der Zufall so wollte und zeitliches Zusammentreffen verfügte, fiel die - am 7. Juli begonnene - Pannenserie bei der französischen Atommafia zusammen mit einer seit längerem geplanten internationalen Demonstration für den Atomausstieg in Paris. Diese fand am vorletzten Samstag, dem 12. Juli, statt. Immerhin 5.000 Menschen nahmen an ihr teil, und es wurde eine alles in allem sehr politische und sehr aufmunternde Demonstration. Ein neuer Frühling für die Anti-AKW-Bewegung in Frankreich? Das bleibt sicherlich abzuwarten... Störfälle und unter den Teppich Gekehrtes Aber erst einmal der Reihe nach. Am Montag, den 7. Juli fing die jüngste Störfallserie im südfranzösischen Tricastin - einige Kilometer nördlich von Avignon - an. Dort steht nicht nur ein Atomkraftwerk mit vier Reaktorblöcken, sondern auch die Nukleafirma ,Socatri', auf deren Gelände sich die französische und europäische Uran-Anreicherungsanlage ,Eurodif' befindet. (Der Name rührt vom Diffusionsprinzip her: Man lässt eine Flüssigkeit, in die hinein Uranmetall aufgelöst worden ist, durch eine Reihe von Poren hindurch diffundieren. Dabei trennen sich - aufgrund ihrer unterschiedlichen Geschwindigkeit - mehr und mehr die schwereren Uran238-Atome, die nicht als Spaltmaterial tauglich sind, aber weit über 90 Prozent des in der Natur vorkommenden Urans ausmachen, von den leichteren und als Spaltmaterial dienenden Uran235-Atomen.) Während in einem Großteil der Öffentlichkeit bei dem Störfall fälschlich an das in der Nähe liegenden AKW gedacht wurde, fand der Austritt von Radioaktivität in Wirklichkeit auf dem Gelände der Atomfabrik statt: Aus ihrer Kläranlage floss eine größere Menge an uranhaltiger Flüssigkeit in die äußere Umgebung ab. Das Rückhaltebecken der Kläranlage war mutmaßlich bei jüngsten Umbauarbeiten durch Baumaschinen beschädigt, und dadurch undicht geworden. Zunächst war die Rede davon, es seien 360 Kilogramm Uran an die Umwelt abgegeben worden. Wenig später wurde diese Zahl durch die Betreiberfirma - AREVA, Frankreich größtes im Atomgeschäft tätiges Unternehmen - auf 74 Kilogramm herunter korrigiert. Der Austritt aus dem Rückhaltebecken der Kläranlage fand gegen 3 Uhr früh statt. Der Betreiber informierte die atomare Aufsichtsbehörde ASN ("Autorität für nukleare Sicherheit") aber erst zwischen 7 und 8 Uhr morgens. Und die ASN, die eine - gegenüber der Regierung nicht weisungsgebundene - staatliche Einrichtung ist, schlug erst im Laufe des Nachmittags Alarm. Das französische "Netzwerk Atomausstieg" verdächtigt bzw. beschuldigt sie deswegen, erst nach Möglichkeiten zur Vertuschung des Unfalls gesucht zu haben, bevor sie mit ihren Informationen an die Öffentlichkeit trat. Es hat deswegen Strafanzeige gegen die zuständige Aufsichtsbehörde ASN erstattet, wegen Gefährdung von Personen durch Verletzung ihrer Aufsichtspflicht. Bei dem Netzwerk geht man unterdessen davon aus, dass sie ASN voraussichtlich nicht strafrechtlich verurteilt werde - denn laut Statuten sei sie niemandem gegenüber Rechenschaft schuldig. Aber immerhin erlaube der Prozess in diesem Falle, "der Öffentlichkeit gegenüber deutlich zu zeigen, was Rechenschafts- und Verantwortungslosigkeit im Falle dieser Behörde konkret bedeutet". Zurück zu den Ereignissen in Tricastin: Um 16 Uhr an jenem Nachmittag verboten die Behörden (die Präfektur) die Nutzung von Wasser aus drei nahe gelegenen Gewässern sowie den Fischfang und das Baden in dem See, der in weniger als einem Kilometer Entfernung von dem Gelände der Atomfabrik liegt (dem Lac Lapalud). An dem Badesee tauchte Gendarmerie auf, die per Megaphon die anwesenden Badegäste dazu aufforderte, sofort das Wasser und die Umgebung zu verlassen und alle ihre Sachen liegen zu lassen. In den folgenden Tagen wurden die Grundwasservorkommen untersucht. Zunächst hieß es, die Uranwerte seien wieder normal geworden, aber Landwirte und acht Familien seien für die Kontaminierung ihres Geländes zu entschädigen. Aber in der zweiten Hälfte der vorletzten Woche verlautbarte dann plötzlich, bei Messungen des Instituts für Strahlenforschung und -sicherheit ISRN sowie der unabhängigen Kommission CRIIRAD seien deutlich überhöhte Radioaktivitätswerte gemessen worden. Diese stammen nun aber nicht, wie sich alsbald herausstellte, aus der Atomfabrik Socatri - sondern mutmaßlich von den 760 Kilogramm "militärischen Atomabfalls" (also nuklearen Mülls, der bei der Produktion von Atomwaffen nebenbei anfiel), der seit den späten 1970er Jahren unter einer Erdkuppe in der Nähe notdürftig eingelagert worden ist. Und über den die Öffentlichkeit bislang kaum auf dem laufenden war... Unterdessen hat Umweltminister Jean-Louis Borloo in der vergangenen Woche die Flucht nach vorn ergriffen. Und am vorigen Donnerstag angekündigt, nunmehr würden systematisch alle Grundwasservorkommen in der Nähe der 58 französischen Atomkraftwerke untersucht. Und die Vorkommen radioaktiv strahlenden Abfalls würden "kartographiert", also in speziellen Landkarten niedergelegt. Woraus man unterdessen nur die Schlussfolgerung ziehen darf, dass nicht einmal dies bislang geschehen war... Der Ströfall von Tricastin gilt bislang noch als Unfall niedriger Stufe, der auf einer Skala, die von 1 bis 7 reicht, in die (unterste) Kategorie 1 eingestuft wird. Anscheinend ist zu keinem Personenschaden gekommen. Unterdessen ereignete sich am vergangenen Donnerstag noch ein weiterer Störfall, der in dieselbe Kategorie eingeordnet wird. In der ebenfalls der AREVA gehörenden Atomfabrik FBFC von Romans-sur-Isère (unweit von Grenoble), wo seit 1977 Brennelementbündel für Druckwasserreaktoren hergestellt werden, platzte ein Rohr. Bei dem Rohrbruch trat radioaktive Flüssigkeit aus, die laut vorliegenden Angaben "120 bis 750 Gramm" Uran enthielt. "Es bestand zu keinem Zeitpunkt Gefahr für Mensch oder Umwelt." Die Nervosität wuchs unterdessen. Die AREVA-Chefin Anne Lauvergeon, die "von ihren angelsächsischen Bewunderern auch <Atomic Anne> genannt wird" (vgl. den Artikel ), eilte vor Ort nach Tricastin und hielt dort - gegenüber dem Lac Lapalud - am Freitag eigens eine Pressekonferenz ab, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Zugleich fand dortselbst eine Krisensitzung von Vertretern der Präfektur und anderer Behörden sowie der atomaren Betreiberfirmen statt. Unterdessen jammert ,Atomic Anne' darüber (wie etwa in ihrem gestern publizierten Interview mit der Sonntagszeitung JDD), dass gerade ihre eigene außerordentliche "Transparenz" nun der Atomindustrie schade - denn jedes Mal, wenn man sich transparent erweise und einen Störfall der Öffentlichkeit melde, würden wieder nur Ängste erweckt... Internationale Anti-Atomkraft-Demo in Paris Am vorletzten Samstag nahmen 5.000 Menschen (die Polizei spricht von 2.000, die Veranstalter von 7.000) in Paris an einer internationalen Demonstration für den Ausstieg aus der Atomenergie teil. Neben Vertretern des französischen "Netzwerks Atomausstieg" - Réseau Sortir du Nucléaire - sprachen unter anderem auch Gäste aus der Deutschland, der Schweiz, Österreich, Großbritannien und von einem künftigen AKW-Standort in der Türkei. Aber auch aus dem afrikanischen Staat Niger, wo die französische Nuklearfirma AREVA das in Frankreichs Atomanlagern eingesetzte Uran abbaut und die Umwelt radioaktiv verschmutzt. Für die Bevölkerung von Niger - das weiterhin zu den zwanzig ärmsten Staaten der Erde gehört, obwohl Frankreich dort über 40 Prozent seines Urans bezieht - fällt dabei kaum etwas ab, und der Uranbergbau unterhält den bewaffneten Konflikt zwischen bewaffneten Tuaregrebellen und der Zentralregierung in Niamey, die beide Schmiergeldzahlungen von der ausländischen Nuklearfirma fordern. Die Kampagne gegen die mehr als zweifelhalften Praktiken von AREVA ist derzeit eines der wichtigsten Themenfelder der internationalistischen Linken in Frankreich und vereint Grüne, Trotzkisten und andere radikale Linke, Atomkraftgegner und Afrika-Solidaritätsinitiativen. Angekommen vor der ,Bourse du travail' (dem Gewerkschaftshaus) in der Paris rue Charlot, die seit nunmehr elf Wochen - seit dem 2. Mai 2008 - durch Sans papiers besetzt wird, denen zuvor die CGT mangels schriftlichen Arbeitsvertrags eine Vertretung ihrer Interessen verweigert hatte, mischte sich die Anti-AKW-Demo mit den anwesenden Sans papiers. Beide zusammen hielten eine spontane Kundgebung statt. Ein ungeplantes, aber positives Zusammentreffen: So kommt es zu einer "Konvergenz" der unterschiedlichen Kampfthemen und Anliegen. Ungleich sympathischer als die Ein-Punkt- und "Nur-Ökologie-" Demonstrationen von Leuten, die sich kaum um andere gesellschaftliche Angelegenheiten kümmern, wie man sie allzu oft aus Deutschland kennt... Ansonsten traf man in der Demo auf viele ausgesprochen nette und politisch profilierte Menschen, wie etwa den deutschen Europaparlamentarier der Partei Die Linke, Tobias Pflüger. Und der Atommüll? Ein anderes Thema der Demo lautete: Wohin mit dem Atommüll ? Eine uralte Frage, fast so alt wie die Nutzung der Atomenergie und mindestens so alt wie die Protestbewegung gegen den Einsatz dieser Technologie. Sie droht in Frankeich demnächst neu aufgeworfen zu werden. Die Nationale Agentur für die Verwaltung radioaktiver Abfälle (Andra) sucht derzeit fieberhaft nach einem Standort für die Einlagerung "niedrig strahlender langlebiger" Nuklearabfälle. Diese Abfälle sind zwar nicht derart gefährlich wie die stark strahlenden - etwa die Plutonium enthaltenden -, dafür aber in größeren Mengen vorhanden und reichlich langlebig. Für die stark strahlenden Abfallstoffe bereitet die Andra derzeit ein Endlager im ostfranzösischen Bure in Lothringen, wo es aber seit Jahren immer wieder zu Protesten und Demonstrationen dagegen kommt. Die Frage, was mit den nicht ganz so stark radioaktiven, dafür aber in größeren Mengen vorkommenden Materialen geschehen soll, war bislang hingegen offen geblieben. Es geht dabei vor allem um zwei Arten von Abfällen: solche, die in der Vergangenheit beim Uranbergbau anfielen - und solche, die aus graphitgekühlten Reaktoren stammen. Letztere, die zwischen den sechziger und neunziger Jahren im Einsatz waren, benutzten Graphit als Moderator (Kühlstoff). Daraus entstand radioaktiver C14-Kohlenstoff. Dessen Halbwertszeit beträgt 5.730 Jahre. Hinzu kommt ein strahlendes Chlor-Isotop, dessen Halbwertszeit gar stolze 302.000 Jährchen beträgt. Beide Stoffe zusammen repräsentieren bereits ungefähr 150.000 Kubikmeter. Die Andra hat nun Anfang Juni dieses Jahres insgesamt 3.115 Bürgermeister französischer Kommunen angeschrieben, um "freiwillige Kandidaturen" für Endlagerstätten hervorzurufen. (Die Liste der angefragten Bürgermeister ist, Um die 10 Rathauschefs haben sich dem Vernehmen nach auch bereits gemeldet. Ihren Kommunen winken nämlich Vorteile finanzieller Natur. (Trotz Insistierens der NGO ,Netzwerk Atomausstieg' ist die Liste der betroffenen Kommunen bislang nicht erhältlich bzw. laut Andra "nicht verfügbar, nicht auffindbar". Jaja, Transparenz und Demokratie sind wieder einmal die ins Auge stechenden Züge am Atomstaat...) Das französische "Netzwerk Atomausstieg", Réseau Sortir du Nucléaire, spricht unterdessen von "institutionalisierter Korruption" und erklärt, erst dann Gesprächsbereitschaft über mögliche Endlagerstätten zu zeigen, wenn die Produktion von Atommüll beendet worden sei - durch einen Ausstieg aus der Atomenergienutzung. Kritik an der Atomindustrie im (leichten) Aufwind Der Ausstieg aus der Atomenergie schien in Frankreich, wo 58 Atomreaktoren laufen und die (ehemals staatliche) Elektrizitätsgesellschaft EDF über 80 Prozent ihres Stroms aus solchen Anlagern bezieht, lange Zeit kein Thema zu sein. Inzwischen ist der Wunsch nach einem Abschied von der Atomenergie, oder jedenfalls nach einer Relativierung ihrer Monopolstellung in der französischen Energielandschaft, aber längst auch westlich des Rheins ins Gespräch gekommen. Zwar bildet das Thema nicht den Gegenstand heftiger innenpolitischer Polemiken, wie sie etwa in Westdeutschland 1986 die Gesellschaft und auch die Parteienlandschaft durchzogen. Doch langsam aber sicher haben sich auch in Frankreich Bedenken hinsichtlich des totalen Setzens auf die Atomenergie breit gemacht. Ein Anzeichen dafür war, dass die damalige sozialdemokratische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal sich im Winter 2006/07 für ein starkes Herunterfahren des Anteils der Nuklearenergie an der französischen Energieerzeugung ausgesprochen hat. In ihrem Programm war ihre Begrenzung auf 50 Prozent gefordert worden, aber die Kandidatin sprach sich zwischenzeitlich auch einmal für eine Absenkung auf 20 Prozent aus. Sicherlich unter dem Einfluss ihres zeitweiligen Beraters, des früheren Sprechers von Greenpeace Frankreich, Bruno Rebelle. Nun konnte man sicherlich nicht alles auf die Goldwaage legen, was die reaktionäre Ziege, pardon: die rechtssozialdemokratische Kandidatin versprach - die ansonsten auch manche zueinander widersprüchlichen, oder kaum durchdachte Ankündigen machte und ihren Hauptkonkurrenten Nicolas Sarkozy im Wahlkampf oft auch "rechts" (in Sachen Patriotismus, Autoritätsverlangen...) zu überholen versuchte. Aber die Tatsache, dass sie im Wahlkampf offensiv eine relativ kritische Position zur bisherigen Atompolitik vortrug, war doch eine neue (und erfreuliche) Erscheinung in der französischen Innenpolitik. Dort hatten sich bis dahin lediglich die Grünen und die trotzkistisch-undogmatische LCR klar ablehnend zur Atomindustrie geäußert. KP: Oh je Auf der Linken war die französische KP hingegen lange Zeit auf striktem Pro-Atom-Kurs. Unter anderem weil die mit ihr früher verbündete Gewerkschaft CGT stark mit dem Apparat des seinerzeit noch verstaatlichen Energieversorgers EDF verflochten war. (Zum Hintergrund: EDF entstand nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Nationalisierung und Zusammenfassung mehrerer Energieversorgungsunternehmen, und ihre Chefetage wurde in einer frühen Phase - und unter dem kommunistischen Energieminister Marcel Paul wurden zahlreiche Angestellte aus dem Gewerkschaftsapparat der CGT auf allen Ebenen von EDF übernommen. Insofern wurde die CGT schon früh in einen dicken "Atomfilz" eingeflochten.) Aber auch generell aus einem sozialistischen Fortschrittsglauben heraus, der einen bestimmten Typus von Großindustrie grundsätzlich positiv sah. Heute, da der KP, mit dem Zusammenbruch des "realsozialistischen" Blocks, ihr globaler Orientierungsrahmen abhanden gekommen ist, äußert sie sich nun aber auch zu diesem Thema abwartend, zögerlich und ohne richtige "Linie". Einstweilen fordern die KP und die CGT jetzt eine "große gesellschaftliche Debatte" zur energiepolitischen Orientierung. Dagegen spricht, in der Sache, an und für sich überhaupt nichts. Aber leider bleibt es dabei, "die Debatte um ihrer selbst willen" (auf Französisch: le débat pour le débat ) als Quasi-Selbstzweck zu fordern, denn eigene inhaltliche Vorstellungen dazu - was Alternativen zur Atomkraft betrifft - werden nicht zugleich auf den Tisch gelegt. Also erst einmal viel Bla-Bla und heiße Luft: Hauptsache, die Anlagen der Atomindustrie laufen weiter (gemäß dem Uralt-Argument: "schafft Arbeitsplätze", haha hihihi) und man schlägt selbst nichts Substanzielles dazu vor. Unterdessen begrüßt die CGT-Führung, wie unten näher ausgeführt wird, Nicolas Sarkozys Ankündigung des nächsten Schritts zum weiteren Einstieg in den Atomstaat, in Gestalt des Baus eines zweiten EPR-Reaktors... Dass die Atomindustrie heute in Kreisen, die eine knappe gesellschaftliche Mehrheit bilden dürften, skeptisch betrachtet wird - ohne dass eine Mehrheit zu einem sofortigen und totalen Ausstieg bereit wäre, der angesichts der sehr tiefen Abhängigkeit Frankreichs von der Atomenergie heute von vielen als utopisch angesehen würde - hängt auch mit dem weltweiten Meinungsumschwung "nach Tschernobyl" zusammen. Der französische Nuklearkonzern Framatome, der eng mit dem deutschen Siemens-Konzern operiert, entwickelt seit Jahren den Atomreaktor der "dritten Generation", den EPR (European Pressurized Reactor) oder Europäischen Druckwasserreaktor. Außer Frankreich, wo ein Atomkraftwerk dieses Typs im normannischen Flammanville im Bau ist (und perspektivisch China), hat bislang aber nur Finnland einen solchen Reaktor in Auftrag gegeben. In Finnland hat sich dessen Bau jedoch aufgrund mannigfacher technischer Probleme immer wieder verzögert, er wird voraussichtlich fast doppelt so teuer wie geplant, und die geplante Inbetriebnahme wurde von 2009 auf 2011. In Frankreich hört man nicht sehr viel vom Fortgang des Baus, aber mehrfach kam es - vor allem im Wahlkampfjahr 2007 - zu Demonstrationen in Flammanville, deren wichtigste im März vergangenen Jahres landesweit mehrere Zehntausende Menschen anzuziehen vermochte. Dennoch verkündete Präsident Sarkozy am 3. Juli dieses Jahres seinen Beschluss, nun auch noch einen zweiten Reaktor "neuen Typs" vom Modell EPR in Frankreich in Auftrag zu geben. Diese Entscheidung wurde durch die Führung des Gewerkschaftsbunds CGT ausdrücklich begrüßt. Hingegen nahm die Leitung des zweiten größeren Gewerkschaftsverbands, der sozialliberalen CFDT, die ansonsten in vielen Fragen eher deutlich "rechts" von der CGT steht, sie mit ausgesprochener Skepsis auf. Sie fragte immerhin nach "Rechtfertigungsgründen" für diese nächste Stufe beim Eintritt in ein neues Atomprogramm, die sie bislang nicht erblicken kann. (Vgl. Le Figaro - Anmerkung: Der Überschrift liegt eine redaktionelle Verwechslung zwischen der CGT und der CFDT zugrunde. Denn es ist in Wirklichkeit die Letztgenannte, und NICHT die CGT-Führung, die das Lancieren des zweiten EPR als "nicht opportune" bezeichnete. ) Und so baut die französische Nuklearindustrie heute auf Zukunftsoptimismus. Denn sie vertraut darauf, dass die Debatten um Klimawandel und die Emissionen fossiler Kraftstoffe, aber auch um den hohen Erdölpreis der Atomenergie zu einer weltweiten Renaissance verhelfen werden. Unterdessen plant die französische Staatsspitze die Privatisierung ihrer Hauptfirma, AREVA, deren Kapital in naher Zukunft börsennotiert werden soll. Dabei gibt es lediglich noch einen kleinen Konflikt: Präsident Sarkozy möchte AREVA gerne mit dem Anlagenbauer Alstom (der zu 30 % seinem Duzfreund, dem "Betonkönig" Martin Bouygues, gehört und von ihm faktisch kontrolliert wird) fusionieren und dabei das Kapital beider Unternehmen - mit je 20 Milliarden Euro - auf gleicher Höhe bewerten. In Wirklichkeit ist AREVA, die in allerjüngster Zeit zahlreiche neue Aufträge einstreichen konnte, sehr viel mehr wert als das marode, und 2004 durch einen Staatseingriff vor dem Konkurs gerettete, Unternehmen Alstom. Deswegen ist Anne Lauvergeon auch gegen eine solche Fusion, sie wäre gerne selbst der unumstrittene Chef an der Spitze eines neuen Privatkonzerns. Ansonsten sind ihre Beziehungen zu Nicolas Sarkozy aber ausgesprochen gut... Zukunftsoptimismus bei der französischen Nuklearindustrie AREVA stellt laut Angaben ihrer Chefin ,Atomic Anne' derzeit 12.000 Beschäftigte pro Jahr neu ein (lt. Interview mit dem weiblichen AREVA-Boss in der gestrigen Ausgabe der französischen Sonntagszeitung JDD). Die Atomfirma plant, ihre Uranproduktion weltweit bis im Jahr 2012 zu verdoppeln, und führt vor diesem Hintergrund derzeit Verhandlungen über Förderverträge u.a. mit der Demokratischen Republik Kongo und Südafrika. Auch konnte der französische Atomkonzern Areva (früher COGEMA, Compagnie générale des matières nucléaires ) vor wenigen Monaten in China kräftig punkten. Dorthin begleitete die Areva-Chefin Anne Lauvergeon Ende November den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy auf Staatsbesuch. In Peking konnte die Vorstandsvorsitzende Lieferverträge über zwei neue Atomkraftwerke vom Typ EPR und den dazugehörigen Brennstoff, über eine Gesamtsumme von acht Milliarden Euro - bei einem Gesamtvolumen der anlässlich des Sarkozy-Besuchs eingesammelten China-Aufträge von zwanzig Milliarden -, unter Dach und Fach bringen In Asien bereitet unterdessen der US-amerikanische Konzern Westinghouse den Franzosen Konkurrenz, aber der französische Nuklearproduzent Areva versucht nun seinerseits, auf den US-amerikanischen Markt vorzustoßen. Vor dem Hintergrund der Klimadebatte um den CO2-Ausstoß, aber auch des derzeitigen hohen Rohölpreises rechnet Anne Lauvergeon mit einer Renaissance der Atomenergie und einer "neuen nuklearen Ära" - die etwa in Nordamerika die Errichtung von "30 bis 35 Atomkraftwerken" der nächsten Generation ab 2010 und innerhalb von fünfzehn Jahren bedeuten werde. So lautet jedenfalls ihr Kalkül. Im November vergangenen Jahres hielt die Dame, die damals in New York einen Preis der French-American Foundation entgegen nahm, sich deshalb zu einer Werbetour in den USA auf. Sie hofft fest darauf, dass dieses Land, das den mit Abstand höchsten Pro-Kopf-Energiekonsum des Planeten aufweist, ihrer Branche eine Zukunft sichern werde. Und dass es Areva als erster ausländischer Firma gelingen werde, einen Reaktor in den USA abzusetzen. Obwohl die Pariser Abendzeitung ,Le Monde' ihren Optimismus noch etwas dämpft, da unter anderem auch auf die öffentliche Meinung in Nordamerika Rücksicht genommen werden müsse und die Nuklearenergie auch dort keineswegs nur nur Freunde habe, prognostiziert sie doch auch gewisse Chancen für die Areva-Pläne. Der französische Atomkonzern plant unterdessen, ein Drittel der laut seinen Erwarungen in naher Zukunft in der Welt errichteten AKWs zu bauen. Nukleare Diplomatie Präsident Nicolas Sarkozy setzt unterdessen darauf, vor allem den arabischen und afrikanischen Ländern Atomkraftwerke französischer Herkunft anzudrehen - als angeblichen Trumpf für ihre kommende Modernisierung und Industrialisierung. Zuletzt schloss sein Premierminister Nicolas Sarkozy am vorletzten Wochenende in Algier zwei Abkommen über die Zusammenarbeit bei der "zivilen Nutzung der Atomenergie" ab. Algerien soll in diesem Rahmen Atomkraftwerke mit französischer Hilfe und Technologie errichten. Zuvor hatte die französische Diplomatie es als einen Triumph verbucht, dass Libyens Staatschef Muammar Gadaffi bei Sarkozys Besuch Ende Juli 2007 seine Bereitschaft erklärte, neben Rüstungsgütern auch ein französisches Atomkraftwerk zu erwerben - "zwecks Energiegewinnung zur Entsalzung von Meerwasser". Einen Monat später, als Außenminister Bernard Kouchner Mitte August 07 den besetzten Irak besuchte, versuchte der französische Minister auch der irakischen Regierung unter Nuri al-Maliki französische Atomtechnologie anzubieten. Diese zeigte sich auch interessiert. Seitdem hat man nichts mehr von dem Projekt gehört, der Irak dürfte möglicherweise auch andere Sorgen haben. Ende Oktober 07 war dann Marokko, wo Sarkozy sich damals für drei Tage aufhielt, als Besteller an der Reihe. Und beim Euro-afrikanischen Gipfel am 9. und 10. Dezember 2007 in Lissabon wurde ein Passus über die "Hilfe bei der zivilen Nutzung der Atomenergie" - als vorgeblicher Beitrag zur Entwicklungshilfe - in die Abschlusserklärung aufgenommen. Auf massiven französischen Druck hin, wie sich im Nachhinein herausstellte, während Deutsche und Österreicher gegen die Passage opponiert haben sollen. Bislang verfügt auf dem gesamten afrikanischen Kontinent allein die Republik Südafrika über Nuklearanlagen - die während des Apartheid-Regimes errichtet worden waren. Letzteres strebte offen nach Atomwaffen und betrieb eine intensive nukleare Zusammenarbeit mit Frankreich, Westdeutschland und Israel. In den frühen neunziger Jahren erklärte Frederik Willem de Klerk, der letzte Präsident des untergehenden Apartheid-Regimes, sein Land habe die Atombombe besessen, diese aber - vor der Machtübergabe an politische Vertreter der Schwarzen - zerstört. Industrieller Neokolonialismus - oder Beihilfe zur Verfügung über die A-Bombe? Welch Alternative.... Dann doch lieber Atom-Ausstieg...! Es bleibt die Frage, ob es nicht bedenklich sei, Ländern mit teilweise autoritären Regimes Atomkraftwerke anzubieten, die dadurch möglicherweise an den begehrten Rohstoff - hoch angereichertes Uran und/oder Plutonium - für atomare Waffen kommen könnten. Nicolas Sarkozy hat eine Antwort darauf: Er erklärte Anfang August 2007, infolge der laut gewordenen Kritik an seinem Libyen-Deal, dass es "im Notfall eine Vorrichtung gibt, mit der sich ein Atomkraftwerk auch von außen abschalten lässt". Das bedeutet so viel wie, dass man ein AKW zuerst verkauft, dann aber hinterher, falls es nötig sein sollte, doch noch vom Westen her auf den Ausschaltknopf drücken könnte. Technisch ist das im Prinzip eine pure Fiktion, da das Plutonium - wenn es sich erst einmal durch Neutronenbeschuss bei der Kernspaltung aus Uran-Atomen gebildet hat - ja auch nach einer Abschaltung in den im Inneren der Anlagen befindlichen Nuklearbrennstäben bleibt. Allerdings muss das Plutonium danach noch durch einen schwierigen chemischen Prozess, den man im Deutschen als "Wiederaufbereitung" bezeichnet, aus der radioaktiven Masse des Gesamts-Atommülls herausgelöst und abgetrennt werden. Über diese Technologie zu verfügen, ist wiederum für einen Möchtegern-Schurkenstaat erheblich schwieriger. Nicolas Sarkozys Philosophie im Umgang mit dem Problem lautet also: "Wir liefern die Technologie, behalten aber eine ständige Kontrolle über ihre Verwendung und achten genauestens darauf, was in den Reaktoren später geschieht". Dies setzt aber wiederum voraus, dass die betreffenden Ländern nicht selbst in die Lage versetzt werden, solche Atomanlagen zu errichten, sondern dass französische Firmen oder Staatsagenturen sie errichten - und später den Atommüll einsammeln und zu Hause, wo etwa die Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in La Hague zur Plutonium-Abtrennung zur Verfügung steht, behandeln. Und dass die "Partner"länder nicht den gesamten nuklearen "Brennstoffkreislauf" auf ihrem Boden beherrschen werden, sondern dass die Anreicherung des Urans sowie die eventuelle Abtrennung von Plutonium aus dem nuklearen Abfall außerhalb der Reichweite ihrer Regimes geschieht. Dieses Konzept wiederum hat einen Namen: Man kann es als paternalistisch oder auch als "neokolonial" bezeichnen. Nicht zu Unrecht bezeichnete die Umweltorganisation Greenpeace in einem jüngsten Kommuniqué die Förderung der Atomenergie durch Frankreich am Südrand des Mittelmeers als "industriellen Neokolonialismus". Daran ändert nichts, dass die vermeintliche Alternative - die grundsätzliche Weichenstellung zugunsten eines Einstiegs in ein Atomprogramm einmal fraglos vorausgesetzt - , nämlich eine vollständige Verfügungsgewalt aller Regimes über alle Etappen des nuklearen "Brennstoffkreislaufs", auch nicht wirklich positiv erscheint. Ein Verzicht auf diese gefährliche Technologie - auf beiden Seiten des Mittelmeeres - erschiene da als positiv Drittes doch wesentlich risikoärmer. Bernard Schmid, Paris, 21.07.2008 |