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Updated: 18.12.2012 16:07
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Nach den Stahlarbeitern von Annaba jetzt die Arbeitslosen

"Die Bewegung der jungen Arbeitslosen ging während des ganzen gestrigen Tages fort, an dem Hunderte von Personen die beiden Eingänge – den Süd- und den Osteingang – des Stahlwerks blockierten. Mehrere Dutzend LKWs und Sattelschlepper wurden daran gehindert, in das Werk hinein- oder aus ihm hinausfahren" - so zitiert Bernard Schmid in seinem (Fortsetzungs-)Artikel "Nach den Stahlarbeitern von Annaba jetzt die Arbeitslosen" vom 7. September 2007 unter anderem algerische Presseberichte.

(Zusatz zu unserem Artikel vom 28. August über Stahlarbeiterproteste)

Nach den Stahlarbeitern von Annaba jetzt die Arbeitslosen

Jüngst berichteten wir an diesem Ort über die massive Streikdrohung der Arbeiter des Stahlindustriekomplexes El—Hadjar im ostalgerischen Annaba, eines der größten Industriekomplexes in Algerien. Die Lektüre der algerischen Presse von dieser Woche liefert dazu noch eine interessante Ergänzung.

Wie die Tageszeitung "Le Quotidien d"Oran" an diesem Mittwoch (5. September) berichtet, war der Riesenbetrieb in Annaba jüngst noch Schauplatz eines anderen Berichts. Unter der Überschrift „Arbeitslose legen den Komplex El-Hadjar lahm“ berichtet die Tagszeitung (die sich von der westalgerischen Regional- zur überregionalen Zeitung hochgerappelt hat) unter anderem:

Die Bewegung der jungen Arbeitslosen ging während des ganzen gestrigen Tages fort, an dem Hunderte von Personen die beiden Eingänge – den Süd- und den Osteingang – des Stahlwerks blockierten. Mehrere Dutzend LKWs und Sattelschlepper wurden daran gehindert, in das Werk hinein- oder aus ihm hinausfahren. Die Busse, die das Personal der Nachmittagsschicht transportieren, wurden dazu gezwungen, an der Strabenseite der Route Nationale 16 anzuhalten angesichts des Damms aus Menschen, der sich vor den beiden Haupteingängen des Werks gebildet hatte. "Unsere Bewegung wird nicht aufhören. Wir werden sie durch einen Hingerstreik akzentuieren. Die Marginalisierung muss aufhören" riefen die jungen Leute den Gendarmen zu, die herbeigezogen worden waren, um die Eingänge frei zu bekommen. Um 16.30 Uhr waren die Protestierenden in grober Zahl vor dem Haupteingang des Werks. (....) Um 16.45 löste sich eine Gruppe von rund 30 jungen Leuten aus der Masse, um einen Bus dazu anzuhalten, sie zu einem der Eingänge zu bringen ...

Man erfährt aus dem Artikel ferner, dass alle 400 Teilnehmer über ein ausgefülltes Formular der Personalabteilung des Werks verfügen, aber keine Einstellung finden. Sie verdächtigen die Verantwortlichen, mafiöse Einstellungspraktiken und Vetternwirtschaft zu betreiben – und geben an, eine Unterredung mit den Verantwortlichen der Sektion der UGTA (ehemalige Staatsgewerkschaft) gefordert zu haben, ohne dass jemand darauf einging. Es ist durchaus möglich, dass dahinter ein Phänomen von Klüngelwirtschaft herrscht, wenngleich ebenso gut möglich ist, dass schlicht die Masse des Elends zu groß und die Anzahl qualifizierter Arbeitsplätze im "formellen" Wirtschaftssektor des Landes insgesamt zu klein ist. Tatsache ist auf jeden Fall, dass die UGTA in „sozialpartnerschaftlichem“ Einvernehmen früher mit dem Staat, und jetzt mit dem britisch-indischen Konzern Mital Steel, der das Werk 2001 erworben hat, hauptsächlich die Eigeninteressen einer Kernklientel vertritt.

Die spontane Eruption des Unmuts, der aus der Nichterfüllung elementarer sozialer Interessen (Jobs, Trinkwasserversorgung, Preise für Heizung und Grundbedarf...) resultiert, ist in Algerien ein Alltagsphänomen. Meistens nimmt er die Form von Riots an, die in einem bestimmten Stadtbezirk oder einem bestimmten Dorf rapide anschwellen, einen heftigen Ausbruch finden, aber örtlich isoliert bleiben und nach wenigen Tagen wieder abklingen. Oft müssen die Behörden aber in der Zwischenzeit bestimmte Zugeständnisse machen. Ende August etwa knallte es in der Atlasstadt Aïn Defla aufgrund der absolut unzureichenden Trinkwasserversorgung. Das Hauptproblem in Algerien scheint dabei die Abwesenheit jeder darüber hinaus weisenden gesellschaftlichen Perspektive dieser spontanen Bewegung sein: Die Menschen erkennen keine irgendwie geartete gesellschaftliche Alternative, nach den Enttäuschungen mit dem „Sozialismus“ des FLN in den 1980er Jahren und mit dem politischen Islam in den 1990er Jahren.

Artikel von Bernard Schmid vom 07.09.2007


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