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Updated: 18.12.2012 15:51
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Endlich ein Reformstau! - Dänische "Sozialreformen" stoßen auf Widerstand

Am 17. Mai 2006 demonstrierten in Kopenhagen fast 100.000 gegen die Sozialreformen der dänischen Rechtsregierung, in vier weiteren dänischen Städten gingen etwa 40.000 Menschen auf die Straße. Seitdem halten die Proteste an, während die Regierung mit der Sozialdemokratie und den Rechtspopulisten über eine Abmilderung der "Reform" verhandelt. In der zweiten Maihälfte wurden u.a. die meisten Universitäten für einige Tage besetzt, und es kam zu direkten, meist noch symbolisch verstandenen Aktionen gegen Einrichtungen der Industrie, der regierungsnahen Wissenschaft und der Regierung selbst.

Die dänische Rechtsregierung hat einen Angriff auf zentrale Elemente des dänischen Wohlfahrtsstaates angekündigt, der schon als solches eine gesellschaftliche Gegenreaktion provoziert. Die stärksten Emotionen löste dabei die geplante Einschränkung der Frühverrentung, deren Mindestalter von 60 auf 63 Jahre angehoben werden soll. In bewährter Manier richten sich die Schikanen zudem gegen junge Leute: So soll die elternunabhängige Studienförderung (SU) vom "Studienerfolg" abhängig gemacht werden, was dem Staat nach einer leider durchaus erfolgreichen Kampagne für die Entdemokratisierung und Privatisierung der Universitäten weitere Disziplinierungsmittel gegen Studierende in die Hand geben würde. Ein vielleicht noch tieferer Einschnitt ist schließlich die geplante Kürzung des Arbeitslosengeldes für Ungelernte im Alter von 25 bis 29 Jahren: Nach etwa einem halben Jahr sollen sie nur noch die Hälfte der ihnen zustehenden Versicherungsleistung erhalten.

140.000 protestieren gegen "Sozialreformen"

Die in der europäischen Presse kaum wahrgenommene Massenbewegung könnte in der Tat der Beginn einer Erosion der seit Beginn des Jahrzehntes relativ stabilen rechten Hegemonie sein. Denn seit 2001 war die bürgerliche Regierung mit einer Mischung aus rassistischer Ausgrenzung und einer Erhöhung von "freiwilligen" Taschengeldern ("Sonderzahlungen") für RentnerInnen durchaus konsensfähig. Nur in den ersten Monaten ihres Bestehens war es zu vehementen außerparlamentarischen Protesten gekommen, vor allem gegen die Kürzungen der Zuschüsse für sozial-emanzipatorische Projekte aller Art sowie gegen geplante, aber später nur unvollständig umgesetzte Einschränkungen der Gewerkschaftsrechte.
Die dänische Linke setzte im Frühjahr 2001 große Hoffnungen auf ein neues, außerparlamentarisches Sozialbündnis, doch Ministerpräsident Ander Fogh Rasmussen blieb fest im Sattel. Im "Karikaturen-Streit" schien sich die rechte Hegemonie bis zu einer Art Unbesiegbarkeit zu steigern: Der Vorsprung des Rechtsblocks erreichte bei Meinungsumfragen eine historische Rekordhöhe. (Vgl. ak 504) Nach der Demo des 17. Mai ist dieses Bild zumindest zu relativieren: Die größten Demonstrationen seit dem Aufstand gegen den Eingriff einer konservativen Regierung in Tarifverhandlungen von 1985 markieren eine andere, alternative Option gegenüber dem rechtspopulistischen Konzept einer "nationalen Wohlfahrt".
Bedeutend ist vor allem, dass die Politik der Hierarchisierung der von der Reform Betroffenen offenbar an ihre Grenze gerät. Insbesondere der Angriff auf die jungen Ungelernten wird von erstaunlich vielen an den Demonstrationen beteiligten AktivistInnen direkt mit der zynisch "Starthilfe" genannten Sonderleistung für Flüchtlinge in Verbindung gebracht, die diese in den ersten sieben Jahren ihres Aufenthaltes in Dänemark weit unter das Existenzminimum drückt und de facto illegalisiert. In den jüngsten Protesten hat sich deshalb neben der Abwehr der geplanten "Reformen" die Forderung nach der Abschaffung der Starthilfe durchgesetzt. Viele MigrantInnen erlebten die Proteste als kurzfristige Entlastung des ungeheuren Drucks, der auf ihnen lastet: Am 1. Juni feierten migrantische Organisationen ein "großes Fest für die Wohlfahrt" auf einem zentralen Kopenhagener Platz.
Zugleich ist auch ein weiteres zentrales Element der ideologischen Offensiven des Neoliberalismus in Gefahr: während sozial-liberale Regierungen als eine Art europäische Avantgarde die Politik des "aktivierenden Sozialstaates" durchsetzten, indem alle Maßnahmen zuerst gegen die "faule Jugend" gerichtet waren, spricht sich heute eine deutliche Bevölkerungsmehrheit gegen die Kürzungen aus, die sich gegen junge Ungelernte richten. Dabei formulieren vor allem Aktivistinnen und Gewerkschafterinnen eine geschlechtspolitische Dimension des Konfliktes: die große Mehrheit der jungen Ungelernten ist im angeblichen Gleichberechtigungs-Wunderland Dänemark immer noch weiblich.

Der lange Weg zum Fall der rechten Hegemonie

Dass die Überzeugungskraft der "Aktivierung" nachlässt, ist auch damit zu erklären, dass in Dänemark nunmehr bereits seit 15 Jahren Erfahrungen mit dieser Politik, inklusive einer Einrichtung von "Null-Euro-Jobs", gemacht werden konnten. Zwar stagniert die offizielle Erwerbslosigkeit mittlerweile bei ca. 5%, doch dies ist nicht viel mehr als eine Zahl; denn zugleich sind mittlerweile fast ein Fünftel der dänischen Bevölkerung als prekär oder arm zu betrachten - auch wenn sie in den zahlreichen Warteschleifen sind, die die "Aktivlinie" hervorgebracht hat. Alle Evaluationen belegen, dass die "Aktivierung" bis heute so gut wie keine existenzsichernde Beschäftigung geschaffen hat. Kein Wunder, dass dänische SozialpolitikerInnen "zur Erholung" ins Ausland und nicht zuletzt in die BRD reisen müssen: Nur hier wird die "Aktivlinie" noch vorbehaltlos bewundert.
Gerade im Streit um die "aktivierende Sozialpolitik" zeigt sich jedoch die Differenzierung und potenzielle Spaltung der dänischen Proteste. Die Sozialdemokratie (SP) und der Dachverband der Industriegewerkschaften (LO) sind auf den Protestzug aufgesprungen, während die SP gleichzeitig in Verhandlungen mit der Regierung um einer "Reform der Reform" steht. Dabei kommt die von "New Labour" entscheidend geprägte "Aktivlinie" erneut ins Spiel. In den Verhandlungen mit der Regierung forderten SP und Linksliberale als "Alternative" zu den Kürzungen eine Verschärfung des Drucks auf die Erwerbslosen; so sollen u.a. "verpflichtende" Beschäftigungsangebote schon nach einem halben Jahr eingerichtet werden.
Ebenso "kompromissbereit" ist die Position der SP in der Frage der Frühverrentung: Bevor es zu den Demos kam, forderte die Partei selbst eine Erhöhung des Berechtigungsalters von 60 auf 62 Jahre. Die Rechtsparteien haben all diese Vorschläge begrüßt, die Rechtspopulisten gingen sogar darüber hinaus, indem sie als "wahre Sozialdemokratie" die Beibehaltung der alten Regelung forderten. Nach der erfolgreichen Demo erklärte die neoliberal orientierte Vorsitzende der Sozialdemokraten, die Proteste seien als "Unterstützung der sozialdemokratischen Politik" zu werten. Autonome Gruppen, studentische AktivistInnen, die beiden parlamentarischen Linksparteien SF und "Einheitsliste" sowie eine ganz Reihe linker Gewerkschaften haben sowohl die Kompromissvorschläge als auch die Instrumentalisierungsversuche scharf kritisiert. Doch der Streit mit der SP und innerhalb der LO zeigt, dass es von der Erosion bis zum Fall der rechten Hegemonie in Dänemark noch ein weiter Weg sein wird.

Peter Birke
erschienen in ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 507 / 16.6.2006


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