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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Update vom 25. April 2007 über die Situation in La Guajira Wie im letzten Update vom 3. Februar 2007 angekündigt, hat der Corporate Affairs Manager von Xstrata, Marc Gonsalves am 5. Februar 2007 unsere kolumbianischen Besucher, den Anwalt der Vertriebenen, Armando Pérez Araújo, und den Präsidenten der Vertriebenenorganisation, José Julio Pérez, am Zweitsitz von Xstrata in London empfangen. Dieses Treffen war mit vielen Erwartungen verknüpft, vor allem bezüglich genaueren Angaben über integrale Verhandlungen des Konzerns mit den betroffenen Gemeinschaften. Das Gespräch verlief aus Sicht aller Beteiligten positiv. Herr Gonsalves hat Fehler bei der Räumung von Tabaco eingestanden und versicherte, dass bei einer weiteren Räumung die Entschädigungen für die Bewohner sicherlich grosszügiger ausfallen würden. Xstrata sei gewillt, eine Lösung für die Vertriebenen von Tabaco zu suchen, auch wenn gemäss dem Gerichtsurteil vom Mai 2002 die eigentliche Verantwortung dafür bei den Behörden von Hatonuevo, der Gemeinde zu der Tabaco gehört, läge. Es sei wichtig, dass das Unternehmen gute Beziehungen zu den umliegenden Gemeinschaften unterhalte und deren Vertrauen geniesse. Eine Lösung könne nicht von heute auf morgen gefunden werden, aber er werde sich ganz sicher für eine Verbesserung der Situation der in der Guajira ansässigen Gemeinschaften einsetzen. Ebenso stellte er in Aussicht, zusammen mit Vertretern von BHP Billiton und Anglo American, die auch je einen Drittel von Carbones del Cerrejón besitzen, nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Fast drei Monate nach diesem hoffnungsvollen Gespräch haben die betroffenen Gemeinschaften noch nichts gehört von Xstrata, und in wie weit schon Gespräche zwischen Xstrata einerseits und BHP Billiton und Anglo American andererseits geführt wurden, ist uns nicht bekannt. Die Arbeitsgruppe Schweiz - Kolumbien hat deshalb bei Herrn Gonsalves nun nochmals nachgefragt, welche konkreten Schritte er zu tun gedenkt. Im Hinblick auf die am 8. Mai statt findende Aktionärsversammlung hat uns Xstrata nun eine baldige Antwort in Aussicht gestellt. Die bisherige Untätigkeit seitens des Unternehmens ist beunruhigend, da sich die Vertriebenen aus Tabaco, aber auch die Bewohner von anderen Dörfern im Einzugsgebiet der Mine in einer sehr prekären Situation befinden und wertvolle Zeit verstrichen ist. Roche, Patilla und Chancleta sollen laut einer Sprecherin von Xstrata in den nächsten drei Jahren der Mine weichen. Schon heute werden sie, genau wie einst die Bewohner von Tabaco, unter Druck gesetzt, ihr Land und die Häuser zu verkaufen. Neusten Berichten zufolge soll Roche sogar kurz vor der Räumung stehen, obwohl diesbezüglich noch keine offizielle Mitteilung seitens des Unternehmens vernommen wurde. Gemäss Aussagen der lokalen Gemeindevorsteher haben die meisten Bewohner von Roche angesichts der wirtschaftlichen Not und der Perspektivenlosigkeit ihren Besitz der Minengesellschaft Carbones del Cerrejón verkauft. Ein weiteres Dorf, Tamaquitos, soll zwar nicht geräumt werden, ist aber aufgrund der raschen Expansion der Mine inzwischen umgeben von Minenland. Die einzige Strasse, die das Dorf mit den umliegenden Gemeinschaften verbindet, ist kaum mehr befahrbar, wodurch sich die Dorfbewohner in einer fast kompletten Isolation befinden. Zudem beklagen sich die Dorfbewohner - Indigene der Wayúu - Ethnie - über häufige Belästigungen durch lokale Polizeipatrouillen und militärische Einheiten. Nun haben Mitglieder von internationalen Solidaritätsbewegungen vor Ort ein Treffen mit dem lokalen Armeechef verlangt, um ihn zu bitten diesen Schikanierungen ein Ende zu setzen. Grund zur Hoffnung gab anfangs April ein Treffen zwischen Gewerkschaftsführern von SINTRACARBON und Mitgliedern der betroffenen Gemeinschaften. Letztere zeigten sich sehr erfreut über das breite Engagement der Gewerkschaft für die Anliegen der Gemeinschaften. Der nächste Schritt muss nun ein erneutes Treffen zwischen der Gewerkschaft und dem Management von Carbones del Cerrejón sein, um die bei den GAV-Verhandlungen eingegangenen Verpflichtungen gegenüber den Gemeinschaften zu konkretisieren, namentlich die kollektiven Verhandlungen über integrale Umsiedlungen. Trotz der wiederholten Versprechen seitens Vertreter des Konzerns, haben diese nämlich bis heute keine verbindlichen Zusagen zur Aufnahme von Verhandlungen gemacht. Schlimmer noch, der Druck auf die Dorfbewohner ihre Häuser zu verkaufen nimmt stetig zu. Diese Situation wirkt dem Ziel eine langfristige Lösung für die betroffenen Gemeinschaften zu finden massiv entgegen, da diese angesichts der unklaren Zukunftsperspektive lieber heute ihr Hab und Gut zu einem Spottpreis verkaufen als morgen ohne Entschädigung dastehen. Da der Verkauf also individuell gesehen als attraktivere Option erscheint, werden mit der Zeit immer weniger Bewohner bereit sein Druck auf den Konzern zu machen, um kollektive Verhandlungen zu erzwingen. Das Beispiel Tabaco hat gezeigt, dass diese Situation das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Widerstandsfähigkeit der Gemeinschaften enorm untergräbt und diese dadurch immer weniger bereit sind Energie aufzuwenden, um ihre Kultur und Lebensweise zu verteidigen. Nun scheint es, dass Carbones del Cerrejón das Problem der Umsiedlungen auf ihre Weise zu lösen versucht. Vor wenigen Wochen nämlich, hat uns Armando Pérez Araújo von einem gewissen Gustavo Wilches Chaux berichtet, der angeblich vor etwas über einem Jahr von der Minenbetreiberin den Auftrag bekam, eine Lösung für den Fall Tabaco zu finden. Seine Aufgabe bestand hauptsächlich darin, eine Studie über die aktuelle Situation der Gemeinschaft zu verfassen. Der Vertrag zwischen Wilches Chaux und Cerrejón wurde jedoch aufgelöst ohne, dass die Gemeinschaften je erfuhren, was bei dieser Studie herauskam. Armando wusste weiter zu berichten, dass kurz nach seiner und José Julios Rückkehr von der Reise nach Europa im Januar dieses Jahres, erneut Angestellte von Wilches Chaux durch die Gegend zogen um die aktuelle Wohnsituation der Vertriebenen von Tabaco zu begutachten. Dabei werben sie anscheinend für ein sogenanntes Post-Umsiedlungs-Programm, was allerdings absolut keinen Sinn ergibt, weil eine Umsiedlung ja noch gar nicht stattgefunden hat. Das ist wie wenn man einem Patienten eine post-operationelle Behandlung verschreibt, obwohl die Operation noch gar nicht durchgeführt wurde. Wir vermuten, dass dieses Vorgehen eine Reaktion ist auf den verstärkten internationalen Druck, der jüngst auf die Firma ausgeübt wurde, um sie an ihre Pflicht zu erinnern, eine Lösung für das von ihnen geräumte Dorf zu finden. Indem es von einer falschen Ausgangssituation, nämlich einer schon vollbrachten Umsiedlung, ausgeht und die vertriebenen Familien nur einzeln bearbeitet, dient das Vorgehen von Wilches Chaux aber nur dazu von den eigentlichen Kernanliegen der Gemeinschaft, nämlich der Umsetzung des Gerichtsurteils vom Mai 2002 und kollektiven Verhandlungen über integrale Umsiedlungen, abzulenken. Um etwas mehr Klarheit in der Sache zu schaffen, bat ein Mitglied der Colombia Solidarity Campaign an der Aktionärsversammlung von Anglo American vom 17. April den Vorsitzenden um nähere Informationen zum Auftrag von Wilches Chaux, dieser verweigerte jedoch jegliche Auskunft. Schriftlich baten wir auch Marc Gonsalves um eine Stellungsnahme dazu, erhielten jedoch bis anhin noch keine Antwort. Nächsten Monat werden fünf Jahre vergangen sein seit das Urteil des Obersten Gerichts zugunsten eines Wiederaufbaus von Tabaco gesprochen wurde. Die Junta Pro Reubicación de Tabaco, Vertriebenenvereinigung der José Julio Pérez vorsteht, hat zu diesem Zweck auch schon ein geeignetes Stück Land ausgemacht und hat eine klare Vorstellung davon, wie das Dorf wieder aufgebaut sollte. Die Gemeinde Hatonuevo, die laut dem Gerichtsurteil für den Wiederaufbau verantwortlich ist, hat jedoch angeblich kein Geld diesen zu finanzieren. Darum ist es sehr wichtig, dass der Minenkonzern, dessen Verantwortung an der Räumung ja kaum abzustreiten ist, echten Willen zeigt das Gerichtsurteil umzusetzen und den Wiederaufbau mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen. Doch nicht nur die Vertriebenen von Tabaco, sondern auch die Bewohner von Roche, Chancleta, Patilla, Tamaquitos und Remedios befinden sich in einer kritischen Situation. Darum konzentrieren wir uns weiterhin vor allem auf die Kernanliegen der in der Guajira angesiedelten Gemeinschaften, nämlich die Umsetzung des Gerichtsurteils vom Mai 2002 und die Aufnahme von kollektiven und transparenten Verhandlungen über integrale Umsiedlungen. Von der Gewerkschaft SINTRACARBON wurden wir über ein weiteres Problem der Arbeiter informiert: Über 500 Arbeiter der Mine leiden an Krankheiten, die auf die Arbeit im Kohlenabbau zurück zu führen sind. Die Minenbetreiberin hat bisher nicht Hand zu Lösungen geboten. Das Problem liegt darin, dass das Arbeitsgesetz Berufskrankheiten nur bei unterirdisch gelegenen Minen anerkennt, nicht jedoch bei Minen im Tagbau. Deshalb stellt sich Carbones del Cerrejón auf den Standpunkt, dass es sich nicht um Berufskrankheiten handelt, weshalb der Arbeiter nur einen reduzierten Versicherungsschutz geniesst und deshalb weniger Einkommen hat. Carbones del Cerrejón übt gemäss Angaben der Gewerkschaft Druck auf die staatliche Versicherungsgesellschaft aus, diese Erkrankungen nicht als Berufserkrankungen anzuerkennen. Für die Gewerkschaft ist dieser Zustand sowohl arbeitsrechtlich wie auch finanziell untragbar, da sie die betroffenen Arbeiter finanziell unterstützt. Antworten von Carbones del Cerrejón und Xstrata auf unsere Anfragen blieben auch in diesem Punkt noch offen. Bern, 7. Mai 2007: Lisa Huber und Stephan Suhner, Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien |