letzte Änderung am 27. Januar 2004

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Ein Versuch zu modernisieren, ohne die Tradition des Kampfes aufzugeben

Wenige Tage nach dem ausserordentlichen Kongress der chilenischen Gewerkschaftszentrale CUT am 8.Januar 2004 telefonierten wir mit Rafael Sanchis, langjähriger Aktivist der Bergarbeitergewerkschaft, danach im Exil, heute wieder im Lande und an der Gewerkschfatsbasis aktiv. Der heute 64 jährige Rafael hatte sich immer wieder, sowohl praktisch als auch aktiv für eine Öffnung der Gewerkschaften zum informellen Sektor eingesetzt und sieht sich durch die jüngsten Beschlüsse bestätigt.

Was sind die unmittelbaren Ergebnisse des Sonderkongresses?

Nun, direkt, folgendes: Jene Kräfte innerhalb der CUT, die eine Anpassung an die neoliberale Politik wollten, sind - für mich - überraschend deutlich in der Minderheit geblieben. Gruppen wie etwa "21.Jahrhundert" haben es nicht geschafft, ihre Thesen durchzusetzen, dass die Mitgestaltung des neoliberalen Prozesses Voraussetzung für die Zukunft der Gewerkschaften sei. Ich meine, jeder auf der ganzen Welt, der es wissen will, kann wissen, dass die chilenische Diktatur ein Laboratorium des Neoliberalismus war - und dass diese Politik im Prinzip fortgesetzt wird, ist auch klar, denn es ist ja das kapitalistische System als solches, dass dies erfordert und nicht diese oder jene Partei. Und nun ausgerechnet hierzulande daherzukommen und "Anpassung" zu fordern, ist im besten Falle sehr blauäugig.

Ist es richtig zu sagen, dass damit eine Auseinandersetzung entschieden ist, die seit den Streiktagen des August 2003 die Gewerkschaftszentrale paralysiert hat?

Das ist schwierig. Lass es mich so sagen: Die Zentrale war zeitweise paralysiert, die Basis weitaus weniger. Und ob sie jetzt endgültig entschieden ist - was ich hoffe - kann ich dir hinterher sagen...Aber in keinem Fall gab es diese Auseinandersetzung erst seit letzten August - da hat sie sich unglaublich zugespitzt, klar, wegen der Boykottmassnahmen, die faktisch stattfanden. Im Prinzip gibt es diese Auseinandersetzung seit des unseligen Pinochets Zeiten, erst recht seitdem Lagos da ist...im allgemeinen werden die letzten drei Jahre als "Krisenjahre der CUT" bezeichnet.

Und worin bestehen nun die wesentlich Punkte dessen, was "nuevo sindicalismsmo" heissen soll?

Nun, das politische habe ich schon angedeutet: Die Gegnerschaft zum Neoliberalismus ist eine wesentlich andere politische Grundsatzpositionierung, als sie die CUT zuvor hatte, da lautete im Prinzip die einzige strategische Festlegung "Verteidigung und Stärkung der Demokratie" - was einerseits angesichts der starken Wurzeln, die die Diktatur in der Gesellschaft hat, nicht falsch war, andrerseits aber dazu führte, dass Sonderbeziehungen zu den "demokratischen Parteien" ausgebaut wurden, die dazu führten, dass die CUT oft ein Puffer war, zwischen sozialen Forderungen und bestimmten Parteien - aber das brauche ich euch in Deutschland nicht erzählen, dass kennt ihr doch auswendig.

Wichtig ist aber auch, dass eine ganze Reihe vom Massnahmen nicht etwa zur "Stärkung" sondern zur Errichtung der inneroganisatorischen Demokratie beschlossen wurden - bis hin zu finanziellen Beschlüssen, die die unteren Einheiten stärken - sonst tun ja Gewerkschaften immer so als wären sie sozusagen an sich demokratisch, was aber die wenigsten sind.

Und - ganz besonders wichtig und dies nicht nur meiner Meinung nach: Die CUT hat ein Modernisierungsprogramm. Einerseits die Selbstdefinition als "Bestandteil der sozialen Bewegungen", was wenn es irgend umgesetzt wird, ganz tiefgreifende Veränderungen impliziert. Was sich aber auch in solchen Beschlüssen niederschlägt, wie das nun endlich jede einzelne auch kleine Gewerkschaft Mitglied der CUT werden kann und nicht mehr nur die grossen Föderationen.

Was bedeutet das konkret?

Beispielsweise können nun kleine Gewerkschaften aus dem informellen Sektor, die es gibt, mit denen es bisher aber bestenfalls ein friedliche Koexistenz gab, der Zentrale beitreten - und damit auch ihren Einfluss darin geltend machen. wir sind ja immer noch so organisiert, als wäre 1973: Grossbetriebe vor allem. Nur gibt es kaum noch welche. Selbst in den grossen Kupferminen ist die Zahl der Festangestellten überall deutlich niedriger als die der Zeit- und Leiharbeiter, die entweder gar nicht oder, sehr oft, anderswo organisiert sind, die könnten jetzt im Prinzip zu uns kommen, was sie aber so unmittelbar nicht tun werden wollen, also wird man Bündnisse und Kompromisse machen müssen und ganz viel neu organisieren. Aber zum ersten Mal seit langem habe ich Hoffnung, dass es sich gut entwickeln kann.

Das Interview führte Helmut Weiss am 25.1.2004

 

 

 

 

 

 

 

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