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Updated: 18.12.2012 15:51
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Aufsehen erregender Prozess gegen Verantwortliche für Giftmüllskandal - Aber die europäischen Schuldigen fehlen!

Ein Prozess sorgt für hohes Aufsehen auf dem gesamten afrikanischen Kontinent: Seit vergangener Woche, genauer seit dem 29. September, stehen in Abidjan (Wirtschaftsmetropole und größte Stadt der Côte d'Ivoire/Elfenbeinküste) die Verantwortlichen für den gigantischen Giftmüllskandal von August 2006 vor Gericht. Oder zumindest einige der Verantwortlichen. Anfang dieser Woche ging es weiter: Am Montag wurden damalige einheimische Verantwortliche etwa der Hafenbehörden zur Sache einvernommen, am Dienstag wurde der Prozess mit einer Anhörung von Experten fortgesetzt. Seit gestern ist das Verfahren nun ausgesetzt, nachdem mehrere Anwälte der Verteidigung ihr Mandat niedergelegt haben, weil eine von ihnen beantragte Verschiebung des Prozesses - der bis zur Anhörung bestimmter Zeugen in Gänze aufgeschoben werden solle - abgelehnt worden war. Am 13. Oktober wird es wieder aufgenommen.

Ein kurzer Rückblick auf den Giftmüllskandal von 2006

Im August 2006 entlud ein Schiff mit Namen "Probo Koala", das der in den Niederlanden ansässigen Traderfirma ,Trafigura' gehörte, Giftmüll im Hafen von Abidjan. Aufgrund der Komplizenschaft korrupter Mitarbeiter von Hafen- und Ministerialbehörden (Handels-, Umweltministerium) wurde die, grauenhaft stinkende, Ladung gelöscht. Wenige Stunde später wurde der stark übelriechende Giftmüll auf zehn Örtlichkeiten mitten in der Großstadt Abidjan aufgeteilt, und LKWs luden ihn dort einfach ab.

Insgesamt 100.000 Menschen wurden daraufhin vergiftet und erkrankten, elf unter ihnen starben. (Labournet berichtete bereits vor zwei Jahren ausführlich über die Affäre)

Ein "unvollständiger" Prozess

Nun stehen allerdings die Hauptverantwortlichen gar nicht vor Gericht: Die Amsterdamer Transporteurfirma ,Trafigura', die für den Transport des Giftmülls nach Westafrika verantwortlich zeichnete, hat im Jahr 2007 ein offizielles Abkommen mit dem Staat Elfenbeinküste getroffen. Daraufhin wurde den Behörden von Letzterem eine "Entschädigung" in Höhe von 100 Milliarden Francs-CFA (d.h. 152 Millionen Euro) ausbezahlt. Nur ein Fünftel dieser Summe ist aber laut vorliegenden örtlichen Berichten bislang an die Betroffenen, die ihre Leiden von einer staatlichen Kommission anerkennen lassen müssen, gegangen. Vom Rest dürfte ein Gutteil in den Kanälen behördlicher Korruption versickert sein.

Im Gegenzug genießen die europäischen Hauptschuldigen bislang in der Elfenbeinküste faktische Straffreiheit, eine Auslieferung an die dortigen Justizbehörden ist nicht erfolgt und wurde durch ivoirischen Staat beantragt. Kein Angehöriger der in Europa ansässigen Transportfirma ,Trafigura', und ebenso wenig ihrer (örtlichem Recht unterliegenden) ivoirischen Filiale ,Puma Energy', wurde in Abidjan angeklagt. Der Hauptrepräsentant von ,Puma Energy', mit Namen N'Zi Kablan, soll lediglich als Zeuge in dem aktuell laufenden Verfahren vernommen werden. Sein Nichterscheinen ist jüngst einer der Gründe, aufgrund derer die Anwälte der Verteidigung am Mittwoch eine Aufschiebung des Verfahrens forderten und mehrere unter ihnen ihr Mandat niederlegten. (Vgl. http://www.enviro2b.com/environnement-actualite-developpement-durable/24263/article.html)

Allerdings planen der französische Rechtsnwalt Mario Stasi und sein britischer Anwaltskollege Martyn Day, die sich vor kurzem in Abidjan aufhielten und dort Opfer getroffen haben, in naher Zukunft ein Strafverfahren vor einer europäischen Justiz gegen die in Europa sitzenden Hauptschuldigen anzustrengen. (Vgl. ,Jeune Afrique' vom 28. September 08) Unter Umständen wird es ihnen dort nicht gelingen, ihrer Verantwortlichkeit zu entfliehen. Vielleicht geht es ihnen also in absehbarer Zeit endlich doch noch an den Kragen. Vielleicht.

Um wen o. was geht es in dem aktuellen Prozess?

Aber wer steht denn nun in Abidjan vor Gericht? Dort sind insgesamt zwölf einheimische Co-Verantwortliche angeklagt, von denen neun an den ersten Verhandlungstagen präsent waren. Es handelt sich u.a. um den damaligen Hafenkommandanten Marcel Bombo; den damaligen Verantwortlichen im Hafen, der dem Kahn mit den gefährlichen Giftstoffen an Bord das Anlegen in Abidjan erlaubt hatte, Armeeoberst Christophe Tibet Di Ballo; sowie mehrere Zollbeamte. Ihnen droht, im schlimmsten Falle, eine langjährige Haftstrafe infolge der Abschaffung der Todesstrafe in der Côte d'Ivoire (im Jahr 2000, mit der Verabschiedung der damaligen neuen Verfassung).

Eine Verurteilung dieser Komplizen ist sicherlich, sofern ihre direkte Verantwortung festgestellt werden kann, überaus wünschenswert. Aber zugleich muss klar sein, dass sie fast nur Sündenböcke darstellen: Allenfalls die Mitschuldigen aus der zweiten und dritten Reihe werden derzeit zur Rechenschaft gezogen. Jene aus der ersten Reihe sitzen unbehelligt in Europa.

Unterdessen ist in dem westafrikanischen Staat schon die Rede vom nächsten Giftmüllskandal: Laut einem Bericht des in Paris ansässigen, panafrikanischen Wochenmagazins ,Jeune Afrique' wurden am 25. August 2008 Giftstoffe an vier Punkten im Land ausgestreut. Es handele sich u.a. um Schwefelwasserstoff, Methan und Kohlenstoffoxyd, die schwere gesundheitsschädliche Wirkung hätten. Rund 300 Personen seien vergiftet worden und litten unter Erbrechen, starken Migräne-Anfällen sowie Hautentfärbung. Afrika dient (vorwiegend) den wohlhabenden Industrienationen offenkundig weiterhin als Giftmüllkippe, gegen ein paar Brosamen für korrupte Staatsfunktionäre.

Über den Fortgang des Strafprozesses in Abidjan werden wir unsere Leser/innen auf dem Laufenden halten.

Bernard Schmid, 09.10.2008


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