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Updated: 18.12.2012 15:51
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Polizeimorde in Goiânia - im Dienste des Privateigentums

Die Polizeiaktion in Goiânia hieß tatsächlich "Operação Triunfo" - und das Privateigentum hat triumphiert... Kommentare und "Abrundungen" zu den bisherigen Meldungen

16.Februar 2005: Über 12.000 Menschen werden von dem Grund und Boden vertrieben, den sie seit Mai 2004 nicht nur besetzt hatten, sondern auf dem sie ihre eigenen Unterkünfte gebaut hatten. 800 Festnahmen, bisher 2 Todesopfer bestätigt, nach wie vor Dutzende von "Vermissten". Was die Bewohner des Parque Oeste Industrial "Sonho real" (wahrer Traum) genannt hatten, wurde nicht nur für sie zum wahren Alptraum: für Wagner Silva Moreira, 21 und Pedro do Nascimento da Silva, 27, ist jeder Traum ausgeträumt. Zwei weitere Schwerverletzte liegen noch mit Schusswunden im Krankenhaus, einer davon hat eine Kugel im Rückgrat.

23.Februar 2005: die Planierraupen arbeiten ohne Pause

"Das Ziel scheint zu sein, die Vertreibung zu einem simplen Fakt zu machen" - so sagt es am Telefon Maria Lourdes Pereira von einer Menschenrechtsgruppe in Goiânia. Und: "Besitz wird geschützt, sonst nichts". Die Fristen, die die Polizei und der (auch für die Todesopfer) verantwortliche Richter Gimar Coelho den Vertriebenen für die Abholung ihrer Sachen gegeben haben, waren einerseits ohnehin zu kurz, zum anderen hatten die gerade besseres zu tun - und schliesslich werden sie von den Behörden selbst nicht eingehalten. Schlusstrich ziehen ist die aktuelle Politik - aus den Medien ist das Thema bereits wieder verschwunden (vielleicht besser so - siehe unten). Und wenn alles planiert ist, wer soll da noch nach Körpern suchen? Oder überhaupt nach irgendwelchen Beweisen? Zumal das Gelände die gesamte Zeit abgesperrt ist.

Die Besitzerfamilie hatte zwar seit 30 Jahren nicht nur nichts mit oder auf dem Land unternommen, sondern auch lange Jahre keine Grundsteuern bezahlt: aber es ist ja ihr "Eigentum". Der Präfekt Iris Resende - dessen Wahlkampf nicht zuletzt von zahlreichen Unternehmen der Grundstückdealer gesponsort worden war, hatte in den Tagen nach dem 16.Februar versprochen, jetzt werde das Land enteignet, das hatte zunächst auch der Gouverneur - und als schon gefeiert wurde, wurde das Versprechen (einstweilen?) wieder zurückgenommen...

Die (trotzkistische) PSTU veröffentlichte im Internet eine Liste der Spender des Präfekten-Wahlkampfs, die mir auch ohne Übersetzung verständlich erscheint: Unidas Lançamento Imobiliários LTDA, Alfa Center Imóveis LTDA, Leonardo Rizzo Imobiliárias LTDA, Recanto do Bosque Emp.Imobiliários LTDA, Guardiã Adm. Imobiliária Ltda, Construtora Moreira Ortence Ltda, Engel Engenharia e Construções Ltda/ Tropical Imóveis Ltda, TCI-Tocantins Construtora e Incorporação, Dinâmica Engenharia Ltda, Construtora Norberto Odebrech S.A., FGR-Construtora S.A., Egesa Engenharia S.A, Arca-Arnaldo Campos Empresa Imobiliária, Vega Engenharia Ambiental - neben den ganzen Dealern mit beschränkter Haftung (für die Todesopfer ihrer Politik würden sie bestimmt keine Verantwortung übernehmen wollen) sei gesagt, dass die erwähnte Firma Odebrech zum grössten brasilianischen Geschäftsimperium der Industrie gehört.

Die Versprechungen des Präfekten Resende sind so viel wert, wie die von Marconi Perillo, Gouverneur des Bundestaates Goiás, dessen Hauptstadt Goiânia ist - der hatte noch wenige Tage vor dem Massaker versprochen, es werde keinesfalls gewaltsam geräumt...ab 22.Februar vertritt er, die Vertriebenen müssten ein anderes Gelände bekommen, was sie aber nicht wollen.

Etwas "wert" dagegen sind die Äusserungen des Befehlshabers der Militärpolizei-Aktion, der im Fernsehen noch am 17.Februar die Mittel angemessen und die Aktion "erfolgreich" nannte.

Nicht nur die lokale Presse, die ganzen bürgerlichen Medien Brasiliens scheinen regelrecht auf diese Aussage hin orchestriert gewesen zu sein. Nun ist mensch in einer Medienlandschaft, in der der grösste Konzern - (TV) Globo ein Produkt der Freundschaft des obersten Militärdiktators mit einem relativ armen Journalisten namens Marinho ist, allerhand gewohnt - aber üblicherweise werden bei solchen blutigen Aktionen wenigstens ein paar Tage lang Krokodilstränen vergossen. Diesmal nicht: lokal wie national wurde die Aktion von den "Medienschaffenden" gefeiert.

Eben "Recht und Ordnung" wiederhergestellt - weswegen die Besetzer und Bebauer auch als Vagabunden, Kriminelle usw bezeichnet werden und die ganze Siedlung als eine Gefahr für Leib und Leben der Bürger. Führende Unternehmen und "Bürger" der Stadt Goiânia haben in der Lokalpresse riesige Anzeigen geschaltet, in denen der Militärpolizei für ihren Einsatz gedankt wird...

Widerstand regt sich...

Neben der Nationalen Föderation der Anwohnervereinigungen, den diversen Organisationen der Landlosen - allen voran deren wichtigste, die MST - und zahlreichen anderen Organisationen hat auch die zuständige Pastorale der katholischen Kirche ihren Protest ausgedrückt und nimmt, wie auch diverse Gewerkschaften an einem örtlichen Komitee teil, das sich am 20.Februar 2005 gegründet hat, und dessen Ziel es ist den Hergang der Ereignisse ebenso aufzudecken, wie dafür einzutreten, dass das Gelände endgültig enteignet wird, ihr Sachen den Vertriebenen wieder zurückgegeben werden. Auch im ganzen Land haben sich viele empört - aber kaum etwas davon ist in die Medien vorgedrungen. So wenig wie von der grossen Protestdemonstration am 23.Februar in Goiânia, zu der sich die Messe des siebten Todestages für die beiden aufgefundenen Todesopfer entwickelte. Es gab noch mehrere kurzfristig anberaumte Demonstrationen - und schon beim Begräbnis der beiden Opfer wurden spionierende Zivilpolizisten verjagt.

Der Menschenrechtsbeauftragte der Regierung, der PT - Abgeordnete Nilmário Miranda aus Belo Horizonte, war zwar - nach dem Verbrechen - am Ort, wusste aber keine wesentlichen Schritte zu verkünden. Was ihm persönlich und der Regierung viel Kritik einbrachte, natürlich nicht von den "wichtigen" Menschen im Lande.

Nun ist es klar, dass die vor Ort handelnden Personen Mitglieder der PMDB und PSDB (des Lula-Vorgängers Cardoso) sind und nicht die PT. Aber: Wie bei vielen solcher tödlichen Aktionen war auch hier im Vorfeld klar geworden, dass etwas Blutiges "in der Luft lag" - was in der Regel den PT Kritikern ausreicht, der Regierung wg Untätigkeit Mitschuld zuzuschreiben. Wenn ich das bewerten soll, wäre ich da vorsichtiger - denn in vielen Städten und erst recht in zahllosen ländlichen Gebieten liegt etwas "in der Luft" und ich kann mir eigentlich kaum vorstellen, da ernsthaft überall präventiv tätig werden zu können. Es sei denn: politisch bzw gesellschaftlich.

Exkurs Pará

In der gleichen Woche des Massakers von Goiânia - innerhalb von 8 Tagen nach dem Mord an einer US-amerikanischen Missionarin - wurden im nördlichen, fernen Bundesstaat Pará 4 Landarbeitergewerkschafter erschossen. Sie alle standen auf angekündigten Todeslisten - von denen in jenem Bundesland nach Presseangaben mindestens sieben verschiedene halböffentlich zirkulieren. Hier hat die Bundesregierung Lula die Armee hingeschickt - und auch wenn es in Brasilien das Sprichwort vom Bock und dem Gärtner so nicht gibt, erinnert es doch stark daran. Die Militärpolizei von Pará tat dann auch noch während der Mordserie kund, sie verfolge als erste Spur Streitigkeiten innerhalb der Gewerkschaften. Wogegen selbst die (recht einflusslose) Zivilpolizei protestierte...

An welche Wurzeln?

Ich denke eher, man kann - und muss - der Regierung Lula einen anderen, wie ich finde, weitergehenden Vorwurf machen, der allerdings auch von der radikaleren Linken Brasiliens kaum vertreten wird. Wenn man von einer Koalitionsregierung mit konservativen Kräften auch sicher keine revolutionären Maßnahmen erwarten kann: unter jenen praktischen Schritten, die eine Regierung, die den Willen zur Veränderung verträte, unternehmen müsste, wäre die Behandlung der Frage der Militärpolizei ein ganz zentraler. Oder anders gesagt: Eine Politik, die auf die Auflösung dieser Organisation zielt.

Das wäre durchaus ein "an die Wurzeln" gehen, das auch ohne Systemveränderung, für die es ernsthaft keine Stimmung gibt, möglich wäre. (Stattdessen haben sich vor zwei oder drei Jahren viele Linke beeilt, den Streik der Militärpolizei, die mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen wollten, zu unterstützen - was diese keineswegs daran gehindert hat, nach dem - teilweise erfolgreichen - Streik weiter draufzuhauen).

Wie auch kritisiert werden kann und muss, dass gerade die Landfrage im riesigen Bundestaat Pará (nach Amazonas der zweitgrösste), wie übrigens auch in Goiás - ebenfalls einer der grossen Flächenstaaten (aus dem Großgrundbesitzer ihren eigenen neuen Bundesstaat Tocantins "herausgeschnitten" haben) - nur über eine wirkliche und offensive Landreform gelöst werden kann, die den Grossgrundbesitzern die Grundlagen ihrer Macht (u.A.: Geld) entzieht. Stattdessen wird eine Politik der gentechnisch ausgeweiteten Exportförderung betrieben - die als Folge hat, dass diese reaktionärsten Schichten Brasiliens als "Agrarunternehmer" neu auftauchen. Und für sie, wie für das ganze Bürgertum ist eben die "Eigentumsfrage" weder theoretisch noch strategisch, sondern von heute und sofort zu lösen - deswegen der Jubel um die Mordaktion von Goiânia, damit das abschreckende Beispiel Schule mache.

Die Gruppen der Opfer der Militärdiktatur und ihre "politischen Ableger" wie "Tortura nunca mais!" (Nie wieder Folter) sind weitgehend die einzigen Gruppierungen, die bisher solche Ansätze (gegen Militärpolizei und Armee) vertreten und versuchen sie zu verbreiten.

(Helmut Weiss am 24.Februar 2005, aus Belo Horizonte, ca 700 KM vom Tatort entfernt)


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