Home > Internationales > Brasilien > Gewerkschaften und Arbeitskämpfe > cuthelmut
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Spaltung der CUT: Massenströmung oder Parteipolitik ?

Am 31.Oktober 2004 erschien die zweitgrösste konservative Tageszeitung Brasilien "O Estado de Minas" mit einer für Sensationen reservierten Schlagzeilengrösse: "Gewerkschaften brechen mit der CUT" (Sindicatos rompem com a CUT) - mit der wesentlichen Aussage bisher hätten Gewerkschaften mit insgesamt 600.000 Mitgliedern den Gewerkschaftsbund CUT verlassen - wegen dessen Unterordnung unter die Politik der PT Regierung.

Nun kann sicherlich über Zahlen gestritten werden - und über die Absichten konservativer Medien sowieso (zumal einer Zeitung, die selbst so dunklen Figuren wie dem ewigen Verteidiger der Militärdiktatur, Senator Jarbas Passarinho ihre Spalten öffnet) - konkret betrachtet, ist es eher eine "Gemengelage": in einem Bundesstaat ist es zwar die Mehrheit der Gewerkschaften, aber die Minderheit der Gewerkschaftsmitglieder (da die grossen Gewerkschaften nicht mitmachen) die den Schritt tun, die CUT zu verlassen, anderswo ist es gerade mal eine 51 Prozent Mehrheit, die für die eine oder andere Seite entscheidet. Und 600.000 Mitglieder wären immerhin ca 8% der gesamten CUT-Mitgliedschaft, die immer noch der grösste Gewerkschaftsbund der "südlichen Hemisphäre" ist.

Was an landesweit politisch einflussreichen Gewerkschaften bleibt sind zwei: zum einen die auch LabourNet LeserInnen bekannte Metallergewerkschaft von São José (General Motors unter anderem, siehe die Solidaritätsaktion mit dem Streik bei Opel Bochum), die die CUT bereits verlassen hat und zum zweiten die landesweite Gewerkschaft der LehrerInnen im höheren Unterricht, die ANDES, die über diesen Schritt auf ihrem kommenden Kongress beraten wird, nicht nur, weil sie mit 70.000 Mitgliedern innerhalb der CUT eine der grossen Gewerkschaften ist, sondern auch, weil sie den Kampf gegen die Rentenreform der Lula-Regierung sehr entschlossen und mit bedeutender Mobilisierungskraft geführt hat.

Dass die Regierung Lula - auch (oder gerade) wenn man berücksichtigt, dass es eine breite Koalitionsregierung ist, mit nicht unwesentlichem konservativen und reaktionärem Einfluss - eine nachgeradezu unglaublich schlechte Zwischenbilanz aufweist, ist unbestritten. Die ganzen Gegenreformen im sozialen Bereich aufzuzählen (auch wenn die Bedingungen andere sind) ist überflüssig - jede/r kennt sie von der Riege um Schröder und Co, es ist dieselbe Ideologie, ist es doch auch im Kern derselbe Kapitalismus. Die brasilianische Rentenreform war hier nur der erste Schritt - gegenwärtig gibt es das Projekt "Universitätsreform" von dem nicht nur ANDES und die Studentenvereinigungen sagen, es sei ein Projekt der völligen Privatisierung aller Universitäten.

Dass es innerhalb der CUT eine - im nationalen Rahmen - Mehrheitsströmung ("Articulação", die ihrerseits wiederum Fraktionierungen aufweist) gibt, die in der Tat stramm "PT treu" ist, ist eine schlichte Tatsache - schliesslich stellt diese Strömung auch einige Riester, bzw Minister. Auch deren Argumente für die PT wiederzugeben, erscheint gegenüber einer deutschen gewerkschaftlich auch nur etwas erfahrenen LeserInnenschaft überflüssig: "Man muss halt eine realistische Einschätzung der Partei haben", um nur mal ein (transnationales) gängiges Argument zu nehmen, dass durch seine weite Verbreitung nicht klüger wird, und natürlich das ewige Übel propagiert, das kleinere eben.

Nun gehört zum brasilianischen Bild dazu, zwei Fakten zu beachten: zum einen das Gesetzesprojekt "Gewerkschaftsreform" das zum einen die (von allen zu bezahlenden) Gewerkschaftssteuer abschaffen soll und zum zweiten die organische nationale Gewerkschaft ermöglichen bzw erleichtern - sprich Gewerkschaften etwa nach deutschem Muster. Ein "nettes" Flugblatt der Kritiker war betitelt "Não queremos ficar Verwaltungsstelle" (Wir wollen keine Verwaltungsstelle werden, sondern politisch eigenständige Gewerkschaft bleiben), schon vom Begriff her durchaus als bürokratisches Konstrukt verstanden. Der zweite Faktor ist, wie überall, die zunehmende Informalisierung der Arbeit, die nicht nur in Brasilien - bisher? - die Gewerkschaften und ihr Reaktionsvermögen zu überfordern scheint - der (viel zu niedrig angesetzte) vom Statistischen Bundesamt (IBGE) angegebene Prozentsatz an "informell Beschäftigten" ist in den letzten 10 Jahren von 25,1 auf 36,2 Prozent angestiegen, was bedeutet: Mitgliederschwund.

Nun ist die Bildung einer neuen Zentrale ausserhalb der CUT eine Konsequenz, die auch unter Kritikern der CUT Politik sehr umstritten ist - die neue "Conlutas" erscheint vielen als ein reines Parteiprojekt der trotzkistischen PSTU, die traditionell in der Gewerkschaftsbewegung regional durchaus einflussreich ist.

Gründe, eine neue Gewerkschaft zu bilden gibt es - wie ich versucht habe anzudeuten - durchaus (wenngleich - noch? - viel weniger als etwa in Deutschland). Der jüngste Streik bei den Banken hat auch gezeigt, dass es dort eine Situation gab, die von Linken oft vorausgesetzt bzw angenommen wird aber durchaus nicht immer zutrifft: Dass die Mitgliedschaft die Gewerkschaftsvorstände zum Streik "getrieben" hat.

Andrerseits zeigt sich am politischen Masstab gar nichts einer Entwicklung nach links: weder die (von aus der PT ausgeschlossenen Abgeordneten usw) neugegründete PSOL (die bei den Kommunalwahlen im Oktober 2004 noch nicht kandidieren konnte) hat besonders regen Zulauf, noch konnte gar die PSTU bei den Kommunalwahlen die Stimmenzahl des "erweiterten Freundeskreises" überwinden.

Das legt erst einmal die Vermutung nahe, dass die Konsequenz aus der Kritik, nunmehr eine eigene Zentrale zu gründen bisher erst parteipolitische Festlegung ist. Die meisten KritikerInnen bleiben einstweilen in der CUT - was weder für die einen noch gegen die anderen spricht, sondern reiner Fakt ist.

Die weitere Entwicklung wird - meine Meinung - davon abhängen, wie sich grosse Gewerkschaften, wie eben etwa die ANDES entscheiden werden. Das Argument jedenfalls, man dürfe um der Einheit der Gewerkschaften (die in Brasilien ohnehin nicht gegeben ist - was aber, wie auch andere Länder zeigen, im Gegensatz zum deutschen rituellen Glauben keineswegs eine Schwächung bedeuten muss) keine neuen organisatorischen Schritte unternehmen wirkt nicht - denn solche Schritte unternehmen, auf verschiedene Weise, alle Seiten in dieser Auseinandersetzung.

Helmut Weiss

der gerne andere Meinungen zur Kentniss nehmen würde

 


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang