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Updated: 18.12.2012 15:51
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Der 9. CUT-Kongress: Keine "Gnade" für die Opposition

Ob die Zeit in Brasilien reif ist bzw war, eine neue Gewerkschaftsorganisation zu gründen, müssen letztlich diejenigen beurteilen, die es getan haben - und ist ohnehin eine andere Debatte, da sie ja auf diesem Kongress nicht mehr anwesend waren. Dass es jedenfalls keine gute Zeit ist, innerhalb der CUT einen oppositionellen Kurs zu steuern, mussten jene erfahren, die es weiterhin versuchen. Ein Kongress, der vor allem damit befasst war - bis in die Personalentscheidungen hinein - seine Wahlstrategie zu definieren, um PT-Lulas Wiederwahl zu garantieren (und wir werden in diesem Überblick konsequent darauf verzichten die Argumentation "Übel, aber kleiner" zu behandeln, da nun gerade dies der deutschen LeserInnenschaft sattsam bekannt sein dürfte). Ein Kongress, der auf die Satzung pochte, um keine oppositionelle Minderheit im Vorstand haben zu müssen. Eine Gesprächsrunde - mit Delegierten und anderen - "Gnadenloser Kongress" vom Juli 2006.

Gnadenloser Kongress

An dem Gespräch über den CUT-Kongress in einer Belohorizontiner Vorortkneipe nahmen 4 KollegInnen teil, die unterschiedlichen Gewerkschaftsströmungen angehören. Ziel des Gesprächs war es vor allem, einen Überblick darüber zu erhalten, wie die diversen politischen Strömungen diesen Kongress beurteilen. Antonio Rezende de Oliveira ist langjähriger Funktionär der Bankgewerkschaft und gehört der CUT-Mehrheitsströmung Articulação an (die sich am besten mit der DGB-Mehrheitsströmung vergleichen lässt); Pedro Arturo Santos gehört der Lehrergewerkschaft von Belo Horizonte an, die die CUT verlassen hat und sich der Conlutas angeschlossen; Monica Aparecida Simões ist Metallgewerkschafterin und gehört der Klassengewerkschaftsströmung CSC an (dem PC do B nahestehend), Aguinaldo Pereira schliesslich gehörte lange Zeit der (mit der Articulação verbündeten) CSD an - jene Strömung die mit den trotzkistisch orientierten Kräften verbunden ist, die sich entweder noch in der PT befinden oder aber zur Neugründung PSOL gegangen sind.

Was haltet ihr davon, dass das Hauptthema des Kongresses in Wirklichkeit die Positionierung der Gewerkschaften in bezug auf die Regierung Lula bzw ihre Wiederwahl war und - beispielsweise - das programmatische Dokument weitaus weniger diskutiert wurde?

Antonio Oliveira: "Ich finde das sowohl richtig als auch notwendig, schliesslich ist die Frage der Regierung die zentrale gesellschaftliche Frage für die nächsten vier Jahre. Und alles, was als politische Alternative zur Lula-Regierung auftritt ist ausgesprochen neoliberal - Alckmin (PSDB) mag zwar persönlich nicht der Mann von Fernando Henrique Cardoso sein, politisch ist er es aber auf jeden Fall".

Pedro Santos:"Das ist ja wohl die pure Heuchelei - als ob Lula nicht neoliberal wäre. Wo sind denn irgendwelche Unterschiede zu sehen? Die PT hat alle Kräfte, die gegen den Neoliberalismus waren, herausgedrängt und all jene, die in Korruptionsaffären verwickelt waren, drin gelassen. Dass der Gewerkschaftsverband eine solche Regierung unterstützt, zeigt nur, wie tief er gesunken ist".

Monica Simões:"Das heisst ja geradezu alles übersehen, was übersehen werden kann, nichts gelten lassen zu wollen, was die Regierung gemacht hat. Es wird eine Wahl gegen Rechts sein, und da muss Farbe bekannt werden".

Aguinaldo Pereira:"Ich finde, hier ist wirklich eine Versammlung von Parteisprechern, alle wiederholen nur, was schon immer gesagt wurde von ihren Organisationen. Ich persönlich bin aus der PT ausgetreten und zur PSOL, weil dort die Tradition der PT fortgesetzt wird, die diese nicht mehr erlaubt, wie spätestens der Ausschluss von Heoisa Helena gezeigt hat. Wenn aber die PSOL sich darauf beschränlt, nur zu wiederholen, was einst die PT war, dann wird das auch keine Zukunft haben, auch wenn Heloisa jetzt in den Umfragen bei 10% der Wahlabsichten liegt. Klar finde ich auch, dass eine Gewerkschaft, die ja nicht nur irgendwie Position bezogen hat, sondern sich ausdrücklich darauf verpflichtet, den Wahlkampf mitzutragen, ihre Unabhängigkeit aufgibt - und da helfen Bausteine oder sonstige Mittel, um Eigenständigkeit zu beweisen gar nichts, das sind doch nur Simulationen".

Antonio:"Ich finde, ihr solltet euch dessen bewusst sein, dass ihr die politische Rechte unterstützt, wenn ihr eigene Kandidaturen macht, fertig".

Pedro:"Als ob die politische Rechte nicht in dieser Regierung drin wäre, das ist ja wohl unverschämt, da muss man ja nur bis zum jetzigen Vizepräsidenten schauen..."

Ich wollte mit meiner Frage eigentlich keine Wahldebatte initiieren, sondern vielmehr wissen, wie ihr die Sache mit der Eigenständigkeit der Gewerkschaftsbewegung seht. Deswegen stelle ich beispielsweise auch nicht die Frage nach der Wahl des Vorsitzenden, weil ich denke, da gibt es in diesen Fragen keinen wesentlichen Unterschied. Lasst mich also andersherum fragen: Was waren die Fragen, deren Debatte ihr vermisst habt?

Aguinaldo:"Nun als erstes fällt mir ein, in einem Land wie unserem, dass eigentlich an zentraler Stelle stehen müsste der Mindestlohn - und ich glaube nicht, dass die Erhöhung auf 350 Reais (etwa 125 Euro, bei grösserer Kaufkraft) eine spürbare Verbesserung bringt. Aber das ist natürlich eine Frage, die weit über die Betriebsgrenze hinausgeht und da haben brasilianische Gewerkschafter aller Strömungen traditionell Schwierigkeiten, das bleibt meist bei Resolutionen und dann Gesprächen mit der Regierung."

Monica:"Ich finde, man muss anerkennen, dass diese Regierung den Mindestlohn deutlich angehoben hat, das kann man doch nicht einfach in Abrede stellen, oder?"

Aguinaldo:"Darum geht es nicht, sondern darum, dass nach Kaufkraft der Mindestlohn vor 10 Jahren bei rund 500 Reais lag und das ist weit entfernt und das war eine Grundforderung vieler gewesen".

Pedro:"Ich meine, man muss sehen, dass ohne eine starke Bewegung in den Betrieben auch keine starke Bewegung für einen würdigen Mindestlohn bestehen kann. Deswegen muss zuerst in den Betrieben eine kämpferische Gewerkschaftspolitik durchgesetzt werden, danach kommen die anderen Bereiche".

Antonio:"Ausserdem muss man sehen, dass die Regierung über Bolsa Familia und Erziehungsreform einiges unternommen hat um die Lage der ärmsten bevölkerungsteile zu verbessern, das kann doch nciht in Abrede gestellt werden".

Pedro:"Das kann man aber sehr wohl anzweifeln, nein: man muss es, denn es stimmt ja nicht, was Du sagst - die Universitätsreform privilegiert doch nur die Privatisierung, deswegen hat sich die ANDES (Unigewerkschaft) doch von der CUT getrennt, oder nicht?"

Monica:"Ich finde, die Mehrheit der organisierten Studenten und Studentinnen unterstützt die Universitätsreform, das kann doch nicht abgetan werden".

Aguinaldo:"Na ja, Du sprichst von der UNE (Studentenverband), die ist doch von eueren Leuten majorisiert, die vollziehen doch Partei- also Regierungspolitik".

Jetzt sind wir vom Mindestlohn zur Erziehungsreform gekommen, dann lasst uns gleich weiterspringen: Die CUT tut sich leicht, George Bush zu kritisieren wegen der Besatzung des Irak, der Bedrohung des Iran. Ebenso wenn es um Israel im Libanon und Gaza geht. Aber wenig ist zu hören - auf dem Kongress schon gar nicht, wenn es um brasilianische Soldaten auf Haiti geht - warum?

Pedro:"Das ist doch klar, da hört die Eigenständigkeit auf, da geht es ans Eingemachte, kein Wort, wie in den bürgerlichen Medien".

Monica:"Das ist doch ein Unterschied, Brasilien verfolgt in Haiti doch keine imperialen Ziele!"

Aguinaldo:"Ich finde, Brasilien verfolgt in ganz Lateinamerika imperiale Ziele und das Verlangen nach einem Sitz im Sicherheitsrat der UNO ist davon deutlichster Ausdruck - ein "Reformschritt" den auch Indien und Deutschland je für sich wollen und alle mit imperialen Zielen".

Antonio:"Die CUT war lange Zeit die einzige Gewerkschaft, die die UNT in Venezuela unterstützt hat, wenn das auch ein imperiales Ziel ist, dann bitte..."

Pedro:"Und wo ist die Unterstützung für die COB in Bolivien, die fordert, was Morales nicht macht, die Ölkonzerne, also auch den Riesen Petrobras zu verstaatlichen?"

Aguinaldo:"Ja, Unterstützung der UNT gab es - aber keinen echten Vorstoß in der lateinamerikanischen IBFG-Filiale, das auch zu tun, denn diese ORIT unterstützte ja stets ihr Mitglied, die reaktionäre CTV, das gehört auch dazu".

Lasst mich abschliessend fragen, wie ihr das seht, dass - meiner Meinung nach - die CUT heute schon lange jene Rolle verloren hat, die sie einst als Pol gesellschaftlicher Opposition und sozialer Bewegungen hatte: Stimmt das und wenn ja oder nein, warum?

Antonio:"Ich sehe da keine wesentliche Veränderung - die CUT ist dieser Pol geblieben, schau Dir nur die Maikundgebungen in den Grosstädten an, eine Million in São Paulo hatten wir noch nie".

Pedro:"Ja mit Grossverlosungen und Musikstars, schöne Mobilisierung. Es ist doch kein Zufall, dass es keineswegs nur in der Gewerkschaftsbewegung neue Strömungen und Organisationen gibt, die aus der Kritik der regierungsnähe traditioneller Formationen entstanden sind, das ist doch nciht nur die Conlutas".

Monica:"Ich finde, jedes Mittel ist recht und die Força hat das auch gemacht, also warum nicht die CUT?"

Pedro:"Ja, da könnt ihr euch auch gut zusammentun".

Aguinaldo:"Ich sehe schon wieder jeden "Ich,ich" rufen bei Deiner Frage, das ist auch traurig. Ich glaube, es gibt heute keinen solchen Pol, und der entsteht auch nicht aus einem Willensakt. Selbst die MST ist ein solcher Pol nicht. Und wer sich um die Regierung gruppiert, schon gar nicht".

(Die Fragen stellte hrw, der Mitschnitt allen vorher zur Kentniss gebracht)


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