letzte Änderung am 27. Oktober 2003 | |
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Die politische Auseinandersetzung in Bolivien nach dem Sturz Losadas und dem Amtsantritt des vorherigen Vize Carlos Mesa drehen sich ganz zentral um die Alternativen: Konstitutionalismus oder neue Demokratie. Der Hintergrund dieser Auseinandersetzung ist bei Kenntniss einiger zentraler Entwicklungspunkte bolivianischer Geschichte schnell zu verstehen. Mehrfach in den letzten 50 Jahren gelang es der Volksbewegung Putsch-Regierungen zu stürzen. Diese - militärischen - "Golpistas" hatten sich jeweils gegen die Regierungen aus diversen Kombinationen des MNR (Nationalrevolutionäre Bewegung), des COB (Gewerkschaftsföderation) und der linken Parteien wie etwa KP Boliviens oder der (trotzkistisch orientierten) POR (Revolutionäre Arbeiterpartei) erhoben. Lange hielten sie sich nicht, denn die Kraft der Bewegung war im Bolivien der 50er Jahre sehr stark.
Die Bewegung gegen Sanchez Losada aber war die erste, die sich gegen einen gewählten Präsidenten richtete. Von daher hat jene Richtung - wie sie die MAS (Bewegung zum Sozialismus) vertritt, viel Anhang, die auf Einhaltung der Verfassung plädiert, da es ja nicht ums System, sondern nur um den - korrupten - Amtsinhaber gegangen sei. "Einhaltung der Verfassung" war eben eines der traditionellen Argumente in den Bewegungen gegen die diversen (Militär) Diktatoren gewesen.
Dies geschah vor dem aktuelleren Hintergrund einer veränderten politischen Landschaft. Spätestens seit den 60er Jahren war die MNR immer weiter ins rechte Politikspektrum gerückt, und auch die MIR (Bewegung der revolutionären Linken) war "seriös" geworden und hatten dabei beide einen (unterschiedlich starken) Niedergang erlebt, der darin mündete, dass MNR Minister als Juniorpartner Sanchez Losadas fungierten. Die MIR - die beispielsweise in jenem El Alto den Bürgermeister stellt, das das Zentrum des Widerstands (und der brutalen Unterdrückung) gewesen ist (und auch jetzt das "Laboratorium der Zukunft") - spielte in dem ganzen Prozess im Oktober 2003 nur noch eine beinahe passive, auf jeden Fall negative Rolle. Was dazu führte das - Sinnbild der Krise - José Luis Paredes, eben Bürgermeister von El Alto aus seiner Partei, dem MIR austrat.
Etwas verkürzt gesagt, könnte man die These vertreten, dass die MAS das "Erbe" diverser Volksparteien der Vergangenheit angetreten hat - eben auch, was den Konstituionalismus betrifft. Die im bolivianischen Volk breit - aber offensichtlich minderheitlich - vertretene Forderung nach einer "Asamblea Constituyente" (verfassungsgebende Versammlung) wird von der MAS demzufolge nicht abgelehnt, sondern (wie schon vorher) einstweilen für das Jahr 2007 (!) vorgesehen. Diverse wichtige radikale Strömungen wie die "Gas-Koordination" fordern ihre Einberufung innerhalb von sechs Monaten.
Die erste Verlautbarung der MAS nach Mesas Amtsübernahme beinhaltete die Aussage, 80 Prozent seiner Regierungserklärung seien "MAS-Inhalte" gewesen. Nachdem schon in den ersten Tagen von Mesas Amtszeit der Unternehmerverband eine grosse Kampagne "für die Einhaltung von Verträgen" - Stichwort Gasvertrag - organisierte, hat Mesa denn auch bereits unterstrichen - obwohl ein Referendum versprochen wurde - dass das Gasgeschäft selbstverständlich realisiert werde.
Was die ganze Lage für die herrschende Klasse Boliviens so kompliziert macht, sind zum einen die vielen neuen Organisationen und politischen Strömungen, die vor oder in dieser jüngsten Bewegung entstanden sind. Und die Veränderung des Gewerkschaftsbundes COB, der nach langen Jahren politischer Sterilität mit dem Wahlsieg der Linken auf dem nationalen Kongress im April 2003 und seinen folgenden Aktivitäten wieder zu einem Pol und einer einflussreichen Kraft geworden ist. Diese neuen Gruppierungen und die COB sind die Hauptvertreter der schnellen Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung.
Helmut Weiss
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