letzte Änderung am 10. Juli 2003 | |
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Trotz Generalstreik hat die österreichische Regierung ihr Paket zum Rentenklau durchgezogen. Doch die Stimmung ist nicht niedergeschlagen. Zum ersten Mal seit 50 Jahren hat es im Land einen Generalstreik gegeben; die Gewerkschaften bereiten sich auf weitere Auseinandersetzungen im Herbst vor und eröffnen damit die Möglichkeit, über eine erfolgreiche Kampftaktik zu diskutieren. Angela Klein interviewte für die SoZ JOHANN SCHÖGLER, einen Lehrer aus Graz, der aktiv an den Streiks und Aktionen beteiligt war.
Der ÖGB hat am 3.Juni zu einem ganztägigen Streik gegen den geplanten Rentenklau aufgerufen, und eine Woche später noch einmal zu einem landesweiten Aktionstag anlässlich der Lesung im Parlament. Was ist das Ergebnis?
Johann Schögler: Bereits am 6.Mai fanden in ganz Österreich mehr als 10000 Aktionen statt, an denen sich rund 500000 Menschen beteiligten; es waren vor allem mehrstündige Abwehrstreiks, Straßensperren und Betriebsversammlungen gegen den massiven Pensionsklau. Eine Woche später, am 13.Mai organisierte der ÖGB (Österreichischer Gewerkschaftsbund) die größte Demonstration seit seiner Gründung 1955. In Wien versammelten sich über 200000 sehr entschlossenen Demonstranten, die aus Betrieben des gesamten Bundesgebiets angereist waren. Am 3.Juni fand ein 24-stündiger Abwehrstreik statt, an dem sich über eine Million Lohnabhängige beteiligten, allerdings meist passiv, weil nur ganz wenige Straßenaktionen vorgesehen waren. Für den Tag der Abstimmung im Parlament, den 11.Juni, hatte der ÖGB keine Aktionen vorgesehen.
Das erklärte Streikziel des ÖGB war, dass die Regierung die Abstimmung nicht im Juni, sondern erst Ende September durchführen sollte, damit die Öffentlichkeit in der Zwischenzeit über verschiedene Gegenkonzepte diskutieren könne. (80% der Bevölkerung unterstützten diese Meinung.) Dieses Streikziel wurde nicht erreicht. Ein weiteres, unausgesprochenes Streikziel war die Wiederanerkennung der Gewerkschaft als echter Verhandlungspartner in der Sozialpartnerschaft, die von der Regierung und der Wirtschaft vor drei Jahren aufgekündigt worden war. Hier gibt es einen Teilerfolg, weil die Regierung die Gewerkschaft bereits für den nächsten »Reform«schritt die Angleichung aller Pensionssysteme zum Runden Tisch eingeladen hat.
Warum ließ sich die Regierung von den Mobilisierungen nicht stärker beeindrucken?
Bundeskanzler Schüssel wusste, dass es nach dem 3.Juni keine Steigerung der gewerkschaftlichen Aktionen geben würde. Die größte Schwäche war, dass der sehr bürokratisch funktionierende ÖGB keine mehrtägigen Streiks vorgesehen hatte, bei denen eine Urabstimmung für einen unbefristeten Streik hätte durchgeführt werden können. Weil es in Österreich seit fünf Jahrzehnten keine breite Streikerfahrung mehr gibt, hatten sich an der Basis auch keine Streikkomitees gebildet, und es konnte sich keine unvorhersehbare Dynamik entwickeln, die zu radikaleren Kampfmaßnahmen geführt hätte. So konnte die Regierung getrost dem Ende des 24-stündigen Streiks entgegensehen. Indem sie die für den 18.Juni vorgesehene Beschlussfassung im Parlament auf den 11.Juni vorverlegte, kam sie der langsam agierenden Gewerkschaftsbürokratie zuvor.
Wie sieht das Gesetzespaket der Regierung jetzt aus?
Der ÖGB sieht es als einen Teilerfolg der Protestaktionen an, dass die Regierung die Abschaffung der Frühverrentung auf längere Zeit verschoben und die meisten Kürzungsmaßnahmen mit einer Obergrenze von 10% versehen hat. Kernpunkte der Renten»reform« sind: das Auslaufen der Frührenten 2017; die Ausdehnung des Berechnungszeitraums für die Rentenhöhe von den besten 15 auf die besten 40 Jahre; sowie die Senkung des Steigerungssatzes. Letzteres hat zur Folge, dass die Höchstrente nach dem ASVG (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz) künftig erst nach 45 (bisher 40) Beitragsjahren erreicht wird.
Die Aufrufe des ÖGB wurden breit befolgt, weil die Unzufriedenheit auch im Lager der ÖVP und der FPÖ groß ist. Wenn die regierungsnahen Gewerkschaftsführer, die zugleich im Parlament sitzen, nun umgefallen sind, welche Konsequenzen hat dies für die innergewerkschaftliche Situation?
Der Vorsitzende der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD), Fritz Neugebauer Vizepräsident des ÖGB und einziges schwarzes Präsidiumsmitlied (für die FCG, die Fraktion Christliche Gewerkschafter), der für die ÖVP als Abgeordneter im Parlament sitzt hat am 11.Juni für das Rentengesetz gestimmt, obwohl er im Präsidium des ÖGB zuvor für die Verschiebung der Abstimmung auf September gestimmt hatte. Er rechtfertigte dies mit den erreichten Zugeständnissen und Abfederungen. Unter Beschuss kommt Neugebauer jedoch nicht nur seitens der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG), auch ÖGB-Vorsitzender Verzetnitsch forderte ihn auf, sich zu entscheiden, ob er Vertreter der ÖVP oder der Beschäftigten sein möchte. Rudolf Nürnberger (der Vorsitzende Metallergewerkschaft) hofft, dass Neugebauer im Oktober beim ÖGB-Kongress nicht mehr wiedergewählt wird. Aber auch Christgewerkschafter kritisieren Neugebauers Verhalten als Vertrauensbruch.
Waren die Aktionen umsonst? Wie ist die Stimmung jetzt?
Es war das erste Mal, dass nicht nur am Grünen Tisch über die Betroffenen hinweg verhandelt wurde, und dass sich Millionen Menschen mit dem Rentenproblem auseinandersetzten. Durch die Aktionen fand ein erster Bewusstseinsprozess statt, in dem so etwas wie ein Klassenbewusstsein sichtbar wurde.
Die Aktionen haben auch zu einer Veränderung der politischen Landschaft beigetragen. Haider hatte sich vehement gegen die Streiks geäußert; vielen Arbeitern, die ihn wenn auch aus Protest gewählt hatten, wurde jetzt klar, auf welcher Seite er steht. Haider will so schnell wie möglich wieder den Parteivorsitz in der FPÖ übernehmen. Die Streiks haben zu einer schnelleren Annäherung zwischen FPÖ und ÖVP über den endgültigen Gesetzestext geführt.
In der Wählergunst hat die ÖVP 10 Prozentpunkte eingebüßt. Bei Neuwahlen würde Rot-Grün derzeit 53% erreichen, ÖVP/FPÖ 45%. SPÖ und Grüne konnten mit ihrer Kritik an dem Gesetz zwar punkten, sie wurden jedoch durch die Aktionen des ÖGB in den Hintergrund gedrängt, wodurch sich der ÖGB ein eigenes Profil unabhängig von der SPÖ geschaffen hat.
Sowohl der ÖGB als auch die Oppositionsparteien hatten es vermieden, das Thema Kapitalbesteuerung zur Finanzierung der Renten ins Spiel zu bringen. Auch ein von der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA/ FSG) erstelltes Modell, das genau diese Finanzierungsvariante vorsieht, blieb in der Schublade. Wohl aus wahltaktischen Gründen. Die SPÖ hatte gehofft, dass die Regierung die Abstimmung im Parlament nicht überleben werde und dass es zu Neuwahlen käme. Diese Taktik zeugt noch von dem engen Verhältnis zwischen SPÖ und der sozialdemokratischen Fraktion im ÖGB. Die SPÖ hatte sich für die Aktionen des ÖGB ausgesprochen, ist jedoch als Partei bei den Mobilisierungen nicht in Erscheinung getreten; auch das ist ein Novum in Österreich.
Österreich hat ein besonderes Modell der Sozialpartnerschaft. Es bedeutet nicht nur die Koppelung der Gewerkschaftsführungen an die Sozialdemokratie, sondern ebenso eine enge Zusammenarbeit zwischen SPÖ und ÖVP innerhalb der Gewerkschaften. Hat dieses Modell durch die jüngsten Mobilisierungen Risse bekommen?
Das Modell existiert wegen der neoliberalen Angriffe schon seit drei Jahren nicht mehr, es ist von oben aufgekündigt worden. Die Streiks haben der Regierung und den Unternehmern gezeigt, dass die Gewerkschaften mobilisierungsfähig sind. Die Regierungsparteien hatten damit gerechnet, dass der ÖGB gar nicht in der Lage sein würde, derartige Streiks oder Demonstrationen auf die Beine zu stellen. Der ÖGB seinerseits muss erst wieder soweit kommen, dass er als Verhandlungspartner anerkannt wird.
Gibt es in der Gewerkschaft eine Diskussion über die Streikführung?
Nicht wirklich. Diese Form der Protestwelle wurde ausgehandelt zwischen dem gemäßigten ÖGB-Vorsitzenden Verzetnitsch (FSG/SPÖ), dem radikaleren Flügel der GPA, der Eisenbahner und der Metaller, die mehr Druck ausübten und auch vom Generalstreik sprachen, und dem sehr gemäßigten, aber mit gebremstem Schaum mitmachenden Flügel der Christlichen (FCG), den der GÖD-Vorsitzende Neugebauer repräsentiert. Die Basis selber inkl. der Christlichen drückte sich vor allem durch radikale Resolutionen aus, in denen sie Kampfmaßnahmen von der Gewerkschaftsführung forderte.
Zu einem Streikplan, der zu einer echten Kraftprobe zwischen der Arbeiterschaft und der Regierung hätte führen können, kam es aufgrund dieses Kompromisses nicht. Von der Basis her konnte er sich nicht entwickeln, weil es keine Selbstorganisation gibt; somit konnte auch keine überbetriebliche Vernetzungsstruktur entstehen, die die Umsetzung der Resolutionen selbst in die Hand genommen hätte. Vielerorts waren Losungen »Alle in den Streik« oder »Generalstreik« zu sehen mehr oder weniger als Appell an die ÖGB-Führung, einen solchen zu organisieren.
Weil die Aktionsform so ein Kompromiss war, gibt es auch keine grundsätzliche Diskussion über die Art der Streikführung an den einzelnen Streiktagen. Jetzt wird es vielmehr darum gehen, mit welchem Drehbuch der ÖGB in die nächste Kraftprobe im Herbst gehen muss, damit er nicht als einflussloser Koloss in der Auseinandersetzung untergeht. Inzwischen ist auch der ÖGB-Spitze klar, dass die konservative Regierung nicht nur die neoliberalen Projekte so rasch wie möglich durchziehen will, sondern auch die Gewerkschaft in diesem Zusammenhang kalt zu stellen versucht.
Wie sind die Perspektiven für Herbst?
Der ÖGB-Vorsitzende erklärte in einem Brief an alle GewerkschafterInnen nach dem 11.Juni, er nehme die Abstimmung im Parlament zur Kenntnis, möchte die Inhalte aber weiter bekämpfen. Die Gewerkschaft will über die Lohnrunde im Herbst das zusätzlich herausholen, was durch die Renteneinbußen verloren geht. Der Gewerkschaftskongress im Oktober wird die Weichen für eine radikalere Verteidigung der Arbeiterinteressen stellen müssen.
Die Regierung hat angekündigt, dass sie mit Januar 2004 die Vereinheitlichung der verschiedenen Rentensysteme in Kraft treten lassen möchte. Die FPÖ fordert dazu eine Volksabstimmung. Bundeskanzler Schüssel ist strikt dagegen. Haider könnte Vizekanzler werden, was Schüssel wiederum nicht will. Das bedeutet unstabile Verhältnisse.
SPÖ-Vorsitzender Gusenbauer würde die Reform nicht zurücknehmen, sondern abändern. Die SPÖ wird dem Entschließungsantrag von ÖVP/FPÖ zur Schaffung eines einheitlichen Rentenrechts für alle Erwerbstätigen nicht zustimmen. Die Gewerkschaft kündigt aufgrund zahlreicher Anregungen der Basis die Ausarbeitung eines eigenen Rentenmodells an. Wenn es schon keinen heißen Herbst geben wird, so ist spätestens um die Jahreswende die nächste größere Auseinandersetzung zu erwarten.
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