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Updated: 18.12.2012 15:51
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Einige Überlegungen zum G20-Gipfel in Seoul (11./12. November 2010)

Schon der Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist interessant: es bleibt wieder einmal ziemlich gleichgültig, ob dieser G20-Gipfel stattgefunden hat oder nicht, denn ein paar Ergebnisse standen ohnehin schon fest - und an der großen "Lage" hat sich für die Weltwirtschaft nichts geändert, da eine spezifische Grundhaltung von den Haupthandelnden jede weitere gründsätzliche Übereinkunft verhinderte.

Wie soll man diese Grundhaltung von der zur Zeit vor allem Deutschland als große Wirtschaftsmacht - ergriffen war, kennzeichen? Wir könnten mit dem Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman aus den USA externer Link einfach feststellen: "But what we´re seeing worldwide right now is an inability to think clearly about econonomics" - aber vielleicht ist das für viele doch zu "unverständlich", dass sie einfach nichts verstehen. So werde ich versuchen "begrifflich" einfach etwas weiter auszuhohlen.

"Idiot zu sein, bedarf es wenig"

So lasst mich einfach ganz weit zurückgehen, denn bei den alten Griechen finde ich eine Begrifflichkeit, dir mir auf unseren Sachverhalt zu passen scheint. Die alten Griechen fassten in dem Verbum zu "Privatmann ("Idiot") sein" alles einschlägige zusammen: es bedeutet nämlich einerseits "für sich allein handeln". Klar soweit kann jeder "Westler" folgen - nichts anderes hat ja die "herrschende Ökonomie" und ihre Ideologie gepredigt. Nur die alten Griechen hatten aus der politischen Entwicklung ihrer Zeit gleich eine Erfahrung in dieses Verbum eingebracht, von der unsere "Heutigen" noch so meilenweit entfernt sind - aber warum nicht von den alten Griechen wieder etwas lernen. Für die Griechen bedeutete nämlich dieses "für sich allein handeln" auch gleichzeitig "unwissend sein".

Für sich allein handeln, heißt also unwissend sein. Der deutsche Wirtschaftsweise Peter Bofinger meint externer Link, die deutsche Regierung handele "authistisch", das zielt zwar auf das Gleiche hinaus, aber die griechische Wortwahl bleibt für mich einfach präziser - einerseits dieses vielleicht durchaus eine allgemeine Wertschätzung genießende "für sich allein handeln", aber dann dieses "unwissend sein".

Man muss dazu wissen, dass die griechische Gesellschaft unter dem Begriff der "Isonomie" eine starke Demokratisierung erreicht hatte. Die klare Abwehr der übermächtigen Perser (Marathon und Salamis) waren u.a. das stolze Ergebnis dieses Fortschrittes für die Menschheit. (Siehe Meier, Athen - auch Schloemann, SZ)

Der große antike Philosoph Aristoteles hatte diesen Fortschritt folgendermassen zusammengefasst :!"Immer sind es die Schwächeren, die nach Gleicheit und Gerechtigkeit streben. Und immer wieder kommen sie institutionell ins Ziel; im Namen der Gerechtigkeit erreichen sie Gleichheit. Damit aber eine solche Forderung in breiteren Schichten wirkungsvoll genug verfochten wird, muss sie tief eingegraben sein in deren Überzeugungen und vor allem in das, was sie diesen Überzeugungen gemäß als ihr Interesse ansehen. Dann entsteht jene Kraft, die zugleich andere, inbesondere ambitionierte Politiker und Intellektuelle dazu ringt, sich an ihnen zu orientieren".

Vor diesem politischen Hintergrund haben wir diese präzise Wortschöpfung der Griechen zu begreifen - sie wußten also, was sie damit genau meinten.

Soweit also diese begriffliche Klärung mit den alten Griechen, die mich veranlasst bei den betreffenden Stellen immer den Refrain einzu"bauen": Idiot zu sein, bedarf es wenig und wer Idiot ist, scheint ein König (immer mit der bloß einzelwirtschaftlichen Brille der allseits dafür bekannten
"schwäbischen Hausfrau").
Nach dieser allgemeinen Klärung also zurück zur aktuellen weltwirtschaftlichen Lage zu Seoul.

Der Rückblick: Ein heftiger Kratzer im "New-Deal-Helden- Bild" von Roosevelt

1933 - Londoner Wirtschaftskonferenz: Im Juni 1933, drei Monate und wenige Tage nach der Amtseinführung von Roosevelt, versammelten sich die Führer der wichtigsten Industriestaaten jener Zeit zusammen mit etlichen anderen in London, um zu überlegen, was mit Hilfe gemeinsamer oder verabredeter Massnahmen getan werden konnte, um zu lindern, was sich inzwischen als weltweite Krise erwiesen hatte.

Und Roosevelt beendete diese Konferenz, bevor sie richtig beginnen konnte, indem er erklärte, Nationen und insbesondere die Vereinigten Staaten seien selbst für ihre Zukunft verantwortlich. Sie würden davon durch internationale Vereinbarungen oder Absprachen nicht zurückgehalten.
(Galbraith,Geschichte,S. 127 ff.)
So wurden die dreißiger Jahre Zeuge zur Rückkehr zum älteren gewalttätigeren Nationalismus, obwohl der Industriekapitalismus bis dahin im Kern schon ein internationales System war.
Refrain: "Idiot zu sein, bedarf es wenig....

Nach dem zweiten Weltkrieg: Der Versuch eines Neuanfanges. "Das System von Bretton Woods"

Schon bei den Verhandlungen von "Bretton Woods" 1944 legte Keynes Wert auf einen Ausgleich der ökonomischen Ungleichgewichte, die nur in einem gewissen "Zielkorridor zugelassen sein sollten. Darüberhinaus sollten Strafen fällig werden. Da die USA damals ein Export-Überschussland war - und es diese Position sich nicht einschränken lassen wollte, kam der Vorschlag von Keynes nicht zum Zuge.
"Idiot zu sein, bedarf es wenig....

In den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts unterspülte die Spekulation das System der festen Wechselkurse von Bretton Woods und beendete es damit - wieder mit Unterstützung der USA, die sich davon einen ökonomischen Vorteil versprachen. Mit dem Dollar als Leitwährung und dem sog. "Washington Consensus" in den verbleibenden Bretton Woods Institutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds ließ sich die Weltwirtschaft im Interesse der USA leicht in den "Griff bekommen"

Das Auflehnen der Europäer - mit dem Euro

Nach dem Zusammebruch von Bretton Woods übernahmen immer mehr die Spekulanten die Macht. Um dieser Irrationalität Herr zu werden, gründeten die Europäer die Europäische Währungsunion. Seit die USA das Festwechselkurssystem von Bretton Woods Anfang der Siebziger Jahre aufgekündigt hatten, weil sie nicht bereit waren, sich an seine Spielregeln zu halten, herrschte am Devisenmarkt die große Währungsunordnung. Die hektischen Auf- und Abwertungen von Lira, Franc und D-Mark machten den Europäern rasch klar, dass ihr Wirtschaftsraum, soll er zusammenwachsen, feste Wechselkurse braucht. Mit einer Währungsunion, die die härteste Form fester Wechselkurse ist, macht man der Devisenspekulation den Garaus.

Das war der eine Grund für den Euro - aber es gab noch einen weiteren: Es schwang noch etwas anderes bei der Schaffung des Euro mit. Der Euro sollte einen gewissen Schutz vor der Ausbeutung durch die Weltleitwährung gewähren. In keinem Satz kommt die Nonchalance der Weltwährung besser zum Ausdruck als in dem des US-Finanzministers John Connally aus den siebziger Jahren: "Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem". Auch damals lebten die Amerikaner über ihre Verhältnisse und finanzierten den Vietnamkrieg mit Geld, das ihnen vornehmlich die Europäer liehen. Aber den Wechselkurs von 4,20 D-Mark je Dollar sahen die Europäer nie wieder, weil die Amerkaner die Welt mit Dollar fluteten. Je größer jedoch der Wirtschaftsraum, den eine Währung repräsentiert, je liquider die dortigen Finanzmärkte, desto eher bietet sich eine Währung als Alternative zur Leitwährung an - und desto geringer wird der Spielraum der Leitwährung, die anderen Länder auszubeuten. (zu dieser Bedeutung des Euro vgl. Robert von Heusinger im "Parlament" externer Link)

Deutschland profitiert unter dem Dach des Euro - mit Lohndumping

Und dieser Euro wurde so zum einseitigen "Segen" für Deutschland, das sich darauf kaprizierte durch Lohndumping ein extremes Exportwachstum zu erzielen - und so wie die TAZ feststellte externer Link"auf dem Rücken der Lohnabhängigen aus der Krise gekommen ist".

So wird wie schon in fast allen Jahren des letzten Jahrzehnts auch 2010 der Außenbeitrag, also der Saldo der Exporte über die Importe, mit Abstand den größten Beitrag zum Gesamtwachstum in Deutschland erbringen. (zu den "ökonomischen Ungleichgewichten" durch Deutschland siehe z.B. www.nachdenkseiten.de/?p=3877 externer Link)

Nur Heiner Flassbeck sieht in diesem "Weiter-So" der Deutschen in der aktuellen Situation der Weltwirtschaftskrise eine extrem gefährliche Strategie für Deutschland , da in der Zeit nach der Euro-Krise die Welt mit einer Mischung aus Zorn unmd Erstaunen auf Deutschland blickt. Denn in der ersten Phase exorbitanten deutschen Exportwachstums, so zwischen 2002 und 2008, hatte praktisch niemend auf Deutschland geachtet. Deutschland kam in den internationalen Diskussionen um die sogenannten Handelsungleichgewichte überhaupt nicht vor, weil die Eurozone insgesamt ja eine ausgeglichene Leistungsbilanz hatte und zunächst niemand auf die Ungleichgewichte innerhalb der Europäischen Währungsunion achtete (Flassbeck, Marktwirtschaft, S. 54 f.).

Das ist nach der Eurokrise vollkommen anders - und so hat die französische Wirtschaftsministerin Lagarde schon bei der EU interveniert. (www.labournet.de/diskussion/eu/sopo/lohn_bahl.html )

Eine Grafik der für den Wettbewerb so entscheindenen Entwicklung der Lohnstückkosten kann das so anschaulich machen, wie Deutschland mit seiner Politik auf dem Rücken der Lohnabhängigen den anderen preislich davoneilen konnte.
Aber Deutschland hält an seiner Fixierung auf den Außenhandel - auch in Seoul - die derzeit noch gegebene Freiheit des Handels offenbar für ein Naturgesetz. Ob man vor jeder protektionistischen Maßnahme geschützt ist, kann sich schnell als Irrtum erweisen - zumal die deutsche Form des Protektionismus über Lohndumping damit schon einen Anfang gemacht hatte. Und sobald klar ist, wie stark Deutschland auch nach der Krise auf Kosten anderer Länder expandiert, wird in vielen Ländern die Forderung nach Abschottung gegen den übermächtigen Handelsgegner Deutschland aufkommen.

Die USA will ökonomische Ungleichgewichte begrenzen - und Seoul geht aus wie das Hornberger Schießen

Vor dem Seouler G20-Gipfel hatte die USA nun auf den Vorschlag von Keynes zu Bretton Woods zurückgegriffen und wollten eine Begrenzung des Exporte - sowohl der Handelsbilanzüberschüsse wie der -Defizite. Innerhalb einer Bandbreite von vier Prozent der Wirtschaftsleistung eines Landes sollten sie begrenzt werden. Könnte es unter der ökonomisch "ausgleichenden Gewalt" des Euro doch noch zu einer einvernehmlichen Wirtschaftsentwicklung weltweit kommen können, wie sie Keynes vorschwebte?

Nein, dafür ist Deutschland in seiner derzeit noch "sonnigen" ökonomischen Lage auf Kosten der anderen überhaupt noch nicht reif. So blieben den USA erst einmal durch "faktisches" Gelddrucken seine Position zu stärken, was die in Deutschland Regiernden zu ziemlichen Wutausbrüchen veranlasste, denn auf dieser Welt halten wohl nur sie sich für berechtigt, durch wirtschaftspolitische Maßnahmen ihre Position zu verbessern - bei anderen ist das von Übel (= der reduzierte Blick der schon berüchtigten "schwäbischen Hausfrau", die eben nur einzelwirtschaftlich zu denken vermag.)

Heiner Flassbeck externer Link nannte denn auch diese Geldschwemme aus den USA eine "berechtigte Verzweiflungstat" - während Deutschland allen voran wohl meinte, nur ihre Tricksereien zum guten ökonomischen Ergebnis seinen legitim - oder diese seien noch von niemandem bemerkt worden...

Nur die USA hat durchaus noch "Mittel" sich zu wehren. So bleibt noch ein weiter Weg zum "New Deal" für Europa und die Welt!
Und wir können zum Schluß unseren Refrain anstimmen:"Idiot zu sein, bedarf es wenig, und wer Idiot ist, scheint ein König!"

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 13.11.2010


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