Kopenhagen macht dicht
Sammlung bisheriger Berichte aus Kopenhagen von Wolfgang Pomrehn, sie wurden alle veröffentlicht in junge Welt - wir danken dem Autor!
Kopenhagen macht dicht
Zehntausende bei Protesten zum Klimagipfel in Dänemark: Polizei
setzt fast 1000 Demonstranten fest. Entwürdigende Behandlung
Von Wolfgang Pomrehn am 14.12.2009
Bis zu 100000 Menschen aus aller Welt haben am Samstag in Kopenhagen für
effektiven Schutz des globalen Klimas demonstriert. Anlaß war der noch
bis zum Freitag dieser Woche tagende UN-Klimagipfel. Auch in anderen
Ländern gab es angesichts der stockenden Verhandlungen Proteste, die
größten in Australien. In Sydney, Melbourne, Canberra, Darwin, Adelaide,
Perth, Hobart und Brisbane gingen nach Agenturangaben insgesamt 50000
Menschen auf die Straße. Der Radiosender ABC berichtet auf seiner
Internetseite sogar von 90000 Teilnehmern allein in der Hauptstadt
Canberra und 40000 in Melbourne.
Am Rande der Kopenhagener Großemonstration kam es zu
Auseinandersetzungen zwischen einigen militanten Klimaschützern und der
Polizei. Diese hatte allerdings schon im Vorfeld Dutzende Personen»vorbeugend« festgenommen. Auch in Dänemark können Beamte inzwischen
ohne konkreten Vorwurf potentielle Demonstranten für bis zu zwölf
Stunden festsetzen. Insgesamt wurden am Samstag fast 1000 Menschen
festgenommen. Ein erheblicher Teil von ihnen wurde ab 15.30 Uhr auf
offener Straße eingekesselt. Mehrere hundert mußten stundenlang bei
Temperaturen von knapp über null Grad ausharren. Zudem wurden sie auch
noch gezwungen, sich mit auf den Rücken gefesselten Händen auf den Boden
zu setzen. Nach Angaben des Klima-Justice-Netzwerks wurde ihnen bis in
die Abendstunden hinein der Zugang zu Toiletten, Essen und Wasser
verweigert. Gegen 19.45 Uhr seien die ersten zusammengebrochen. Schon ab
18 Uhr habe man Journalisten Zugang zu dem Gebiet verweigert. Die
Einkesselung habe weder im zeitlichen noch räumlichen Zusammenhang mit
den vorherigen Zusammenstößen gestanden. Eine Polizeisprecherin erklärte
auf Mediennachfrage, 955 der insgesamt 968 Festgenommenen seien in der
Nacht zu Sonntag wieder »entlassen« worden. Dafür wurde bei einer Aktion
am Sonntag 200 weitere Demonstranten festgesetzt.
Im dänischen Fernsehsender TV2 erklärte Helga Matthiassen nach ihrer
Freilassung am Samstag: »Natürlich sind wir wütend -- überall auf der
Welt empören sich Menschen darüber, daß sie von Regierungen belogen
werden. Denn diese machen aus den Klimaverhandlungen ein
Wirtschaftsabkommen. Wenn wir dagegen unseren Protest auf die Straße
tragen, werden wir willkürlich festgehalten. (...) Uns wurde nicht nur
unser Recht auf freie Meinungsäußerung verwehrt, sondern mit dieser
aberwitzigen Polizeiaktion wurden auch unsere Menschenrechte mißachtet.
Es scheint so, als hätte die dänische Polizei ein neues Motto: Warum
Demonstranten nur kriminalisieren, wenn wir sie auch entmenschlichen
können?«
Aus Deutschland waren zirka 1500 Menschen zur Demonstration nach
Kopenhagen gefahren. In vielen Norddeutschen Städten wurden Busse
organisiert. Aus Niedersachsen fuhr ein Sonderzug. Die Proteste sollen
in dieser Woche, in der die Verhandlungen in ihre heiße Phase treten,
weitergehen. Am Dienstag wird es einen Landwirtschaftsaktionstag geben,
an dem die Bedrohung der Welternährung durch den Klimawandel im
Mittelpunkt steht. Für Mittwoch planen die radikaleren Teile der
Bewegung, auf das Konferenzgelände vorzudringen und dort eine
»Versammlung der Völker« abzuhalten.
Die Themen Landwirtschaft und Ernährungssicherung spielten am Sonntag
auch auf dem Alternativgipfel eine zentrale Rolle, zu dem sich einige
tausend Aktivisten aus aller Welt im Zentrum Kopenhagens versammelt
haben. Die indische Publizistin, Atomphysikerin, Feministin und
Umweltschützerin Vandana Shiva stellte ein Manifest gegen den
Klimawandel vor. Auch die kenianische Friedensnobelpreisträgerin Wangari
Maathai sprach zu den Versammelten. Mulu Alem Birhane, Bauer aus Äthiopien, schilderte, wie zunehmend häufiger auftretende Dürren ihm das
Leben schwer und das Wirtschaften fast unmöglich machen. Anna Filippini
aus Uruguay berichtete, wie in ihrem Land und im benachbarten Brasilien
Eukalyptusplantagen Bauern und zum Teil die eingesessene indigene
Bevölkerung verdrängen, die Umwelt schädigen und demnächst eventuell
auch noch als Klimaschutzmaßnahmen besonders gefördert werden könnten.
Blockade
Streit um die Zwei-Grad-Grenze -- Tuvalu erzwingt Verhandlungspause
Von Wolfgang Pomrehn vom 14.12.2009
Das hat es noch nicht gegeben: Vertreter des Inselstaates Tuvalu haben
am Freitag und Samstag die Verhandlungen des UN-Klimagipfels in
Kopenhagen blockiert. Gemeinsam mit der AOSIS, der Gruppe der kleinen
Inselstaaten, hatten die Diplomaten des 11000-Einwohner-Landes
gefordert, die globale Klimaerwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem
vorindustriellen Niveau zu beschränken. Die Mehrheit der Länder will die
Grenze hingegen eher bei zwei Grad Celsius ziehen.
Für Tuvalu, die Malediven und andere Inselstaaten könnte das jedoch
bereits den Untergang bedeuten, wie auch der Vorsitzende des
UN-Klimarates auf der Konferenz deutlich machte (siehe Spalte). Tuvalus
höchster Punkt liegt derzeit fünf Meter über dem Meeresspiegel, die
Malediven ragen im Schnitt nicht mehr als zwei Meter aus dem Wasser. Ein
Anstieg von einem Meter kann da schon leicht den Untergang bedeuten,
denn mit steigenden Pegelständen nimmt auch die Gewalt der Sturmfluten
zu, die nicht nur zerstörerisch wirken, sondern auch
Trinkwasserreservoirs versalzen können, womit die betroffenen Inseln
schlagartig unbewohnbar wären.
Nach der Ablehnung des AOSIS-Vorschlags hatte der Vertreter Tuvalus auf
seinem Recht bestanden, eine Unterbrechung der Plenumsverhandlungen zu
verlangen. Nun muß erst in einer Kontaktgruppe, einer Art
Vermittlungsausschuß, ein Kompromiß gefunden werden. Bei
jW-Redaktionsschluß am Sonntag war noch nicht klar, wie die
Verhandlungsblockade beendet werden könnte. Informell gehen die
Gespräche allerdings weiter, und am Wochenende trafen bereits zahlreiche
Umweltminister ein, was für die Klimagipfel sehr ungewöhnlich ist. Zudem
haben sich ab Mittwoch über 100 Staats- und Regierungschefs angekündigt.
Der AOSIS-Vorstoß war auch von der Mehrheit der Entwicklungsländer
abgelehnt worden. Das Problem: Das globale Klima hat sich gegenüber dem
vorindustriellen Niveau bereits um etwa 0,8 Grad Celsius erwärmt. 1,5
Grad Celsius würden es aller Voraussicht nach auch dann noch werden,
wenn die Treibhausgas-Emissionen sofort gestoppt werden könnten, denn
das Klimasystem reagiert nur mit Verzögerung auf den Anstieg der
isolierenden Spurengase in der Atmosphäre. Ein 1,5-Grad-Ziel würde also
auch Schwellenländer wie Brasilien, Südafrika oder China unter
erheblichen Druck setzen. Die meisten afrikanischen Staaten haben
hingegen die AOSIS-Forderung unterstützt.
Ansonsten ist das Lager der Entwicklungsländer jedoch weitgehend
geschlossen und viel aktiver als sonst. Chinas Ministerpräsident Wen
Jiabao hatte am Freitag mit seinen Amtskollegen in Indien und Brasilien
telefoniert, um noch einmal die gemeinsame Strategie abzustimmen.
Indiens Umweltminister Jairam Ramesh sagte am Samstag der Indian Times,
daß er gute Chancen für einen gemeinsamen Vorschlag mit den
afrikanischen Staaten sehe. Zu den wichtigen Forderungen der
Entwicklungsländer gehören neben einer deutlichen Verminderung der
Treibhausgase in den Industrieländern um 40 Prozent eine ausreichende
Ausstattung des Fonds, mit dem Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel in
Entwicklungsländern finanziert werden sollen.
Die Industriestaaten zeigen jedoch nach wie vor wenig Bewegung. Am
Mittwoch goß US-Chefunterhändler Todd Stern reichlich Öl ins Feuer,
indem er in einem Zeitungsinterview äußerte, die Industriestaaten würden
vielleicht für den Klimawandel die historische Verantwortung tragen,
aber einen Anspruch auf Reparationen gebe es nicht. Die USA würden auf
keinen Fall für China zahlen. Sterns chinesischer Kollege Yu Qingtai
machte daraufhin klar, daß es nicht um Geld für sein Land gehe, sondern
darum, daß die reichen Staaten ihren Verpflichtungen nachkommen. Die
bolivianische Delegationsführerin Angélica Navarro kritisierte, daß die
USA und andere Industrieländer auf ein neues Abkommen dringen und das
alte nicht fortschreiben wollen: »Was passiert mit dem Kyoto-Protokoll?
Wird es eliminiert? (...) Und zielt das neue Abkommen am Ende darauf ab,
daß wir Entwicklungsländer zu Finanzierungs-, Bekämpfungs- und
Anpassungsmaßnahmen verpflichtet werden? Sollen wir etwa die Schäden
bezahlen, die andere verursacht haben?«
Unterdessen hat der neue Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) am
Sonntag in einem Radiointerview demonstriert, wie wenig er von
Klimaschutz hält. Deutschland brauche als »Übergangstechnologie« neue
Kohlekraftwerke. Aber der Widerstand gegen die extrem klimaschädlichen
Neubaupläne wächst in der Bevölkerung. Am Freitag gab der dänische
Konzern Dong Energy bekannt, daß er nun doch kein Steinkohlekraftwerk in
Lubmin bei Greifswald bauen wolle. Zwei Tage zuvor hatte EnBW das Aus
für sein im niedersächsischen Dörpen geplantes Kraftwerk verkündet.
Damit erhöht sich die Zahl der in diesem Jahr in Deutschland durch
Proteste verhinderten Kraftwerke auf mindestens fünf.
14.12.2009
Die Folgen des Klimawandels
Dokumentiert. Aus der Rede des Vorsitzenden des UN-Klimarates
(IPCC), Rajendra Pachauri, in Kopenhagen
Auf der Basis des letzten Sachstandsberichts [des IPCC] wissen wir, daß
der Klimawandel, wenn es keine Gegenmaßnahmen gibt, zu folgendem führt:
1. Verschwinden des Meereises in der zweiten Hälfte des 21.Jahrhunderts.
2. Häufigeres Auftreten von Hitzewellen und schweren Niederschlägen.
3. Zunahme der Intensität tropischer Wirbelstürme.
4. Abnahme der Frischwasserressourcen (...)
5. Mögliches Verschwinden des grönländischen Eisschildes, was zu einem
Anstieg des Meeresspiegels um sieben Meter führen würde. (...)
6. Etwa 20 bis 30 Prozent der bisher untersuchten Arten hätten bei einem
Anstieg der globalen Temperatur von 1,5 bis 2,5 Grad Celsius ein
erhöhtes Risiko, auszusterben.
7. (...) Forschungsergebnisse legen nahe, daß es in vielen Regionen eine
signifikante Zunahme schwerer Regenfälle geben wird. (...)
Wahrscheinlich werden 2080 20 Prozent der Weltbevölkerung, das könnten
mehr als zwei Milliarden Menschen sein, im Einzugsgebiet von Flüssen mit
erhöhtem Hochwasserrisiko leben. In Afrika werden voraussichtlich schon
2020 zwischen 75 und 250 Millionen Menschen von Wasserknappheit
betroffen sein. In einigen afrikanischen Ländern könnte der
landwirtschaftliche Ertrag um 50 Prozent abnehmen.
(...) Wir haben in unserem Bericht klargemacht, daß die globalen
Emissionen spätestens 2015 ihren Höhepunkt erreichen müssen, wenn die
Erwärmung auf zwei bis 2,4 Grad Celsius beschränkt werden soll. Das sind
nur noch sechs Jahre. Und einige könnten sogar dieses Zwei-Grad-Ziel in
Frage stellen, denn das würde letztlich allein durch die wärmebedingte
Ausdehnung des Wassers zu einem Meeresspiegelanstieg von 0,4 bis 1,4
Metern führen. Wird der Effekt des schmelzenden Schnee und Eises
hinzugerechnet, dann könnten einige kleine Inselstaaten und Bangladesch
untergehen. (wop)
Tiefe Gräben
In Kopenhagen beginnen die Schlußverhandlungen um Folgeabkommen zum
Klimaschutz. Positionen liegen noch immer weit auseinander
Von Wolfgang Pomrehn vom 07.12.2009
Zehntausende Menschen haben am Wochenende in zahlreichen deutschen
Städten sowie in London, Brüssel, Glasgow, Dublin, San Sebastian,
Stockholm, Bordeaux, Marseille und in Paris für mehr Klimaschutz
demonstriert. Anlaß der Proteste war die diesjährige, am heutigen Montag
in Kopenhagen beginnende UN-Klimakonferenz. Diese Beratungen finden
jährlich statt, aber diesmal geht es sozusagen um die Wurst. Ein
Nachfolgevertrag für das Kyoto-Protokoll soll ausgehandelt werden. In
der japanischen Stadt hatten sich 1997 (und danach) zahlreiche
Industriestaaten verpflichtet, den Ausstoß sogenannter Treibhausgase zu
senken und so die Erderwärmung zu begrenzen.
Geldfrage
Mehr als 100 der rund 190 teilnehmenden Staaten werden diesmal durch
ihren Staats- oder Regierungschef vertreten sein. Brasiliens Präsident
Luis Inácio »Lula« da Silva will kommen, Chinas Premier Wen Jiabao,
Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama. Letzterer
hat am Samstag angekündigt, daß er nun doch erst am 18. Dezember, dem
letzten Tag der Konferenz, kommen wird, dann wenn die Verhandlungen in
ihrer heißen Schlußphase sind. Das ist ein Hinweis darauf, daß sich
hinter den Kulissen nun doch eine Einigung anbahnt.
Danach hatte es in den letzten Monaten nicht ausgesehen. Vor zwei Jahren
hatten die 192 Mitgliedsstaaten der Klimarahmenkonvention einen
Verhandlungsfahrplan verabschiedet, an dessen Ende die Konferenz in
Kopenhagen steht. Die Gespräche sind allerdings nicht recht
vorangekommen. Die Regierungen in Europa und Nordamerika haben auf die
großen Schwellenländer wie China und Indien gezeigt. Diese haben
wiederum darauf verwiesen, daß das Problem bisher fast ausschließlich
von den Emissionen der reichen Länder verursacht wird.
Zuletzt hatten US-Vertreter und verschiedene europäische Regierungen,
darunter die deutsche und die gastgebende dänische, erklärt, in
Kopenhagen werde es noch keine Einigung auf einen neuen Vertrag geben.
Die Entwicklungsländer halten jedoch daran fest, daß ein Vertrag
herauskommen muß. Unter anderem haben das Ende November Indien,
Brasilien, Südafrika und China auf einem gemeinsamen Strategietreffen in
Peking deutlich gemacht.
Worum geht es im einzelnen? Es fängt schon bei der Frage an, welcher
Vertrag abgeschlossen werden soll. Die Entwicklungsländer wollen, daß
das Kyoto-Protokoll fortgeschrieben wird. 189 Länder haben es
ratifiziert, allerdings nicht die USA. Diese versuchen daher hartnäckig
einen ganz neuen Vertrag durchzusetzen. Strittig ist auch die Geldfrage.
Klar ist bisher, daß es einen Fonds für Entwicklungsländer geben soll,
aus dem die vom Klimawandel angerichtetn Schäden und Vorbeugemaßnahmen
bezahlt werden. Die EU sträubt sich eine konkrete Zahl für ihren Beitrag
zu nennen. 100 Milliarden jährlich wären nach ihrer eigenen Einschätzung
nötig, aber die Gemeinschaft will, wie es aussieht, nur einen kleinen
Bruchteil dieser Summe beisteuern. Die Bundesregierung will ihren
Beitrag zudem mit der Entwicklungshilfe verrechnen. Im Augenblick sieht
es danach aus, daß der Fonds nur für die Inselstaaten und die ärmsten
Länder zur Verfügung stehen wird und mit zehn Milliarden US-Dollar
jährlich bestückt wird.
Weit auseinander
Dritter großer Streitpunkt ist die Verminderung der
Treibhausgasemissionen. Die Wissenschaftler des UN-Klimarates IPCC
sagen, daß der weitere Anstieg der Emissionen im kommenden Jahrzehnt
aufgehalten und diese danach zügig reduziert werden müssen. Die
Industriestaaten, so die Klimaexperten, müßten, um das zu erreichen,
ihren Ausstoß bis 2020 um 25 bis 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren.
Eine Forderung, die von vielen Entwicklungsländern aufgegriffen wurde.
Die EU bietet bisher nur 20 Prozent an, ist aber bereit, auf 30 Prozent
zu gehen,wenn andere mitziehen. Japan bietet mit ähnlichem Vorbehalt 25
Prozent an. Die USA versuchen sich mit Zahlentricks. Präsident Obama
spricht von 17 Prozent, bezieht sich aber auf 2005. Korrekt müßte er
Null Prozent sagen, denn er will die Emissionen bis 2020 so weit
reduzieren, daß die USA wieder das 1990er Niveau erreichen.
Die Positionen liegen also noch immer weit auseinander. Um den Druck zu
erhöhen haben Indien, Brasilien und China in den letzten Wochen
erstmalig zum Teil erhebliche Selbstverpflichtungen abgegeben. China
will zum Beispiel bis 2020 für jeden Euro seiner Wirtschaftsleistung nur
noch etwas mehr als halb soviel Treibhausgas emittieren wie 2005. Ob das
gereicht hat, werden wir in zwei Wochen wissen, aber eines ist sicher:
Die in Kopenhagen beschlossenen Maßnahmen werden bei weitem nicht
genügen einen schwerwiegenden Klimawandel aufzuhalten. Um das zu
erreichen, muß in den kommenden Jahrzehnten der globale
Treibhausgasausstoß um 80 bis 90 Prozent reduziert werden.
Affront mit Ansage
Das wärmste Jahrzehnt seit Beginn der Wetteraufzeichnungen endet mit
einem Eklat bei der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen. War es das etwa
schon?
Von Wolfgang Pomrehn vom 10.12.2009
Auch wenn es das deutschlandweite Schmuddelwetter vielleicht nicht
vermuten läßt: Wir erleben gerade den letzten Monat des wärmsten
Jahrzehnts seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Seit 2001 war jedes
einzelne Jahr wärmer als alle Jahre des 20. Jahrhunderts mit Ausnahme
von 1998. 2009 bildet keine Ausnahme: Die globalen Mittelwerte bis
einschließlich Oktober lassen erwarten, daß es das fünftwärmste in der
globalen Meßreihe werden wird.
So ist es im jüngsten Bericht der Weltmeteorologieorganisation WMO
nachzulesen, herausgegeben pünktlich zum Beginn der UN-Klimakonferenz in
Kopenhagen. Die WMO ist die Dachorganisation von 189 nationalen
Wetterdiensten in aller Welt. Ihr Jahresbericht bietet nicht nur die oft
zitierte globale Mitteltemperatur, sondern auch eine Übersicht über
extreme Wetterereignisse.
Zuletzt hatten Teile der britischen Inseln im November unter extrem
schweren Niederschlägen zu leiden, die Ortschaften in Nordwestenglandüberschwemmten. An einigen Orten waren die Regenfälle die schwersten je
registrierten. Auch viele andere Weltgegenden wie zum Beispiel das
westliche und südliche Afrika oder zuletzt die Philippinen hatten 2009
mit extremen Niederschlägen zu kämpfen.
Bombenfund
Hitzewellen gab es in diesem Jahr unter anderem in Indien, wo im Mai 150
Menschen infolge extremer Temperaturen starben, und in Nordchina.
Spanien erlebte seinen drittwärmsten Sommer nach 2003 und 2005, und auch
Italien stöhnte im Juli bei Temperaturen von bis 45 Grad Celsius. In
Australien entfachte im Januar und Februar eine extreme Hitzewelle
zerstörerische Buschfeuer, die 173 Menschenleben kosteten. In Victoria
kletterte das Thermometer bis auf 48,8 Grad Celsius.
Passend zu den Temperaturen wird der Südosten Australiens seit Jahren
von Dürren heimgesucht, die der Landwirtschaft schwer zu schaffen
machen. Bereits seit neun Jahren regnet es dort unterdurchschnittlich.
Auch in China, in Indien, wo der Monsun extrem schwach ausfiel, in
Kenia, in Mexiko sowie in Teilen der USA und Argentiniens litten die
Ernten erheblich unter fehlenden Niederschlägen.
Eigentlich die richtige Einstimmung für die Verhandlungen über ein neues
Klimaschutzabkommen, die am Montag in Kopenhagen mit Vertretern von 192
Staaten begonnen haben. Heraus kommen soll bis Ende nächster Woche eine
Fortschreibung des Kyoto-Protokolls, das Ende 2012 ausläuft. Die
Widersprüche zwischen den Entwicklungsländern und den Industriestaaten
sind jedoch nach wie vor groß.
Für reichlich Wirbel sorgte am Dienstag ein durchgesickertes Papier, das
die Regierungen Dänemarks, der USA und Großbritanniens erarbeitet haben.
Formell liegt es noch nicht auf dem Verhandlungstisch, aber allein seine
Form macht klar, daß Gastgeber Dänemark, der die Verhandlungen
eigentlich vorantreiben sollte, nicht mehr an deren Erfolg glaubt. Es
handelt sich nämlich um den Entwurf einer Abschlußerklärung, geschrieben
offensichtlich mit dem Ziel, die über 100 Staats- und Regierungschefs,
die nächste Woche in die dänische Hauptstadt reisen, nicht ganz mit
leeren Händen dastehen zu lassen, wenn es keine Einigung über einen
Vertragstext gibt.
Der Text hat es in mehrfacher Hinsicht in sich. Durch die Hintertür
wollen die Autoren offensichtlich das für sie ungünstige Bezugsjahr 1990
abschaffen und statt dessen 2005 etablieren. Sowohl die
US-amerikanischen als auch die dänischen Emissionen sind nämlich trotz
gegenteiliger Verpflichtungen aus den bestehenden Verträgen munter
weiter gewachsen. Deshalb macht es sich für diese beiden Länder
wesentlich besser, wenn sich die Reduktionsverpflichtungen auf ein Jahr
beziehen, in denen ihr Treibhausgasausstoß besonders hoch war.
Aber das ist eher eine technische Spielerei am Rande. Viel
schwerwiegender ist der Umgang mit den Entwicklungsländern. Statt sich
auf das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung zu
beziehen, wie es in der Klimarahmenkonvention für Nord und Süd
formuliert wurde, versucht man es mit Taschenspielertricks. Zunächst
wird zutreffend dargestellt, daß die globalen Emissionen bis spätestens
2020 ihren Höhepunkt überschritten haben müssen. Dann wird jedoch darauf
verwiesen, daß dies für die Industriestaaten bereits der Fall sei, und
versucht, ein Zieldatum einzuführen, zu dem auch der Treibhausgasausstoß
der Entwicklungsländer ihr Maximum überschreiten soll.
Kein Wort davon, daß das Emissionsniveau der reichen Länder natürlich
ungleich höher ist als jenes der Entwicklungsländer. Selbst in China
betragen die Pro-Kopf-Emissionen nur die Hälfte der hiesigen oder ein
Viertel der US-amerikanischen. Eigentlich galt bisher als ein
felsenfester Grundsatz der Klimaverhandlungen, daß im globalen Maßstab
die Emssionen vor allem dadurch in den Griff bekommen werden müssen, daß
die Industriestaaten rasch und einschneidend ihren Treibhausgasausstoß
vermindern, damit die anderen Länder möglichst viel Raum haben, ihre
Entwicklung voranzutreiben.
Als wäre das noch nicht genug, versucht das dänische Papier noch
bindende Beschränkungen der Emissionen für Entwicklungsländer
einzuführen. Das ist nicht nur angesichts dessen, daß viele
Industrieländer wie etwa die USA, Dänemark, Irland, Kanada, Japan oder
Spanien ihre Emissionen weiter gesteigert oder zumindest nicht reduziert
haben, ein unglaublicher Affront. Es ist auch vollkommen klar, daß ein
solcher Ansatz die Verhandlungen sprengt.
Sollbruchstellen
Die Entwicklungsländer haben bisher auf den jährlich stattfindenden
Klimakonferenzen immer wieder klargemacht, daß völkerrechtlich
verbindliche Verpflichtungen für sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht in
Frage kommen. Zuletzt hatten China, Brasilien, Indien und Südafrika,
nach dem sie offenbar schon im Vorfeld von dem dänischen Papier Wind
bekommen hatten, auf einem gemeinsamen Strategietreffen Ende November
deutlich und in den Gesprächen öffentlich die Sollbruchstellen benannt.
Dazu gehörten unter anderem alle Restriktionen für ihre Emissionen. Das
heißt allerdings nicht, daß man in diesen Ländern unbekümmert weiter das
Klima anheizen will. Brasilien, Indien und China hatten jeweils für sich
zuvor angekündigt, die Emissionen künftig begrenzen zu wollen und dafür
auch konkrete Ziele abgesteckt. So will China zum Beispiel 2020 für
jeden Euro an Wirtschaftsleistung nur noch 55 Prozent der Treibhausgase
emittieren, die es 2005 ausstieß.
Auch von den anderen Entwicklungsländern gibt es lauten Protest. Lumumba
Di-Aping, der sudanesische Sprecher von 132 Entwicklungsländern, die in
der »Gruppe der 77 und China« zusammengeschlossen sind, wirft dem Text
Ungerechtigkeit vor. 80 Prozent der Menschheit würden zu weiterem Leiden
verurteilt und alle in den letzten 20 Jahren erabeiteten
Klimaschutzverträge vom Tisch gewischt.
Dänemarks Umweltministerin Connie Hedegaard, die für dieses Papier
mitverantwortlich sein dürfte, wird übrigens demnächst als
Klimaschutzkommissarin der EU eingeschworen. Soviel zum Thema der
angeblichen Vorreiterrolle der Union im internationalen Klimaschutz.
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