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Updated: 18.12.2012 15:51
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Kopenhagen macht dicht

Sammlung bisheriger Berichte aus Kopenhagen von Wolfgang Pomrehn, sie wurden alle veröffentlicht in junge Welt - wir danken dem Autor!


Kopenhagen macht dicht

Zehntausende bei Protesten zum Klimagipfel in Dänemark: Polizei setzt fast 1000 Demonstranten fest. Entwürdigende Behandlung

Von Wolfgang Pomrehn am 14.12.2009

Bis zu 100000 Menschen aus aller Welt haben am Samstag in Kopenhagen für effektiven Schutz des globalen Klimas demonstriert. Anlaß war der noch bis zum Freitag dieser Woche tagende UN-Klimagipfel. Auch in anderen Ländern gab es angesichts der stockenden Verhandlungen Proteste, die größten in Australien. In Sydney, Melbourne, Canberra, Darwin, Adelaide, Perth, Hobart und Brisbane gingen nach Agenturangaben insgesamt 50000 Menschen auf die Straße. Der Radiosender ABC berichtet auf seiner Internetseite sogar von 90000 Teilnehmern allein in der Hauptstadt Canberra und 40000 in Melbourne.

Am Rande der Kopenhagener Großemonstration kam es zu Auseinandersetzungen zwischen einigen militanten Klimaschützern und der Polizei. Diese hatte allerdings schon im Vorfeld Dutzende Personen»vorbeugend« festgenommen. Auch in Dänemark können Beamte inzwischen ohne konkreten Vorwurf potentielle Demonstranten für bis zu zwölf Stunden festsetzen. Insgesamt wurden am Samstag fast 1000 Menschen festgenommen. Ein erheblicher Teil von ihnen wurde ab 15.30 Uhr auf offener Straße eingekesselt. Mehrere hundert mußten stundenlang bei
Temperaturen von knapp über null Grad ausharren. Zudem wurden sie auch noch gezwungen, sich mit auf den Rücken gefesselten Händen auf den Boden zu setzen. Nach Angaben des Klima-Justice-Netzwerks wurde ihnen bis in die Abendstunden hinein der Zugang zu Toiletten, Essen und Wasser verweigert. Gegen 19.45 Uhr seien die ersten zusammengebrochen. Schon ab 18 Uhr habe man Journalisten Zugang zu dem Gebiet verweigert. Die Einkesselung habe weder im zeitlichen noch räumlichen Zusammenhang mit den vorherigen Zusammenstößen gestanden. Eine Polizeisprecherin erklärte auf Mediennachfrage, 955 der insgesamt 968 Festgenommenen seien in der Nacht zu Sonntag wieder »entlassen« worden. Dafür wurde bei einer Aktion am Sonntag 200 weitere Demonstranten festgesetzt.

Im dänischen Fernsehsender TV2 erklärte Helga Matthiassen nach ihrer Freilassung am Samstag: »Natürlich sind wir wütend -- überall auf der Welt empören sich Menschen darüber, daß sie von Regierungen belogen werden. Denn diese machen aus den Klimaverhandlungen ein Wirtschaftsabkommen. Wenn wir dagegen unseren Protest auf die Straße tragen, werden wir willkürlich festgehalten. (...) Uns wurde nicht nur unser Recht auf freie Meinungsäußerung verwehrt, sondern mit dieser aberwitzigen Polizeiaktion wurden auch unsere Menschenrechte mißachtet. Es scheint so, als hätte die dänische Polizei ein neues Motto: Warum Demonstranten nur kriminalisieren, wenn wir sie auch entmenschlichen können?«

Aus Deutschland waren zirka 1500 Menschen zur Demonstration nach Kopenhagen gefahren. In vielen Norddeutschen Städten wurden Busse organisiert. Aus Niedersachsen fuhr ein Sonderzug. Die Proteste sollen in dieser Woche, in der die Verhandlungen in ihre heiße Phase treten,
weitergehen. Am Dienstag wird es einen Landwirtschaftsaktionstag geben, an dem die Bedrohung der Welternährung durch den Klimawandel im Mittelpunkt steht. Für Mittwoch planen die radikaleren Teile der Bewegung, auf das Konferenzgelände vorzudringen und dort eine
»Versammlung der Völker« abzuhalten.

Die Themen Landwirtschaft und Ernährungssicherung spielten am Sonntag auch auf dem Alternativgipfel eine zentrale Rolle, zu dem sich einige tausend Aktivisten aus aller Welt im Zentrum Kopenhagens versammelt haben. Die indische Publizistin, Atomphysikerin, Feministin und
Umweltschützerin Vandana Shiva stellte ein Manifest gegen den Klimawandel vor. Auch die kenianische Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai sprach zu den Versammelten. Mulu Alem Birhane, Bauer aus Äthiopien, schilderte, wie zunehmend häufiger auftretende Dürren ihm das
Leben schwer und das Wirtschaften fast unmöglich machen. Anna Filippini aus Uruguay berichtete, wie in ihrem Land und im benachbarten Brasilien Eukalyptusplantagen Bauern und zum Teil die eingesessene indigene Bevölkerung verdrängen, die Umwelt schädigen und demnächst eventuell
auch noch als Klimaschutzmaßnahmen besonders gefördert werden könnten.


Blockade

Streit um die Zwei-Grad-Grenze -- Tuvalu erzwingt Verhandlungspause

Von Wolfgang Pomrehn vom 14.12.2009

Das hat es noch nicht gegeben: Vertreter des Inselstaates Tuvalu haben am Freitag und Samstag die Verhandlungen des UN-Klimagipfels in Kopenhagen blockiert. Gemeinsam mit der AOSIS, der Gruppe der kleinen Inselstaaten, hatten die Diplomaten des 11000-Einwohner-Landes gefordert, die globale Klimaerwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu beschränken. Die Mehrheit der Länder will die Grenze hingegen eher bei zwei Grad Celsius ziehen.

Für Tuvalu, die Malediven und andere Inselstaaten könnte das jedoch bereits den Untergang bedeuten, wie auch der Vorsitzende des UN-Klimarates auf der Konferenz deutlich machte (siehe Spalte). Tuvalus höchster Punkt liegt derzeit fünf Meter über dem Meeresspiegel, die Malediven ragen im Schnitt nicht mehr als zwei Meter aus dem Wasser. Ein Anstieg von einem Meter kann da schon leicht den Untergang bedeuten, denn mit steigenden Pegelständen nimmt auch die Gewalt der Sturmfluten zu, die nicht nur zerstörerisch wirken, sondern auch Trinkwasserreservoirs versalzen können, womit die betroffenen Inseln schlagartig unbewohnbar wären.

Nach der Ablehnung des AOSIS-Vorschlags hatte der Vertreter Tuvalus auf seinem Recht bestanden, eine Unterbrechung der Plenumsverhandlungen zu verlangen. Nun muß erst in einer Kontaktgruppe, einer Art Vermittlungsausschuß, ein Kompromiß gefunden werden. Bei
jW-Redaktionsschluß am Sonntag war noch nicht klar, wie die Verhandlungsblockade beendet werden könnte. Informell gehen die Gespräche allerdings weiter, und am Wochenende trafen bereits zahlreiche Umweltminister ein, was für die Klimagipfel sehr ungewöhnlich ist. Zudem
haben sich ab Mittwoch über 100 Staats- und Regierungs­chefs angekündigt.

Der AOSIS-Vorstoß war auch von der Mehrheit der Entwicklungsländer abgelehnt worden. Das Problem: Das globale Klima hat sich gegenüber dem vorindustriellen Niveau bereits um etwa 0,8 Grad Celsius erwärmt. 1,5 Grad Celsius würden es aller Voraussicht nach auch dann noch werden,
wenn die Treibhausgas-Emissionen sofort gestoppt werden könnten, denn das Klimasystem reagiert nur mit Verzögerung auf den Anstieg der isolierenden Spurengase in der Atmosphäre. Ein 1,5-Grad-Ziel würde also auch Schwellenländer wie Brasilien, Südafrika oder China unter
erheblichen Druck setzen. Die meisten afrikanischen Staaten haben hingegen die AOSIS-Forderung unterstützt.

Ansonsten ist das Lager der Entwicklungsländer jedoch weitgehend geschlossen und viel aktiver als sonst. Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao hatte am Freitag mit seinen Amtskollegen in Indien und Brasilien telefoniert, um noch einmal die gemeinsame Strategie abzustimmen. Indiens Umweltminister Jairam Ramesh sagte am Samstag der Indian Times, daß er gute Chancen für einen gemeinsamen Vorschlag mit den afrikanischen Staaten sehe. Zu den wichtigen Forderungen der
Entwicklungsländer gehören neben einer deutlichen Verminderung der Treibhausgase in den Industrieländern um 40 Prozent eine ausreichende Ausstattung des Fonds, mit dem Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel in Entwicklungsländern finanziert werden sollen.

Die Industriestaaten zeigen jedoch nach wie vor wenig Bewegung. Am Mittwoch goß US-Chefunterhändler Todd Stern reichlich Öl ins Feuer, indem er in einem Zeitungsinterview äußerte, die Industriestaaten würden vielleicht für den Klimawandel die historische Verantwortung tragen,
aber einen Anspruch auf Reparationen gebe es nicht. Die USA würden auf keinen Fall für China zahlen. Sterns chinesischer Kollege Yu Qingtai machte daraufhin klar, daß es nicht um Geld für sein Land gehe, sondern darum, daß die reichen Staaten ihren Verpflichtungen nachkommen. Die
bolivianische Delegationsführerin Angélica Navarro kritisierte, daß die USA und andere Industrieländer auf ein neues Abkommen dringen und das alte nicht fortschreiben wollen: »Was passiert mit dem Kyoto-Protokoll? Wird es eliminiert? (...) Und zielt das neue Abkommen am Ende darauf ab, daß wir Entwicklungsländer zu Finanzierungs-, Bekämpfungs- und
Anpassungsmaßnahmen verpflichtet werden? Sollen wir etwa die Schäden bezahlen, die andere verursacht haben?«

Unterdessen hat der neue Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) am Sonntag in einem Radiointerview demonstriert, wie wenig er von Klimaschutz hält. Deutschland brauche als »Übergangstechnologie« neue Kohlekraftwerke. Aber der Widerstand gegen die extrem klimaschädlichen Neubaupläne wächst in der Bevölkerung. Am Freitag gab der dänische Konzern Dong Energy bekannt, daß er nun doch kein Steinkohlekraftwerk in Lubmin bei Greifswald bauen wolle. Zwei Tage zuvor hatte EnBW das Aus für sein im niedersächsischen Dörpen geplantes Kraftwerk verkündet. Damit erhöht sich die Zahl der in diesem Jahr in Deutschland durch
Proteste verhinderten Kraftwerke auf mindestens fünf.


14.12.2009

Die Folgen des Klimawandels

Dokumentiert. Aus der Rede des Vorsitzenden des UN-Klimarates (IPCC), Rajendra Pachauri, in Kopenhagen

Auf der Basis des letzten Sachstandsberichts [des IPCC] wissen wir, daß der Klimawandel, wenn es keine Gegenmaßnahmen gibt, zu folgendem führt:

1. Verschwinden des Meereises in der zweiten Hälfte des 21.Jahrhunderts.

2. Häufigeres Auftreten von Hitzewellen und schweren Niederschlägen.

3. Zunahme der Intensität tropischer Wirbelstürme.

4. Abnahme der Frischwasserressourcen (...)

5. Mögliches Verschwinden des grönländischen Eisschildes, was zu einem Anstieg des Meeresspiegels um sieben Meter führen würde. (...)

6. Etwa 20 bis 30 Prozent der bisher untersuchten Arten hätten bei einem Anstieg der globalen Temperatur von 1,5 bis 2,5 Grad Celsius ein erhöhtes Risiko, auszusterben.

7. (...) Forschungsergebnisse legen nahe, daß es in vielen Regionen eine signifikante Zunahme schwerer Regenfälle geben wird. (...) Wahrscheinlich werden 2080 20 Prozent der Weltbevölkerung, das könnten mehr als zwei Milliarden Menschen sein, im Einzugsgebiet von Flüssen mit erhöhtem Hochwasserrisiko leben. In Afrika werden voraussichtlich schon 2020 zwischen 75 und 250 Millionen Menschen von Wasserknappheit betroffen sein. In einigen afrikanischen Ländern könnte der landwirtschaftliche Ertrag um 50 Prozent abnehmen.

(...) Wir haben in unserem Bericht klargemacht, daß die globalen Emissionen spätestens 2015 ihren Höhepunkt erreichen müssen, wenn die Erwärmung auf zwei bis 2,4 Grad Celsius beschränkt werden soll. Das sind nur noch sechs Jahre. Und einige könnten sogar dieses Zwei-Grad-Ziel in
Frage stellen, denn das würde letztlich allein durch die wärmebedingte Ausdehnung des Wassers zu einem Meeresspiegelanstieg von 0,4 bis 1,4 Metern führen. Wird der Effekt des schmelzenden Schnee und Eises hinzugerechnet, dann könnten einige kleine Inselstaaten und Bangladesch
untergehen. (wop)


Tiefe Gräben

In Kopenhagen beginnen die Schlußverhandlungen um Folgeabkommen zum
Klimaschutz. Positionen liegen noch immer weit auseinander

Von Wolfgang Pomrehn vom 07.12.2009

Zehntausende Menschen haben am Wochenende in zahlreichen deutschen Städten sowie in London, Brüssel, Glasgow, Dublin, San Sebastian, Stockholm, Bordeaux, Marseille und in Paris für mehr Klimaschutz demonstriert. Anlaß der Proteste war die diesjährige, am heutigen Montag in Kopenhagen beginnende UN-Klimakonferenz. Diese Beratungen finden jährlich statt, aber diesmal geht es sozusagen um die Wurst. Ein Nachfolgevertrag für das Kyoto-Protokoll soll ausgehandelt werden. In der japanischen Stadt hatten sich 1997 (und danach) zahlreiche Industriestaaten verpflichtet, den Ausstoß sogenannter Treibhausgase zu senken und so die Erderwärmung zu begrenzen.

Geldfrage

Mehr als 100 der rund 190 teilnehmenden Staaten werden diesmal durch ihren Staats- oder Regierungschef vertreten sein. Brasiliens Präsident Luis Inácio »Lula« da Silva will kommen, Chinas Premier Wen Jiabao, Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama. Letzterer
hat am Samstag angekündigt, daß er nun doch erst am 18. Dezember, dem letzten Tag der Konferenz, kommen wird, dann wenn die Verhandlungen in ihrer heißen Schlußphase sind. Das ist ein Hinweis darauf, daß sich hinter den Kulissen nun doch eine Einigung anbahnt.

Danach hatte es in den letzten Monaten nicht ausgesehen. Vor zwei Jahren hatten die 192 Mitgliedsstaaten der Klimarahmenkonvention einen Verhandlungsfahrplan verabschiedet, an dessen Ende die Konferenz in Kopenhagen steht. Die Gespräche sind allerdings nicht recht
vorangekommen. Die Regierungen in Europa und Nordamerika haben auf die großen Schwellenländer wie China und Indien gezeigt. Diese haben wiederum darauf verwiesen, daß das Problem bisher fast ausschließlich von den Emissionen der reichen Länder verursacht wird.

Zuletzt hatten US-Vertreter und verschiedene europäische Regierungen, darunter die deutsche und die gastgebende dänische, erklärt, in Kopenhagen werde es noch keine Einigung auf einen neuen Vertrag geben. Die Entwicklungsländer halten jedoch daran fest, daß ein Vertrag
herauskommen muß. Unter anderem haben das Ende November Indien, Brasilien, Südafrika und China auf einem gemeinsamen Strategietreffen in Peking deutlich gemacht.

Worum geht es im einzelnen? Es fängt schon bei der Frage an, welcher Vertrag abgeschlossen werden soll. Die Entwicklungsländer wollen, daß das Kyoto-Protokoll fortgeschrieben wird. 189 Länder haben es ratifiziert, allerdings nicht die USA. Diese versuchen daher hartnäckig einen ganz neuen Vertrag durchzusetzen. Strittig ist auch die Geldfrage. Klar ist bisher, daß es einen Fonds für Entwicklungsländer geben soll, aus dem die vom Klimawandel angerichtetn Schäden und Vorbeugemaßnahmen bezahlt werden. Die EU sträubt sich eine konkrete Zahl für ihren Beitrag zu nennen. 100 Milliarden jährlich wären nach ihrer eigenen Einschätzung nötig, aber die Gemeinschaft will, wie es aussieht, nur einen kleinen Bruchteil dieser Summe beisteuern. Die Bundesregierung will ihren Beitrag zudem mit der Entwicklungshilfe verrechnen. Im Augenblick sieht
es danach aus, daß der Fonds nur für die Inselstaaten und die ärmsten Länder zur Verfügung stehen wird und mit zehn Milliarden US-Dollar jährlich bestückt wird.

Weit auseinander

Dritter großer Streitpunkt ist die Verminderung der Treibhausgas­emissionen. Die Wissenschaftler des UN-Klimarates IPCC sagen, daß der weitere Anstieg der Emissionen im kommenden Jahrzehnt
aufgehalten und diese danach zügig reduziert werden müssen. Die Industriestaaten, so die Klimaexperten, müßten, um das zu erreichen, ihren Ausstoß bis 2020 um 25 bis 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Eine Forderung, die von vielen Entwicklungsländern aufgegriffen wurde.

Die EU bietet bisher nur 20 Prozent an, ist aber bereit, auf 30 Prozent zu gehen,wenn andere mitziehen. Japan bietet mit ähnlichem Vorbehalt 25 Prozent an. Die USA versuchen sich mit Zahlentricks. Präsident ­Obama spricht von 17 Prozent, bezieht sich aber auf 2005. Korrekt müßte er Null Prozent sagen, denn er will die Emissionen bis 2020 so weit reduzieren, daß die USA wieder das 1990er Niveau erreichen.

Die Positionen liegen also noch immer weit auseinander. Um den Druck zu erhöhen haben Indien, Brasilien und China in den letzten Wochen erstmalig zum Teil erhebliche Selbstverpflichtungen abgegeben. China will zum Beispiel bis 2020 für jeden Euro seiner Wirtschaftsleistung nur noch etwas mehr als halb soviel Treibhausgas emittieren wie 2005. Ob das gereicht hat, werden wir in zwei Wochen wissen, aber eines ist sicher: Die in Kopenhagen beschlossenen Maßnahmen werden bei weitem nicht genügen einen schwerwiegenden Klimawandel aufzuhalten. Um das zu
erreichen, muß in den kommenden Jahrzehnten der globale Treibhausgasausstoß um 80 bis 90 Prozent reduziert werden.


Affront mit Ansage

Das wärmste Jahrzehnt seit Beginn der Wetteraufzeichnungen endet mit einem Eklat bei der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen. War es das etwa schon?

Von Wolfgang Pomrehn vom 10.12.2009

Auch wenn es das deutschlandweite Schmuddelwetter vielleicht nicht vermuten läßt: Wir erleben gerade den letzten Monat des wärmsten Jahrzehnts seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Seit 2001 war jedes einzelne Jahr wärmer als alle Jahre des 20. Jahrhunderts mit Ausnahme von 1998. 2009 bildet keine Ausnahme: Die globalen Mittelwerte bis einschließlich Oktober lassen erwarten, daß es das fünftwärmste in der globalen Meßreihe werden wird.

So ist es im jüngsten Bericht der Weltmeteorologieorganisation WMO nachzulesen, herausgegeben pünktlich zum Beginn der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen. Die WMO ist die Dachorganisation von 189 nationalen Wetterdiensten in aller Welt. Ihr Jahresbericht bietet nicht nur die oft zitierte globale Mitteltemperatur, sondern auch eine Übersicht über extreme Wetterereignisse.

Zuletzt hatten Teile der britischen Inseln im November unter extrem schweren Niederschlägen zu leiden, die Ortschaften in Nordwestenglandüberschwemmten. An einigen Orten waren die Regenfälle die schwersten je registrierten. Auch viele andere Weltgegenden wie zum Beispiel das
westliche und südliche Afrika oder zuletzt die Philippinen hatten 2009 mit extremen Niederschlägen zu kämpfen.

Bombenfund

Hitzewellen gab es in diesem Jahr unter anderem in Indien, wo im Mai 150 Menschen infolge extremer Temperaturen starben, und in Nordchina. Spanien erlebte seinen drittwärmsten Sommer nach 2003 und 2005, und auch Italien stöhnte im Juli bei Temperaturen von bis 45 Grad Celsius. In
Australien entfachte im Januar und Februar eine extreme Hitzewelle zerstörerische Buschfeuer, die 173 Menschenleben kosteten. In Victoria kletterte das Thermometer bis auf 48,8 Grad Celsius.

Passend zu den Temperaturen wird der Südosten Australiens seit Jahren von Dürren heimgesucht, die der Landwirtschaft schwer zu schaffen machen. Bereits seit neun Jahren regnet es dort unterdurchschnittlich. Auch in China, in Indien, wo der Monsun extrem schwach ausfiel, in
Kenia, in Mexiko sowie in Teilen der USA und Argentiniens litten die Ernten erheblich unter fehlenden Niederschlägen.

Eigentlich die richtige Einstimmung für die Verhandlungen über ein neues Klimaschutzabkommen, die am Montag in Kopenhagen mit Vertretern von 192 Staaten begonnen haben. Heraus kommen soll bis Ende nächster Woche eine Fortschreibung des Kyoto-Protokolls, das Ende 2012 ausläuft. Die Widersprüche zwischen den Entwicklungsländern und den Industriestaaten sind jedoch nach wie vor groß.

Für reichlich Wirbel sorgte am Dienstag ein durchgesickertes Papier, das die Regierungen Dänemarks, der USA und Großbritanniens erarbeitet haben. Formell liegt es noch nicht auf dem Verhandlungstisch, aber allein seine Form macht klar, daß Gastgeber Dänemark, der die Verhandlungen eigentlich vorantreiben sollte, nicht mehr an deren Erfolg glaubt. Es handelt sich nämlich um den Entwurf einer Abschlußerklärung, geschrieben offensichtlich mit dem Ziel, die über 100 Staats- und Regierungschefs, die nächste Woche in die dänische Hauptstadt reisen, nicht ganz mit leeren Händen dastehen zu lassen, wenn es keine Einigung über einen Vertragstext gibt.

Der Text hat es in mehrfacher Hinsicht in sich. Durch die Hintertür wollen die Autoren offensichtlich das für sie ungünstige Bezugsjahr 1990 abschaffen und statt dessen 2005 etablieren. Sowohl die
US-amerikanischen als auch die dänischen Emissionen sind nämlich trotz gegenteiliger Verpflichtungen aus den bestehenden Verträgen munter weiter gewachsen. Deshalb macht es sich für diese beiden Länder wesentlich besser, wenn sich die Reduktionsverpflichtungen auf ein Jahr
beziehen, in denen ihr Treibhausgasausstoß besonders hoch war.

Aber das ist eher eine technische Spielerei am Rande. Viel schwerwiegender ist der Umgang mit den Entwicklungsländern. Statt sich auf das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung zu beziehen, wie es in der Klimarahmenkonvention für Nord und Süd formuliert wurde, versucht man es mit Taschenspielertricks. Zunächst wird zutreffend dargestellt, daß die globalen Emissionen bis spätestens 2020 ihren Höhepunkt überschritten haben müssen. Dann wird jedoch darauf verwiesen, daß dies für die Industriestaaten bereits der Fall sei, und versucht, ein Zieldatum einzuführen, zu dem auch der Treibhausgasausstoß der Entwicklungsländer ihr Maximum überschreiten soll.

Kein Wort davon, daß das Emis­sionsniveau der reichen Länder natürlich ungleich höher ist als jenes der Entwicklungsländer. Selbst in China betragen die Pro-Kopf-Emissionen nur die Hälfte der hiesigen oder ein Viertel der US-amerikanischen. Eigentlich galt bisher als ein felsenfester Grundsatz der Klimaverhandlungen, daß im globalen Maßstab die Emssionen vor allem dadurch in den Griff bekommen werden müssen, daß die Industriestaaten rasch und einschneidend ihren Treibhausgasausstoß vermindern, damit die anderen Länder möglichst viel Raum haben, ihre
Entwicklung voranzutreiben.

Als wäre das noch nicht genug, versucht das dänische Papier noch bindende Beschränkungen der Emissionen für Entwicklungsländer einzuführen. Das ist nicht nur angesichts dessen, daß viele
Industrieländer wie etwa die USA, Dänemark, Irland, Kanada, Japan oder Spanien ihre Emissionen weiter gesteigert oder zumindest nicht reduziert haben, ein unglaublicher Affront. Es ist auch vollkommen klar, daß ein solcher Ansatz die Verhandlungen sprengt.

Sollbruchstellen

Die Entwicklungsländer haben bisher auf den jährlich stattfindenden Klimakonferenzen immer wieder klargemacht, daß völkerrechtlich verbindliche Verpflichtungen für sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Frage kommen. Zuletzt hatten China, Brasilien, Indien und Südafrika, nach dem sie offenbar schon im Vorfeld von dem dänischen Papier Wind bekommen hatten, auf einem gemeinsamen Strategietreffen Ende November deutlich und in den Gesprächen öffentlich die Sollbruchstellen benannt.

Dazu gehörten unter anderem alle Restriktionen für ihre Emissionen. Das heißt allerdings nicht, daß man in diesen Ländern unbekümmert weiter das Klima anheizen will. Brasilien, Indien und China hatten jeweils für sich zuvor angekündigt, die Emissionen künftig begrenzen zu wollen und dafür
auch konkrete Ziele abgesteckt. So will China zum Beispiel 2020 für jeden Euro an Wirtschaftsleistung nur noch 55 Prozent der Treibhausgase emittieren, die es 2005 ausstieß.

Auch von den anderen Entwicklungsländern gibt es lauten Protest. Lumumba Di-Aping, der sudanesische Sprecher von 132 Entwicklungsländern, die in der »Gruppe der 77 und China« zusammengeschlossen sind, wirft dem Text Ungerechtigkeit vor. 80 Prozent der Menschheit würden zu weiterem Leiden verurteilt und alle in den letzten 20 Jahren erabeiteten
Klimaschutzverträge vom Tisch gewischt.

Dänemarks Umweltministerin Connie Hedegaard, die für dieses Papier mitverantwortlich sein dürfte, wird übrigens demnächst als Klimaschutzkommissarin der EU eingeschworen. Soviel zum Thema der angeblichen Vorreiterrolle der Union im internationalen Klimaschutz.


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