letzte Änderung am 11. Sept. 2003

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»...tausendmal ist nichts passiert ...«

Max Müller* zum erfolgreichen Kampf gegen Lohnraub

Den ausstehenden Lohn nach erfolgter Arbeitskraftverausgabung eintreiben zu müssen, gehört wohl zu den frustrierendsten Momenten der unmittelbar zwischen Kapital und Arbeit stattfindenden Kämpfe. Um so berichtenswerter, wenn es selbst unter besonders widrigen Umständen mal geklappt hat.

Die Rathauspassagen am südöstlichen Rand des Alexanderplatzes sind Plattenbauten aus DDR-Zeiten und bei weitem nicht glamourös genug, um an einem derart zentralen Platz der Hauptstadt als Konsumtempel des 21. Jahrhunderts fungieren zu können. Welches Ambiente notwendig ist, um das zahlungskräftige Publikum in Konsumlaune zu versetzen, macht das neue Cubix-Kino, ein Würfel aus Neonlicht und Glas, unmittelbar neben den Rathauspassagen deutlich. Deshalb werden die Verkaufsflächen im Erdgeschoss der Rathauspassagen saniert, einer der künftigen Mieter soll Wal-Mart sein.

Im Zuge dieser Sanierung ließ die Berliner Wohnungsbaugesellschaft Mitte mbH (WBM, Vermieterin tausender Mietwohnungen in Berlin-Mitte) Abbrucharbeiten durch die CPM Baugesellschaft mbH durchführen, die ihrerseits die AK-ER GmbH in Gründung als Subunternehmen beauftragte. Die AKER GmbH stellte Arbeiter afrikanischer Herkunft ein – und am Ende fehlten 13500 Euro Lohn von 19 Arbeitern. Das alles passierte im September 2002. Später begegnete einer der Geprellten zufällig seinem Ex-Chef. Er forderte seinen Lohn. Seitdem kann der Arbeiter seinen Arm nicht mehr richtig bewegen.

Das bundesrepublikanische Arbeitsrecht lässt Klagen gegen Lohnraub selbst dann zu, wenn der/die ArbeiterIn offiziell in der BRD gar nicht arbeiten dürfte. Im Regelfall werden illegalisierte ArbeiterInnen den Gang zum Gericht scheuen, weil sie damit ihren Aufenthalt in der BRD gefährden.

Im Fall dieses Lohnraubs waren die Arbeitspapiere nicht das entscheidende Problem. Die Arbeiter beauftragten ein Rechtsanwaltsbüro. Der Klassencharakter des Arbeitsrechts beweist sich jedoch in der Dauer des Verfahrens (länger, als ein Bauarbeiter sich leisten kann, auf Lohn zu warten) und den formalen Verfahrenshürden. So muss eine Klage mit Namen und Anschrift an denjenigen zustellbar sein, gegen den sich die Klage richtet. Die WBM war nicht kooperationsbereit, auch nur Informationen für eine Klage der Arbeiter gegen das Subunternehmen zur Verfügung zu stellen.

Umsichtiges Vorgehen

Die Arbeiter nahmen Kontakt zur Flüchtlingsinitiative Brandenburg (FIB), zu Elexir-A und zur Antirassistischen Initiative Berlin auf. In diesem Zusammenschluss bündeln sich teils langjährige Erfahrungen in anti-rassistischen Kämpfen, auch zum Thema Lohnraub an Illegalisierten.

Diese Erfahrungen waren eine Voraussetzung für das umsichtige Vorgehen beim Kampf um die ausstehenden Lohngelder: So wurden ca. eine Woche vor der Demonstration (s.u.) Flugblätter in mehreren Sprachen an die zu diesem Zeitpunkt an den Rathauspassagen beschäftigten Arbeiter verteilt, in denen ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass Aktionen geplant seien und als Reaktion auf diese Aktionen und die damit bewirkte Öffentlichkeit mit Razzien auf der Baustelle zu rechnen sei.

Am 11. Juni 2003 fand um 11 Uhr eine Kundgebung vor der Baustelle mit anschließender Demonstration zum Hauptsitz der WBM, ca. einen Kilometer entfernt, statt. Etwa 50-100 Personen, darunter viele Schwarze, einige Mitglieder der Freien ArbeiterInnen Union (FAU) mit schwarz-roten Fahnen, und die üblichen Verdächtigen einer anti-rassistischen Demonstration aus dem Spektrum der radikalen Linken beteiligten sich.

Das gewerkschaftliche Spektrum

Die InitiatorInnen der Demo hatten noch keinen Kontakt zur IG BAU in Berlin aufgenommen. Ein Grund hierfür ist die gewerkschaftliche Befürwortung von Razzien gegen Schwarzarbeit. Nur zu gut erinnern sich die MigrantInnen und die anti-rassistische Szene Berlins an die Baucontainer der IG BAU an der Baustelle am Potsdamer Platz, in denen Denunziationen gegen Schwarzarbeit von der Gewerkschaft entgegengenommen wurden. Es war niemand anwesend, der/die eine DGB-Gewerkschaft repräsentiert hätte. Während der Kundgebung wurde allerdings eine Solidaritätsadresse eines Funktionärs der IG BAU Hamburg verlesen, der unter anderem die razzienfreundlichen Positionen seiner eigenen Gewerkschaft kritisierte. Kundgebungen und Demonstrationen sind auch Orte von Vernetzung, in dem Fall zwischen »kritischen Gewerkschaftern« und »Anti-Rassisten«: Die Initiativen wissen nun um eine mögliche »korrekte« Kontaktperson bei der IG BAU.

Während der Kundgebung vor der Baustelle nahmen die meisten Passanten spätestens dann ein Flugblatt, wenn man ihnen sagte, dass »die Arbeiter dieser Baustelle um ihren Lohn geprellt werden«. Weiter stand auf dem Flugblatt: »Wir fordern den Lohn ein, der diesen Arbeitern zusteht. Wir fordern Mindestrechte für alle ArbeiterInnen unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Wir fordern gleichen Lohn für gleiche Arbeit und fordern auch die Solidarität der Kolleginnen und Kollegen ein.« In dem Flugblatt und in den Redebeiträgen auf Deutsch, Englisch, Französisch und Russisch wurde darüber hinaus gegen Razzien, gegen die Kriminalisierung von Schwarzarbeit, für das Recht auf Arbeit, und dafür argumentiert, dass die WBM den Arbeitern den ausstehenden Lohn zahlen und ihn sich hinterher vom Subunternehmen wieder holen solle.

Lohn her! Lohn her!

Dieses letzte Argument wurde wichtig als die Demonstration vor der Geschäftsstelle der WBM ankam und die Beteiligten »Lohn her, Lohn her!« und »zahlen, zahlen!« riefen. Die Pressearbeit zur Demonstration hatte bewirkt, dass Journalisten sich bei der WBM nach dem Fall erkundigten. In Folge dessen hatte die WBM zwischenzeitlich ihren unkooperativen Kurs verlassen und stellte den Anwälten der Arbeiter Informationen zur Verfügung, die eine Klage ermöglichen sollten. Die Raffinesse der Demonstrationsvorbereitung zeigt sich auch darin, dass die Veranstalter die Information über diesen Umstand bis zur Kundgebung vor der WBM zurückgehalten hatten und so zu einer Verdichtung der Auseinandersetzung und einem ersten Erfolgsgefühl der DemonstrantInnen beitrugen.

Das mag auch der Grund dafür gewesen sein, dass die Kundgebung nicht abbröckelte, als eine Delegation der Veranstalter zu Verhandlungen ins WBM-Gebäude gebeten wurde und verdächtig lange drin blieb. Als Ergebnis der rund einstündigen Verhandlungen verpflichtete sich die WBM schriftlich, auf die CPM einzuwirken, innerhalb von zehn Tagen den ausstehenden Lohn aller Arbeiter dieser Baustelle – auch derer, die sich noch nicht als Geprellte gemeldet hatten – über die veranstaltenden Initiativen an die Arbeiter zu bezahlen. Die WBM hatte offenbar Angst um ihren guten Namen, die CPM Angst vor dem Verlust weiterer Aufträge; die Lohnsumme war überschaubar. Selbstverständlich verlautbarten beide Firmen, trotz der Regelung keinerlei Verantwortung für den Fall von Lohnraub zu tragen. Trotzdem stellt allein die Form der Geldübergabe über die anti-rassistischen Initiativen ein implizites Eingeständnis des besonderen (rassistischen) Charakters dieser Arbeitsverhältnisse und ihrer äußeren Bedingungen dar. Inzwischen sind die ausstehenden Lohnrückstände tatsächlich bezahlt.

Nachbemerkung

Weder bei der Kundgebung, in den Flugblättern, noch in den Verhandlungen im WBM-Gebäude, wurde thematisiert, dass die Arbeiter mit vereinbarten 6,25 Euro pro Stunde untertariflich bezahlt und insofern doppelt geprellt wurden, als die Tarife am Bau allgemeinverbindlich sind, d. h. auch dann gelten, wenn weder Arbeitgeber, noch Arbeiter in einem entsprechenden Verband Mitglied sind.[1] Der Mindestlohn an einer berliner Baustelle beträgt offiziell (Lohngruppe 1) 10,36 Euro.[2] Teile der organisierten Flüchtlinge und Illegalisierten vertreten die Position, dass sie auf Arbeit in der BRD angewiesen sind und auf Grund von institutionalisiertem und spontanem oder alltäglichem Rassismus nur dann erfolgreich auf den Arbeitsmärkten auftreten/konkurrieren können, wenn sie ihre Arbeitskraft unter Tarif anbieten. In dieser Perspektive ist eine gewerkschaftliche Forderung nach Tariflohn ohne vorgängigen Kampf gegen arbeits- und aufenthaltsrechtliche Bestimmungen, welche Arbeiter illegalisieren, eine protektionistische Maßnahme zur Beförderung der Interessen der Arbeiter bzw. Mitglieder mit Arbeitserlaubnis und staatsbürgerlichen Rechten zu Lasten der Illegalisierten. Damit ist eine denkbare und wünschenswerte Funktion von Gewerkschaften, die Konkurrenz innerhalb der Klasse zu minimieren, zu Gunsten einer Kartellbildung eines Teils der Klasse gegen den anderen, aufgegeben worden.

Wenn Gewerkschaften an diesen Konkurrenzkämpfen beteiligt sind, gibt es freilich keinen Grund mehr, nicht weitere Gräben zu ziehen, z.B. zu anderen Gewerkschaften, die ebenfalls Mitglieder organisieren, deren Lohnerwerb in der Durchführung der Repression im Zuge der Illegalisierung von ArbeiterInnen und Bekämpfung von Schwarzarbeit liegt. So freute sich aktuell der (Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft) BDZ[3] darüber, dass seine Lobbyarbeit, »dem Zoll die Aufgaben der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung vollständig zu übertragen, Erfolg (hatte).«[4]

Hartz mal wieder...

Anlass dieser Freude[5] ist, dass »das Bundeskabinett ... am 2. Juli 2003 den Beschluss gefasst (hat), dass die Verfolgungszuständigkeiten der Bundesanstalt für Arbeit (BA) für die Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung auf die Zollverwaltung übertragen werden. Die entsprechenden gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen sollen im Rahmen der Hartz Gesetze (sic!) erfolgen.«[6] Teil des Beschlusses des Bundeskabinetts ist die Verdopplung der Zahl der Beschäftigten im Bereich BillBZ (Bekämpfung illegaler Beschäftigung durch die Zollverwaltung). Die Übertragung der Verfolgung illegalisierter Beschäftigung von der Bundesanstalt für Arbeit, die bei ihren Razzien immerhin erst die Zusammenarbeit mit der Polizei koordinieren muss, bedeutet, dass künftig unmittelbar bewaffnete Organe tätig werden.[7] Da die gewerkschaftliche Organisierung des Zolls vom BDZ, die der Bundesanstalt für Arbeit aber von ver.di dominiert wird, vergrößert sich durch die Entscheidung des Bundeskabinetts der Einfluss- und Einzugsbereich des BDZ, während sich umgekehrt der von ver.di verringert.

Während diese Verschärfung der Repression durch die institutionelle Verschiebung erst Mitte nächsten Jahres organisatorisch umgesetzt werden soll/kann, besteht das Problem des breiten gesellschaftlichen Konsenses gegenüber (bewaffneter) Repression gegen in illegalisierten Arbeitsverhältnissen Beschäftigten für diese und die anti-rassistische Linke schon lange. Eine der Konsequenzen aus dem Erfolg, Lohnraub an Migranten zu thematisieren, war dann auch eine Razzia an der Baustelle Rathauspassagen am 2. Juli 2003. Die Flugblattwarnung der anti-rassistischen Initiativen im Vorfeld der Demonstration war also bitter notwendig. Über die Ergebnisse dieser Razzia ist nichts bekannt.

Dennoch bleibt die Demonstration und der erkämpfte Lohn ein klarer Erfolg für die Arbeiter, die beteiligten anti-rassistischen Initiativen und die anti-rassistische Linke in Berlin überhaupt. Bleibt zu hoffen, dass dieser konkrete Erfolg einer nicht sehr großen Mobilisierung gegen Lohnraub unter den schwierigen Bedingungen des Aufenthalts- und Arbeitsrechts zur Nachahmung in anderen Fällen ermuntert. Zumindest wurden während der Demo Kontakte ausgetauscht und ein Nachbereitungstreffen zur Bildung eines Netzwerkes für ähnliche Fälle angedacht, das bislang aber nicht stattgefunden hat.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 8/03

Kontakt: Flüchtlingsinitiative Brandenburg (FIB), Tel. (0177) 7201629; Elexir-A (eine aus der Anti-Residenzpflichtkampagne hervorgegangene antirassistische Gruppe); erreichbar über: Antirassistische Initiative, Yorckstr. 59, 10965 Berlin, Tel. (030) 7857281, ari-berlin@gmx.de

* Anmerkung des Autors: Die Informationen über die näheren Umstände des Lohnklaus an den Rathauspassagen, des Protestes dagegen und dessen Ergebnis stammen aus teilnehmender Beobachtung der Demonstration, Gesprächen mit AktivistInnen der beteiligten Initiativen und der berliner Presse.

Anmerkungen

1) Diese Mindestlöhne sind in der Zwischenzeit angehoben worden. Auf den Internetseiten des Arbeitsamtes werden die damals und die heute gültigen Mindestlöhne gegenübergestellt: http://www.arbeitsamt.de/hst/services/merkblatt/mb_aentg/tv.html - Der Text »Neue Mindestlöhne für gewerbliche Arbeitnehmer am Bau ab 1. September 2003« des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V. informiert darüber, welche Tätigkeiten welchen Lohngruppen zugeordnet werden. Vgl. http://www.bbu.de/aktuell/recht/ar473.html

2) Dieser Tarif wird »natürlich« tausendfach unterboten.

3) Die Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft (BDZ) ist eine Mitgliedsorganisation des Deutschen Beamtenbundes. Seine zentrale Webseite ist: www.bdz.dbb.de

4) »BDZ aktuell. Bekämpfung der Schwarzarbeit: Zoll erhält alleinige Zuständigkeit«, in: http://www.bdz.dbb.de/aktuell/nachrichten/040703_schwarzarbeit.htm

5) Ausdruck dieser Freude und Zufriedenheit sind z.B. die Postings im Diskussionsforum der GdP Bundesfinanzpolizei: http://www.gdp-bundesfinanzpolizei.de/forum/messages/3035.html

6) Abdruck eines Briefes des Bundesministerium der Finanzen vom 2. Juli 2003 per Telefax an die Oberfinanzdirektionen, das Zollkriminalamt und andere: »Bekämpfung der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung«, Geschäftszeichen II A 6 – SV 3000 – 16/03, in: http://www.bdz.dbb.de/aktuell/nachrichten/schwarzarbeit_7_03.pdf

7) Titelbild von Springers größtem Hetzblatt in Berlin, der BZ vom 27. Juni 2003: »Jetzt schlägt der Zoll zu – bewaffnet und zornig«.

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