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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Erst anhören, dann abschieben Trotz Protesten steigt die Zahl der Sammelanhörungen "Der Aufenthalt von Ausländern, die nach dieser Regelung keine Aufenthaltserlaubnis erhalten können, muss konsequent beendet werden", so stand es im "Bleiberechtsbeschluss", mit dem die Innenministerkonferenz im November letzten Jahres nach längerem Gerangel angeblich doch noch "geduldeten" Flüchtlingen zu einem sicheren Status verhelfen wollte. Angesichts des politischen Willens, möglichst viele der hier mit prekärem Aufenthaltsstatus Lebenden von einem "Bleiberecht" auszuschließen, sind die Folgen für die Mehrheit damit deutlich benannt: Ein verstärkter Ausreisedruck wird zur Kehrseite der Hoffnung für einige wenige. die Häufung von so genannten Sammelanhörungen in letzter Zeit, mit denen die Abschiebung von Flüchtlingen und MigrantInnen durchgesetzt werden soll, die keine Papiere haben und/oder denen die Botschaften der Herkunftsländer bisher wegen fehlender Identitätsnachweise keine ausgestellt haben, ist ein Indiz dafür, dass die hier formulierte Drohung ernst gemeint ist. Bereits in den letzten Jahren wurden wiederholt Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern (u.a. aus Vietnam, China, Algerien, Sierra Leone, Kamerun, Nigeria, Guinea, Togo) zur "Identitätsfeststellung" zu Sammelanhörungen vorgeladen. Solche Anhörungen fanden in Botschaften, Flüchtlingslagern und Ausländerbehörden statt. Teilweise geschah dies unter Beteiligung von Botschaftsangehörigen der Herkunftsländer, teilweise aber auch durch eigens aus den entsprechenden Ländern angereiste Delegationen, denn ab Ende der 1990er Jahre gerieten einige der Landesvertretungen wegen dieser Praxis unter so massiven (häufig von den Betroffenen ausgeübten) Druck, dass sie eine weitere Mitarbeit verweigerten. So stritten noch in den letzten Jahren Botschaften - z.B. im Fall Guineas, aber auch Nigerias - schon einmal jede Beteiligung an den Sammelabhörungen ab. (1) Hier wurde zunächst das Faktum geschaffen und dann das Recht: Gesetzlich verankert wurde die langjährige Praxis der Anhörungen außerhalb der Botschaften tatsächlich erst mit den Ende August 2007 in Kraft getretenen Änderungen des Aufenthaltsgesetzes. Eigentlich erst jetzt kann das Erscheinen vor "ermächtigten Bediensteten" eines Staates (bisher nur bei der "zuständigen Behörde und den Vertretungen eines Staates") angeordnet werden. Das heißt, dass die Anhörungen an einem beliebigen Ort und vor VertreterInnen eines Landes in beliebiger Zusammensetzung stattfinden können. Letztlich könnte das gesamte Verfahren geradezu als Beispiel dienen, wie Recht über seine Nützlichkeit als Instrumentarium definiert wird, Ausschluss und Abschiebung zu begründen. So beschied die Bundesregierung auf Anfragen im Bundestag, die u.a. Anhörungen durch Angehörige des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit Vietnams betrafen, bei denen sich Flüchtlinge beschwert hatten, dass sie weniger der Feststellung ihrer Identität als einer geheimdienstlichen Ausforschung dienten, die Rechtsstaatlichkeit des Vorgehens werde durch anwesende Beamte der Bundespolizei sicher gestellt, die bei Bedarf "einen Dolmetscher zu Rate ziehen" könnten. Aber mit dem eigentlichen Verfahren habe man überhaupt nichts zu tun. Es handele sich nämlich um ein "ausländisches Verwaltungsverfahren", für dessen "Ausgestaltung" die Herkunftsländer zuständig seien. Allerdings sehen die Vorschriften der verschiedenen einbezogenen Länder wohl kaum die Zuerkennung der Staatsangehörigkeit oder die Ausstellung von Personalpapieren auf Grund einer "mit Dialekten eingefärbten Sprache" oder der "Art und Weise der Verständigung" vor, wie das niedersächsische Innenministerium kürzlich auf Fragen nach der genauen Verfahrensweise meinte. Damit liegt eher nahe, dass dieses "ausländische Verwaltungsverfahren" eine Erfindung der deutschen Behörden ist und zwar eigens zum Zweck der Abschiebung. Für die Behörden gilt: Hauptsache abschieben Denn im umgekehrten Fall, sobald es um die Möglichkeit eines gesicherten Aufenthalts geht, steht die "Rechtstreue" der Einzelnen und der ausstellenden Behörde immer im Zweifel. Ehe z.B. die hiesigen Standesämter eine Urkunde aus Togo, Guinea oder auch Vietnam und anderen "Problemländern" akzeptieren (bei denen Korruptionsverdacht besteht), werden möglicherweise umfangreiche Überprüfungen in Gang gesetzt: Da wird dann etwa von der dortigen deutschen Botschaft ein "Vertrauensanwalt" beauftragt, mehrere so genannte "Referenzpersonen" (Familie, Freunde, Bekannte) zu besuchen und zu befragen. Es ist also deutlich, dass die angereisten Delegationen oder MitarbeiterInnen der Botschaften mit der "Identifizierungen ihrer Staatsangehörigen" den deutschen Behörden eine Gefälligkeit erweisen, teilweise sicherlich auf Druck der Bundesrepublik, teilweise im eigenen Interesse und gegen entsprechende finanzielle Entlohnung: Angehörige der Botschaft Nigerias, die im August dieses Jahres in München Anhörungen durchführten, sollen z.B. für jedes "Interview zur Identitätsklärung von Flüchtlingen" 250 Euro und für jedes "Emergency Travel Certificate", das eine sofortige Abschiebung ermöglicht, weitere 250 Euro "Erfolgsprämie" erhalten haben. (Vgl. http://carava.net ) Den deutschen Behörden geht es dabei weniger um die Frage:, aus welchem Land kommen die Flüchtlinge, als darum, welches Land ihre Abschiebung ermöglicht. Da droht eine Ausländerbehörde nach erfolglosen Botschaftsvorsprachen auch schon einmal "die zwangsweise Vorführung bei allen in Betracht kommenden sonstigen afrikanischen Auslandsvertretungen" (2) an oder lässt einen nach eigenen Angaben libyschen Staatsangehörigen zunächst einmal (erfolglos) bei den Botschaften Tunesiens, Algeriens und Marokkos vorsprechen, um ihn schließlich für die Vorführung bei der Botschaft Libyens in Abschiebehaft nehmen zu lassen. In Bremen protestierten im Juni 2006 Flüchtlinge, denen von einer Delegation aus Guinea Papiere ausgestellt worden waren, gegen ihre geplante Abschiebung: ihren eigenen Aussagen zufolge kamen sie überwiegend aus Sierra Leone. Auch der Vorwurf, ein Mitglied der guineischen Delegation, das 2005 und 2006 Anhörungen in Hamburg und Dortmund durchführte, sei in Guinea als Schleuser bekannt - normalerweise ein sicherer Anlass für die Hochstilisierung zum Skandal und die Behauptung einer Nähe zur organisierten Kriminalität - führte schließlich nicht dazu, dass die Gültigkeit der ausgestellten "Reisepapiere" infrage gestellt wurde. "Die Proteste haben keine einzige Abschiebung verhindert", war dann auch das bittere Fazit eines Aktivisten, der einem Zusammenschluss von GuineerInnen angehört, der im März letzten Jahres an der Organisierung einer Kundgebung und Demonstration gegen die Guinea-Anhörungen in Dortmund beteiligt war. Jedoch haben Proteste und Öffentlichkeitsarbeit auf die Sammelvorführungen aufmerksam gemacht und im Fall der Anhörungen durch die "dubiose" Delegation aus Guinea zumindest etwas bewirkt: Es hat sich herumgesprochen, dass eine "Vorsprache" bei der Delegation in der Regel zur Abschiebung führt. Bei der letzten Anhörung "vermutlich guineischer Staatsangehöriger" in Braunschweig im Juli/August erschienen daher von den 400 bis 450 Vorgeladenen nur 112. Einige hatten jedoch keine Chance. So wurden im Kreis Steinfurt in Nordrhein-Westfalen Flüchtlinge morgens aus den Betten geholt und dem Amtsrichter vorgeführt, um in Abschiebehaft genommen und am nächsten Morgen aus der Haft in Braunschweig vorgeführt zu werden. 500 Euro Kopfprämie für jede Abschiebung Es ist anzunehmen, dass die Ausländerbehörden von einer weiteren Änderung des Aufenthaltsgesetzes, die ermöglicht, dass sie "einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und in Gewahrsam nehmen", zukünftig häufiger Gebrauch machen werden, um auf diese Weise eine Zwangsvorführung durchzusetzen. Dass im Anschluss noch eine Entscheidung durch einen Richter erforderlich ist, muss nicht unbedingt ein Hindernis sein. Zu befürchten ist, dass die Amtsgerichte eine "Festnahme" durch die Ausländerbehörde in der Regel bestätigen werden, da die Behörde schließlich wissen muss, wann diese rechtmäßig sei. Im Fall Guineas hat allerdings der öffentliche Druck im Land selbst dazu geführt, dass die guineische Regierung kurz nach den Anhörungen in Braunschweig der Bundesrepublik in einer Verbalnote mitteilte, sie werde bis zur Unterzeichnung eines "bilateralen Kooperationsabkommens" alle Identifizierungs- und Rückführungsmaßnahmen guineischer Staatsangehöriger aussetzen. Und auch wenn dies nur ein kurzer Aufschub bis zur Aushandlung der konkreten Bedingungen für weitere Abschiebungen sein sollten die Proteste auf verschiedenen Ebenen haben den Besuchen der guineischen "Abschiebedelegation" in der Bundesrepublik relativ große Bekanntheit verschafft. Und zum Ärger der deutschen Behörden konnte nun am 11.09. ein Abschiebeflieger aus Hamburg nach Guinea nicht abheben, da Guinea den angesetzten Charterflug abgesagt hatte. (4) Damit wird bei den Auseinandersetzungen um zukünftige Sammelanhörungen, die sicherlich zu erwarten sind, jetzt doch an einige Erfolge anzuknüpfen sein. Artikel von Hanna Schroeder, Initiative gegen Rassismus und Ausgrenzung Dortmund, aus ak - zeitung für linke debatte und praxis vom 19.10.2007 - wir danken der Redaktion! Quellen: 1) www.fluechtlingsrat-hamburg.de/ 2) www.abschiebungshaft.de/BayObLG-vom-11-April-2001.doc 3) www.asyl.net/Magazin/Docs/2005/ M-5/6662.pdf , LG Leipzig, 12 T 499/05 4) www.spiegel.de/politik/ausland/0, 1518,507244,00.html ak - analyse & kritik |