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Updated: 18.12.2012 15:51
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Streik der Flüchtlinge im Lager Blankenburg

Ein Zwischenstandsbericht

Seit Mittwoch, den 4. Oktober, befinden sich die BewohnerInnen des 7 Kilometer von Oldenburg entfernten Flüchtlingslagers „Blankenburg“ im unbefristeten Streik. Konkret heißt das: Sowohl das Kantinenessen als auch die lagerinternen 1-Euro-Jobs werden boykottiert. Mit ihrem Streik setzen sich die Flüchtlinge gegen eine Lagerrealität zur Wehr, die im Kern auf Kontrolle, Entwürdigung und Zermürbung zielt.

Ihre Forderungen sind: Geld statt Sachleistungen zu erhalten, um sich ihr Essen selber kochen zu können. Zudem wollen sie eine bessere Gesundheitsversorgung und eine menschenwürdige Behandlung durch die BehördenmitarbeitInnen im Lager, sowie eine Umverteilung in Wohnungen.

Vorgeschichte

Vom 29.09 – 1.10 fanden in Oldenburg/Blankenburg die Antilager-Aktionstage vor der ZAAB (Zentrale Aufnahmestelle und Ausländerbehörde) Oldenburg statt. Die Veranstaltung war auf drei Tage angelegt und sollte mehr Kontakt zwischen antirassistischen Initiativen und Flüchtlingen aus dem Lager Blankenburg herstellen. Ein buntes Grüppchen von AktivistInnen baute am Blankenburger See eine Zeltstadt auf - zwei Veranstaltungszelte, ein Infozelt und ein
Küchenzelt. Es gab gemeinsame sportliche Aktivitäten und Diskussion über die Situation im Lager und den Kampf gegen die Lagerpolitik.

Die Flüchtlinge berichteten auf den Veranstaltungen über ihre Situation. Sie kritisierten das schlechte und ungenießbare Essen aus der Lagerkantine, zur Sprache kamen auch, die Missstände bei der medizinischen Versorgung, und die unwürdige Behandlung durch die MitarbeiterInnen der ZAAB.

Das Essen ist vitaminarm und minderwertig. Es gibt eine Kantine für die Flüchtlinge und eine Zweite für die MitarbeiterInnen der ZAAB, dort wird ein anderes Essen ausgegeben.

In der Veranstaltung über rechtliche Fragen wurde erzählt, dass viele Flüchtlinge nicht einmal mehr die schmalen Bargeldbeträge von 38,18 € im Monat erhalten würden. Bei einigen sind die Geldbeträge gänzlich gestrichen worden, weil sie ihre Unterschrift unter den „Ausreisevertrag“ verweigert hätten.

Die Flüchtlinge werden von den LagermitarbeiterInnen häufig diskriminierend behandelt. Ein Flüchtling erzählte, dass ihm ein Mitarbeiter gesagt hat: „Wir stehen halt in der Tradition der Nazis“. Der Ausspruch sollte ihm zeigen, dass er keine Perspektive in diesem Land hat. Er dankte den Anwesenden auf den Antilagertagen, dass sie dieses Bild relativiert hätten und sagte: „Ich bin froh das ich noch nicht abgeschoben worden bin und dieses Anti-Lager-Camp noch miterlebt habe. Sonst würde ich glauben, dass in Deutschland nur Rassisten wohnen.“

Die Flüchtlinge kamen zu den Antilagertagen obwohl sie vorher von den Lagerbehörden gehört hatten, dass dort„Chaoten“ vor das Lagertor ziehen würden, die gefährlich sind. Die Lagerleitung verhängte für die Zeit der Aktionstage eine Besuchssperre, niemand durfte in dieser Zeit Besucher mit in die ZAAB nehmen. Neben der Besuchssperre wurden aber großzügig Reiseerlaubnisse ausgestellt, damit die Flüchtlinge für die Zeit der Antilagertage nicht vor Ort sind. Diese Erlaubnisse müssen beantragt werden, weil die Flüchtlinge der Residenzpflicht unterliegen und nicht ohne Genehmigung den ihnen zugewiesenen Landkreis verlassen dürfen. Eine Frau berichtete, wie froh sie ist dieses Angebot nicht angenommen zu haben und die Aktionstage über da geblieben zu sein.
Vor Ort war ein massives Polizeiaufgebot stationiert worden, das zusätzliche Absperrgitter mitgebracht hatte und sich vor dem Lagertor positionierte.

Am Samstag, den 30.09 gab eine Demonstration mit ca. 300 – 350 Teilnehmern in der Innenstadt. Es wurde lautstark die Abschaffung der Lager gefordert und auf mehreren Redebeiträgen auch die Funktion der Lager benannt.

Nach dem Ende der Antilagertage in Blankenburg hielten die Flüchtlinge in Blankenburg selber treffen ab und organisierten eine Demonstration vor der Sozialbehörde und der Kantine auf dem Lagergelände. An dieser nahmen ca. 200 Flüchtlinge Teil. Sie verlangten den Lagerleiter zu sprechen und protestierten gegen die Lagerbedingungen in Blankenburg. Der Lagerleiter rief die Polizei, die nach einiger Zeit mit einem Großaufgebot auf dem Lagergelände erschien. Auch der Lagerleiter Lüttgau sprach mit den Flüchtlingen war aber nicht gewillt auf deren Forderungen
einzugehen.

Ein Mitarbeiter der politischen Polizei trat an Flüchtlinge heran und gab ihnen seine Dienststellennummer, um über die Organisierung der Flüchtlinge nähere Angaben zu erhalten. Von besonderem Interesse war für ihn, wer die Antilagertage organisiert hatte und welche Organisationsstrukturen der Protest hat. Gleichzeitig war seine Aufforderung zur Bespitzelung damit verbunden, für die Flüchtlinge selber etwas tun zu können.

Nach der Demonstration wurde dann von den Flüchtlingen beschlossen in einen unbefristeten Streik zu treten. Der Streik sollte sich auf die Lagerkantine beziehen und auf die Ausführung der Ein Euro Jobs. Unterstützer von Außerhalb organisierten Essensspenden, um die Flüchtlinge im Lager mit Lebensmitteln zu versorgen. Das Lagerpersonal muß nun selber die Putz- und Reinigungsarbeiten, sowie die Gartenarbeiten im Lager übernehmen.

Gleichzeitig drohte man den Flüchtlingen an, dass sie auch nach dem Streik keine Ein Euro Jobs mehr erhalten könnten. Diese Jobs werden im Lager an Personen ausgegeben, die eine Ausreisevereinbarung unterschrieben haben.

Am Donnerstag den 5.10. fand erneut eine Demonstration auf dem Lagergelände statt. Die Flüchtlinge wurden jetzt vom Lagerleiter Lüttgau zu einem Gespräch geladen, an dem sie sich mit einer Delegation von 12 Flüchtlingen beteiligten.
In diesem Gespräch ging der Lagerleiter auf ihre Forderungen nicht ein, sondern behauptete, dass das Essen besser sei, als das was die Flüchtlinge in ihren Herkunftsländern bekommen würden. Auch bei der gesundheitlichen Versorgung konnte der Lagerleiter keine Mängel erkennen. Die Flüchtlinge machen immer wieder die Erfahrung, dass sie für alle möglichen Krankheiten zumeist das Schmerzmittel Paracetamol erhalten. Sie werden kaum an Spezialisten außerhalb des
Lagers überwiesen, eine wirkliche Diagnose der Krankheiten findet in der Regel nicht statt. Die eingesetzte Ärztin äußert sich häufig diskriminierend und ist bestrebt die Flüchtlinge schnellst möglich wieder aus dem Behandlungszimmer zu bekommen.

Die Lagerleitung ging auf die Forderung der Flüchtlinge zur Verbesserung ihrer Lebenssituation im Lager nicht ein. Stattdessen wurden einzelne Flüchtlinge mit behördlichen Sanktionen belegt, von denen man vermutete, dass sie eine führende Rolle beim Widerstand gegen das Lager innehaben. Diese Flüchtlinge konnten keine Besuchserlaubnis mehr erhalten, mit der sarkastischen Begründung sie könnten ja dagegen streiken. Auch haben Flüchtlinge ihre Duldung nur
noch auf zwei Monate verlängert bekommen und gleichzeitig eine Vorladung erhalten, um über den Streik Auskunft zu geben. Die Lagerleitung setzt offenbar auf die Spaltung der Flüchtlinge, denn seit dem Wochenende können einige Flüchtlinge eine großzügige Besuchserlaubnis erhalten und sogar bis zu vier Wochen Verwandte und Freunde in Deutschland besuchen.

Am Freitag, den 06.10., fand eine Demonstration in der Innenstadt Oldenburgs statt, um die Öffentlichkeit über den Streik im Lager Blankenburg zu informieren. Es nahmen ca. 200 – 250 DemonstrantInnen teil. In Redebeiträgen wurde die Öffentlichkeit aufgerufen den Streik mit Lebensmittel- und Geldspenden zu unterstützen.

Am Samstag 07.10 wurde auch ein Redebeitrag zu dem Streik auf der Nord Demonstration des MigrationsAktionstage in Hamburg gehalten. Auch hier wurde zu Spenden aufgerufen.

Der Streik wird fortgesetzt werden und in den nächsten Tagen sollen weitere Aktionen gemacht werden, um dieÖffentlichkeit auf die Lebensbedingungen im Lager aufmerksam zu machen.

Hintergrundinformationen

Der Streik setzt an konkreten Forderungen an, die sich gegen das Sachleistungsprinzip des
„Asylbewerberleistungsgesetzes“ wenden. Gefordert werden Geldleistungen statt Sachleistungen zu erhalten. In vielen Bundesländern wird schon vorwiegend Geld statt Sachleistungen an die Asylbewerber ausgezahlt. So wurden in Mecklenburg Vorpommern in einigen Lagern die Kantine abgeschafft und Geldleistungen ausgezahlt, damit sich die Flüchtlinge selber mit Lebensmitteln versorgen können. Dies ist kein Einzelfall, auch in Hamburg, Bremen, Hessen Sachsen Anhalt, Berlin, Schleswig-Holstein, Nordrhein Westfalen und Rheinland-Pfalz werden überwiegend
Geldleistungen statt Sachleistungen ausgezahlt.

In Niedersachsen wird seit 2000 eine Politik betrieben, in der Flüchtlinge möglichst nur noch in Lagern leben sollen. So wurde seit dem die Umverteilung in dezentrale Wohnheime und Wohnungen weitgehend eingeschränkt.

Umverteilungen finden seitdem hauptsächlich zwischen den drei großen Lagern statt, diese sind ZAAB Braunschweig, ZAAB Oldenburg und das Lager Bramsche Hesepe. Von der ZAAB Oldenburg aus werden die Flüchtlinge in das Außenlager Bramsche Hesepe verlegt. Das Lager Bramsche Hesepe ist ein Modellprojekt. Im neuen Zuwanderungsgesetz werden solche Lager zynischerweise als „Ausreisezentren“ bezeichnet. Der Begriff brachte es 2003 schon einmal auf Platz 2 als
Unwort des Jahres. Sprachlich korrekter kann man solche Lager nach ihrer Zweckbestimmung als Abschiebelager bezeichnen. Offiziell werden dort Flüchtlinge eingewiesen, deren Antrag auf Asyl seitens der Behördeneinschätzung nur geringe Aussichten auf Erfolg hat. Bei 0,9 % Anerkennungsquote für AsylbewerberInnen im Jahr 2005 kann das praktisch jeder sein. Das Lager hat die Aufgabe Druck auf die Menschen auszuüben, damit sie möglichst schnell freiwillig in ihr Herkunftsland ausreisen. Nach der offiziellen Darstellung soll Flüchtlingen geholfen werden
„freiwillig auszureisen“. Die Methoden aus Bramsche werden aber auch zunehmend in der ZAAB Oldenburg und Braunschweig angewandt.

Der Innenminister Schünemann setzt darauf, dass Flüchtlinge in Lagern besser zu kontrollieren sind und ihre erzwungene Ausreise leichter durchzusetzen ist. Er wendet sich dezidiert gegen die dezentrale Umverteilung in die Gemeinden, obwohl die Kosten für die Unterbringung hier nur die Hälfte der Kosten ausmacht, die eine Lagereinrichtung verschlingt. Bei einer offiziellen Anfrage der Grünen im Niedersächsischen Landtag nach den Kosten der Lagerunterbringung werden die Ausgaben für dezentrale Unterbringung in den Gemeinden auf 4270 Euro pro Jahr berechnet. Die Kosten für eine Lagerunterbringung betragen pro Jahr 9662 €. Die Mehrkosten rechtfertigt der
Innenminister mit der Effizienz der Lager in Punkto Rückführungen. (Quelle: http://www.mi.niedersachsen.de/master/C26319126_L20_D0_I522_h1.html externer Link)

Eine Integration der Flüchtlinge in die Gesellschaft ist nicht vorgesehen, sondern die Lagerpolitik hat das erklärte Ziel Menschen zu isolieren und einen verfestigten Aufenthaltsstatus zu verhindern. Schünemann erklärt dazu:
(Es) müsse eine faktische Verfestigung des Aufenthaltes der weit überwiegenden Zahl der Betroffenen verhindert werden. Dies könne am besten in einer zentralen Landeseinrichtung erreicht werden.“
(Quelle: http://www.mi.niedersachsen.de/master/C7419695_L20_D0_I522_h1.html externer Link)

Die Rückkehrförderung steht im Zentrum der Landespolitik. Die Bedingungen im Lager sind an dieser Politik ausgerichtet. Vergünstigungen für Flüchtlinge gibt es nur, wenn sie nach abgelehntem Asylantrag oder sogar vor der Ablehnung ihren Antrag zurückziehen und in die „freiwillige Rückkehr“ einwilligen. Um dieses Ziel zu erreichen wird durch die Lagerverwaltung ein großer psychischer Druck gegenüber den Flüchtlingen aufgebaut. Hierzu gehören häufige
Interviews, Botschaftsvorführungen, Streichungen des Taschengeldes, schlechte Lebensbedingungen, minderwertiges Essen, sowie unzureichende medizinische Versorgung und eine Abhängigkeit von bürokratischen Verwaltungsbehörden, die jegliche Perspektive einen verfestigten Aufenthaltsstatus zu erlangen zu verhindern trachten. Eine wirkliche „freiwillige“ Entscheidung der Flüchtlinge würde Alternativen voraussetzen, die einzige Möglichkeit, die den
Flüchtlingen im Lager bleiben soll, ist die durch das Lagerpersonal zielgerichtete und forcierte Ausreise.

Für Flüchtlinge wird in den Lagern ein Klima der existenziellen Ausweglosigkeit geschaffen. Dies führt dazu, dass Flüchtlinge in die Illegalität abtauchen und so kriminalisiert werden. Die Politik nimmt diesen Prozeß der Entrechtung billigend in Kauf, weil die Flüchtlinge dann dem Sozialsystem nicht mehr zu last fallen. Neben der Illegalität und der freiwilligen Ausreise werden Flüchtlinge aus den Lagern auch immer wieder zwangsweise abgeschoben.

Gegen diese kalkulierte Verschlechterung ihrer Lebenssituation und die Alternativlosigkeit des Lagerlebens sind die Flüchtlinge in der ZAAB Oldenburg/Blankenburg in den Streik getreten. Sie wehren sich gegen eine Asyl- und Lagerpolitik, die ihnen systematisch ihre Lebensperspektiven nimmt.

Wir fordern die Abschaffung des Lagersystems.

Wir laden alle PressevertreterInnen ein über den Streik der Flüchtlinge aus der ZAAB Blankenburg zu berichten. Wir vermitteln auch gerne Kontakte zu streikenden Flüchtlingen, machen Sie sich selbstständig ein Bild über die Bedingungen, in denen Flüchtlinge in den Lagern leben müssen.

Wir rufen alle auf Nahrungsmittel zu spenden und diese im Kulturzentrum Alhambra abzugeben (Hermannstraße 83; 26135 Oldenburg) Die Nächste Demonstration ist am Freitag, 13. Oktober, 16 Uhr Hbf. Solidarität erwünscht!!!

Kontakt: Info-Telefon: 0160/96857380. Kontakt: antira-ol@web.de. Für Geldspenden haben wir ein Spendenkonto: Arbeitskreis Dritte Welt e.V. Kto-Nr. 015 131337 BLZ 28050100, LZO Verwendungszweck: Aktionstage

Antirassistisches Plenum Oldenburg
C/O
Hermannstraße 83; 26135 Oldenburg
Info telefon: 016096857380
Email: antira-ol@web.de

Für weitere Informationen


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