letzte Änderung am 22. Juli 2003 | |
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Die einen nennen es "Scheingeschäft", die anderen "Nullsummenspiel", "Schmierenkomödie"
oder "transatlantischen Steuerbetrug". Andere halten "Karussellgeschäft"
für die treffendste Bezeichnung. Letzteres stimmt insofern, dass bei diesen
Geschäften über den Atlantik hinweg große Geldströme zirkulieren,
bevor sie die klingenden Kassen privater Unternehmen füllen. Vom Cross-Border-Leasing,
kurz CBL genannt, ist hier die Rede.
Beim CBL wird unbedarften Menschen sehr leicht schwindelig. Es wird hin und
her gemietet, große Geldmengen werden von A nach B und wieder zurück
transferiert und zum Schluss sollen alle einen Vorteil davon haben. Anscheinend
wurde hier eine Art Perpetuum mobile entwickelt, zumindest wenn man den Ausführungen
der CBL-Befürworter Glauben schenkt. Leider tut dies eine wachsende Anzahl
von Stadtverordneten, die versuchen mit Hilfe einer Karussellfahrt ihre Haushaltslücken
zu schließen etwa 150 Leasing-Verträge wurden seit 1995 in
der Bundesrepublik abgeschlossen.
Die Geschäftsidee des Cross-Border-Leasing zu deutsch in etwa:
grenzüberschreitendes Mietgeschäft ist auf das US-amerikanische
Steuerrecht zurückzuführen: Seit Mitte der 90er Jahre haben US-Unternehmen
die Möglichkeit mit Auslandsinvestitionen in kurzer Zeit erhebliche steuerliche
Vorteile erzielen zu können. Investitionsmöglichkeiten bieten sich
in den Niederlanden, der Schweiz oder eben in Deutschland, wo zahlreiche Kommunen
nach jedem Strohhalm greifen, der ihre Haushaltssituation entspannen könnte.
An einem Aufkauf städtischer Einrichtungen haben die Investoren wenig Interesse,
denn dies würde den Unterhalt und damit Kosten sowie die volle Verantwortung
z.B. der städtischen Müllentsorgung nach sich ziehen. Und Geld lässt
sich schließlich mit der Möglichkeit eines langfristigen Leasing-Vertrags
viel einfacher und vor allem frei von Risiken verdienen. "Langfristig" bedeutet
in diesem Zusammenhang, dass Vertragslaufzeiten von bis zu hundert Jahren festgelegt
werden. Nach dieser Zeit geht der Leasinggegenstand endgültig in den Besitz
des Investors über, was geltendes US-Recht und formale Voraussetzung des
Vertrags ist.
Für die Abwicklung des anvisierten Geschäfts gründet der Investor
zunächst einen Trust. Über den Trust schließt der Investor mit
der Kommune den Leasing-Vertrag ab. Im gleichen Moment mietet die Kommune mit
einem parallel abgeschlossenen Rückmietvertrag die Anlage wieder an und
bleibt dadurch weiterhin Betreiberin. Dieser Rückmietvertrag gilt lediglich
für rund 25 Jahre. Danach besteht die Option, die Anlage wieder zurückzukaufen.
Nach US-Recht ist das US-Unternehmen Eigentümerin der Anlage und kann diese
entsprechend bilanzieren und abschreiben, nach deutschem Recht bleibt die Kommune
Eigentümerin und dementsprechend im Grundbuch eingetragen.
Die Leasingsumme für die Gesamtmietzeit zahlt der Investor sofort und auf
einen Schlag, wodurch er gewaltige Steuerersparnisse erzielt. Einen Bruchteil
dieses Steuervorteils drei bis fünf Prozent bekommt die Kommune
überwiesen, dies ist der so genannte "Netto-Barwertvorteil", auf den es
die Stadtkämmerer abgesehen haben. Die Differenz zum "Brutto-Barwertvorteil"
haben zuvor schon die diversen in das Geschäft involvierten Banken, Anwaltskanzleien
und Arrangeure abgesahnt. Zu letzteren gehören u.a. die Deutsche Bank,
Daimler Chrysler Capital Services und die debis. Diese Gesellschaften sind nicht
nur Vermittler, sie statten die US-Unternehmen auch mit Krediten aus und verdienen
somit mehrfach an dem Geschäft. Da diese Form des Leasing ganz offensichtlich
keinen realwirtschaftlichen Sinn macht, wird es von der obersten Steuerbehörde
der USA seit 1999 als Scheingeschäft und Gestaltungsmissbrauch beurteilt.
Um den Barwertvorteil für die Kommune zu erlangen, gilt es ein hochkompliziertes
und viele hundert Seiten starkes Vertragswerk zu unterzeichnen, welches von
Finanz- und Steuerjongleuren ausgearbeitet wurde. Häufig werden die Verträge
den Stadträten gänzlich vorenthalten oder es kursieren lediglich kurze
Zusammenfassungen. In juristischer Fachsprache und auf Englisch verfasst, ist
der Inhalt für viele Stadtkämmerer anscheinend auch bei deren vollständiger
Lektüre nicht zu verstehen. Für eine komplette Übersetzung mangelt
es sicherlich nicht an finanzieller Ausstattung, sondern vielmehr am Willen
der Verantwortlichen für Transparenz zu sorgen. Denn so mancher Haken lauert
im Detail, so dass selbst Befürworter wie die Düsseldorfer Beratungsgesellschaft
Due Finance darauf hinweist, dass das vermeintlich leicht verdiente Geld das
Entgelt für Bindungen und Risiken darstellt, die für viele Jahre eingegangen
werden.
Für Abgeordnete, bei denen sich bei den drei Buchstaben CBL nicht von vornherein
die Nackenhaare sträuben, sollte also als Regel Nummer eins gelten: Verträge
im Original besorgen und von fachkundigen Menschen begutachten lassen. Regel
Nummer zwei: Erst lesen, dann leasen! Dass dieser Grundsatz eine Selbstverständlichkeit
sein sollte, sagt eigentlich bereits der "gesunde Menschenverstand", aber in
einem Interview des ARD-Magazins Monitor vom 23. Januar belehrt uns Frank Scheurell,
Stadtrat von Wittenberg, eines Besseren: "Es ist ja nicht so, dass ich auf jemanden
zugehe, um mit ihm in vertragliche Bindungen über 25 Jahre zu gehen, und
davon ausgehe, dass der andere mich dann übern Tisch zieht. Also auch im
privaten Leben würde ich einen Vertrag, auch wenn ich ihn nicht bis ins
Detail gelesen habe, unterschreiben."
Weiterhin viel Glück möchte man dem Stadtrat für seine privaten
Geschäfte wünschen, aus den Geschicken der Stadt sollte er sich allerdings
schleunigst zurückziehen. Denn was ihm glatt entgangen ist, könnte
die Wittenberger teuer zu stehen kommen. Bei einem Unglücks- oder Verlustfall
bezüglich des Klärsystems hat die Stadt nämlich die Rendite des
Investors zu gewährleisten, was bis zu 42 Mio. Euro kosten könnte,
wie Monitor recherchierte. Dieser Betrag würde den Barwertvorteil von ca.
6,8 Mio. Euro weit übersteigen. Neben Schadensersatzpflichten dieser Art
bestehen eine ganze Reihe von Risiken, die den erworbenen Barwert-Vorteil in
einen gewaltigen Cross-Border-Nachteil verwandeln können. Dazu gehört
die Möglichkeit der Veränderung des US-Steuerrechts. Nach Meinung
des Bayerischen Kommunalen Prüfungsverbands ist aus US-amerikanischer Sicht
eine "gesetzgeberische Korrektur der Cross-Border-Leasing-Praktiken mit dem
Argument denkbar, Bürger eines anderen Staates kämen unberechtigt
zu Steuervorteilen, die zu Lasten der amerikanischen Steuerzahler gingen. Das
Risiko der Änderung der Steuergesetzgebung auf deutscher wie auf US-Seite
besteht für die Kommune bis zum Vertragsschluss." Außerdem verweist
der Prüfungsverband auf das Risiko der Einführung einer US-Quellensteuer,
die auf die Mietzahlungen der Stadt aufgeschlagen werden würde sowie die
Gefahr der Insolvenz einer der beteiligten Banken, wo die Leasingsumme des US-Unternehmens
geparkt ist.
Durch die Langfristigkeit der Verträge erscheint es sehr unwahrscheinlich,
dass eine Kommune unbeschadet aus den Vereinbarungen herauskommt. Ganz sicher
ist jedoch, dass die Städte mit den Investoren lange Bindungen eingehen
und damit Eigenständigkeit einbüßen. Da die betreffenden Anlagen
im vertraglich vereinbarten Umfang zu betreiben sind, können zukünftige
infrastrukturelle Notwendigkeiten blockiert werden und ökologische wie
ökonomische Nachteile mit sich bringen. Denn wer könnte heute verlässliche
Angaben darüber machen, wie hoch das Müll- oder Abwasseraufkommen
oder die Auslastung des Öffentlichen Nahverkehrs in 20 Jahren ist? Gerade
in diesen Bereichen wird aber die Mehrzahl der Geschäfte abgeschlossen,
da sich die Sache erst bei großen und langlebigen Anlagewerten von über
100 Mio. Euro lohnt.
Straßen- und U-Bahnen, Trinkwassernetze, Kläranlagen, Abwasserkanäle
und Müllverbrennungsanlagen, also Einrichtungen von zentraler Bedeutung
für die städtische Infrastruktur, werden zu Spielbällen globaler
Finanzakrobatik. Die Spielregeln werden von Banken und Investoren diktiert,
wobei Letztere im eigentlichen Sinne des Wortes keine sind, da sie ja gerade
keinen müden Dollar in die Sache investieren.
Die Kommunen haben also unterm Strich für das gesamte Vertragsrisiko gerade
zu stehen. Umso erstaunlicher ist es, dass weder Bundes- noch Landesministerien
Interesse an dem heiklen Thema zeigen: Dies obliege dem Zuständigkeitsbereich
der kommunalen Verwaltungen, ist die vorherrschende Meinung. Lediglich das bayerische
Innenministerium vertritt die Ansicht, dass in der Öffentlichkeit ein verheerendes
Bild entstünde, "wenn Kommunen auf Steuertricks hart an der Grenze der
Legalität zurückgreifen und gleichzeitig von den Bürgern, die
ohnehin viele Steuern zahlen müssen, Ehrlichkeit und hundertprozentige
Gesetzestreue verlangt wird."
Eine Gewinn-und-Verlust-Rechnung im eigentlichen Sinne erübrigt sich beim
CBL. Vielmehr lässt sich eine Gewinner-und-Verlierer-Bilanz aufstellen:
Gewinner sind die steuersparenden US-Unternehmen und ihre vorgelagerten Trusts,
deutsche und US-Banken, die sich ihre Arbeit als Arrangeure, Kreditgeber und
Transferdienstleister bestens honorieren lassen sowie die vielen Finanzberatungsunternehmen,
Anwaltskanzleien und Stadtbedienstete, für die hier und da sicherlich auch
etwas abspringen dürfte. Verlierer sind auf der anderen Seite die Steuerzahler
diesseits und jenseits des Atlantiks.
Die Stadt Aachen hat bereits die Verhandlungen im Vorfeld eines US-Leasings
teuer zu bezahlen. Ohne dass es zu einem Vertragsabschluss kam, hat die Stadt
allein für die bisherigen "Leistungen" der Banken, Anwälte und Berater
einige Millionen Euro zu berappen.
Die Folgen für die vielen CBL-Kommunen von München bis Rostock sind
wegen der langen Laufzeiten heute noch nicht abzusehen. Die kurze Freude des
Barwertvorteils kann in zehn oder zwanzig Jahren zu einem Absturz ins Jammertal
werden. Inzwischen organisiert sich in einigen Städten und Regionen der
erste Protest gegen die CBL-Geschäfte. In Kulmbach konnte ein Leasing verhindert
werden und in Nordrhein-Westfalen gründeten Bürger und Bürgerinnen
aus verschiedenen Städten die "Arbeitsgemeinschaft gegen den Ausverkauf
von kommunalem Vermögen".
In Berlin wird bislang die "konventionelle" Privatisierung bevorzugt, doch Cross-Border-Leasing
ist auch in Senatskreisen kein Fremdwort. Und es sollte doch stark verwundern,
ließen Berlins Stadtfürsten diesen Krug an sich vorbeiziehen. Für
sachdienliche Hinweise bedankt sich die Redaktion des MieterEcho bereits im
Voraus.
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